Chinas Vizepremier Han Zheng
Chinas Vizepremier Han Zheng, einer der schärfsten Kritiker Xi Jinpings, entzündet das Olympische Feuer bei den diesjährigen Winterspielen in Peking / picture alliance

Richtungsentscheidung in China - Großmacht am Scheideweg

China steht am Rand einer Wirtschaftskrise, Staatspräsident Xi Jinping gerät deswegen zunehmend in die Kritik: Innerhalb der Kommunistischen Partei hat sich eine immer lauter werdende Opposition gegen ihn und seine Politik herausgebildet. Demnächst entscheidet sich, wer den Machtkampf gewinnt – und wie China sich künftig dem Rest der Welt gegenüber verhält.

Autoreninfo

Victoria Laura Herczegh, die fließend Mandarin, Spanisch, Französisch und Englisch spricht, ist Analystin bei Geopolitical Futures und Doktorandin für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Corvinus-Universität in Budapest.

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China steht nun schon seit geraumer Zeit am Rande einer Wirtschaftskrise. Strukturelle Probleme im Finanzsystem und die anhaltende Schließung wichtiger Drehkreuze und Häfen sowie Lockdowns in ganzen Provinzen haben zu Unterbrechungen der Lieferketten geführt, zu verlangsamtem Wirtschaftswachstum und zu allgemeinen Unruhen im ganzen Land. Und da die wirtschaftliche Vitalität die Grundlage der Macht der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) ist, stellen diese Szenarien eine Gefahr für die Stabilität der Regierung dar.

Bisher ist es Präsident Xi Jinping gelungen, seine Macht so zu konsolidieren, dass er Chinas Herrscher auf Lebenszeit bleiben könnte. Sein Versagen bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen hat jedoch Zweifel an Xis Führungskompetenz aufkommen lassen – insbesondere in den Kreisen, auf die es wirklich ankommt: dem Rest der KPC, in dem es zwei Fraktionen mit zwei unterschiedlichen Ansichten über Chinas künftige Beziehungen zum Rest der Welt gibt, insbesondere zum Westen.

Exporte als Motor der chinesischen Wirtschaft

Als China eine stabile Wirtschaftsmacht war, war auch Xis Position gesichert. Die florierende Wirtschaft basierte immer auf Exporten, und obwohl die chinesische Führung alle Anstrengungen unternommen hat, um zu einem konsumbasierten Wirtschaftsmodell überzugehen, sind das verarbeitende Gewerbe und die Exporte nach wie vor der Motor des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. Dies hat das Land besonders anfällig für globale Unterbrechungen der Lieferketten gemacht, die durch die russische Invasion in der Ukraine und durch die Corona-Pandemie verursacht wurden. Strukturelle Probleme wie Schattenkredite, zunehmende Eingriffe in Marktangelegenheiten, Importabhängigkeit und finanzielle Schwierigkeiten im Immobiliensektor sind jedoch schon seit einiger Zeit gravierend, ebenso wie das wirtschaftliche Gefälle zwischen den wohlhabenden Küstenregionen und dem unterentwickelten Landesinneren.
 

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Die extrem strengen Eindämmungsmaßnahmen im Zuge der grassierenden Omikron-Variante haben die Situation noch verschärft: Interne wirtschaftliche Störungen, die erzwungene Stilllegung von Schlüsselindustrien, rapide steigende Preise sowie Nahrungsmittel- und Treibstoffknappheit führen zu wachsender Unruhe innerhalb der chinesischen Gesellschaft.

Trotz der strengen Zensur machen innerhalb der Partei Erzählungen die Runde, wonach Xi als Präsident gescheitert sei. Einer der schärfsten Kritiker ist Han Zheng, Vizepremier, Mitglied des siebenköpfigen Ständigen Ausschusses des Politbüros, ehemaliger Parteisekretär von Shanghai und Mitglied der „Shanghai-Clique“, einer informellen Gruppe von Parteifunktionären, die die Geschäftsinteressen von Chinas Küstenregionen vertreten. Als geschäftsführender Vizepremier des Staatsrats zeichnet Han für Chinas Binnenwirtschaft verantwortlich und leitet die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission. Zusammen mit dem rangniedrigeren Vizepremier Hu Chunhua scheint Han nun zum Anführer einer Gruppe innerhalb des Zentralkomitees geworden zu sein, die gegen Xis derzeitige wirtschaftliche Maßnahmen opponiert.

Kontrollierte Implosion des Immobiliensektors

Im Rahmen von Xis Agenda bestand das größte geplante Wirtschaftsprojekt der vergangenen Jahre in der kontrollierten Implosion von Chinas übergroßem Immobilienmarkt – und zwar mit dem langfristigen Ziel, die Wirtschaft weg von einer übermäßigen Abhängigkeit von Wohnungsbau- und Infrastrukturinvestitionen hin zu einer besseren Ausrichtung auf den Binnenkonsum zu führen. In dieser Frage vertreten zwei wichtige Personen innerhalb der chinesischen Führung stark voneinander abweichende Meinungen: Das Xi-Lager, angeführt von Liu He, dem Vizepremier und langjährigen Finanz- und Wirtschaftsberater von Xi, hat dafür plädiert, den Druck auf den Immobiliensektor im Vorfeld eines eventuellen Einbruchs zu verringern. Liu, der wegen der möglichen Auswirkungen auf das Finanzsystem besorgt ist, hat den Investoren wiederholt versichert, dass Xis Regierung die Wirtschaft ankurbeln wird. Das andere Lager, angeführt von Han und Hu, hat sich auf die Seite des Wohnungsbauministeriums gestellt, das den Druck auf die Bauträger aufrechterhalten will, indem es die Verwendung der Projekterträge streng regelt. Ziel dieses Ansatzes ist es, die Verschuldung im Verhältnis zum Cashflow, zu den Vermögenswerten und zur Kapitalausstattung der großen Unternehmen zu begrenzen und sie so an einem übermäßigen Wachstum zu hindern.

Die Immobiliendebatte steht in direktem Zusammenhang mit der zentralen Herausforderung, die die chinesischen Regierungen seit Jahrzehnten zu lösen versuchen: die Umverteilung des Wohlstands. Die Anhebung des Einkommens von Stadt- und Landbewohnern und die Förderung eines gleichberechtigten Zugangs zu Dienstleistungen sind für das Aufrechterhalten eines friedlichen Wachstums in China unerlässlich. Xi verfolgt die Wohlstandsverteilung im Rahmen seines Plans für „gemeinsamen Wohlstand“, der darauf abzielt, das Wohlstandsgefälle in China zu verringern, indem er gegen „unangemessen“ hohe Einkommen vorgeht und den Wohlstand von den wohlhabenden Küstenregionen in das ärmere Landesinnere umverteilt. Die Strategie begann mit einem Paukenschlag, indem gegen große Technologieunternehmen vorgegangen wurde, aber angesichts der jüngsten wirtschaftlichen Probleme hat sie etwas an Kraft verloren.

Um es klar zu sagen: Beide Gruppierungen sind für Wirtschaftswachstum; sie sind sich nur nicht einig darüber, was die treibende Kraft hinter dem Wachstum sein soll. Chans Fraktion wendet sich aktiv gegen die Verteilung des Wohlstands, um die Wirtschaft in den Küstenregionen zu stützen und sie noch stärker an die internationalen Märkte zu binden, damit das sprichwörtliche steigende Wasser alle Boote hebt. Xi hingegen möchte, dass das Wachstum des Landes von der staatlichen Verwaltung und dem Binnenkonsum angetrieben wird, wobei internationale Akteure keine Rolle spielen.

Anhaltende Differenzen

Die jüngste Sitzung des Politbüros am 3. April hat gezeigt, dass diese Differenzen längst nicht beigelegt sind. Und die Lage könnte sich noch weiter zuspitzen. Die Kapitalabflüsse aus China erreichten im April ein Rekordhoch und untergraben die Glaubwürdigkeit von Xis Lager. Vor allem die Opposition teilt ihre Bedenken nach wie vor frei und öffentlich mit – was bedeutet, dass Xi im Gegensatz zu den vergangenen Jahren nicht in der Lage ist, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen.

Im Vorfeld des für November anberaumten Nationalkongresses der Kommunistischen Partei, bei dem Chinas neue Führungsspitze für die nächsten fünf Jahre bestimmt werden soll, werden beide Seiten um die Macht kämpfen. Die Wiederherstellung des Vertrauens der Gesellschaft spielt hierbei eine entscheidende Rolle, insbesondere nach den Abriegelungsmaßnahmen wegen Corona. Xis Rivalen werden Gelegenheit haben, aus der öffentlichen Unzufriedenheit Kapital zu schlagen, und eine weiterhin wackelige Wirtschaft wird sie darin nur bestärken.

Bis November sind es noch einige Monate hin. In dieser Zeit könnte jede noch so kleine Veränderung in den Beziehungen zwischen den chinesischen Führern einen Hinweis darauf geben, wie sich der Kongress entwickeln wird. Xis anfängliche Pläne für Immobilien- und Steuerreformen sowie der Stopp der Vermögensumverteilung deuten bereits auf eine geschwächte Position hin, so dass jede unerwartete wirtschaftliche oder finanzielle Maßnahme, die diesen Plänen zuwiderläuft, eine Stärkung der Opposition signalisieren dürfte. Auch die Entfernung einer Schlüsselperson aus den höchsten Rängen der Macht wäre aufschlussreich.

Es wird sich demnächst also entscheiden, wo Chinas wirtschaftlicher Schwerpunkt in Zukunft liegen soll: auf dem Binnenkonsum und der Unterstützung der Provinzen im Landesinneren. Oder auf dem internationalen Handel, der durch den Reichtum und den Einfluss der Küstenstädte vorangetrieben wird – was wiederum maßgeblich dafür wird, wie sich China künftig gegenüber dem Rest der Welt verhält.

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Ronald Lehmann | Mo., 23. Mai 2022 - 22:00

Hinzu, dass der Glauben an eine Schöpfung, der Glauben - das alles was man tut oder nicht tut (redlich oder unredlich) nicht verloren geht & Auswirkungen hat (egal ob wir als Mensch dies verstehen).

Ich bekomme nur Sinn dicken Hals, wenn falsche Pharisäer oder Messias auftauchen & Menschen vorschreiben wollen, macht dies oder jenes oder nicht.

Jeder Mensch weiß intuitiv, wann er den Pfad der Redlichkeit verlassen hat. Oder wie bei einen Verbrecher, es interessiert ihn nicht, weil er nur SEINE Interessen sieht.

So, wie es der Macht Schiez egal ist, was andere ùber Sie denken, so werden auch die Mittel zur Erlangung des Erfolges für die Macht Schiez egal sein, weltweit Das einzige was zählt sind Erfolge, egal bei welchem Strickmuster. Und wer die nicht bringt, verloren im Erden-Monopoly.

Zumal ich glaube, CHN wird der zukünftige Abnehmer von RUS-Gas.

Weltweit bereits geplant.
Europa wird von den eigenen Politikern auf ein Abstellgleis lanciert & zur Bedeutungslosigkeit degradiert.

Ernst-Günther Konrad | Di., 24. Mai 2022 - 08:37

Ich nehme Ihren Artikel zur Kenntnis und akzeptiere Ihre Schlussfolgerungen, werde sie für mich aber nicht übernehmen. Inzwischen liest man über fast jeden Diktator irgendwelche Analysen, die damit einhergehend, den Untergang des ein oder anderen ankündigen, in Aussicht stellen und für möglich halten. Sicher, möglich ist vieles, aber ob es so eintreten wird, da bin ich skeptisch. Heute Morgen titelt die BILD, das Putin schwer krank nur noch bis 2023 im Amt sich halten werden könne. Überall, selbst in Nordkorea will man den Untergang der "Führer" ihrer Nation ausmachen. Selbst wenn der eine gestürzt, der andere krank oder gar durch Tod - wie auch immer herbeigeführt - das zeitliche segnet wird sich doch nicht ernsthaft etwas ändern. China wird nicht demokratischer nur weil XI gegen einen anderen ausgetauscht wird. Russland das gleiche und auch in Nordkorea und sonst wo. Mag sein das China Probleme hat, aber Personen sind austauschbar, ein System ändern dauert. Sieht man ja bei uns.

Ja, ich habe auch gehört das Kim-Jung-On bald an Adipositas stirbt, noch bevor er sich offiziell fortgepflanzt hat. Wie hält es der real existierende Feudalismus eigentlich mit den unehelichen Kindern der Parteielite? Sind die erbberechtigt? Oder gibt es ein staatliches Zuchtprogramm zur Sicherung der genialen Führungsgene der Familie Kim?

Christoph Kuhlmann | Mi., 25. Mai 2022 - 09:49

Der neoliberale Ansatz und das Ideal der Sozialen Marktwirtschaft. Wobei zumindest die Neoliberalen zu ungehemmten Merkantilismus neigen. Insofern haben wir da noch gar keine passende Terminologie entwickelt. Mir ist jedenfalls keine bekannt. Was wird erst geschehen wenn China das Instrument des Länderfinanzausgleichs entdeckt und die Vorzüge des Föderalismus? Der ist allerdings historisch nicht angelegt, wenn man seit 5000 Jahren ein geeintes Reich hat.

Annette Seliger | Mi., 25. Mai 2022 - 12:32

ist bis zu den nächsten Wahlen in den U.S.A.. Es ist gerade einmal drei Jahre her, da bezeichnete der damalige "Führer der freien Welt" ein gewisser Herr Trump, die NATO als obsolet und er zettelte Handelskriege gegen die EU und China an, um das Handelsdefizit zu reduzieren. Damals waren die EU sehr froh die Ausfälle mit den U.S.A. aufgrund erhobener Zölle, mit China ausgleichen zu können und Präsident Xi war der Star auf der Davoser Sause. Gestern "Everybodies Darling" und heute "Everybodies Depp". Jetzt wird durch die links liberale Presse der Niedergang der Chinesen herbeigeschrieben, dabei geht es nur um geopolitische Interessen. Die Uiguren sind dabei nur ein mediales Mittel, denn wenn es um Menschenrechte geht, dann sollten wir an die ausgebeuteten Arbeiter in Katar erinnern, die dort die WM Stadien bauen. Aber die Kataris gehören ja jetzt zu den Guten und bestellen die LNG Schiffe, die für den Gastransport nach D benötigt werden in China!. Warum werden die nicht hier gebaut?