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Bodo Ramelow auf dem Acker: Kartoffeln statt Kommunismus / picture alliance

Thüringen-Wahl - Väterchen Bodo

Bodo Ramelow hat die Linke mit seinem pragmatischen Landesvatertum zum Wahlsieg in Thüringen geführt. Die AfD triumphiert, der Thüringer CDU gelang es nicht, sich vom Bundestrend abzukoppeln. Wie es weitergeht, hängt nun von der FDP ab

Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Bodo Ramelow hat es wieder geschafft: Während die Linkspartei in Brandenburg und Sachsen abgestürzt war, holte der seit 2014 regierende Ministerpräsident der Linken in Thüringen knapp 30 Prozent, noch etwas mehr als vor fünf Jahren (28,2 Prozent). An ihm wird es nicht gelegen haben, wenn die Koalition mit Grünen und SPD nicht fortgesetzt werden kann. Die Grünen holten mit 5,5 Prozent in etwa so viel wie 2014, die SPD mit 8,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten in Thüringen. Die Fortsetzung der bisherigen Koalition könnte nur möglich werden, wenn die FDP noch an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Schafft sie es, wird die Regierungsbildung kompliziert. Die CDU verliert dramatisch, bleibt mit etwa 22 Prozent weit unter den Erwartungen und wird sogar von der AfD (23 Prozent) überrundet.

Pragmatischer Kümmerer

Der 63-jährige Ramelow, erst nach der Wende nach Thüringen gekommen, hat es geschafft, sich als pragmatischer Kümmerer, als klassischer Landesvater zu verkaufen. Kein Zeitungsporträt in den vergangenen Wochen kam ohne dieses Bild aus: Ramelow in Gummistiefeln auf dem Kartoffelacker in Heichelheim, Hemdsärmel hochgekrempelt, im Hintergrund ein Traktor bei der Ernte. Das Bild ist fast schon komisch in seiner Klischeehaftigkeit, aber den Thüringern gefällt ihr Bodo eben genau so.

Der Freistaat ist stark ländlich geprägt, nur zwei Städte (Erfurt und Jena) haben überhaupt mehr als 100.000 Einwohner. Zugute kam Ramelow außerdem die wegen der Wirtschaftslage gute Kassenlage: In den vergangenen fünf Jahren konnte er Milliarden an Euro ausgeben und dabei noch eine Milliarde an Schulden tilgen. „Der Ramelow macht auch nix falsch“ war so ein typischer Satz über den Ministerpräsidenten, den man in Thüringen in den vergangenen Wochen hören konnte, auch von klassischen CDU-Wählern.

Thüringer Wald als Heiligtum und Identifikationsobjekt

Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Mike Mohring hatte versucht, mit den Themen Innere Sicherheit und Bildung Profil zu gewinnen, dazu noch als Thüringer Besonderheit den Kampf gegen Windräder – das Thema emotionalisiert in den ländlichen Regionen des Freistaats viele, gilt doch der Thüringer Wald als Heiligtum und Identifikationsobjekt. Aber auf allen drei Feldern spielte die CDU auf dem gleichen Feld wie die AfD, musste aber anders als die Höcke-Partei gegen ein Glaubwürdigkeitsproblem kämpfen:

In Berlin sitzt immer noch eine Angela Merkel im Kanzleramt, die spätestens seit 2015 nicht gerade eine Symbolfigur für Innere Sicherheit ist. Und beim Ausbau der Windkraft sendete die Bundesregierung auch während des Wahlkampfes ganz andere Signale als die Thüringer CDU. Da half Mohring auch nicht, dass er sich mehrfach öffentlich von der Bundes-CDU distanzierte. Anders als in Sachsen konnte die CDU auch keinen zugespitzten Wahlkampf nach dem Motto „Wir oder die AfD“ führen: Linke, CDU und AfD lagen in Umfragen über 20 Prozent. Und ja, in Sachen Bodenständigkeit stach Ramelow den immer etwas jungenhaften wirkenden Mohring eindeutig.

Heftige Enttäuschung für die Grünen

Die Grünen hatten sich von der Wahl mehr erhofft: Nicht nur die Parteiführung, auch viele Freiwillige aus anderen Bundesländern waren in den vergangenen Wochen im Dauerwahleinsatz in Thüringen. Klar, in einem Bundesland, das von Kleinstädten und Dörfern geprägt ist, konnte die Partei nicht mit großen Zuwächsen rechnen – in Sachsen hatten die Großstädte Leipzig und Dresden das Ergebnis der Grünen nach oben gezogen. Aber dass es im Vergleich zu den 5,7 Prozent vor fünf Jahren trotz Klimakrise und Fridays for Future nicht wenigstens zwei oder drei Prozent mehr wurden, ist eine Enttäuschung.

Die SPD, tja, die SPD. Setzt ihren Sinkflug fort. Mit Wolfgang Tiefensee stellte sie einen Spitzenkandidaten, gegen den niemand in Thüringen etwas hatte, der in den vergangenen fünf Jahren als Wirtschaftsminister des Freistaats einen guten Job gemacht hat. Aber unbeantwortet blieb die Frage: Wofür steht die Partei? Ein klares Ergebnis beim Mitgliedervotum über den SPD-Parteivorsitz hätte vielleicht geholfen, aber bezüglich des zukünftigen Kurses war es an Unklarheit kaum zu überbieten.

Funktionspartei FDP

Mit Identitätsproblemen hatte auch die FDP zu kämpfen. Anders als in Sachsen und Brandenburg präsentierten die Thüringer Liberalen sich als Funktionspartei. Motto: Wer FDP wählt, verhindert eine Fortsetzung der Ramelow-Koalition. Die Rolle des Mehrheitsbeschaffers für eine CDU-geführte Koalition bescherte der FDP mehr Stimmen – ob es genug sind, wird sich zeigen.

Wie schon in Sachsen und Brandenburg nutzten auch im Freistaat bedeutend mehr Menschen die Möglichkeit, ihre Stimme abzugeben: Zwei Drittel der 1,7 Millionen Wahlberechtigten gingen zur Wahl – das sind deutlich mehr als die 52 Prozent vor fünf Jahren. Wie bei den anderen beiden Landtagswahlen profitierte auch in Thüringen vor allem die AfD von den ehemaligen Nicht- und jetzt Protestwählern.

AfD trotz Höcke stark

Die konnte ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln und sogar die CDU hinter sich lassen – was für Mike Mohring besonders bitter sein dürfte. Aber die große Wende, von der AfD-Chef Björn Höcke tönte, ist es nicht. Größtes Hindernis könnte übrigens er selbst sein: In den Umfragen vor den Wahlen schnitt er deutlich schlechter ab als die Partei selbst. Die Thüringer haben die Partei nicht wegen, sondern trotz des Flügel-Manns Höcke gewählt. Womöglich hat auch der antisemitische Terroranschlag von Halle die AfD Stimmen gekostet.

Nun liegt alles an der FDP: Schafft sie es in den Landtag, hat Rot-Rot-Grün keine Mehrheit mehr. CDU-Chef Mohring hat vor der Wahl eine Simbabwe-Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP favorisiert, aber dafür reichen die errungenen Mandate ganz sicher nicht. Es wird also kompliziert werden. Eine Koalition aus Linken, SPD, Grünen und FDP (R2G2) wird zwar nun diskutiert, scheint aber inhaltlich kaum möglich. Eine Koalition mit Linken oder AfD schließt die CDU per Parteitagsbeschluss aus.

Alles wie vorher, nur ohne Mehrheit?

Eine Minderheitsregierung hatten sowohl Mohring als auch Ramelow im Vorfeld abgelehnt. Eine Besonderheit der Thüringer Verfassung hilft jedoch dem amtierenden Ministerpräsidenten des Freistaats: So lange, wie keine neue Regierung formiert ist, bleibt Ramelow im Amt. Und zwar ohne zeitliche Begrenzung. Und was heißt das Ganze nun für die Bundespolitik? Anders als das mit vier Millionen bevölkerungsreichste ostdeutsche Bundesland Sachsen ist die Bedeutung des nur halb so großen Thüringen geringer.

Und war der Aufschrei vor fünf Jahren bei der bundesweit ersten rot-rot-grünen Landesregierung noch groß, könnte es nun für den Fall einer Fortsetzung von „R2G” schlicht und einfach heißen: Im Osten nix Neues.

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Ernst-Günther Konrad | Mo., 28. Oktober 2019 - 08:22

Ja, richtig. NICHTS. Und wieder wird gemutmaßt, das könnte bei der CDU endlich mal zu einer offenen Diskussion zu den wahren Gründen und den den Verantwortlichen ihres Abstiegs führen. Wird es das werden? Nein. Merkels Name wird nicht genannt, die fand bei diesen Wahlen, wie bereits vorher faktisch nicht oder nur kaum statt. Die Bild schreibt heute in einem Artikel, man achte darauf:
" Die Regierungschefin, sagen führende CDUler, lebe längst in ihrer eigenen Welt. Vollkommen entkoppelt vom Alltag in Deutschland."
Ach ne, auch schon gemerkt. Die CDU und die SPD sind schon lang aus ihrer Mitte. Die zittern sich unrund von Wahl zu Wahl und verlieren immer mehr Wähler und provozieren Nichtwähler dazu, an die Wahlurnen zu gehen und was zu wählen? Natürlich AFD, weil sie es denen mal richtig zeigen wollen und weil die AFD die einzigen sind, die wenigstens ungeschminkt sagen was ist. Der Rest? Schweigen im Walde. Rammelow hat sich gut verkauft, nichts falsch gemacht? Thüringer Logik.

Genau wie die Grünen hat er seine bzw. die Position seiner Partei zur Flüchlings-, Asyl- und Migrationsproblematik einfach tot geschwiegen. Die Grünen stellen ausschließlich Umwelt und Klima bzw. Wellness in den Vordergrund, Ramelow profitiert von seinem "Landesvater-Image", weil auch er weiß, was er auf Wahlplakaten sagen darf – und was nicht.

gerhard hellriegel | Mo., 28. Oktober 2019 - 09:31

Hinweis für den zensor: das folgende ist kein widerspruch zum autor.
An dem affentheater, wer denn nun die wahl gewonnen habe, werde ich mich nicht beteiligen. Ich habe zu oft erlebt, wie unsere elite das nach bedarf dreht und wendet. Die Linke hat ihren besitzstand leicht ausgebaut, ein schöner erfolg - und für den spiegel ein "historischer wahlsieg". Warum, weiß nur der autor. Allerdings hat die AfD ihren anteil mehr als verdoppelt.Da kann nur noch die FDP mithalten, nur halt auf einem anderen niveau. Den AfD-erfolg kann ich nicht so locker nehmen wie der autor. Wann wird der politische wie mediale mainstream entdecken, dass sich die leute gegen diese art von beeinflussung zunehmend immunisieren?

gabriele bondzio | Mo., 28. Oktober 2019 - 10:00

für SPD und CDU/CSU mit gerade mal 30% in den Landtag einzuziehen. Wer halt glaubt mit Extrem-Politik (Missbrauch Asyl und verkorkster Klima-Politik) zu punkten. Muss damit rechnen, auch extreme Wählerwanderungen herauszufordern. Zumal gerade auch die ehem. Volksparteien momentan im Bund mit sich selbst mehr beschäftigt sind, als mit dringenden Regierungsfragen. Das Ramelow weit vorn liegt haben ja schon Vorumfragen gezeigt. Sein Plus war, dass er nicht die gleiche, linke Politik verfolgte, wie man sie in Berlin beobachten kann. Auch die laufenden Dämonisierungen der AfD haben nicht das gewünschte Ergebnis gezeigt. Die Sorgen der Menschen (die u.a. schon einmal mit einem sehr einschneidenden Bruch in ihren Biographien leben mussten) über die aktuelle Politik waren größer, als ihre Bedenken gegen Höcke. Was man in der Mobilisierung von ca. 95.000 Wählern aus dem Nichtwählerlager sieht. Die FDP bzw. Lindner, sieht trotz eines pragmatischen Ramelow, keine Anknüpfungspunkte mit Links.

Ingo frank | Mo., 28. Oktober 2019 - 11:51

„Die Thüringer haben die AfD nicht wegen sondern trotz des Flügel Mannes Höcke gewählt.“ Welche konservativ ausgerichtete Partei hätte ich denn wählen sollen? Eine CDU ,die ihre konservativen
( nicht gleichzusetzen mit „rechts“) Wähler entsorgt hat? Einen Herrn Kurz mit seiner Partei gibt es ja leider nicht in Deutschland!

Was soll das ewige Ausgrenzen der AfD? Ist sie eine rechte Partei nach Meinung der „Demokraten“ ist sie zu verbieten. Entweder hopp oder topp.

Warten wir doch mal ab, wo die Reise hingeht.
Es wird ja schon offen über eine Koalition von CDU und Linken nachgedacht. So ist diese Partei eben 30 Jahre nach der Wende zumindest in Thüringen mit ihrem Personal salonfähig?
Ob das dann der richtige Weg der CDU ist? Ich sage nein.
Sollen sich die Herren Ramelow und Mohring zur Wahl stellen. Wir werden es sehen.

Marianne Bernstein | Mo., 28. Oktober 2019 - 16:38

Ramelow wird und wurde gewählt, weil er seit 20 Jahren sich in Thüringen kümmert. Es ist eben keine Wahlkampfshow, wenn Ramelow zupackt.
Als Gewerkschafter hat er gelernt sich durchzusetzen, aber auch zu verhandeln, wo andere aufgeben. Er hat immer zu sich gestanden und wird (und wurde) nie als Parteimitglied wahrgenommen sondern als er selber. Im Prinzip wird die Linke wegen Ramelow und nicht trotz Ramelow gewählt.
Jeder ambitionierte Jungpolitiker kann hier sehen wie es gehen könnte. Hier kann man auch sehen, was der Wähler erwartet, und eben nicht nur hohle Phrasendrescherei von der "bürgerlichen Mitte".

Für Politikerinnen und Politiker ist es ungemein wichtig, auf die Wählerinnen und Wähler einzugehen.
Gerade die Unionsparteien, aber auch die SPD, haben permanent diesen sog. Wählerwillen mißachtet.
Das Wahlvolk ist zwar geduldig, aber irgendwann spielen Menschen, die sich von "denen da oben" eher ausgenutzt und mißachtet fühlen, nicht mehr mit.
Das zeigt sich exemplarisch an den Stimmenverlusten der sog. Volksparteien CDU und SPD.
Es war und ist eben falsch und verhängnisvoll, wenn sich diese großen Parteien vom Großen Geld "sponsern" (kaufen) lassen, anstatt das Großkapital in die Schranken zu verweisen.
Bodo Ramelow ist ein Ministerpräsident, der auf ruhige Weise versucht, den Vorstellungen und Wünschen der Kleinen Leute zu entsprechen.
Daran sollten sich CDU und SPD ein Beispiel nehmen und nicht auf Parteispenden zu setzen, die ja nicht grundlos erfolgen.
Noch besser wäre es, wenn das Gesetz über Parteispenden revidiert werden könnte, zu Gunsten der Allgemeinheit.

Hans Schäfer | Di., 29. Oktober 2019 - 08:36

Es lebe die Demokratie.

Wahrscheinlich wird in TH. eine Reg. gebastet, die sich aus 4 der 6 in den Landtag eingezogenen Parteien zusammensetzt. Die Medien werden das ihreige dazu beitragen, dies als WÄHLERWILLE zu verkaufen.
Entweder stellt die Linke, die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat die Reg oder es werden alle an einer Reg-Bildung beteiligt. Alles andere ist eine weitere Vera.....g des SOUVERÄNS.

Wann hört dieses AfD-Theater endlich auf. Wenn man der Meinung ist,die AfD steht nicht auf den Boden des GG, verbietet sie, oder schweigt diesbezüglich für immer. Wer A sagt wird auch B sagen. Die Angst, dass ein Verbot nicht ausgesprochen wird hindert den Schritt nach Karlsruhe, weil man weiß das dem nicht so ist.
Ergo bleibt nur den Shitstom weiter zu forcieren.
Darin liegt natürlich auch die Frustation über das Wahlergebnis, die dazu führt, dass man alles mögliche an Begründung heranzieht um den Errfolg kleinzureden. Höcke wollte MP werden. Wer wollte das nicht?

Juliana Keppelen | Di., 29. Oktober 2019 - 14:15

ist den Grünen ihr Kretschmann. Es sind eindeutig die Personen und nicht unbedingt die Partei die den Wahlsieg einfahren.