Emmanuel Macron und Angela Merkel
Macron, Merkel: Hübsche Verpackung für eine bittere Medizin / picture alliance

Aufruf von Emmanuel Macron - Projekt „Festung Europa“

Emmanuel Macron hat sich mit einem Brandbrief an die europäischen Bürger gewandt. In seinen Vorschlägen ist viel von Weltoffenheit und Werten die Rede. In Wahrheit geht es eher um das Gegenteil, auch um eine Absage an die Willkommenskultur von Angela Merkel

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es kommt eher selten vor, dass sich der Regierungschef eines europäischen Staates nicht nur direkt an seine eigenen Landsleute wendet, sondern an die „Bürgerinnen und Bürger Europas“. Genau das hat Emmanuel Macron am vergangenen Montag getan, und es dürfte ihm klar gewesen sein, dass er sich damit auch einer Kritik aussetzen würde, die weit über Frankreichs Grenzen hinausreicht. Dass er es dennoch gewagt hat, spricht erst einmal für ihn – auch wenn man den pathetischen Ton, in dem sich ein wahrhaft karolingisches Selbstverständnis zeigt, befremdlich findet. „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig“, behauptet Frankreichs Präsident gleich am Anfang seines Appells. Um dann hinzuzusetzen: „Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.“

Anderes historisches Bewusstsein in Ungarn und Polen

Dieser geradezu endzeitliche Befund dürfte insbesondere in Mittel- und Osteuropa mit einer gewissen Verwunderung aufgenommen werden – zumal Macron ja ausdrücklich von „Europa“ spricht, vom ganzen Kontinent also (und nicht etwa nur von der EU). Und da ist das historische Bewusstsein in Ländern wie etwa Polen oder Ungarn eben doch etwas anders ausgeprägt als in Frankreich oder in (West-)Deutschland. Östlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs haben die Menschen den Kalten Krieg und den Sowjetimperialismus anders (und vor allem am eigenen Leibe) erlebt als die Bürger im Westen. Die französische Perspektive ist also keineswegs allgemeinverbindlich, und Macrons fast schon eschatologische Warnung lässt vermuten, dass insbesondere die derzeitige Gelbwesten-Bewegung deutliche Spuren am Gemütszustand des Hausherrn im Élysée-Palast hinterlassen hat.
 
Wenig Sensibilität für die Befindlichkeiten der „Bürgerinnen und Bürger“ zeigt Emmanuel Macron überdies, wenn er im Zusammenhang mit dem Brexit von einer „nationalistischen Abschottung“ spricht, die eine „Ablehnung ohne jegliche Perspektive“ bedeute. Dass die Brexiteers ihren Wahlkampf mit allerlei falschen Versprechungen geführt haben, ist die eine Sache. Das macht aber noch nicht jeden Briten, der für den Austritt seines Landes aus der Europäischen Union gestimmt hat, zu einem tumben und rückwärtsgewandten Nationalisten. Vielmehr ist es genau solch ein Paternalismus à la Macron, der viele Insulaner auf der anderen Seite des Ärmelkanals in ihrer EU-Skepsis bestätigen dürfte. Und das in Mittel- und Osteuropa verbreitete Gefühl, die EU sei vor allem ein von Deutschland und Frankreich dominiertes Elitenprojekt, ist mit dem Appell des französischen Präsidenten bestimmt auch nicht kleiner geworden.

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Ernst-Günther Konrad | So., 10. März 2019 - 11:36

es ist europäischer Nationalismus reinster Art. Und wer, wie die Briten nicht mitspielt, der wird zum "bösen" Nationalisten gebrandmarkt. Da ist jemand aus der EU-Mannschaft ausgetreten und jetzt wird nachgetreten. Gefährlich, was Macron da macht. Die Briten sind ein stolzes und selbstbestimmtes Volk. Sie haben auch gegen Hitlerdeutschland gekämpft und lassen sich nicht unterschwellig mit dessen Gedankenwelt vergleichen. Den meisten Bürgern ist dieser Brief sicherlich egal. Sie sind entweder pro EU oder kritisch. Es ist aber eine öffentliche Ansage an die anderen Regierungen. Wenn da mal der Schuß nicht nach hinten losgeht. Denn eigentlich ist dieses Schreiben eine versteckte Drohung an alle anderen Kritiker,solche die es wagen sollten aufzubegehren. Sie kommen sonst auch ins "rechte" Eimerchen. Ich bin gespannt, wie die Kritik an AM zur Migration hier politisch wieder verschwiegen und umgedeutet wird. Da können sich die Framingspezialisten mal komplett ausprobieren. Adieu Macron.

Gisela Fimiani | So., 10. März 2019 - 12:49

Macrons Agenda entspricht ebenfalls der Angela Merkels, sowie unserer „neuen Politikerklasse“. Letztere sehnt nichts mehr herbei, als den paternalistischen europäischen Superstaat, um sich der lästigen kritischen Bürger endlich entledigen zu können. In diesem Superstaat ist endlich die Anonymität verwirklicht, welche seine politische Kaste der Verantwortung und Verantwortlichkeit enthebt. Der Bürger wird endlich zum Nur-Gattungswesen Mensch, als welches er derzeit bereits betrachtet wird.

gabriele bondzio | So., 10. März 2019 - 19:58

Reden kann er gut. Aber der Zustand Frankreichs spricht nicht für seine Qualität.Der Held aus dem Nichts hätte genügend zu tun in seinem Lande die Wichtigkeit der Bürger ernst zu nehmen.
Seine Forderungen nach „gemeinsamer Grenzpolizei“ erstaunen mich schon. Ich weis ja nicht, wie das mit Frontex aussieht-ist das keine gemeinsame Grenzpolizei? Genauso einheitliche Asylregeln, berufen sich nicht unsere Politiker auf Brüssel in Sachen Asyl, wenn es um Grenzen oder Abschiebungen geht?
Nicht unser Kontinent steht an einem Scheidepunkt, sonder die Bürokraten der EU, die uns Werte verkaufen wollen, wo keine Werte sind,

Es ist zutiefst heuchlerisch, den "Zustand Frankreichs" Macron zuzuschreiben, so wie das jetzt Populisten und rechte Nationalisten überall in Europa aus leicht zu erkennenden Motiven tun. Frankreich ging es unter den Vorgängern Macrons keinen Deut besser, im Gegenteil. Tatsächlich versucht Macron, die französische Wirtschaft zu modernisieren - was ihm den Protest derer einbringt, die um ihre Pfründe fürchten. Ob seine neo-liberale Agenda allerdings die Früchte bringt, die man sich erhofft, muss man abwarten.
Es ist schlicht töricht, anzunehmen, Europas Zukunft könnte in nationalistischer Kleinstaaterei liegen. Gegen die Grossen (USA, Russland, China, in Zukunft auch Staaten wie Indien) wird jede europäische Nation, gleich ob Deutschland, GB oder Frankreich, wie ein Zwerg wirken und auftreten. Da hilft es auch nicht, sich ständig auf Bismarck, Churchill oder De Gaulle zu berufen und die eigene (tausendjährige) Vergangenheit zu glorifizieren.

Bernd Schiebener | Mo., 11. März 2019 - 08:12

Der größte Teil Europas liegt nicht in der EU. Was in eher in Gefahr sein könnte, ist sein Job der in der direkten Nachfolge von Sonnenkönig Ludwig XIV zu vermuten ist. Der EU Bürger hat von königlichen Herrschern ( weiblich/männlich ) die Nase gestrichen voll. Macron geht es in erster Linie um Frankreich und wie man die die deutsche "Wirtschaftskraft" anzapfen kann.

Jürgen Keil | Mo., 11. März 2019 - 11:09

Meinem Zeitgeist entspricht Macrons Agenda keineswegs. Wenn dieser anmaßende Franzose, entsprechend seines "Parteiauftrages" für die EU wirbt und die EU- Apokalypse an die Wand malt, wird er vielleicht bei rot-grünen Wählern, digitalen Nomaden und elitären Anywheres Anklang finden. Bei den sesshaften, wertschöpfenden Somewheres und den old white men eher nicht.