
- Ein Lächeln zu viel
Statt Armin Laschets Stärken herauszustellen, hat die CDU nicht für ihn und damit gegen sich wahlgekämpft. Doch wenn sich eine Partei von Werten wie Loyalität verabschiedet, darf sie sich nicht wundern, wenn sie bei Wählern kognitive Dissonanzen erzeugt. Bei der Suche nach sich selbst sollte die CDU nun auf ihre Talente setzen – auch auf die Entdeckungen Laschets.
Es entbehrt nicht einer bitteren Tragik, aber die Realität der digital-viral-bebilderten Medienwelt ist an Gnadenlosigkeit kaum zu überbieten. Da steht er nun, der Vorsitzende der Partei, die dieses Land über Jahrzehnte sicher und erhobenen Hauptes durch turbulente Zeiten geführt hat und blickt in den von ihm nicht unwesentlich mit selbst ausgehobenen Abgrund. Ein Mann, den man zweifelsfrei als anständig und klug, aber zugleich auch als uncharismatisch und glücklos bezeichnen kann. Schon am Wahlabend ist er der einzige Spitzenkandidat, der sein Statement vom Blatt ablesen muss, und auch in der anschließenden Elefantenrunde und bei weiteren Auftritten in Folge bleibt er blass und unpräzise, erschöpft und kraftlos. Von der dem Amte inhärenten Führung keine Spur. Mitleid ist keine politische Kategorie, aber beim Betrachten mancher Szene drängt sie sich förmlich auf.
Die Ursachen der historisch katastrophalen Niederlage der Union sind vielschichtig und reichen weit über die Kandidatenfrage hinaus. So hat sich die Partei in weiten Teilen illoyal gegenüber ihrem Vorsitzenden und Spitzenkandidaten verhalten. Statt dem Narrativ des „Lächelns zu viel“ entgegenzutreten und seine zweifelsfrei vorhandenen Stärken herauszustellen, hat die CDU nicht für ihn und damit zugleich gegen sich wahlgekämpft. Plakate blieben in den Schuppen, der Spitzenkandidat wurde verleugnet und bisweilen offen als Bürde qualifiziert. Bei der Partei mit dem C musste der Hahn nicht biblisch krähen. Wenn sich eine Partei wie die Union, die sich bürgerlich-christlicher Tugenden rühmt, von Werten wie Loyalität verabschiedet, dann darf sie sich nicht wundern, wenn sie bei ihrem Publikum kognitive Dissonanzen erzeugt und an Mobilisierungs- und Bindungskraft entscheidend verliert. Ganz besonders die Wahlergebnisse bei über 60-Jährigen sprechen dafür Bände.
Laschets menschliche Qualitäten
Loyalität ist dennoch keine Einbahnstraße, und so gilt sie auch für den Vorsitzenden in Richtung seiner Partei. Das hat den Christen und Verantwortungsmenschen Laschet offensichtlich bewegt; und es unterstreicht seine menschlichen Qualitäten, dass er sich zur Moderation eines Übergangs in die Neuzeit entschlossen hat, um sich dabei selbst obsolet zu machen. Fahnenflucht wäre die falsche Strategie gewesen. Die Form des Umgangs mit dem Vorsitzenden und die Würde seines finalen Abgangs werden stilbildend sein und über die weitere Zukunft der Union mitentscheiden.
Aber was folgt danach? Wo und wer ist eigentlich die CDU heute? Der aktuelle Funktionärskader repräsentiert sie offensichtlich nicht oder nur noch in Teilen. Die Leere im personellen wie inhaltlichen Profil der Partei, der Mangel an Kreativität und bildschöpfender Kraft ist dabei kein Phänomen der Post-Merkel-Ära, sondern vielmehr das Produkt ihres Wirkens. „Sie kennen mich“ ist eine maximal tautologische Aussage, ein inhärenter politischer Offenbarungseid und doch war diese Losung so lange erfolgreich, wenn zuletzt auch mit stark sinkender Tendenz. Angela Merkel hat die Union mit einem Gesicht, jedoch ohne Profil versehen, mit Statur, aber ohne Herz geführt. Die Partei als Baustein kühler Architektur. Wissenschaft vor Leidenschaft war das Führungsprinzip und prägende Element ihres Verhältnisses zur Organisation. Die Union war allein Mittel zum Zweck der Macht, nie Zweck zugleich.
Bequemer Gehorsam
Dies kann man nicht primär Angela Merkel vorwerfen, sondern vielmehr der Partei selbst und ihren Funktionärskadern, die sich über annähernd zwei Jahrzehnte behaglich im Windschatten der Kanzlerin einnisteten und sich und ihre Sache dabei offensichtlich unbemerkt in den Böen des Zeitgeists verloren. Bequemer Gehorsam ist eine Form von falsch verstandener Loyalität und damit Fehlinterpretation bürgerlicher Tugend. Auch der Verweis auf volksparteiliche Spannbreite darf nicht zur Ausrede für ein flüchtiges Koordinatensystem oder etwa zu grenzenloser Beliebigkeit verkommen. Von der Abschaffung der Wehrpflicht über die in Zeiten des Klimawandels in neuem Licht stehende Kernenergietechnologie bis hin zur Grenzsicherung hat sich vieles im Kanon der CDU verschoben. Prinzipien kann aber nur der immer wieder neu hinterfragen, der welche hat. Diese Wiederentdeckung ist jetzt die zentrale Aufgabe der Union.
Einhergehend mit dieser Suche nach sich selbst wird die Partei auch den oder die geeignete Vorsitzende und ein neues Führungsteam finden. Talente hat sie nach wie vor reichlich, auch junge und unverbrauchte, wie etwa das hochkompetente, vom Klimawandel bewegte 25-jährige Toptalent aus Bremen, Wiebke Winter, oder den erfrischend unkonventionellen Berliner Unternehmer mit tansanischem Migrationshintergrund, Joe Chialo. Beides übrigens Entdeckungen beziehungsweise persönliche Protegés des Übergangsvorsitzenden Armin Laschet.
Die neuen Hoffnungsträger
Ein besonderes Talent, vielleicht sogar langfristig der neue Hoffnungsträger der Union, schickt sich derzeit an, in Nordrhein-Westfalen die Führung von Land und Partei zu übernehmen, Hendrik Wüst. Auch hier fungiert Armin Laschet als Pate und gibt damit dem Signet Übergangsvorsitzender ein ganz eigenständiges Gewicht mit Sinn und Charakter. Mit 46 Jahren ist Wüst noch jung und dennoch schon erfahren im Ministeramt. Er ist mit viel Sensus für Digitales und die Bedürfnisse der jungen Generation ausgestattet und er weiß, ähnlich wie Markus Söder, mediengerecht auf den Punkt zu formulieren. Dass er zugleich mit einem klaren Koordinatensystem ausgestattet ist, sollte bei der inhaltlichen Wiederentdeckungs- und Modernisierungsaufgabe der Union nur förderlich sein. Gleiches gilt für Michael Kretschmer, dem in Land und Bund erfahrenen sächsischen Ministerpräsidenten gleichen Alters und Gesicht Ostdeutschlands. Auch auf ihn kann und muss sich die Partei künftig stützen, wenn sie die Suche nach sich selbst erfolgreich gestalten will. Die Ära Merkel ist endgültig beendet. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel: It’s time for leadership!