EZB-Chefin Lagarde und Fed-Präsident Powell sprechen mit dem japanischen Zentralbankchef Kazuo Ueda / dpa

Zinspolitik von Fed und EZB - Der politische Mr. Powell und die ökonomische Madame Lagarde

Während die amerikanische Federal Reserve den Sieg über die Inflation verkündet und Zinssenkungen ankündigt, will die Europäische Zentralbank in ihrer jüngsten Sitzung davon nichts wissen. Der Unterschied dürfte eher politische als wirtschaftliche Gründe haben.

Thomas Mayer

Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Wer ist der Sieger im Wettlauf gegen die Inflation? Die US Federal Reserve unter ihrem Chef Jerome Powell oder die Europäische Zentralbank unter ihrer Chefin Christine Lagarde? Wir wissen es nicht. Aber wir konnten erleben, wie im Abstand von rund 24 Stunden der eine den Sieg verkündete, während die andere den Wettlauf für noch nicht beendet erklärte. „Die Frage von Zinssenkungen kommt in den Blick“, sagte Powell auf seiner Pressekonferenz am Abend des 13. Dezember und stellte in der Zinsvorschau seines Offenmarktkomitees eine Zinssenkung von insgesamt 0,75 Prozentpunkten bis Ende 2024 in Aussicht. „Wir haben Zinssenkungen überhaupt nicht diskutiert“, sagte Lagarde in ihrer Pressekonferenz am Nachmittag des 14. Dezember und fügte im Hinblick auf die Inflation hinzu: „Wir verringern unsere Wachsamkeit nicht.“

Nun sind Divergenzen in der Geldpolitik zwischen den USA und dem Euroraum nicht ungewöhnlich. Aber in aller Regel sind sie von Divergenzen in der wirtschaftlichen Entwicklung getrieben. Kurioserweise steht gegenwärtig die Divergenz in der Geldpolitik im umgekehrten Verhältnis zur Wirtschaftsentwicklung. Die amerikanische Wirtschaft wächst robust, zuletzt im dritten Quartal dieses Jahres mit einer Jahresrate von über fünf Prozent, und eine Rezession ist nicht in Sicht. Die Beschäftigung nimmt weiter zu, und die Arbeitslosenrate ist immer noch in der Nähe historischer Tiefstände. Die Inflationsrate ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise, die sogenannte Kerninflation, verharrt bei knapp vier Prozent. 

In der Eurozone liegt die Arbeitslosenrate zwar auch weiterhin auf ihrem historischen Tief, aber die Wirtschaft stagniert, und die Kerninflation ist mit zuletzt 3,6 Prozent niedriger als in den USA. Angesichts der Unsicherheit über die weitere Entwicklung von Wachstum und Inflation hätte man annehmen können, dass beide Zentralbanken signalisieren würden, an ihrer gegenwärtigen Politik bis auf weiteres festzuhalten. Allenfalls hätte man vermuten können, dass die Federal Reserve die Möglichkeit für Zinserhöhungen weiter offenlässt und die EZB Zinssenkungen im Fall einer noch schwächeren Wirtschaftsentwicklung ins Spiel bringt. 

Eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump dürfte weitreichende Folgen haben

Warum hat dann gerade die Federal Reserve mit der Ankündigung von Zinssenkungen überrascht? Vermutlich liegen die Gründe dafür weniger im wirtschaftlichen als im politischen Bereich. Der Präsidentschaftswahl im November nächsten Jahres könnte so viel Bedeutung zukommen wie kaum einer Wahl in der Nachkriegszeit. Gegenwärtig hat Donald Trump die besten Aussichten, Kandidat der republikanischen Partei zu werden. Und Trump liegt in den Wahlumfragen vor dem Amtsinhaber Joe Biden. Das hat beinahe ein Jahr vor der Wahl noch nicht viel zu bedeuten. Aber der Vorsprung könnte fester und größer werden, wenn die US-Wirtschaft noch vor dem Wahltermin in die Rezession fällt. Denn ein Präsident, der für eine zweite Amtszeit in einem Rezessionsjahr antritt, hat in der Regel schlechte Karten. Die Wähler lassen ihn fallen, wenn sie den Eindruck haben, dass es ihnen am Ende seiner Amtszeit schlechter geht als zu Beginn. Dieses Schicksal ereilte George Bush Senior, der im Jahr 1992 gegen Bill Clinton antrat. Auf der Grundlage einer milden Rezession gegen Ende 1991 gelang es dem Wahlkampfteam Clintons, den Wählern einzuhämmern, dass sich ihre wirtschaftliche Lage unter der Bush-Regierung verschlechtert habe. Folglich ließen sie Bush fallen und brachten Clinton ins Weiße Haus.

 

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Eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump dürfte weitreichende Folgen nicht nur für die USA, sondern auch für den Rest der Welt haben. Zwar würde Trump der Wirtschaft wohl keine Knüppel zwischen die Beine werfen, aber ob der amerikanische Rechtsstaat eine zweite Amtszeit des Anstifters zum Sturm auf das Capitol überlebt, wäre zweifelhaft. Das Bekenntnis der USA zur Nato würde löchrig, und Europa müsste die imperialistischen Ambitionen Wladimir Putins wohl alleine abwehren. Ob es gleichzeitig der Ukraine helfen und aufrüsten könnte, ist jedoch höchst zweifelhaft.

Bis vor kurzem rechneten viele Ökonomen und die Finanzmärkte mit einer Rezession in der ersten Hälfte des nächsten Jahres. Die durch den „Inflation Reduction Act“ im Jahr 2022 losgetretene expansive Fiskalpolitik sollte 2024 ihre Schubwirkung verlieren, während die vergangenen Zinserhöhungen der Federal Reserve Bremswirkungen entfalten sollten. Mit ihrem Kampf gegen die Erhöhung der Verschuldungsgrenze („debt ceiling“) des Bundesstaates wollten die Republikaner im US-Congress den Demokraten die Möglichkeit nehmen, fiskalpolitisch nachzulegen. Aus ihrer Sicht ist es politisch opportun, eine Rezession vor der Wahl herbeizuzwingen. Ihr Kandidat hätte gute Aussichten, die Wahl zu gewinnen.

Die Ankündigung der Fed dürfte die Wahlchancen von Biden verbessern

Allerdings hat der Finanzmarkt aufgrund einer moderaten Abschwächung der Inflation seit Mitte November einen neuen Anlauf zu Zinssenkungsfantasien genommen. Die Anleiherenditen sind gefallen und Aktienpreise gestiegen. Die sogenannten finanziellen Bedingungen („financial conditions“) wurden lockerer und damit wachstumsfreundlicher. Mit ihrem Hinweis auf mögliche Zinssenkungen im kommenden Jahr hat die Federal Reserve diese Fantasien weiter befeuert. Dies dürfte der Wirtschaft im kommenden Jahr helfen und die Wahlchancen von Biden verbessern. Der frühe Zeitpunkt für diesen Hinweis könnte auch politischen Überlegungen geschuldet gewesen sein. Denn die Vorwahlen zur Bestimmung der Präsidentschaftskandidaten beginnen schon im Januar. 

Ab diesem Zeitpunkt werden auch geldpolitische Entscheidungen nach politischen Motiven durchleuchtet. Ein geldpolitischer Kurswechsel zu Zinssenkungen könnten insbesondere von einem Präsidentschaftskandidaten Donald Trump als Wahlkampfhilfe für den Amtsinhaber interpretiert werden. Für die Federal Reserve wäre es wohl der größte anzunehmende Unfall, wenn ein rachsüchtiger Präsident Trump die Institution wegen politischer Parteinahme zerlegen würde. Der Hinweis noch in diesem Jahr auf kommende Zinssenkungen könnte solchen Unterstellungen möglicherweise den Wind aus den Segeln nehmen.

Wurde der frühere Banker Jerome Powell zum politischen Zentralbankchef, während die frühere Politikerin Christine Lagarde ihre Zentralbank strikt auf ökonomischem Kurs hält? Wir wissen es nicht. Aber das überraschende Manöver der Federal Reserve, gepaart mit dem vorsichtigen Kurs der EZB, gibt diesem Verdacht Nahrung.

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