Dunkle Wolken ziehen über dem Reichstagsgebäude in Berlin auf / picture alliance

Wahlrechtsreform und Fünf-Prozent-Hürde - Das Wahlrecht in den Händen von Kartellparteien

Die Fünf-Prozent-Hürde ist mit dem demokratischen Gleichheits- und Repräsentationsprinzip von Wahlen bereits schwer vereinbar. Die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition stärkt die Macht einzelner Parteien nun weiter. Auf Kosten des Konkurrenzkampfes.

Autoreninfo

Prof. Dr. Elmar Wiesendahl ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher.

So erreichen Sie Elmar Wiesendahl:

Wahlrechtsfragen sind Machtfragen. Wie Wahlen durchzuführen sind und Parteien der Einzug in die Parlamente gelingt, wird festgeschrieben. Hierdurch erzielen die Wähler Vorteile und erleiden Nachteile. Und auch die zur Wahl stehenden Parteien unterliegen der Ungleichbehandlung. Nachvollziehbar ist deshalb die Empörung, mit der die Linke und die CSU gegenüber der Wahlrechtsreform der Ampelkoalition vom 17. März 2023 reagiert haben. Beide wollen in Karlsruhe klagen. Wurde doch durch die Reform im Handstreich die Grundmandatsklausel beseitigt, welche Parteien mit drei Direktmandaten bislang ermöglichte, die Fünf-Prozent-Klausel zum Einzug in den Bundestag zu umgehen.

Unmittelbar betroffen ist hiervon die Linke, die bei der letzten Bundestagswahl 2021 nur mithilfe von drei Direktmandaten die Sperrklausel überwinden konnte. Die CSU in Bayern verfügt zwar generell über ein Übermaß an gewonnenen Direktmandaten. Indes kam sie bundesweit nur auf 5,2 Prozent Zweitstimmenanteil, was bei einem weiteren Absacken auf einen Rausschmiss aus dem Bundestag hinauslaufen könnte.

Insiderparteien bauen im Parlament Hürden auf

Scheiterten beide Parteien an der blanken Fünf-Prozent-Klausel, käme es zur parlamentarischen Machtkonzentration der Ampel-Parteien plus CDU, die sich einer Konkurrenz von links und von rechts entledigt hätten. Berührt wäre hiervon die Essenz der Parteiendemokratie. Schließlich geht es um die Ausschaltung von Konkurrenz durch davon profitierende Insiderparteien.

Parteiendemokratie lebt von der freien, ungehinderten Konkurrenz. Über sie bringen Parteien ihre Sprachrohr- und Repräsentationsfunktion gegenüber der Vielfalt gesellschaftlicher Interessen zum Ausdruck. In Wahlen tragen Parteien einen Konkurrenzkampf um Wählerstimmen aus, der sie in die Parlamente bringt. Hier setzt sich der friedliche Machtkampf fort und entscheidet über die Bildung und Ablösung von Parteiregierungen. Ihre Zusammensetzung entscheidet über die politische Kursausrichtung.

Im Zeitalter der Kartellparteien

Wie jedoch die Sperrklausel verdeutlicht, gleicht das Kräftemessen unter den Parteien längst nicht dem Ideal der freien und ausgewogenen Konkurrenz. Realiter bauen die über die Machtressourcen verfügenden Insiderparteien im Parlament Hürden auf, die nicht genehme Konkurrenz oder Newcomer in ihrer elektoralen Schlagkraft und parlamentarischen Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen.

Für die internationale Parteienforschung bildet diese Aushebelung von Konkurrenz einen allgemeinen Trend, der in ein Zeitalter von Kartellparteien geführt hat. Deutschland zählt dabei nach einhelliger Überzeugung zu einem Land, in dem sich prototypisch ein Kartellparteiensystem etabliert hat. Kartelle fußen zumeist auf vertraulichen Vereinbarungen zwischen Parteispitzen mit dem Ziel, sich sie einseitig begünstigende Wohltaten zu verschaffen oder Barrieren zu errichten, die weitere Parteien vom Genuss der Privilegien ausschließen. Kartelle zur Parteien- und Abgeordnetenfinanzierung zählen zur ersteren Kategorie. Sperrklauseln zielen dagegen auf die Ausgrenzung von Konkurrenz.

Der Clou von Kartellbildungen zwischen Parteien ist, dass es nicht um das Muster Regierungs- gegen Oppositionslager geht. Sondern Regierungs- und Oppositionsparteien machen durchaus gemeinsame Sache zur Selbstbegünstigung wie etwa bei der Parteien- und Abgeordnetenfinanzierung. Auch ziehen sie gemeinsam Barrieren auf, um nicht genehme Mitbewerber bzw. Newcomer-Parteien von der parlamentarischen Arena fernzuhalten.
 

Mehr zum Thema:


Nun ist ein Parteienparlament in seiner Zusammensetzung so demokratisch, wie es über die in ihm vertretenen Parteien die Gruppen- und Interessenvielfalt der pluralistischen Gesellschaft widerspiegelt. Wer indes nicht zur parlamentarischen Arena vorzudringen vermag, ist mit seinem Interessenvertretungsprofil von der Entscheidungs- und Regierungsbildung ausgeschlossen. Was die Ampelkoalition mit der Abschaffung der Grundmandatsklausel in dieser Hinsicht unternommen hat, fällt unter eine Kartellbildungsoperation, die ihrer Machtsicherung und -vermehrung dient, indem die parlamentarische Fortexistenz von Konkurrenzparteien untergraben wird. Das Interessenvertretungsspektrum des Bundestags würde hierdurch einschneidend verengt.

Durch das Wahlrecht den Aufstieg von Outsider-Parteien zu unterbinden, stand immer schon im Mittelpunkt von Kartellbildungen. Hierbei wirken Sperrklauseln wie Einlassbarrieren, die eine Flut an Wählerstimmen erforderlich machen, um Zugang in die parlamentarische Entscheidungsarena zu finden. Wird, wie nach der Abschaffung der Drei-Direktmandats-Regelung, die Fünf-Prozent-Klausel zum alleinigen Eintrittsbillett ins Parlament, bildet sie den Wohl-oder-Wehe-Scheidepunkt, der über Inklusion und Exklusion von Parteien entscheidet.

Geschichte der Sperrklauseln bei Bundestagswahlen

Die Geschichte von Sperrklauseln bei Bundestagswahlen ist eine Geschichte der systematischen Anhebung der Ausgrenzungsbarrieren, um unliebsame Parteien vom parlamentarischen Machtgefüge fernzuhalten bzw. herauszuexpedieren. Konrad Adenauer tat sich hierbei, die Zügel mehrmals anziehend, besonders hervor. Die SPD als Teil des parlamentarischen Parteienkartells stellte sich dem nicht in den Weg.

Als 1949 auf Drängen von Adenauer erstmalig eine Fünf-Prozent-Klausel auf Bundesländerebene eingeführt wurde, war indes die Hürde noch locker zu überwinden. Infolgedessen gelangten zehn Parteien, darin CDU, CSU, SPD und FDP eingeschlossen, in den Bundestag. Die Hälfte reichte nicht mit ihrem Zweitstimmenanteil an die fünf Prozent auf Bundesebene heran. Auf Betreiben der Adenauer-CDU wurde deshalb für 1953 eine nun bundesweit zu überwindende Fünf-Prozent-Klausel eingeführt und erstmalig durch die Grundmandatsklausel mit einem Direktmandat ergänzt. Hierdurch kam es zum erwünschten Ausschlusseffekt, sodass nur noch der Deutschen Partei (DP) und der Zentrumspartei mithilfe von Direktmandaten der Einzug in den Bundestag glückte.

Für 1957 wurde die Grundmandatsklausel auf drei Direktmandate erhöht. Nun überwand letztmalig allein die DP die Hürde, indem die CDU in ausgewählten Wahlkreisen auf die Aufstellung von Direktkandidaten verzichtete. 1961 mündete die Aussperrstrategie in dem Volksparteien-Oligopol aus CDU/CSU und SPD, denen die FDP als parlamentarische Mehrheitsbeschafferin diente. Dieses Duopol mit „Zünglein an der Waage“ hatte über eine 20-jährige hyperstabile Hochphase Bestand, ehe es 1983 von den Grünen mit 5,6 Prozent Zweitstimmenanteil aufgebrochen werden konnte. Kritisch wurde es allein 1969, als die damalige NPD mit 4,3 Prozent knapp an der Fünf-Prozent-Klausel scheiterte.

Sonderregelung für die gesamtdeutschen Einheitswahlen

Für die gesamtdeutschen Einheitswahlen 1990 wurde eine Sonderregelung eingeführt, indem bei der Sperrwirkung der Fünf-Prozent-Klausel zwischen einem westdeutschen und einem ostdeutschen Wahlgebiet unterschieden wurde. Hierdurch gelangte die PDS als Nachfolgepartei der SED erstmalig in den Bundestag. Auch die mit dem ostdeutschen Bündnis 90 fusionierten westdeutschen Grünen profitierten von dieser Regelung. Mit ihrer westdeutschen Wählerstärke kompensierten sie ihre ostdeutsche Wählerschwäche und zogen so in den gesamtdeutschen Bundestag ein.

Bei den nachfolgenden Bundestagswahlen eroberte die PDS jeweils vier Direktmandate, die ihr weiterhin den Zutritt zum Bundestag ermöglichten. 2002 ging dies schief, weil sie mit nur noch zwei Direktmandaten die Sperrklausel nicht mehr umgehen konnte. Der Zusammenschluss der PDS mit der WASG zur Linken schob deren Wähleranteil auch im Westen nach oben, was ihr ab 2009 über die Fünf-Prozent-Hürde verhalf. Hinwiederum einem elektoralen Abwärtssog ausgesetzt, mussten bei der jüngsten Bundestagswahl 2021 erneut drei Direktmandate für die Linke herhalten, um nicht mit 4,9 Zweitstimmenanteil an der Sperrklausel zu scheitern.

Gleicheitsprinzip wird mit Füßen getreten

Am Erfolg und Misserfolg der PDS/Die Linke lässt sich ablesen, wie sehr die Grundmandatsklausel mit drei Direktmandaten Parteien eine Chance einräumt, um den Sperreffekt der Fünf-Prozent-Klausel zu überwinden. Unzählige Kleinparteien, ob als Neugründung oder als Dauerkonkurrenz, schafften dies nicht und sind in der gleichen Zeit auf dem Friedhof der ausgesperrten Mitbewerber gelandet. Ihr Schicksal ist Folge von Kartellabsprachen mit zweierlei Stoßrichtung.

Einmal durch Sperrhürden in Gestalt von Sperrklauseln oder Erwerb von Direktmandaten. Gleichzeitig verfolgen Kartellparteien Selbstbegünstigungsabsichten. Sie werden beispielsweise an dem Verrechnungsverfahren ersichtlich, mit dem die Insiderparteien die verloren gegangenen Wählerstimmen der gescheiterten Parteien zu Mehrung ihrer eigenen Parlamentssitze zweckentfremden. Sie greifen auf die per Sperrklausel verfallenen Wählerstimmen der gescheiterten Parteien zurück und füllen damit die Zahl ihrer Abgeordnetensitze auf.

Mit der Verrechnungsmethode zum Transfer von Zweitwählerstimmen in Abgeordnetensitze ergibt sich der demokratisch fragwürdige Effekt, dass sich die Verteilung der Stimmen am Wahlabend für die Parteien nicht mehr in der Verteilung der Abgeordnetensitze der im Parlament vertretenen Parteien deckt. Verstoßen wird damit gegen das Grundgesetz, welches nach gleichen Wahlen verlangt. Jede abgegebene Wählerstimme soll bei der Vergabe von Parlamentssitzen das gleiche Gewicht haben. Dieses Gleichheitsprinzip wird indes auf den Kopf gestellt, indem die Insiderparteien ihnen nicht gegebene und ihnen gezielt von Wählerseite vorenthaltene Stimmen der Zahl nach den zu verteilenden Parlamentssitzen zuschlagen.

Selbstbegünstigungseffekt der Kartellparteien

Wie sehr dieser Selbstbegünstigungseffekt der Kartellparteien ihnen Früchte einbringt, lässt sich exemplarisch an der Bundestagswahl 2013 veranschaulichen. Weil die FDP und die AfD mit jeweils 4,8 und 4,7 Prozent, wie auch weitere Parteien, an der Sperrklausel scheiterten, gingen rund 6,86 Millionen ihnen gegebene Wählerstimmen verloren. 15,7 Prozent der Wählerschaft sahen sich um die Repräsentation ihrer Stimmen im Bundestag betrogen.

Das heißt: Für 2013 repräsentierten die Kartellparteien mit ihren insgesamt 36.867.417 Stimmen nur 84,3 Prozent Wähleranteil von insgesamt 43.726.856 Millionen gültigen Zweitstimmen. Dies hinderte sie nicht, nach dem Wahlgesetz 100 Prozent aller Mandate unter sich aufzuteilen, unter Einschluss zusätzlicher Überhang- und Ausgleichsmandate. Vier Parteien, CDU, CSU, SPD und Grüne, kamen infolgedessen auf die eklatant hohe Zahl von insgesamt 631 Abgeordnetensitzen.

Wie sehr eine Selbstbegünstigung als Surplus zu Buche schlägt, wird an der enormen Disproportionalität von Stimmen- und Abgeordnetenanteil der Merkel-Union sichtbar. Vom Zweitstimmenanteil brachte sie es auf 41,5 Prozent; mit 49,3 Prozent Mandatsanteil hätte sie fast die Marge zur Alleinregierung übersprungen.

Missachtung des Wählerwillens

Die Verkehrung von verlorenen Wählerstimmen zur Nutzenmehrung der Parlamentssitze der Insiderparteien stellt eine krasse Verzerrung des demokratischen Repräsentationsprinzips und einen Verstoß gegen der den Gleichheitsgrundsatz des Wählens dar. Wähler haben ihre verlorenen Stimmen als Wertverlust vollständig abzuschreiben, während die Insiderparteien wider die Intention von der um ihre Stimme gebrachten Wählerschaft unverdienterweise profitieren. Die Insiderparteien erzielen eine enorme Privilegierung ihrer parlamentarischen Machtstellung, während Millionen von nicht berücksichtigten Wählern um ihr elementares Recht auf Repräsentation ihrer Wünsche und Interessen gebracht werden. Der Wählerwille findet nur in verzerrter und diskriminierender Form eine parlamentarische Vertretung.

Der eklatante Verstoß gegen die Durchführung gleicher Wahlen und die Gewährleistung des demokratischen Repräsentationsprinzips werden mit dem Argument gerechtfertigt, dass Wahlen arbeitsfähige parlamentarische Vertretungskörperschaften und aus ihnen stabile Regierungen hervorbringen sollten. Erforderlich sei hierfür die numerische Begrenzung der im Parlament vertretenen Parteien.

Diese Logik machte sich verschiedentlich auch das Bundesverfassungsgericht zu eigen. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments und die Stabilität einer Regierung sei höher zu gewichten als die Verfassungsnorm der Gleichheit von Wahlen. Die demokratische Repräsentationsverzerrung des Wählerwillens sei diesem vorrangigen Prinzip nachgeordnet.

Weimarer Parteienzersplitterung

Die stark an die sogenannte Weimarer Parteienzersplitterung angelehnte Argumentation trägt indes genauer besehen nicht weit, weil die Weimarer Demokratie nicht an fehlender numerischer Mehrheitsbildungsfähigkeit der im Reichstag vertretenen Parteien zugrunde gegangen ist, sondern vielmehr an den ideologischen Widersprüchen und der Konsensunfähigkeit der instabilen Regierungen.

Zudem ist das funktionale Argument stabiler parlamentarischer Regierungsbildung mittlerweile aus der Zeit gefallen, zumal es auch unter den Bedingungen von mit sieben Parteien zusammengesetzten Parlamenten auf Bundes- und Landesebene allenfalls zu Drei-Parteien-Koalitionen kommt. Aber nicht zu den heraufbeschworenen Problemen der Unregierbarkeit im erweiterten Parteienparlamentarismus.

Das demokratisch wenig abgesicherte Effizienzprinzip stabiler Regierung wirft unter dem Vorrang der unverzerrten demokratischen Repräsentation der Vielfalt gesellschaftlicher Interessen im Parlament die Frage auf, inwieweit die Fünf-Prozent-Klausel nicht einen zu hoch gegriffenen Ausschlusseffekt erzeugt, der aus überholten und nicht mehr vertretbaren Gründen mittlerweile deutlich abgespeckten Kartellparteien eine überbordende Privilegierung ihrer Parlamentspräsenz zuspielt.

Neues Wahlrecht hebelt das Repräsentationsprinzip aus

Es kann nicht ohne Konsequenzen bleiben, dass mit dem Verschwinden der einstmaligen parlamentarischen Großparteien CDU/CSU und SPD Regierungsämter bereits mit 25 Prozent Zweitstimmenanteil und weniger zu ergattern sind, während dagegen die seit 70 Jahren starre Fünf-Prozent-Klausel eine übermäßig hoch aufgetürmte Sperrwirkung ausübt. Wie Erfahrungen mit den Europa- und Kommunalwahlen belegen, ist nur schwer den Tendenzen etwas entgegenzuhalten, auch die Sperrklausel für den Bundestag auf 3 Prozent abzusenken.

Die Parteiendemokratie muss ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der Wählerschaft halber vor Kartellbildungsgefahren beschützt werden. Das neue Wahlrecht der Ampelkoalition hebelt dagegen das demokratische Gleichheits- und Repräsentationsprinzip von Wahlen aus. Es verfestigt entgegen dem Wählerwillen die Machtstellung der Insiderparteien. Damit nicht genug. Pläne, die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre zu verlängern, werden das Einflussgewicht der Wählerschaft gegenüber den Insiderparteien weiter mindern.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Tomas Poth | Do., 13. April 2023 - 18:24

Dieser Begriff wurde hier im Zusammenhang mit unserem Parteiensystem richtig und zutreffend gewählt.
Es liegt ganz im Sinne der Machtkonzentration, der Sicherung der Pfründe und des Durchregierens etwas zwar demokratisch erscheinen zu lassen, aber die lästige Willensbildung und Abstimmung zu vereinfachen, und durch entsprechende Strukturen weitgehend zu umgehen.
Wie sagte Walter Ulbricht Mai 1945 in Berlin zu seinen Gefolgsleuten: "Es muß alles demokratisch aussehen, aber wir müssen die Fäden in der Hand behalten."

Das ist ganz nach Geschmack der Ampel!

U.Sprenger | Do., 13. April 2023 - 19:23

Die Parteien, besser die Parteivertreter, haben sich die Gesellschaft bzw. den Staat zur Beute gemacht! Wer am Trog mit frisst, gibt seinen Platz ungern auf. Ob das BVG, mit einem gedungenen Richter Harbarth, Einhalt gebietet ist mehr als fraglich. Denk ich an Deutschland in der Nacht, werd ich um den Schlaf gebracht (Heinrich Heine)

Walter Bühler | Do., 13. April 2023 - 19:37

... Wissenschaftlichkeit auch in der Politik-Wissenschaft noch eine Chance hat! Ich hatte in der letzten Zeit den Eindruck gewonnen, als seien alle Politologen zu Theologen ihrer jeweiligen Ideologie mutiert, wie wir es in den Talk-Shows und in den Fernsehkommentaren so eintönig erleben.

Ich habe nach der Wiederholungswahl in Berlin für mich selbst berechnet, wie wenig die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses mit dem Wahlergebnis zu tun hat.

Sie erklären dies nun als "Verrechnungsverfahren, mit dem die Insiderparteien die verloren gegangenen Wählerstimmen der gescheiterten Parteien zur Mehrung ihrer eigenen Parlamentssitze zweckentfremden."

Ja, das ist es.

Gerhard Lenz | Do., 13. April 2023 - 20:07

Ein zweifelhafter Begriff, auch wenn er in der Parteienforschung üblich sein mag. Man darf sich erinnern: In der Weimarer Republik wurden so die späteren Steigbügelhalter Hitlers bezeichnet. Wenn Herr Wiesendahl jetzt der Ampel den gleichen Begriff verpasst, wirkt das nicht unbedingt fair, geschweige denn unparteiisch.
Auch sonst ist seine Argumentation diskutabel. Was soll undemokratisch daran sein, wenn man es dem Souverän überlässt, nur Parteien mit einer bestimmten Wählerstimmenzahl ins Parlament zu wählen? Überhaupt liest sich Herrn Wiesendahls Argumentation so, als ob das neue Wahlgesetzt zum Hauptziel habe, bestimmte Parteien (CSU und Linke) aus dem Parlament zu entfernen. Damit verwechselt er Maßnahme und Konsequenz: Niemand verbietet dem Wahlvolk, diesen Parteien genug Stimmen zu geben. Zweifelhaft und gegen den vom Autor ins Spiel gebrachte Gleichheitsgrundsatz ist vielmehr die Frage, warum einer Regionalpartei wie der CSU die Vertretung im BT sicher sein sollte.

Sie schreiben: "Was soll undemokratisch daran sein, wenn MAN es dem SOUVERÄN ÜBERLÄSST, nur Parteien mit einer bestimmten Wählerstimmenzahl ins Parlament zu wählen?"

(1.) Wer ist MAN? (vermutlich die Regierungskoalition?)

(2.) Wer ist der SOUVERÄN (vermutlich das Wahlvolk?)

(3.) Wer kann wem etwas ÜBERLASSEN (=verbieten oder erlauben): "MAN" dem "SOUVERÄN" oder der "SOUVERÄN" dem "MAN"?

(4.) Mindeststimmenquote: Wären Sie auch einverstanden, wenn man statt 5% irgendeine andere Prozentzahl zwischen 1% und 99% beschließen würde?

Sollte MAN z. B. gleich die 20% -Klausel einführen! Oder etwa 25%?

Herr Lenz, erst denken, dann schreiben. Es kommt in Wahrheit eigentlich nur darauf an, was in Ihren Augen Demokratie ist.

Soll MAN per einfacher Mehrheit die jetzige Inschrift "Dem deutschen Volke" am Bundestagsgebäude ersetzen durch
"Der deutschen Regierung" oder "Den deutschen Parteien" oder "Den deutschen Funktionären" oder "Den braven deutschen Journalisten"?
Wie hätten Sie's gerne?

und versuche, Ihre höchst sachdienlichen Fragen zu beantworten.

(1) Rhetorische Frage.
(2) Könnte wohl sein. Was denken Sie?
(3) Ergibt sich aus (1) und (2)
(4) Hat nichts mit Änderung des Wahlrechts zu tun. Nächste Frage. Übrigens brachte der Autor die Zahl 3% ins Spiel

(5) Nachtrag: Wie wäre es mit: Allen Parteien ausser der AfD?

Damit dürften Ihre "Fragen" erst mal beantwortet sein.

Hatten sie auch noch eine ernsthafte Frage, oder war das nur ein "gewohnter" Beitrag?

Ach, Herr Bühler....Sie erlauben doch?

Natürlich ist es dumm und naiv von mir, immer wieder eine substantielle Antwort von Ihnen zu erwarten, Herr Lenz. Zahlen sind Ihnen sowieso fremd; Sie werden mich wohl nie verstehen können.

Ihr Inschrift zu (5) zeigt ja auch klar: Es kommt Ihnen nur darauf an, die bestehenden Machtverhältnisse gegen die Risiken der Demokratie abzusichern. Das Volk muss überwacht und gegängelt werden, weil es eben unzuverlässig und gefährlich ist.

Diese zynische Auffassung von "Demokratie" ist bei vielen Politikern dieser Welt beliebt, und zwar in ungeheurer Vielfalt und Diversität. Mit dieser Haltung sind Sie tatsächlich nicht allein auf der Welt, Herr Lenz.

Dumm und naiv wie ich halt nun einmal bin, werde ich dagegen weiter von einer Demokratie träumen, in der das Volk bei den Mächtigen Gehör findet und auch etwas sagen darf, von einer Demokratie, in der Andersdenkende nicht verteufelt und verfolgt werden.

Gerhard Hellriegel | Do., 13. April 2023 - 22:49

Aus meiner Sicht eine Scheindebatte. Wer glaubt denn im Ernst, dass durch eine Wahlrechtsreform sich das parlamentarische Prozedere irgendwie nennenswert ändern würde? Wird dann die parlamentarische Arbeit besser oder schlechter? Wieso sind Millionen verlorener Erststimmen kein Problem, aber verlorene Zweitstimmen eine Katastrophe? Was ist daran gerecht, wenn eine Partei 3 Direktmandate erobert und dann dafür 30 ohne die Spur einer Legitimation ins Parlament einziehen? Das wirkliche Problem sind Regionalparteien. Die Abgeordneten sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Aber eine Regionalpartei orientiert sich bereits programmatisch lediglich an den Interessen der Region, der Rest der Republik interessiert sie gar nicht. Warum integriert sich die CSU nicht in die CDU? Weil sie dann gesamtdeutscher agieren müsste. Weil sie dann für die Bayern nicht mehr so attraktiv wäre. Eben. Ich akzeptiere schweren Herzens Regionalparteien, aber dann halte ich es für angemessen, dass sie 5% erreichen muss.

Axel Gerold | Do., 13. April 2023 - 23:30

a) 1990 verfehlten die Grünen im Westen mit 4,8 % den Wiedereinzug in den Bundestag. Das Bündnis 90 kam als Teil einer seinerzeit zugelassenen Listenvereinigung als Gruppe in den Bundestag.
b) Stichwort „Wiedereinzug“. Genau um den geht es, nicht um einen „Rauswurf“. Strenggenommen fliegen alle Parteien mit dem Ende der Legislaturperiode aus dem Parlament.
c) Es gab nach meiner unmaßgeblichen Erinnerung auch mal auf Bundesebene eine 3-%-Hürde bei Erlangung eines Direktmandats.
d) Dem Fazit ist zuzustimmen, und das BVerfG wird das wohl auch so sehen: die 5-%-Hürde muss auf 3 runter — einheitlich bei EU-und Bundestagswahl.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 14. April 2023 - 08:29

nur ist das ja nicht erst seit gestern. Alle Parteien hatten lange genug Zeit, lange vor einer Ampel Regierung, dieses Problem halbwegs einvernehmlich und halbwegs fair zu verändern und vor allem den BT eindeutig zu beschränken. Der ist für mich bereits mit 498 Mandaten und jetzt über 700 völlig überdimensioniert. Ja, die jetzt gewählte Wahlrechtsänderung ist auch nicht nach meiner Vorstellung und dennoch musste mal endlich ein Anfang gemacht werden, dass die Bürger in öffentlicher Diskussion die Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren und überhaupt zu verstehen. Ich schrieb schon öfters, 299 Wahlkreise, 299 direkt gewählte in den BT, Vertreter müssen vorher benannt werden und treten nur an die Stelle des Direktmandats, wenn der Kandidat warum auch immer ausfällt. Keine Prozenthürde mehr und aus die Maus. Ja, da gibt es sicher auch Haken und Ösen, müssen auch nicht verbotene Parteien oder freie Bewerber hingenommen. Aber es liegt dann am Bürger zu entscheiden, wen er will oder nicht.

Achim Koester | Fr., 14. April 2023 - 09:04

Bei der Linkspartei halte ich die 5% Klausel für angebracht, da sie ja bundesweit agiert, im Fall der CSU, die ja bekanntlich nur in einem einzigen Bundesland zur Wahl steht, ist die Hochrechnung auf Bundesebene höchst undemokratisch. Der eigentliche Skandal aber ist, dass eine so gravierende Änderung des Wahlrechts mit einfacher Mehrheit beschlossen werden konnte, während man für weit weniger wichtige Änderungen mindestens eine ⅔ Mehrheit benötigt.
Der Klage vor dem BVG wünsche ich Erfolg, wenngleich mein Vertrauen in die Objektivität dieser Instanz äußerst gering ist, seit dem erfolgreichen "Marsch durch die Institutionen".

Wer hält die CSU davon ab, bundesweit anzutreten? Wer hält sie davon ab, sich mit der CDU zusammenzuschließen - wie z.B. Bündnis90/Die Grünen? Sind es zwei Parteien, warum dann eine Fraktionsgemeinschaft? Wer macht der CSU klar, dass hier nicht der bairische Landtag, sondern der deutsche Bundestag gewählt wird?
In der bairischen Lnadesverfassung steht genau das Wahlrecht, das die Ampel jetzt für den Bund anstrebt.