
- Bestmenschen gegen Rechts
Der „Gutmensch“ war gestern. Heute hat er sich zum „Bestmenschen gegen rechts“ entwickelt. Björn Höckes abgebrochenes ZDF-Interview hat ihn besonders geärgert. Doch mit seiner Empörung spielt er der AfD in die Hände
Wissen Sie, was ein Gutmensch ist? Das ist ein Mensch, der sich durch bloße Gedanken zum Helden erhebt – durch die richtigen selbstverständlich. Früher war es ja einmal so, dass man als Held selbst etwas Außergewöhnliches vollbracht haben musste. Aber diese Zeiten sind vorbei. Heute kann jeder ein Held sein. Was gäbe es auch schon noch Außergewöhnliches zu leisten? Aber einen weiteren Unterschied gilt es festzuhalten. Der Held kann zwar ohne eigene Leistung kein Held sein, aber das ist bloß seine notwendige Bedingung. Die hinreichende besteht in der Anerkennung seiner Leistung als einer tatsächlich heldenwürdigen. Ohne das verehrende und anerkennende Publikum also auch kein Heldentum. Beim Gutmenschen ist das anders. Auf zustimmende Anerkennung ist er nicht angewiesen. Deshalb kann es jeder werden, schnell und ohne Aufwand.
Gutmenschen – das war allerdings gestern. Heute steuern wir unverdrossen auf eine weitere Stufe der menschlichen Entwicklung zu: den Bestmenschen gegen rechts. Er erhebt sich nicht nur wie sein kleiner Bruder ebenfalls durch bloße Gedanken zu einem höher entwickelten Exemplar der Spezies Mensch, sondern beansprucht außerdem die alleinige Deutungsmacht über das Gute. Während sich der Gutmensch lediglich in seinem Lebensgefühl behaglich eingerichtet hat, ist daraus beim Bestmenschen ein Überlegenheitsgefühl mit missionarischem Anspruch erwachsen. Wir blicken wie einst Nietzsche auf einen anthropologischen Superlativ.
Messen mit zweierlei Maß
Man konnte die Auswirkungen dieses Bestmenschentums dieser Tage wieder wunderbar beobachten. Kaum brüllt Herbert Grönemeyer auf einem Konzert in Wien ins Mikro: „Wenn Politiker schwächeln (...), dann liegt es an uns zu diktieren, wie ne Gesellschaft auszusehen hat“, geht das identitätspolitische Gemetzel los. Bernd Stegemann fühlt sich prompt in Goebbels Sportpalastrede versetzt und erinnert an die wohl kaum zu bestreitende Tatsache, dass der Inhalt politischer Reden auch durch die Art ihres Vortrags mitbestimmt wird. Margarete Stokowski hingegen kann die Aufregung so ganz und gar nicht verstehen: „Huch, brüllend gegen rechts, geht das denn? Entschuldigung, aber ist es inzwischen so weit, dass nur noch Nazis laut werden dürfen? Bis wieviel Dezibel ist denn Antifaschismus erlaubt laut Hausordnung?“
Das ist ein wirklich putziges Argument. Ich habe zwar keine Veranlassung, Björn Höcke zu verteidigen, aber drehen wir den Spieß doch einfach mal um und stellen uns vor, er oder der Vorsitzende der AfD hätte in einer miefigen Halle vor 10.000 ausflippenden AfD-Anhängern Grönemeyers Satz ins Mikro gejohlt. Was wäre die Hölle los gewesen in Deutschland! Womit wir beim Handwerkszeug des Bestmenschentums wären, dem beständigen Messen mit zweierlei Maß.
Nur ein Faux pas?
Können Sie sich noch erinnern? Es ist nur wenige Wochen her, da ganz Deutschland über die Frage nachdachte, was „Bürgerlichkeit“ eigentlich sei und ob man der AfD dieses Signum zugestehen dürfe oder nicht. Ganz schnell war man sich einig: Wer „bürgerlich“ sein will, muss sich gefälligst anständig benehmen und an Maß und Mitte orientieren. Folgerichtig entschuldigte sich Wiebke Binder vom MDR brav und artig für ihren Faux pas. Und nur kurze Zeit später ist das alles wieder vergessen. Aber das macht nichts: Es geht in Wahrheit ja weder darum, was einer sagt noch darum, wie er es tut, sondern auf wessen Seite er dabei steht. Es geht nicht um die Wahrheit, sondern um politische Deutungsmacht. Man blickt dabei allerdings, ob man will oder nicht, unablässig in das Rektum des Herrn Carl Schmitt: Politik als Feindsetzung.
Besonders eindrucksvoll hat uns jüngst das ZDF vorgeführt, welche Schäden das Bestmenschentum anrichten kann. Offenbar in der Absicht, dem AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke vor den Landtagswahlen in Thüringen in Schwierigkeiten zu bringen, hatte sich ein Redakteur einen wunderbaren Entlarvungsplot zurecht gelegt. Er rezitierte Zitate Höckes und fragte AfD-Bundestagsabgeordnete, ob das Aussagen von ihm oder Hitler seien. Höckes Parteikollegen konnten oder wollten sich nicht entscheiden – und die Story war perfekt. Der Wiederauferstandene war wieder da.
Der Skandal um Björn Höcke
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Höcke brach das Interview ab und produzierte einen „Skandal“. Das linksliberale Milieu geriet in Ekstase ob dieser Entlarvungsgeschichte, und auch ZDF-Chefredakteur Peter Frey verteidigte seinen Schützling. Dabei gäbe es, wenn man der Sache nüchtern gegenüber träte, eine Aussage Höckes besonders zu bedenken. Aber die ging im Getöse unter. An einer Stelle des Interviews stellte er resigniert fest: „Das ist nicht seriös. Also ich bin auch gerne bereit, unangenehme Fragen zu beantworten, aber das … das geht so nicht. Wissen Sie, wir leben doch in einer Lage, die sowieso schon polarisiert ist. Wollen Sie jetzt wirklich so ein Ding noch raus hauen? Ich meine, Sie sind doch als öffentlich-rechtlicher Sender auch stark in der Kritik. Sie spüren doch, wie grad in diesem Land auch was erodiert.“
Nun gibt es überhaupt keinen Grund, mit Björn Höcke Mitleid zu haben. Er ist klug und weiß, was er tut. Aber genau das sollte misstrauisch machen. Was, wenn Höcke in dieser schwachen Sekunde der Resignation den Mechanismus seines politischen Erfolgs verraten hat? Hatte das nicht schon Adolf Hitler in „Mein Kampf“ beschrieben? „Bald versuchte man uns totzuschweigen, um sich dann von der Zwecklosigkeit dieses Versuchs zu überzeugen und wieder zum Gegenteil zu greifen. (...) Ich habe damals den Standpunkt eingenommen: Ganz gleich, ob sie über uns lachen oder schimpfen, ob sie uns als Hanswurste oder als Verbrecher hinstellen; die Hauptsache ist, daß sie uns erwähnen (…).“
Diskussionswürdige Methoden
Wer glaubt, dass die AfD vor allem von Menschen mit rechter Gesinnung gewählt wird, für den liegt es nahe, die AfD mit allerlei Methoden als Wiedergeburt der NSDAP zu entlarven. Rechts sein schön und gut – aber mit Hitler und Auschwitz wollen schließlich die Wenigsten etwas zu tun haben. Was aber, wenn diese Unterstellung ziemlich falsch ist? Was, wenn die Wähler der AfD in erster Linie den Staat, seine Institutionen sowie die gesellschaftlichen Eliten aus tiefstem Herzen verachten und in die Arme der AfD deshalb fliehen, weil für sie inzwischen selbst die Linkspartei zum Establishment zählt? In diesem wahrscheinlicheren Fall mutieren von Überlegenheitsgefühlen getragene Bestmenschenattacken ungewollt zu Katalysatoren der AfD-Erfolge.
Der Wähler hat für Fragen der Gerechtigkeit für gewöhnlich sehr sensible Antennen. Wenn dann die verachteten gesellschaftlichen Eliten mit zumindest diskussionswürdigen Methoden auf den letzten „Rettungsanker" einprügeln, sind Solidarisierungseffekte sehr wahrscheinlich. Bei den Landtagswahlen in Thüringen wird es daher vermutlich zwei Gewinner geben: die Linkspartei, weil sich hinter ihr lagerübergreifend Wähler vereinigen werden, damit die AfD nicht auch noch auf Platz eins rutscht. Und Björn Höcke mit seiner AfD. Im schlechtesten Fall führen die jüngsten Auseinandersetzungen lediglich dazu, dass sich ihr Protestwählermilieu um so entschlossener um sie versammelt. Im schlimmsten Falle werden ihr noch weitere ehemalige Nichtwähler zugeführt. Am Ende wird die politische und kulturelle Spaltung unseres Landes weiter forciert.
Was die Alternative wäre? Etwas mehr Maß und Mitte, also etwas mehr Bürgerlichkeit – gepaart mit einem Schuss Demut und der Preisgabe der doppelten Maßstäblichkeit. Das allerdings käme der Beerdigung des Bestmenschentums gleich. Das wäre nicht nur der demokratischen Auseinandersetzung zuträglicher, sondern könnte womöglich verhindern helfen, dass sich engagierte Menschen mit ehrenwerten Absichten wider Willen zu nützlichen Idioten der AfD degradieren lassen.