
- Hoffnungsträger im Realitätscheck
Joe Biden hat jahrzehntelange Erfahrung in der Außenpolitik. Die wird er auch brauchen, um die Arbeit seines Vorgängers auszubügeln: Welche Herausforderungen auf den nächsten Präsidenten der USA zukommen werden – und ob er sie meistern kann.
Die Glückwünsche für die Wahl ins Amt des Präsidenten hätten nicht herzlicher ausfallen können. Sie waren in der Summe ein Lobpreis auf Erfahrung, Kompetenz, Augenmaß und diplomatische Fähigkeiten des President-elect Joe Biden. Sie können auch als Gradmesser dafür genommen werden, was in den letzten vier Jahren in den transatlantischen Beziehungen schief gegangen und was am meisten vermisst wurde.
Es steht nicht gut um die transatlantischen Beziehungen, und einvernehmlich ist der Wunsch, dass wieder bessere Zeiten anbrechen mögen. Wie dies am besten gelingt, ist angesichts der gegenwärtigen Weltlage indes mehr als unsicher. Einig sind sich die meisten Analysten nur in der Auffassung, dass eine einfache Rückkehr zum Status quo ante Trump in den transatlantischen Beziehungen nicht möglich sei. Dafür haben in den vergangenen vier Jahren zu tiefgreifende Veränderungen stattgefunden.
Biden kennt sich aus mit Außenpolitik
Joe Biden gilt als sachkundiger Außenpolitiker, und dies gilt insbesondere auch für die Mitglieder seines außenpolitischen Teams. Gänzlich neue Gesichter, Überraschungen und Kurswechsel, wie wir sie aus den letzten Trump-Jahren zur Genüge (und zum Verdruss) kennengelernt haben, werden sich mit Biden voraussichtlich in Grenzen halten. Auch eine Einarbeitungszeit in die außenpolitischen Themen wird Joe Biden wohl kaum beanspruchen müssen.
Gerade in Europa hat er viele Freunde. Unter anderem ist er ein regelmäßiger Gast der Münchner Sicherheitskonferenz – und er war auch schon in den Zeiten dabei, als es unter Ewald von Kleist mit der alten Wehrkunde dort noch weniger Davos-artig zuging. Unter seinen Vorgängern der vergangenen 30 Jahre verfügte allein George W. Bush, der 41. Präsident der Vereinigten Staaten, durch seine Vorverwendungen – auch er war zuvor Vizepräsident gewesen – über ähnlich umfassende internationale Erfahrungen bei der Amtsübernahme.
Keine Zeit zu verschenken
Als Bush 1989 ins Amt kam, legte ein groß angelegter außenpolitischer Review das State Department lahm. Zeit für einen ähnlich ausführlichen Review ist heute nicht gegeben. Die Weltpolitik wird Biden keine Atempause schenken. Bidens Leitmotiv ist bereits aus seinen ersten Einlassungen als gewählter Präsident erkennbar. Außenpolitik beginnt zu Hause, sie ist immer auch zugleich Innenpolitik.
Je berechenbarer eine Nation im Inneren ist, je größer der Grundkonsens der Gesellschaft über wesentliche Fragen der politischen Orientierung, je ausgeprägter das Vertrauen in die Regierungsinstitutionen, je stärker die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, desto berechenbarer und konsistenter seine Außenpolitik.
Innenpolitische Baustellen
Amerika ist heute ein zutiefst gespaltenes Land. Weder hat die Wahl jene Progressisten bestätigt, die mit ihr den Trumpismus dauerhaft ins politische Jenseits befördern wollten. Noch hat sich jenes Schreckbild des konservativen Trumplagers durchsetzen können, dass Amerika mit Biden in Staatssozialismus und Niedergang gleiten würde.
Der Umstand, dass die Trennung der Nation entlang dieser beiden Linien verläuft, verheißt für die nächsten vier Jahre wenig Gutes. Bidens ganze Kraft muss folglich darauf gerichtet sein, die Einheit der Nation wiederherzustellen, und vor allem anderen wird er sich den drängenden innenpolitischen Fragen zuwenden müssen.
Außenpolitische Baustellen
Mit Biden wird Amerika gewiss wieder die alte Aufgabe als Hüter der liberalen Ordnung wahrnehmen, doch wird er kaum zu jenem Interventionismus zurückkehren, wie er für die amerikanische Außenpolitik unter Clinton und Georg W. Bush in den 1990er Jahren und kurz nach der Jahrtausendwende bezeichnend war.
Biden wird sich in eine Linie einreihen, die seit dem Ende des Kalten Krieges erkennbar ist. Wo Clinton und George W. Bush in ihrem Handeln noch von dem hehren Ziel geleitet waren, so etwas wie eine „New American Era“ könne verwirklicht werden, war Obama mit seinen Entscheidungen zur Truppenreduzierung in Afghanistan und der fatalen Politik der folgenlosen roten Linien (gegenüber Syrien) schon deutlich weniger ambitioniert.
Trump hingegen war nur in seiner Unberechenbarkeit berechenbar. Er glaubte an die Politik der großen Männer, die Geschichte machen, dachte dabei vor allem an sich selbst und hatte in Institutionen und langfristig angelegten Beziehungen kein Vertrauen. Mit Biden wird sich der außenpolitische Stil verändern.
Bidens neue alte Außenpolitik
Amerika wird zu dem zurückkehren, was immer für seine Außenpolitik leitend war: Dem Bekenntnis zu den transatlantischen Beziehungen, zur Domestizierung von Macht durch Recht und die Pflege der Bündnisse. Thema Nummer Eins auch für Biden bleibt China. Hier hat Trump die dauerhaftesten Pflöcke eingeschlagen.
Seit der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2017 wird China auch von den Vereinigten Staaten als Rivale anerkannt. Kann Biden in der Chinapolitik hinter Trump zurück? Dies würden ihm seine Wähler wohl kaum als Option abnehmen, und dies würde auch den nationalen Interessen des Landes widersprechen. Und doch muss Biden in seiner Chinapolitik künftig die Diplomatie noch stärker zum Zuge kommen lassen und alles in seiner Macht Stehende tun, um der Thukydidesfalle zu entkommen und gleichwohl die wirtschaftlichen und weltpolitischen Ambitionen des Reichs der Mitte einhegen.
Biden und Putin
Nach China bleibt Russland weiter ganz oben auf der politischen Agenda. Die Ambivalenz der Trump'schen Russlandpolitik wird ebenfalls passé sein. Biden steht für einen klaren, skeptischen Blick auf Putins Russland, der die langen Perspektiven miteinbezieht und keinen Illusionen über kurzfristige Deals anhängt.
Wenn die Europäer ihre Bedeutung als Partner in der Nordatlantischen Allianz und als Verbündeter der Vereinigten Staaten, denen wieder mehr Gewicht zugestanden wird, tatsächlich wahrnehmen wollen, dann bleiben ihnen in der Russland- und Chinapolitik Sonderwege versperrt.
Neue Interessenausrichtung
Europa muss zudem nicht nur erkennen, sondern auch danach handeln, dass es in der Sicherheitspolitik mehr auf den Tisch legen muss und dafür sorgen, dass die Träume von strategischer Autonomie jenseits des Atlantiks nicht missverstanden werden. Insgesamt wird Biden seine Außenpolitik stringenter als bei Trump an den nationalen – auch den wirtschaftspolitischen – Interessen Amerikas ausrichten.
Das Nordkorea-Dossier wird wohl neu bewertet werden, die Beziehungen zu Indien mit Blick auf den regionalpolitischen Einfluss Amerikas noch weiter nach vorne rücken. Die nukleare Bedrohung des Iran könnte nach einer größeren politischen Bestandsaufnahme zu operativen Kursänderungen führen, würde aber auch hier wohl keine vollständige Rückkehr zum Status Quo ante Trump bringen.
Wir sind nicht (mehr) der Nabel der Welt
Biden ist in der politischen Klasse Amerikas einer der wenigen Verbliebenen, die die Erfolgsgeschichte der Atlantischen Gemeinschaft als politisches Ziel auch durch ihre eigene Biographie verkörpern. Die Zeiten der von Trump so geschätzten verschärften Handelsauseinandersetzungen sind hoffentlich passé. Zu einer romantischen Sicht sollte uns dies nicht verleiten.
Wir leben, ob wir es wollen oder nicht, in einer posteuropäischen Welt. Europa ist aufgrund eines Mangels an innerer Einheit, eines wenig ausgeprägten politischen Willens und einer in Jahrzehnten verinnerlichten antimilitärischen Kultur der Zurückhaltung nicht der strategische und wirtschaftliche Partner der Vereinigten Staaten, der es gerne sein möchte.
Die strategische und operationelle Anpassung der Nordatlantischen Allianz, die Übernahme von weltpolitischer Verantwortung und eine grundlegende Reform der eigenen Strukturen und Fähigkeiten könnte für Europa zur Stunde der Wahrheit werden.