Gedenken am Ehrenmal des Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein / Bundeswehr/Marco Dorow

Bundeswehr-Gedenken - „Wehrhaftigkeit ist heute das Gebot der Stunde“

Bei der Zentralen Gedenkfeier am Ehrenmal des Deutschen Heeres für die Opfer von Krieg, Verfolgung und Gewaltherrschaft schlug der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels einen Bogen zu heutigen Konflikten und Herausforderungen.

Autoreninfo

Hans-Peter Bartels ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er war seit 1998 SPD-Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages 2015–2020.

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Die größte Teilstreitkraft der Bundeswehr gedenkt heute am Ehrenmal des Deutschen Heeres auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz der Opfer von Krieg, Verfolgung und Gewaltherrschaft sowie der Toten beider Weltkriege. Gleichzeitig wird den im Einsatz und in der Ausübung ihres Dienstes gefallenen und ums Leben gekommenen Soldatinnen und Soldaten gedacht. Der Anlass der Feierstunde ist der Volkstrauertag. Die Ansprache zum Gedenken hält in diesem Jahr der ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Dr. Hans-Peter Bartels. Wir dokumentieren seine Ansprache hier im Wortlaut.

Gedenkort des Heeres der gesamtdeutschen Bundeswehr

Dieses Ehrenmal ist geradeaus und schlicht „den Toten des Deutschen Heeres“ gewidmet. Als wenn das so einfach wäre! Im ganzen 19. Jahrhundert und bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gab es nie ein Heer, sondern verschiedene Heere in Deutschland. Erst 1919, in der Weimarer Republik, wurden die verbliebenen vier Kriegsministerien der Länder aufgelöst.

Im Zweiten Weltkrieg gab es nicht nur das Heer der Wehrmacht, sondern auch Luftwaffen-Felddivisionen und Verbände der Waffen-SS, eingegliedert in die Armeen des Heeres. Und im Kalten Krieg standen sich zwei deutsche Heere in antagonistischen Bündnissen gegenüber, entlang der innerdeutschen Grenze. Was allen diesen Formationen allerdings gemeinsam ist: In ihnen dienten deutsche Soldaten.

Deshalb ist heute dieses Ehrenmal ein Gedenkort des Heeres der gesamtdeutschen Bundeswehr für die Gefallenen früherer Heere in beiden Weltkriegen, fünfeinhalb Millionen, und auch für die Toten der Bundeswehr in ihren Einsätzen seit 1990.

Tapferkeit heißt nicht, keine Furcht zu haben

Für das Vaterland zu sterben, für Kaiser oder Führer, ist nicht an sich eine Ehre. Dieser Gedenkort ehrt nicht die Kriege und ihre Zwecke, schon gar nicht die Abart des mörderischen Vernichtungskrieges. Sondern er erinnert an die Menschen, deutsche Soldaten, die tapfer waren, die fielen – und deren weiteres Leben ungelebt blieb. Ihrer gedenken wir heute, wenige Tage vor dem Volkstrauertag. Und wir gedenken der zig Millionen militärischen und zivilen Opfer beider großer Kriege weltweit.

Tapferkeit heißt nicht, keine Furcht zu haben. Sondern die ganz natürliche Furcht vor dem Sterben zu überwinden. Bis hin zur Aufopferung des eigenen Lebens. Das verlangt auch die Bundeswehr von ihren Soldatinnen und Soldaten. Sie schwören, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Ohne den Willen zur Tapferkeit kein Heer und keine Wehrhaftigkeit!

Wehrhaftigkeit ist heute das Gebot der Stunde. Wenn wir Freiheit und Demokratie erhalten wollen, müssen die Feinde von Freiheit und Demokratie wissen, dass wir bereit sind zu kämpfen. Und dass wir kämpfen können. Und dass sie uns nicht besiegen werden.

 

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Gegen Ende seines Lebens sagte der Philosoph Karl Popper, 1992: „Es gibt eine Paradoxie im Wohlergehen der Menschheit: Das Wohlergehen der Menschheit beruht auf einer wirklichen Wachsamkeit gegen eine Menge Gefahren. Aber das Wohlergehen vernichtet auch die Wachsamkeit. Die Freiheit wird leicht zu etwas Selbstverständlichem. Das bedeutet, dass man dann eben wieder einem Diktator zum Opfer fällt.“

Popper konnte zu uns sprechen, weil er den Nazi-Terror überlebt hatte, er war 1937 ins Exil gegangen. Ein großer Teil seiner Familie aber wurde im Holocaust ermordet – ungelebte Leben. Auch deutsche Soldaten haben teilgenommen an dem, was Hitlers Schergen „Endlösung“ nannten. Aus dem Befehlsbereich der Heeresgruppe Süd ist die Judenvernichtung auf der Krim umfassend dokumentiert. Sie war Gegenstand eines Kriegsverbrecherprozesses.

Bundeswehr ist auf neuem ethischen Fundament gegründet worden

Ein Beispiel: Am 7. Dezember 1941 meldet die Ortskommandantur der Wehrmacht aus Kertsch an die vorgesetzte Feldkommandantur 810, das Korück 553 und die 11. Armee des Generals von Manstein, Zitat: „Die Exekution der Juden, etwa 2500 an der Zahl, wurde am 1., 2. und 3. Dezember vollzogen. Mit nachträglichen Exekutionen ist zu rechnen, da ein Teil der jüdischen Bevölkerung flüchtete, sich versteckte und erst aufgegriffen werden muss.“

Das klingt geschäftsmässig, bürokratisch – barbarisch. Und weil die Soldaten irgendwie selbst spürten, dass sie mit dem Befolgen ihrer Befehle Verbrechen begingen, strichen sie in der Meldung das Wort „Exekution“ und ersetzten es durch „Umsiedlung“. Deshalb – damit nie wieder ein deutscher Soldat sagt: „Ich habe doch nur Befehle ausgeführt“, ist die Bundeswehr auf einem neuen ethischen Fundament gegründet worden. Es heißt „Innere Führung“.

Ernstfall 2023 heißt: Bündnisverteidigung

Die Innere Führung ergänzt die Äußere Führung. Äußere Führung ist Befehl und Gehorsam. Innere Führung aber bedeutet, dass jeder Soldat und jede Soldatin in sich selbst einen Kompass haben muss für Richtig und Falsch, für Recht und Unrecht, für Gut und Böse. Man kann diesen inneren Kompass Gewissen nennen oder Haltung. Jedenfalls geht es um Selbstverantwortung. Verantwortung, wie sie die Heeresoffiziere und ihre zivilen Mitverschwörer vom 20. Juli 1944, spät, aber unsagbar tapfer für Deutschland übernommen haben.

In letzter Instanz ist jede einzelne Soldatin und jeder einzelne Soldat heute unsere Garantie dafür, dass deutsche Streitkräfte nie wieder missbraucht werden. Ich habe das Beispiel Krim gewählt, weil es gegenwärtig wieder die Ukraine ist, die mit Krieg überzogen wird. Russlands brutaler Überfall auf das Nachbarland muss für uns nun wirklich eine Zeitenwende einleiten. Afghanistan war gestern. Der Ernstfall 2023 heißt: Bündnisverteidigung.

Jedem muss klar sein: Wir haben in Deutschland und Europa nicht mehr Jahrzehnte lang Zeit, an unserer Verteidigungsfähigkeit herumzubasteln. Wir müssen fertig werden! Nur reale, präsente Stärke schreckt ab. Und wir dürfen uns nicht an diesen schon 620 Tage andauernden Krieg gewöhnen.

Solidarität mit Israel und der Ukraine

Vor 80 Jahren waren es die Deutschen, deren Front vier Mal hin und her verheerend auch durch diesen Teil der damaligen Sowjetunion rollte. Ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung fand in dem Grauen des Nazi-Vernichtungskrieges den Tod: Soldaten, Kriegsgefangene, Juden, Zwangsarbeiter, Partisanen, Verhungerte. Deshalb kann es gar nicht anders sein, als dass unser freies, demokratisches Deutschland heute eine besondere Verantwortung für das Überleben der Ukraine hat. 

In den Schützengräben an der Front des heutigen Krieges stoßen ukrainische und russische Soldaten immer wieder auf Gebeine von Gefallenen des damaligen Krieges. Sie graben Stellungen in der gleichen Geografie wie die Generationen unserer Väter und Großväter. Mein ältester Onkel, gefallen 1942, liegt noch weiter weg, irgendwo im Kaukasus. Es war ein Wahnsinn, damals! Es ist ein anachronistischer Albtraum heute, im 21. Jahrhundert! Um den zu beenden, müssen wir weiter helfen und ausbilden und liefern und das globale Lager der Freiheit zusammenhalten.

Machen wir uns nichts vor: Deutschland ist die zweitwichtigste Demokratie der Welt, die viertgrößte Volkswirtschaft – auf uns kommt es mit entscheidend an. Das gilt selbstverständlich auch für die Solidarität mit Israel. Keine Äquidistanz, kein „Ja, aber“, keine „Umsiedlung“, nie wieder!

Für das Gute kämpfen

In seiner letzten Botschaft an die in Berlin tagende Sozialistische Internationale schrieb Willy Brandt 1992, noch voller Optimismus: „Unsere Zeit (…) steckt wie kaum eine andere zuvor voller Möglichkeiten – zum Guten und zum Bösen. Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft (…)!“

An diesem Ort, am Ehrenmal des Deutschen Heeres, wo das Nachdenken über das Gute und das Böse so nahe liegt, besinnen wir uns auf unsere Kraft, für das Gute zu kämpfen, im Innern und nach Außen! Es wird nötig sein.

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Bernd Windisch | Mi., 8. November 2023 - 15:54

Wer nach Deutschland hinein will braucht keinen Panzer. Das Wörtchen Asyl reicht völlig aus.

Bernd Windisch | Mi., 8. November 2023 - 15:55

Es war ein Wahnsinn, damals! Es ist ein anachronistischer Albtraum heute, im 21. Jahrhundert! Um den zu beenden, müssen wir weiter helfen und ausbilden und liefern und das globale Lager der Freiheit zusammenhalten.

Ingofrank | Mi., 8. November 2023 - 15:59

welches nicht fähig ist, sein Territorium zumindest für einen festgesetzten Zeitraum zu verteidigen, hat meiner Meinung nach den „Status“ als selbstständiger Staat oder als selbstständiges souveränes Land verloren.
MIT freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Jens Böhme | Mi., 8. November 2023 - 16:29

Kertsch war der Vorläufer der Ermordung der Juden und Roma auf der Krim. Mitte Dezember 1941 dann das "Simferopol-Massaker", welches eindrucksvoll die Verflechtung der Wehrmacht bei der Judenvernichtung verdeutlicht. Befelshaber der 11.Armee war Erich von Manstein.

Henri Lassalle | Mi., 8. November 2023 - 17:04

wie eine Regierung seine Armee derart herunterwirtschaften konnte wie Deutschland, dabei ist das Militär eine absolut notwendige, ehrenvolle und noble Institution. Und so notwendig wie nie zuvor !

Uli | Do., 9. November 2023 - 08:45

Seit Beginn der BRD sind hunderte Soldaten (Gleichberechtigung sein Leben zu geben gibt es nicht) gestorben. Nicht einer davon für die Verteidigung des "Vaterlandes". Der deutsche Soldat stirbt für die Interessen anderer Länder.

Heidemarie Heim | Do., 9. November 2023 - 09:37

Wie wahr! Doch warum konnten die Regierungen von Abschaffung der Wehrpflicht bis zum Mangel an Socken die Verteidigung unseres Landes so runterrocken? Weil die linken Friedensfreunde "Frieden schaffen ohne Waffen" und "Soldaten sind Mörder" die Gesellschaft, wie sagt man heute so schön?, "mitgenommen" haben. Bloß keine Uniform, Fahne, Marschmusik, Paraden oder Vereidigung vor großem Publikum. Der seine Wehrpflicht ableistende Schütze Ar... tat noch vor nicht allzu langer Zeit gut daran auf dem Weg ins freie Wochenende oder bei Verlassen der Kaserne seine Uniform im Spind zu lassen. Heute scheint sich das Ansehen etwas zu verbessern jedoch das Misstrauen (Nazi) blieb. Wie vernachlässigbar das Thema Wehrhaftigkeit war zeigte sich mehr als deutlich in der Wahl von Verteidigungsministern/innen!, die es teilweise noch nicht mal für nötig hielten aus dem Kampf zurückgekehrte Truppen in der Heimat willkommen zu heißen o. das Wort Krieg beim Einsatz in Afghanistan in den Mund zu nehmen! MfG