
- Die selbst-verschuldete Spaltung
Vom Staat enttäuscht, von den Eliten missachtet: Die Wahlerfolge der AfD im Osten Deutschlands markieren weniger einen Rechtsruck als ein Votum gegen das Establishment. Solange man solche Wähler nur beschimpft, wird sich an der Entfremdung nichts ändern
Warum braucht man im Westen 13 Jahre fürs Abitur? Weil ein Jahr davon Schauspielunterricht ist … Ja, so war das Anfang der neunziger Jahre im Osten. Der gelernte DDR-Bürger hatte schließlich auch reichliche 40 Jahre Zeit, um seine Witzekompetenz zu entwickeln. Der Witz diente als subversives Medium zur Rückeroberung politischer Freiheit, zumindest im Privaten. An diesem Kulturgut durften, nachdem die DDR-Eliten entmachtet waren, auch die Wessis teilhaben. Und zwar als Objekte des Spottes.
Erst seinerzeit entstand eigentlich die Ostidentität. Zuvor wollten (fast) alle bloß Gesamtdeutsche sein. Aber das änderte sich schnell. Ganz zu Beginn fiel das noch nicht auf. Der Osten wurde mit Westgeld und Gütern regelrecht geflutet. Der Konsumrausch brach los. Während der Wessi Jahrzehnte Zeit hatte, um sich zum „eindimensionalen Menschen“ (Marcuse) zu mausern, wurde der Ossi binnen Monaten in diesen Zustand katapultiert. Noch heute haben wir die Bilder von unseren ostdeutschen Mitbürgern vor Augen, die sich von westdeutschen Autohändlern erst völlig überteuerte Gebrauchtwagen aufschwatzen ließen, um anschließend stolz zu den flugs von großen Einzelhandelskonzernen aus dem Boden gestampften Verkaufszelten zu ziehen. Die Einkaufswagen quollen über – von Westseife, Haribo-Goldbären und palettenweise Zotts Fruchtjoghurt. Als ob die Mauer bald wieder geschlossen würde und man wenigstens die wenigen noch verbleibenden Wochen in vollen Zügen genießen wollte.