Während der Pandemie entpuppte sich die Wirksamkeit eines „epistemischen Regimes“ als große Illusion / picture alliance

Verhältnis von Wissenschaft und Politik - Das Szientismus-Paradox

Wissenschaftler als Talkshowhelden, die Politik setzt deren Wahrheiten um, denn das Haus brennt: Corona, Klima, Hitze, Krieg. Aber wenn sich Wissenschaft und Politik vermischen, verstärken sie Wissenschaftsskepsis und schwächen die politische Legitimation. 

Autoreninfo

Professor Dr. med. Matthias Schrappe ist Internist und war Vorstandvorsitzender der Universitäts-Klinik Marburg, Dekan und wiss. Geschäftsführer der Univ. Witten/Herdecke, Generalbevollmächtigter der Frankfurter Universitäts-Klinik, Dir. Institut Patientensicherheit Universität Bonn (in den Jahren 2002 bis 2011).

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„Follow, listen to, unite behind science“, so schallt es allerorten. „Die“ Wissenschaft sagt, die Bürger sollen nicht auf die Straße, sollen mittags Siesta machen, Lockdown ist unumgänglich, und „die“ Politik setzt das um, wissenschaftlich fundiert, und zwar sofort. Politikberatung avanciert zur neuen Aufgabe, ja zur zentralen Pflicht der Wissenschaft.

Die Wissenschaft stellt ultimative Wahrheiten ins Schaufenster, die Politik sieht sich legitimiert und kann durchregieren. Bis zum Jahresende sei mit 1,2 Millionen Toten zu rechnen, so die versammelten Wissenschaftsorganisationen der Republik im April 2020, und die Kinder werden daran schuld sein, dass die Großeltern jämmerlich ersticken. In der FAZ vom 5.8.21 resümiert der Bonner Staatsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz lakonisch: „Die Pandemie wurde zu einem populären Laboratorium angewandter Wissenschaftstheorie im demokratischen Prozess.“

Not und Krisen kennen kein Gebot 

Ja, so kann man es auch sagen, wenn man nicht deutlicher werden will: Die Wissenschaft trumpft auf mit Wahrheiten, wo differente, wissenschaftlich abgeleitete Alternativen geboten wären, und die Politik sieht sich legitimiert, ohne die entsprechenden Konflikte im demokratischen Prozess hinreichend zu klären. Kollateralschäden (Kinder!) sind nicht der Rede wert, denn Not und Krisen kennen kein Gebot, es sei keine Zeit für umständliche Beratungen, zu Corona ebensowenig wie für Heizungs- und Energiegesetze.  

Nur, die Analyse ergibt keine Win-win-Situation, sondern negative Auswirkungen auf beiden Seiten: Die schleichende Delegitimierung der Politik schreitet fort, da sie Konflikte und Wertentscheidungen nicht austrägt, und die Wissenschaft verengt ihren Diskurs immer weiter, sie halst sich Verantwortung für politische Entscheidungen auf, für die sie weder autorisiert noch legitimiert ist (und die ihr niemand danken wird). Natürlich ist ein intaktes Wissenschaftssystem für eine Gesellschaft extrem wichtig (Erkenntnisse, Innovationen, Handlungsalternativen), deswegen wird sie ja auch von dieser finanziert, und man sollte ihr zuhören. Also keine Wissenschaftsleugnung – aber auch keine Leugnung des eigenständig Politischen, des Ausfechtens von Interessen- und Wertekonflikten, so transparent wie irgend möglich. 

1000 Mal berührt … 

Der Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse stellt für politische Entscheidungen selbstverständlich ein sinnvolles, rationales Unterfangen dar, ebenso wie es sinnvoll ist, bei einigen wissenschaftlichen Fragestellungen den politischen Kontext im Auge zu behalten. Wer hat als junger Wissenschaftler nicht den Drang verspürt, der Politik den Weg zu zeigen? Wenn „die Politik“ doch nur tun würde, was wissenschaftlich klar dargelegt ist – die Probleme würden sich schnell lösen lassen!  

Im Gesundheitswesen kam durch die „evidenzbasierte Medizin“ eine moderne Leitidee hinzu, die eine transparente Identifikation des verfügbaren Wissens zu einer (sauber formulierten) Fragestellung, eine nachvollziehbare und differenzierte Bewertung der einzelnen Studien und außerdem noch eine methodisch klar hergeleitete Zusammenfassung dieses Wissens bot – nebst Anhaltspunkten für Information und Einbeziehung der Patienten. Die Gesundheitswissenschaften gewannen an Selbstvertrauen, Konzepte wurden entwickelt, die auf Bezeichnungen wie „evidenzbasierte Politik“ hörten, man wollte also mitreden. 

Nicht anders aufseiten der Politik. Was konnte einem Politiker besseres passieren, als dass ein politisches Projekt den Segen der Wissenschaft erhielt (deswegen auch die Flut von „Beiräten“). Das hinderte nicht daran, auch mal direkt durchzugreifen, die Begriffe „Basta-Politik“ (Regierung Schröder) und „Wir schaffen das“ (Regierung Merkel) sind noch gut in Erinnerung. Grundsätzlich hielt man sich aber an Netzwerk-Konzepte, versuchte alle Stakeholder einzubinden, der Gemeinsame Bundesausschuss in der Gesundheitspolitik mit seinen Aufgaben in Mittelzuteilung und Struktur sei als Beispiel genannt.  

Top-Down-Konzepte waren wieder gefragt

Wie auf einen Schlag kam in der Corona-Krise alles anders. Lineare Top-Down-Konzepte der politischen Steuerung waren plötzlich wieder gefragt, „die Stunde der Exekutive“ hatte begonnen (und scheint anzuhalten). Schnelles Handeln in der Krise ist unumgänglich, keine Zeit mehr für parlamentarische Debatten oder Beteiligung von gesellschaftlichen Partnern. Allerdings haben solche hierarchischen Ansätze ihre Risiken, sie sind fehleranfällig und leiden an mangelnder Legitimation.  

Zu früheren Zeiten konnten hier metaphysische Kräfte herangezogen werden, gerade in Krisenzeiten, in denen die Götter ihr Missfallen geäußert hatten. Heutzutage? Man besinnt sich auf die Wissenschaft als zusätzliche Legitimationsbasis. „Die Wissenschaft hat gesagt“ auf allen Kanälen, Pressekonferenzen nicht ohne Professoren.

Niemand hat die neuen Verhältnisse deutlicher auf den Punkt gebracht als die promovierte Physikerin und damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag (9.12.2020): „Ich habe mich in der DDR für ein Physikstudium entschieden. Das hätte ich in der alten Bundesrepublik wahrscheinlich nicht getan. Weil ich sicher war, dass man vieles außer Kraft setzen kann. Aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindigkeit nicht – und andere Fakten auch nicht. Und das wird auch weiter gelten, meine Damen und Herren!" Eine Physikern skizziert ihr politisches Glaubensbekenntnis: es sind die Daten, die klassische Physik, es regiert die Newtonsche Kugel, die zu Boden fällt. Werteentscheidungen? Nicht in der Krise. 

Frühe Warnungen vor dem falschen Weg 

Das war erst der Beginn, und es gab noch Widerspruch, es erscheint aus heutiger Sicht fast erstaunlich, in welchem Umfang. Bereits im März 2020 hatte der Deutsche Ethikrat in seiner ersten Ad-hoc-Stellungnahme zu Corona hervorgehoben, dass es „dem Grundgedanken demokratischer Legitimation“ widerspreche, „würden politische Entscheidungen umfassend an die Wissenschaft delegiert. (…) Denn wissenschaftliche Erkenntnisse geben keine hinreichende Auskunft über die Art und Weise ihrer Anwendung.“ Dies sei vielmehr eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die im rechtlichen Rahmen von der demokratisch verantwortlichen Politik wahrzunehmen ist.“  

Der Berliner Politologe Wolfgang Merkel kritisierte in der FAZ vom 2.12.2020, dass das „epistemische Regime“, also eine Herrschaft des Wissens, die „szientistische Sehnsucht nach dem Ende des Politischen“ zu einer „moralischen Neukodierung politischer Konflikte“ führt, politische Konflikte würden zu unverhandelbaren ethischen Positionen hochgelobt, die keine Kompromisse mehr zulassen. 

„Wissenschaftlern folgen? Aber doch, aber welchen?“

Anfang 2021 kam dann der wahrscheinlich wichtigste Beitrag zu diesem Thema, von dem ehemaligen Max-Planck-Direktor und Soziologen Wolfgang Streeck (der bei dieser Gelegenheit gleich die nicht-existente Verwandtschaftsbeziehung zum Bonner Virologen Hendrick Streeck klärte, FAZ 11.1.21). Schon der Titel adressierte die wichtige Frage „Wissenschaftlern folgen? Aber doch, aber welchen?“.

Er widerlegt das Ziel der „virenfreien Zukunft“ genauso wie er zahlreiche Möglichkeiten aufzeigt, zu einer wissenschaftlich genügenden Rezeption der Krise zu kommen. Vor allem aber griff er die naturwissenschaftliche Dominanz der wissenschaftlichen Beratung an: „‚Follow the Science‘ hieß es mal, als es um den Klimawandel ging. Aber welche ‚science‘? ‚Facts are facts!‘ Als Wissenschaftler kann ich da nur fragen: Seit wann denn das? Welche erkenntnistheoretischen Kurse kann jemand besucht haben, der so was auf ein Poster schreibt und sich damit auch noch fotografieren lässt?“ 

Natürlich ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. Jürgen Renn, Wissenschaftshistoriker und Leopoldina-Mitglied aus Berlin, reagiert fast wütend (FAZ 18.1.2021) und unterstellt Streeck „einen problematischen Elitenbegriff“, heutzutage eine oft gebrauchte Zuschreibung, wenn man jemandem Antisemitismus unterstellen will. Im übrigen geht er nicht auf den erkenntnistheoretischen Aspekt von Streeck ein, sondern setzt Naturwissenschaften und Sozial- bzw. Geisteswissenschaften gleich und fordert, dass die Wissenschaft endlich mit (nur) einer Stimme sprechen solle.  

Deutliche Unterstützung erhält Streeck allerdings vom Ökonomen und Mitglied des NRW-Expertenrates Michael Rüther, der in der FAZ vom 28.1.2021 klarstellt, dass die Politik zwar „exakte Aussagen ohne Verfallsdatum“ verlange, die Wissenschaft jedoch stattdessen die Aufgabe habe, Wirkungsmechanismen zu verdeutlichen, Alternativen aufzuzeigen und eine Moralisierung zu vermeiden. Auch physikalische und mathematische Methoden seien nicht frei von Werturteilen, die entsprechend mitformuliert werden müssten. 

Wissenschaft: die geschlagene Gewinnerin 

Sehr früh ist also diskutiert worden, dass die wissenschaftliche Legitimierung von Politik dazu neigt, nur die Naturwissenschaften einzubeziehen, Wissenschaft also nur selektiv zu nutzen. Diese positivistische „Schlagseite“ ist ein wichtiges Merkmal des Szientismus, einer Haltung, die davon ausgeht, „dass sich mit wissenschaftlichen Methoden alle sinnvollen Fragen beantworten lassen“. Wikipedia präzisiert weiter: „Der Szientismus geht von einem positivistischen Verständnis dieser Methoden aus und wird daher oft mit dem Positivismus oder mit einer extremen Haltung desselben gleichgesetzt.“  

Jürgen Mittelstraß verschärft in seiner Enzyklopädie „Philosophie und Wissenschaftstheorie“ noch den Aspekt der Dominanz des Positivismus bzw. der Naturwissenschaften, indem er den Szientismus als ein „reduktionistisches Programm“ bezeichnet, „in dem eine universelle Erklärungskompetenz der Wissenschaften vertreten wird und die Ideale und Begründungsverfahren der exakten Wissenschaften, speziell der (empirischen) Naturwissenschaften, auf die Theoriebildung in den Geistes- und Sozialwissenschaften übertragen werden sollen.“ 

Der Begriff Szientismus umfasst also nicht nur einen neutralen Wissenschaftsbezug von politischen Entscheidungen, sondern impliziert, wie es gerade im Zusammenhang mit Corona und Klima deutlich wird, einen betont naturwissenschaftlichen Fokus, während Aspekte sozialer, psychologischer und gesellschaftlicher Natur vernachlässigt werden. Soziale, psychologische und ökonomische Folgen der Lockdowns spielten keine Rolle, es herrsch(t)en Grenzwerte, physikalisch hergeleitet.

Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, dass allein diese Fokussierung das Wissenschaftssystem in seiner Produktivität enorm einschränkt, denn es ist offensichtlich, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse sowohl in der Umsetzung als auch hinsichtlich ihrer Folgen auch anderer Wissenschaftsdisziplinen bedürfen, um ihre Wirksamkeit und ihren gesellschaftlichen Bezug darlegen zu können. „Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkungen der Physik alle Menschen“, sagte schon Friedrich Dürrenmatt (Nr. 16 seiner „21 Punkte zu den Physikern“). 

Zurückstutzung der Wissenschaft

Aber die selektive Nutzung von Wissenschaft ist von weitergehenden Problemen gefolgt. Natürlich kann man sich als Wissenschaftler geschmeichelt fühlen, wenn ein (normalerweise) ausgeschlafener Philosoph wie Yuval Harari im Spiegel betont: „Unsere Superhelden sind die Wissenschaftler in den Labors.“ Allerdings stellt dies umgekehrt eine Herabsetzung der Wissenschaftler dar, die in der klinischen Forschung am Krankenbett tätig sind und z.B. verhindern, dass die Zahl von jährlichen Krankenhaus-Infektionen die Millionengrenze überschreitet oder die Lockdown-Folgen für die Kinder untersucht.

Es wird deutlich, dass sich nicht „die Wissenschaft“ zu wenig in der Gesellschaft Gehör verschafft, sondern dass einseitig die Naturwissenschaften im Vordergrund stehen und die Sozial- und Geisteswissenschaften verdrängen.  

Man erkennt also: Die Anerkennung durch Einbeziehung in den politischen Bezug ist für die Wissenschaft durch eine maßgebliche Eingrenzung und Zurückstutzung erkauft, die man auch innerhalb der Gesundheitswissenschaften erkennen kann. Hier war in den letzten Jahrzehnten z.B. die Evidenzgenerierung ein wichtiges Thema, aber ausgerechnet dieses Gebiet wurde während Corona völlig übergangen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wurde zu keinem Zeitpunkt gefragt, obwohl hier die Kompetenz vorhanden ist, durch die Identifikation und Zusammenführung von wissenschaftlichen Erkenntnissen effektive Hinweise für die Politikgestaltung zu geben (und wichtige Studien zu planen).  

Rückfall in autoritären Dogmatismus

Aber damit kein Ende: Selbst grundlegende Begriffe und Konzepte, die fachlich und wissenschaftlich klar definiert sind, wurden nicht genutzt (z.B. Score-Systeme zur Beurteilung der Sterblichkeit an oder mit Corona) oder falsch verwendet (z.B. „Inzidenz“, ohne den Nenner zu kennen). Es wurde über Talkshows mit Einzelstudien argumentiert, ohne sie kritisch zu hinterfragen (oder, wie sich oft herausstellte, sie gar zu kennen) – ein Rückfall in die schlimmsten Zeiten eminenzbasierter, hierarchisch organisierter Wissenschaft, letztendlich ein Rückfall in einen autoritären Dogmatismus.

Und leider führte die Nähe zur Macht immer öfter zu platter Polemik wohlgemerkt innerhalb des wissenschaftlichen Disputes, wenn z.B. der Berliner Virologe Christian Drosten im Interview (SZ, 25.4.2020) zur Heinsberg-Studie von Hendrick Streeck behauptet, dieser habe angegeben, 15% „der Bevölkerung“ seien immun – was der Kollege nie behauptet hat (sondern dies nur auf die Heinsberger Bevölkerung bezog), was aber der Desavouierung seiner wissenschaftlichen Arbeit dienen sollte.  

So weit ist es also gekommen, es nehmen die zerstörerischen Machtfragen innerhalb der Wissenschaft zu. Von den „erhörten“, also in der Politikberatung nachgefragten Experten ist immer wieder zu hören, die Wissenschaft müsse endlich lernen, mit einer Stimme zu sprechen.

Jürgen Renn ruft in seiner Replik auf W. Streeck offen zu einer Monopolisierung auf (FAZ, 18.11.2021): „Dennoch fehlt es an einer wirksamen Außenvertretung der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft, die das verfügbare Wissen bündelt und autoritativ verfügbar macht.“ Man bemerke das Adjektiv „autoritativ“, das ein autoritäres Auftreten im pädagogischen Umfeld beschreibt. Gerald Haug, Leopoldina-Präsident, verstärkt diesen Monopol-Anspruch (FAZ, 13.3.2021): „Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre es, dass die Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft mit einer Stimme sprechfähig würde, etwa in Gestalt einer an dieser Aufgabe ausgerichteten Nationalakademie.“ 

Wissenschaft als „gesellschaftlicher Dienstleister“?

Allerdings muss man gar nicht so weit gehen, um die Konsequenzen des Szientismus-Paradoxons für das Wissenschaftssystem abschätzen zu können. Allein schon die Frage, wie der Ressourcenverbrauch für die Versorgung der Politik mit „Wahrheit“ aufzufangen wäre, muss zum Nachdenken anregen. Natürlich bringt die Nähe zur Macht zusätzliche Ressourcen ein, so wie es für die Charité der Fall war, die während der Corona-Krise mit überreichlichen Forschungsmitteln überschüttet wurde. Gleichwohl ist zu beachten, dass die aktive Teilnahme am wissenschaftlichen Prozess in seiner Mühseligkeit und der immerwährenden Gefahr falscher Wege und ins Nichts laufenden Prozesse enorm aufwändig ist, von den universitären Pflichten in Gremienarbeit etc. ganz abgesehen.  

Eine damit verbundene Frage besteht darin, ob sich Wissenschaft eigentlich als „gesellschaftlicher Dienstleister“ verstehen sollte. Natürlich wird Wissenschaft gesellschaftlich finanziert, und selbstverständlich hat die Gesellschaft ein Recht auf Information, allerdings ist die „Freiheit der Wissenschaft“ nicht nur ein grundgesetzlich geschütztes Rechtsgut, sondern erhält auch deren Funktionalität. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 26.10.2004 sehr deutlich hervorgehoben, „dass eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“ (BverfGE 47, 327 (370)).  

Politik: Risiken und schwere Nebenwirkungen 

Nicht nur die Wissenschaft, auch „die Politik“ geht erhebliche Risiken ein, wenn sie sich in der beschriebenen Weise der Wissenschaft bedient. Schon die Auswahl der Personen, die man heranzieht, ist kein einfaches Unterfangen: Sucht man wissenschaftlich tätige Forscher oder Fachexperten, sucht man Erkenntnisgewinn (ergebnisoffen) oder fachliche Standards (normativ), und welche Disziplinen sind wichtig?  

Wie einseitig die Auswahl im Fall Corona geschehen ist, darf als bekannt gelten: Physik 2, Virologie 2, Epidemiologie (Modellierer) 1, Veterinärmedizin 1, Informatik 1, Psychologie 1 (Expertenrat Bundeskanzleramt). Nicht dabei: klinische Infektiologen, Krankenhaushygiene und infection control, Kinderärzte, Pädagogen, Soziologen, Ökonomen, Politologen, um nur einige zu nennen. Die Folge: Tunnelblick auf eine kleine Auswahl naturwissenschaftlicher Fachgebiete, obwohl bei der Bedeutung der Corona-Epidemie eine breit aufgestellte und nüchtern-sachliche Beurteilung des gesamten Problemkreises Pflicht gewesen wäre.  

Bei der Klima-Problematik, ein ähnliches Schwergewicht in der gegenwärtigen Krisenlandschaft, das gleiche Bild. Follow the Science heißt hier 1,5°C-Ziel, aber wie man das erreichen will, welche Folgen eine solch gewaltige soziale Intervention national und weltweit nach sich zieht, hierzu gibt es weder erkennbar integrierte Expertise noch einen demokratisch geführten Disput. Es wird z.B. keineswegs diskutiert, ob eine De-Industrialisierung von Europa und Deutschland hinsichtlich des Innovationsbedarfs, der für die Beherrschung der Klimakrise notwendig sein wird, wirklich von Vorteil ist – wer sich hierzu kritisch äußert, wird auch in diesem Feld sofort mit dem Attribut „Wissenschaftsleugner“ oder „rechtsextrem“ gebrandmarkt und aus dem Diskurs ausgeschlossen. 

Legitimationsbeschädigung des politischen Prozesses

Aber das sind nur die oberflächlichen Fragen. Von viel tiefgreifenderer Bedeutung für das politische System ist die langfristige Beschädigung der Legitimation und des politischen Prozesses. Die Aufgaben „des Politischen“, nämlich die Integration von gegensätzlichen Interessen, der Abgleich unterschiedlicher Werteurteile und die Bewahrung der Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft, kann nur dauerhaft gewährleistet sein, wenn die Interessengegensätze auch geäußert und sichtbar gemacht werden. Wenn dies nicht der Fall ist, bleiben Gegensätze in der Gesellschaft unausgesprochen und unausdiskutiert, mit der Folge, dass sie nicht befriedet werden können und als offene Konflikte die Demokratie „aushöhlen“.  

Dies gilt vor allem dann, wenn die hinter wissenschaftlicher Verkündung durchgesetzten Maßnahmen nicht die gewünschten Ergebnisse zeitigen. Wohin dies führt, kann man heute bereits ausführlich betrachten: Die nicht ausgetragenen Konflikte führen zu einer fortschreitenden Polarisierung, und zwar in einem Ausmaß, das amerikanische Verhältnisse nicht mehr weit entfernt erscheinen lässt. 

In der Konsequenz folgt daraus eine weitere Beschleunigung der Legitimationskrise des demokratischen Systems. Die Komplexität der Entscheidungen wird immer größer, Ökonomisierung und Internationalisierung der sogenannten Mehrebenenpolitik erschweren die Klärung der Zuständigkeit. Die Entscheidungen werden zunehmend auf Expertenräte und Schiedsgerichte verlagert, die dem demokratischen Zugriff entzogen sind – der neuerlich eingerichtete Bürgerrat zu Ernährungsfragen ist nur ein letztes Beispiel. Die Handlungsfähigkeit des politischen Systems wird laufend weiter eingeschränkt, so dass trotz allgemeiner Zustimmung zum System der Demokratie das Vertrauen in deren Regelungskompetenz immer geringer wird. 

Deliberation ist zunehmend out

Deliberation ist nicht mehr „in“, Diskussion ist out. Dass dieses „zurück zur Linearität“ unliebsame Konsequenzen hat, kann nicht erstaunen. Man muss gar nicht die politischen Analysen des „Ostens“ bemühen, es reicht ein Blick in die Süddeutsche Zeitung (9.2.2021), die einen Artikel veröffentlicht mit dem beredten Titel „Mehr Diktatur wagen“. In diesem Beitrag bezieht sich der Schriftsteller Thomas Brussig auf die Aussage „Wie mit dem Coronavirus umzugehen ist, ist Behau der Wissenschaft, und nur der Wissenschaft“ („nur“ kursiv im Original), wenn er intoniert „,Mehr Diktatur wagen‘ wäre das Gebot der Stunde“, denn „dank der Wissenschaft wissen wir, welche Maßnahmen nötig sind.“  

Hier sind wir also beim Szientismus in Vollendung angelangt, einer Diktatur der Wissenschaft. Vielleicht nur noch zu überbieten von der (in Diktaturen ja auch nicht unüblichen) Delegitimierung von Bildung und Intellektualität, wenn z.B. Sebastian Herrmann in der gleichen Zeitung (18.1.2021) unter dem Titel „Gebildet und verblendet“ der Frage nachgeht „Sind gut informierte Wähler eine Gefahr? Es klingt absurd, doch einiges spricht für diese These.“ Es wird deutlich, an wessen Wesen wir hier genesen

Toxische Machtfragen 

Beide Systeme, Wissenschaft und Politik, versprechen sich durch ihre Mesalliance einen Zugewinn an Macht. Auf den ersten Blick scheint dies zuzutreffen. Wissenschaft rückt an die Politik heran, verbessert ihre Sichtbarkeit, verbreitert eventuell ihre finanzielle Ausstattungsbasis. Politik kann ihr (zunehmendes) Legitimationsdefizit ausgleichen, indem sie sich auf wissenschaftliche Daten und Ergebnisse beruft und schwierige politische Prozesse abkürzt. Diese positive Einschätzung kann jedoch einer genaueren Analyse nicht standhalten.

Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass sowohl Wissenschaft als auch Politik bei ihrer Verbindung, soweit sie für Corona und auch im Bereich Klima sichtbar ist, deutlich verlieren und ihre internen Widersprüche zunehmen, dass die negativen Effekte also bei weitem überwiegen.  

Der Grund für dieses „Szientismus-Paradox“ liegt darin, dass beide Systeme durch ein derartiges Zusammenspiel nicht davor bewahrt sind, ihre paradigmatischen Grundannahmen und ihre Normenausstattung sowie ihre interne Kultur zu verletzen. Die Aufgabengebiete unterscheiden sich nun mal erheblich: Wo auf der einen Seite die Suche nach Erkenntnis führt, steht auf der anderen Seite der Machtausgleich im Vordergrund.

Wenn sich „die“ Wissenschaft dazu hinreißen lässt, „die Wahrheit“ zu verkünden, stellt sich sofort die konstituierende Frage nach der „anderen Meinung“. Diese wird zwar bei der Corona- und Klima-Thematik als false balance etc. unterdrückt und mit „Leugner“-Begriffen verhetzt, lässt sich aber aus dem paradigmatischen Grundverständnis von Wissenschaft nicht entfernen und insofern nicht stumm stellen, völlig unabhängig davon, was man von den Inhalten hält.  

Wenn sich „die“ Politik, dies ist die andere Seite, nicht dem offenen oder verdeckten Machtspiel und dem Austausch von Werturteilen stellt und dauerhaft bei dieser Weigerung verbleibt, dann schwächt sich das politische System von innen heraus selbst – man kann das derzeit am Schicksal der CDU und der „Brandmauer“-Thematik in Echtzeit beobachten (auch hier unabhängig davon, was man im Einzelnen davon hält).  

 

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Und hinzu kommen toxische Interaktionen, die den negativen Trend verschärfen. Denn ein Zusammenwirken wie in einem szientistischen Politikentwurf mag ja zunächst als eine harmonische Angelegenheit imponieren, aber es gibt trotzdem und gerade dann Kämpfe zwischen den Systemen, denn die Politik kann von der Machtfrage genauso wenig abstrahieren wie die Wissenschaft von der Unabhängigkeit in der Erkenntnissuche. Diese Konflikte brechen immer wieder auf und werden immer wieder aufbrechen. 

Kaum einmal ist die Situation aus Sicht der Wissenschaft derart klar beschrieben worden wie von der Münchner Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr unter dem Titel „Missbrauchte Wissenschaft“ (Welt, 18.8.2021). Sie schildert den politischen Druck, der vom Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf die Ständige Impfkommission (STIKO) ausgeübt wurde, endlich die Corona-Impfung von Kindern in ihre Empfehlungen aufzunehmen (bis dahin nur für immunsupprimierte Kinder gültig).

Die Einzelheiten dieses Tiefpunktes kann man hier ausblenden, aber das Beispiel macht in aller Deutlichkeit klar, dass eine Politikberatung durch die Wissenschaft keine Einbahnstraße darstellt, sondern dass – wenn man einmal mit „der Wahrheit und nur der Wahrheit“ vorspricht – dann auch Forderungen aufkommen, doch noch eine „weitere Wahrheit“ zu verkünden, falls sie denn opportun erscheint. Wenn sie sich dem Druck der Politik beugt, so Mitscherlich-Schönherr, „dann kippt die evidenzbasierte Politik in eine politische Marketing-Strategie“. Auch in der Klima-Problematik sei dies zu beobachten, denn nicht der Kollektivsingular „der Mensch“ sei deren Verursacher, sondern die herrschenden Macht- und Produktionsverhältnisse. 

Polarisierung durch wissenschaftliche Imperative

Doch nicht nur die Wissenschaft, auch das politische System ist Opfer solcher toxischen Widersprüche. Der Schweizer Wissenschaftshistoriker Caspar Hirschi hat in seinem FAZ-Beitrag vom 9.3.2021, den man gleichrangig neben den genannten Artikel von W. Streeck stellen muss, den Finger in die Wunde gelegt: „Gibt eine Regierung einen schwerwiegenden Entscheid als wissenschaftlichen Imperativ aus, zwingt sie alle, die nicht als Feinde der Wissenschaft dastehen wollen, zu blinder Gefolgschaft und lässt politischen Widerspruch nur noch in Form einer populistischen Fundamentalopposition zu.“ Politische Gegner werden zu Feinden, politische Gegnerschaft, eigentlich der demokratische Normalfall, führt zur Ächtung, die Polarisierung (über die dann wohlfeil zu klagen ist) ist nicht mehr aufzuhalten.  

Man muss also nicht einmal zur Brussig’schen Diktatur greifen, schon vorher wird das Klima eisig. C. Hirschi trägt im Weiteren auch Indizien vor, wie Szientismus politisch missbraucht werden kann. Am Vorabend der Bundestagsdebatte am 9.12.2020 veröffentlichte die Leopoldina eine ultimativ formulierte Stellungnahme zum Lockdown und zur Schulschließung, unter aktiver (so muss man annehmen: Er hatte mitunterschrieben) Mithilfe des an das Weisungsrecht des Bundesministeriums für Gesundheit gebundenen, beamteten Präsidenten des RKI, Lothar Wieler. Die Bundeskanzlerin nahm anderentags in ihrer o.g. Physiker-Ansage darauf Bezug; der Verdacht, dass sich hier die Exekutive mittels eines von ihr direkt mitgestalteten Gutachtens selbst die Legitimation ausstellte, steht zumindest im Raum. Natürlich hat die Leopoldina in personam ihres Präsidenten Gerald Haug sofort dementiert. 

Perspektiven 

Was kann man tun? Maßhalten, aber das ist nicht jedermanns Sache. Thea Dorn hat die „Hohepriester“-Problematik in ihrem kritischen Zeit-Artikel vom 4.6.2020 treffend beschrieben, Klimawissenschaftler wie Hans Joachim Schellnhuber äußern sich selbstredend auch zu Corona und beschimpfen alle, die nicht ihrer Meinung sind, als „wissenschaftsfeindliche Tölpel“.  

Helfen würde es wohl, zunächst einmal zu überlegen, wie sich das „eigene“ System am besten vor den „toxischen Machtfragen“ schützen ließe. Die Wissenschaft wäre gut beraten, wenn sie vom push zum pull übergehen würde, also sich nicht darbieten, sondern sich bitten lassen, und in jedem Fall erwünschte Aussagen verweigern. Im gleichen Atemzug könnte man sich auch von den Monopol-Vorstellungen lösen, die manche Gremienvertreter äußern, weil Wissenschaft keine Einheitsmeinungen vorhalten kann und auch nicht sollte. Insofern: von falschen Versprechen abrücken, wissenschaftliche Alternativen und nicht „die Wahrheit“ aufzeigen, die Vielfältigkeit der Optionen und nicht die angebliche Eindeutigkeit darstellen.  

Für die Politik wäre zu wünschen, dass sie sich von der Illusion verabschiedet, die „Wahrheit“ würde in einer Art „epistemischem Regime“ weiterhelfen, Krisen zu überstehen, ohne das Vertrauen der Bevölkerung zu riskieren. Niemand nimmt es krumm, wenn man Unwissen zugibt, aber wenn zu viel Sicherheit und Eineindeutigkeit insinuiert wird (und dabei dann noch Implausibilitäten nicht zu verdecken sind), dann fängt jeder vernünftige Mensch an, sich zweifelnde Gedanken zu machen.

Streit ist nichts Undemokratisches, sondern der Kern der Demokratie, aber der Streit sollte nicht verdeckt werden, Werte und Interessen müssen offengelegt werden. Und nicht vergessen: Die Kritik an einem szientistischen, positivistischen Wissenschaftsverständnis war mal ein modernes, sogar ein linkes Projekt. 

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Tomas Poth | So., 30. Juli 2023 - 18:45

Das ist auf dem Niveau von Scientology-Church.
Ob Corona, Klima oder was auch immer, es gibt nicht "die Wissenschaft". Es gibt viele wissenschaftliche Untersuchungen, gute verläßliche und das Gegenteil davon, zu all den vielen Fragestellungen die uns bewegen.

Politiker suchen sich offensichtlich die ihnen genehmen und passenden "Wissenschaftler" aus, um ihre politische Agenda durchzusetzen, ohne Rücksicht auf Verluste. Siehe gesellschaftliche Spaltung und wirtschaftliche Verluste durch Corona und CO2-Klimahysterie.

Das können wir "Fußvolk" nur durch unser Wahlverhalten beeinflussen.

Also Altparteien absägen und neues wagen,
anders wird es nichts!

Chris Groll | So., 30. Juli 2023 - 18:52

Herr Professor Dr. Matthias Schrappe, kann Ihrem sehr guten Artikel nur zustimmen.
Viele Institutionen wurden von der Politik unter Druck gesetzt wie Sie ja auch sagen z.B. die STIKO, um endlich die Corona Spikung für Kinder (die nie gefährdet waren) in ihre Empfehlungen aufzunehmen.
„Wenn sich „die“ Wissenschaft dazu hinreißen lässt, „die Wahrheit“ zu verkünden, stellt sich die Frage nach der „anderen Meinung“. Diese wird zwar bei der Corona- und Klima-Thematik als false balance etc. unterdrückt und mit „Leugner“-Begriffen verhetzt, lässt sich aber aus dem paradigmatischen Grundverständnis von Wissenschaft nicht entfernen und insofern nicht stumm stellen.“
„Gibt eine Regierung einen schwerwiegenden Entscheid als wissenschaftlichen Imperativ aus, zwingt sie alle, die nicht als Feinde der Wissenschaft dastehen wollen, zu blinder Gefolgschaft und lässt politischen Widerspruch nur noch in Form einer populistischen Fundamentalopposition zu.“

Helmut Bachmann | So., 30. Juli 2023 - 18:52

Als die Wissenschaft die katholische Kirche als „Wahrheitshüter“ ablöste, unterschied sie sich von dieser darin, dass alternative Thesen zwingend zum System gehören. Dies brach langsam, aber stetig die Macht der Kirche. Doch der Mensch neigt zur Machtgier und findet zunehmend wieder zum Missbrauch der Wahrheitsfrage.

Karl-Heinz Weiß | So., 30. Juli 2023 - 18:53

16 Jahre alternativlose Politik einer promovierten Physikerin haben maßgeblich zu der treffend beschriebenen Situation geführt. Und dieses Politikverständnis repräsentiert der talkschauerfahrenste Politiker Deutschlands aktuell im Maßstab 1:1.

Chris Groll | So., 30. Juli 2023 - 18:55

“ Politische Gegner werden zu Feinden, politische Gegnerschaft, eigentlich der demokratische Normalfall, führt zur Ächtung, die Polarisierung (über die dann wohlfeil zu klagen ist) ist nicht mehr aufzuhalten.“
All das ist geschehen. Darum wurden nur „Wissenschaftler“ zu Entscheidungen hinzugezogen, die auch die Regierungsmeinung vertraten. Ein großer Teil dieser „Wissenschaftler“ ist außerdem mit dieser Unterwerfung unter die Politik unglaubwürdig geworden. Viele dieser „Wissenschaftler „sind in meinen Augen korrumpiert, sei es durch Geld oder die Macht.
Die Politik hat, soweit sie konnte, alle anderen Meinungen zensieren lassen (siehe Twitter,
Facebook usw.) In den USA findet ja bereits langsam eine Aufarbeitung zu diesen Themen statt.
Eines steht jedenfalls fest. Persönlich habe ich kein Vertrauen mehr in diese korrumpierten Wissenschaftler. In die Politik schon lange nicht mehr.
Auch möchte ich nicht mehr Diktatur wagen, sondern noch viel mehr Demokratie.

Christoph Kuhlmann | So., 30. Juli 2023 - 19:27

Im Idealfall ist Wissenschaft ein heterarchisch organisiertes System, in dem verschiedene Forschungsansätze und Ergebnisse miteinander um Geltungsansprüche von Hypothesen und Theorien konkurrieren. Selbstverständlich sind sämtliche Theorien nur von zeitlich begrenzter Gültigkeit. Wenn sich das jemals ändern sollte, ist der Wissenschaftsprozess zum Erliegen gekommen. Wer das ändern will, muss das System nur hierarchisieren und er kann die Ergebnisse dann im vorwissenschaftlichen Sinne als Wahrheit verkaufen. Die Behauptung einer absoluten Wahrheit widerspricht sowohl der Philosophie als auch der Epistemologie (Wissenschaftstheorie). Falsch und richtig sind eine Fiktion des Bildungssystems und bedürfen immer einer umfassenden Definition des Kontextes. Wer aufs Zehntel Grad genau weiß, wieweit die menschlichen CO₂-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung, zur sowieso anstehenden Warmzeit beigetragen haben, der täuscht eine falsche Exaktheit vor, die auf 100 Jahre extrapoliert wird.

Henri Lassalle | So., 30. Juli 2023 - 19:39

Das allgemeine nationale und internationale Umfeld ist derart komplex geworden, dass die Politiker auf spezielle Phänomene keine Antwort haben, sie reagieren mit Ratlosigkeit und, wie etwa im Fall der Pandemie, schliesslich mit Panik. Daher sind sie dankbar, wenn Wissenschaftler das Wort ergreifen und ihre Perspektiven, Meinungen und Überzeugungen darbieten. Die Politiker meinen, damit entlastet zu werden, zu oft machen sie sich nicht einmal die Mühe, die Thesen der Wissenschaftler kritisch nachzuvollziehen oder dies neutralen Institutionen zu überlassen. In der Politik haben wir überhaupt ein Kompetenzproblem, in welchem Bereich auch immer. Parteizugehörigkeit und Parteipolitik scheinen wichtiger zu sein.

Hans Jürgen Wienroth | So., 30. Juli 2023 - 22:14

Kritisch sind Prognosen auf wissenschaftlicher Basis, die durch statistische Extrapolation oder Hochrechnung zu Ergebnissen kommen und für deren Resultat ein Absolutheitsanspruch erhoben wird. Der lässt Kompromisse unmöglich erscheinen. In diesen Fällen spielen soziale, psychologische und ökonomische Folgen (z. B. der Lockdowns) keine Rolle. Es herrsch(t)en physikalisch (aus unvollständiger Datengrundlage) hergeleitete Grenzwerte. Das lässt dann keine Kompromisse zu, die in der Demokratie so wichtig sind. Tauchen dann noch fehlende Plausibilitäten auf, verlieren Wissenschaft und Politik, die sich darauf berufen, an Vertrauen.
Das führt zu einer Spaltung der Gesellschaft. Ist die Kritik am „szientistischen, positivistischen Wissenschaftsverständnis, die mal ein modernes, sogar ein linkes Projekt war“, heute, in Zeiten deren Diskurshoheit nicht mehr wichtig? Will man die eigene Führung plausibel machen und dadurch sichern? Das wird nicht gelingen.

Albert Schultheis | So., 30. Juli 2023 - 23:57

für die überfällige Zurechtweisung der Verantwortlichen in der Schauspieler-Politik und der Pseudo-Wissenschaft! In dieser infantilisierten und verblödeten Gesellschaft müsste eigentlich das Selbstverständliche, das Eigentliche jeden Abend in den ÖRR anstelle der Werbung abgestrahlt werden! Allein, es besteht keinerlei Hoffnung, dass die gemeinten Protagonisten überhaupt verstehen, was Sie ihnen sagen wollen, geschweige denn dass man Ihnen überhaupt zuhört. Die polit-mediale Narrativ-, Panik-, Hetz- und Denunziations-Industrie ist bereits dermaßen strukturell durchimplementiert - eine völlig neue, alle Bereiche des politisch-gesellschaftlichen Lebens wie Schimmelpilz überlagernde Krake macht ein Zurück unmöglich.
"Zu früheren Zeiten konnten hier metaphysische Kräfte ... Heutzutage?" Ethikräte, die man mit willfährigen Labertaschen besetzt, wie diese Buyxe der Pandora mit dem Killer smile. Denkschwache
Narzißten beschädigen nicht nur Politik und Wissenschaft sondern das Ganze, den Staat

Kai Hügle | Mo., 31. Juli 2023 - 08:31

Da der Cicero Herrn Prof. Dr. Schrappe in Dauerschleife zu Wort kommen lässt, würde ich gerne an ein anderes Beispiel für die hier thematisierte Problematik erinnern: Was ist eigentlich aus der juristischen Prüfung des Artikels von Herrn Prof. Wiesendanger geworden? Dessen Interview ist seit eineinhalb Jahren offline. Inzwischen haben mehrere richterliche Instanzen wesentliche seiner Aussagen kassiert.

https://www.cicero.de/kultur/coronavirus-labor-christian-drosten-roland…

Marianne Bernstein | Mo., 31. Juli 2023 - 08:59

Die Wissenschaft hat schon lange ihre Unschuld verloren. Die Wissenschaft wird durch Drittmittel also Geld aus Politik und Wirtschaft gesteuert. Damit ist klar, was, wie und mit welchem Ziel erforscht wird. Dann ist es eben auch kein Wunder, wenn der hochangesehene Professor (weil er genügend Drittmittel eingeworben hat) das Produkt seines Drittmittelgebers anpreist und die Politik, die ihm diese Mittel sichert ebenfalls unterstützt. Wissenschaft im klassischen Sinne, also Wissen schaffen ist damit natürlich tot.

Christiane Bohm | Mo., 31. Juli 2023 - 09:09

Auch in der Physik basiert erst mal vieles auf Thesen, sprich: auf Annahmen, die es zu beweisen gilt.
Aber darum geht es mir nicht. Ich vermisse normalen Sachverstand. Als verboten wurde, draussen im Park ohne Mundschutz spazieren zu gehen, junge Menschen gar deswegen von der Polizei gejagd wurden, Menschen im Gefängnis sitzen, weil sie dagegen verstoßen haben, habe ich die deutsche Welt, die deutsche Politik nicht mehr verstanden. Das war in keinster Weise "wissenschaftlich" basiert, sondern Scharlatanerie. Aber ist es heute z.B. mit der Klima und Energiepolitik besser? Ist das selbständige Denken verboten worden? Was ist mit diesem Land passiert? Sicher haben wir jetzt viele Ungelernte in den Parlamenten, aber es muss an etwas anderem liegen. Vielleicht hat man uns etwas ins Essen getan. :-(

Albert Schultheis | Mo., 31. Juli 2023 - 09:31

Die Wirklichkeit, das ist alles nur Konstrukt, Ausgedachtes und Erzähltes, das wird morgen wieder neu erzählt! Die Politik, der Staat - werden von Rollen-Spielern besetzt, die eigentlich nur spielen wollen.
Nur ihr Anspruch auf freie Kost, Flüge nach Bali und einer warmen Bude im Winter bis ans Lebensende ist real - während andere im Alter Flaschen sammeln und zur Tafel gehen, um sich mit den Mitessern um die Suppe zu kloppen.