
- Realitätsverweigerung einer verträumten Generation
In ihrem berechtigten Entsetzen über die Gräuel des Krieges verlieren allzu viele Kommentatoren und Politiker die Realität aus dem Blick. Russland wird nicht von der Landkarte verschwinden und Putin vermutlich an der Macht bleiben. Die Sanktionen bewirken das Gegenteil dessen, was sie sollen, und der Westen verrät seine eigenen Ideale. Eine verträumte Generation bringt sich selbst in Gefahr.
Die Neigung zu einem überspannten Moralismus, die sich in den letzten Jahren in Deutschland als politische Leitkultur etabliert hat, erzeugt mit größter Monotonie immer wieder dieselben Reflexe. Ob Refugees-Welcome-Euphorie, Greta-Begeisterung oder Covid-Rigorismus, ob Diversity-Wahn oder Identitätseifer – die öffentliche Meinung wird dominiert von Komplexitätsverweigerung, messianischem Schwarzweißdenken, kleingeistiger Gesinnungsethik und der Unfähigkeit, ja dem Unwillen zu pragmatischen Lösungen mit Vernunft und Augenmaß. Und auch die Argumente gleichen sich ein ums andere Mal. Stets geht es um Humanität, um Demokratie und – natürlich, ganz wichtig – „unsere“ Werte.
Konnte man die innenpolitischen Debatten der letzten Jahre noch als Petitessen einer übersatten Gesellschaft abtun, so hat die Debattenlage mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine eine neue Qualität bekommen. Nun geht es nicht mehr „nur“ um freie Meinungsäußerung, um Demokratieverständnis, Framing und Verbotskultur, sondern um Krieg und Frieden. Im Stakkato trommeln seit fünf Wochen fiebrige Berichte, emotionalisierende Bilder und aufpeitschende Kommentare auf die Öffentlichkeit ein und drohen die Köpfe zu vernebeln, wo kalter Verstand und nüchterne Besonnenheit erste Pflicht wären.