Bundeskanzler Olaf Scholz und Benjamin Netanjahu (r.), Ministerpräsident von Israel / picture alliance

Deutsche Nahost-Diplomatie - Solidaritätsbesuche reichen nicht

Russland und der Iran sehen den Krieg zwischen der Hamas und Israel als Gelegenheit, die regionale Ordnung mit Gewalt umzustürzen. Die Bundesregierung sollte es deshalb nicht bei Solidaritätsbesuchen in der Region belassen, sondern endlich ernsthaft an einer neuen Nahostpolitik arbeiten.

Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober war Bundeskanzler Scholz der erste Regierungschef, der Israel besuchte, um seine Solidarität auszudrücken. Dafür hatte er gute Gründe. Denn erstens wird die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson angesehen, auch wenn die Bundesregierung nie definiert hat, was das bedeutet.

Zweitens wollte er nicht noch einmal gedrängt werden, einem angegriffenen Staat zumindest diplomatisch beizustehen. Das lange Warten auf seinen Besuch in Kiew 2022 hatte ihm geschadet. Drittens mag man im Bundeskanzleramt bedacht haben, dass das öffentliche Auftreten mit Ministerpräsident Netanjahu mit der Zeit kontroverser betrachtet werden würde. Denn dass die öffentliche Solidarisierung mit Israel durch dessen Verteidigung gegen die Hamas Schaden nehmen würde, war abzusehen. 

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Kai Hügle | Do., 26. Oktober 2023 - 12:16

"Denn in der internationalen Politik provoziert Schwäche die Aggression der autoritären Staaten."

Diese Erkenntnis dürfte jenen Ciceronen, die über Kiew gerne die russische Flagge sehen würden, schwer vermittelbar sein. Umso wichtiger, dass Sie es versuchen.
Die Rolle Russlands und seiner Marionette, dem Giftgasdiktator Assad (Syrien), sowie der Einfluss des Iran wird hier leider nur am Rande erwähnt. Gänzlich fehlt der Hinweis auf die Türkei, deren autokratischer Präsident die Terrororganisation Hamas gestern als "Freiheitskämpfer" bezeichnete.

Elfriede Puhvogel | Do., 26. Oktober 2023 - 18:08

Antwort auf von Kai Hügle

... Hr. Hügle, fallen Sie doch bitte nicht auf die Polemik des Hr. Jäger herein. Der ist doch nur ein verblendeter Natosoldat und US-Lakai.
Wäre die politische Führung in der Ukraine seit 2008 nicht immer aggressiver gegen ihre russische Bevölkerung (28% Anteil) vorgegangen, hätte sie auch die Überreaktion der Russen nicht ausgelöst. Es gehören immer zwei dazu, der Provokateur und der Aggressor. Na und dann noch die US-Nato die dies alles gefördert hat. Also eigentlich 3 Beteiligte.
Andererseits ist es natürlich richtig das Schwäche Übergriffe provoziert, vor allen Dingen in den Regionen wo die eindeutige Zugehörigkeit umstritten ist.
Jedes Land muß sich selbstverständlich wehrhaft halten, um Übergriffe zu verhindern!
Aber schauen Sie mal auf Deutschland, wir geben und machen uns komplett wehrlos, jeder kann hier einmarschieren und machen was er will. Irgendwann werden wir von innen heraus durch muslimische oder andere Ethnien übernommen.
Vielleicht etwas länger und überlegter denken?

Kai Hügle | Fr., 27. Oktober 2023 - 12:38

Antwort auf von Elfriede Puhvogel

Nachdem Sie Herrn Prof. Jäger als „verblendeten NATO-Soldaten und US-Lakai“ bezeichnet hatten, habe ich aufgehört zu lesen. Verpasst habe ich wahrscheinlich nur noch mehr unsachliches Gestammel.
Verständlich, dass Sie solche Beiträge nicht unter Ihrem Klarnamen schreiben - und irgendwie auch ein gutes Zeichen, denn offensichtlich besteht noch ein Rest Schamgefühl bei Ihnen.

Tomas Poth | Do., 26. Oktober 2023 - 12:35

Hier einen Beitrag aus der BZ zur Kenntnis.
Worte von Yehoshafat Harkabi, ehemaliger Chef des israelischen Militärgeheimdienstes Aman, in den Jahren 1955 bis 1959.
Zitat:
"Ich verstehe, das der Zionismus das Ziel verfolgte, von einem anderen Volk die Kontrolle über ein Territorium zu erringen ..... ich verstehe den arabischen Vorwurf, das ihr Nationalbewusstsein ein Unrecht angetan wurde, doch ich verwerfe ihre Schlussfolgerungen daraus. ... Die Tragik der arabischen Position liegt darin, dass sie sich keine Behebung des einen Unrechts vorstellen kann als das Begehen eines noch größeren: Die Zerstörung des Staates Israel."
Es gab und gibt also durchaus ein Unrechtsbewusstsein gegenüber den Arabern innerhalb der jüdischen Gemeinde Israels.
Kann der Kanzler, oder andere aus der westlichen Welt, vielleicht diplomatisch dieses Nutzen, um daraus ein Pflänzchen der Hoffnung generieren und eine Aussöhnung bis hin zum Frieden erwirken?
Es darf nicht so weitergehen wie die 75 Jahre zuvor.

Keppelen Juliana | Do., 26. Oktober 2023 - 17:25

Antwort auf von Tomas Poth

und außerhalb jüdische Bürger die den Umgang Israels mit den Palästinesern schon immer scharf kritisierten und kritisieren allerdings haben die Netanjahuzöglinge die Deutungshoheit. Dass das Massaker eine brutale verabscheuungswürdige Tat war steht ausser Frage und dass die Verantwortlichen bestraft werden müssen genauso eine Selbstverständlichkeit. Ebenso ist das Existenzrecht Israels eine Selbstverständlichkeit und bedarf keiner weiteren Diskussion das heißt aber nicht, dass man nicht kritisieren darf wenn es etwas zu kritisieren gibt und Missstände nicht anprangern darf wenn es Missstände gibt.

Karla Vetter | Do., 26. Oktober 2023 - 19:43

Antwort auf von Tomas Poth

Sie wiederholen sich!

Walter Bühler | Do., 26. Oktober 2023 - 12:58

Viele professionelle Ratgeber reden wie die Blinden von der Farbe, aber immer so, dass die Beratenen, die Politiker, genau das zu hören bekommen, was sie hören wollen. Deswegen ist meine Achtung vor denen, die die jetzige Politikergeneration ausgebildet haben und beraten, nicht besonders hoch. Jede Talkshow bestätigt obendrein mein Vorurteil.

Ihr letzter Absatz lässt mich aber aufhorchen: "Die Bundesregierung sollte ... endlich ernsthaft an einer Politik arbeiten, wie das regionale Umfeld der EU ihren Interessen nicht diametral entgegenläuft. Wenn jetzt Europa nach außen stärker abgeschirmt wird, ist das auch Folge einer Politik, die sich nie ernsthaft um die Gestaltung der Nachbarregionen bemüht hat. Und die darauf verzichtet hat, sich für eine international effektive Einflussnahme auszurüsten."

Ein kritisches Wort an die Obrigkeit, von einem Politikwissenschaftler, sogar von einer Universität!

Schön wäre es, wenn die Augen offen blieben!

Und dem Volk mal aufs Maul schauen!

Hans Jürgen Wienroth | Do., 26. Oktober 2023 - 13:04

Während „der Westen“ (zumindest USA und EU) die Autokratien mit „Entwicklungshilfe“ unterstützen (und somit auch die Bewaffnung mit finanzieren) liefern die Autokratien (Russland, China, Iran etc.) die Waffen. Das zeigt sich auch im Nahen Osten, wo USA und EU sich intensiv um die Bevölkerung in Palästina sorgen, während die anderen die Aufrüstung übernehmen. Dafür kommen alle „Flüchtlinge“ in die USA und die EU. Wer sonst will schon Menschen aufnehmen, die tw. in gewalttätigen Autokratien aufwuchsen und unter denen ggf. Terroristen sind?
Der Westen sollte, statt unter Vernachlässigung eigener Interessen weiter Geld und Ausrüstung in die „Dritte Welt“ zu exportieren, seine eigene Verteidigungsfähigkeit wiederherstellen. Mit der ist es nämlich in der gesamten Nato (incl. USA) nicht zum Besten gestellt. Diese Abwehrschwäche und die grenzenlose Menschlichkeit bis zur Selbstaufgabe führten und führen zu der hier beschriebenen Lage.

Albert Schultheis | Do., 26. Oktober 2023 - 15:54

Müsste sich Israel auf unsere Solidarität verlassen, wäre Israel dem Untergang geweiht. Deutschland kann sich nicht einmal selber vor der Hamas und den Allahu akbar-Messerbuben schützen! Auch wir erleben die Massaker - in dosierter Form - jeden Tag! Seit 8 Jahren!
"Russland und der Iran sehen den Krieg zwischen der Hamas und Israel als Gelegenheit, die regionale Ordnung mit Gewalt umzustürzen." - Und da ist sie wieder - neu belebt und wieder aufgeblasen! Die Hetze gegen Russland! Kaum ist der Krieg in der Ukraine verloren, schon wird der neue Schauplatz aufgemacht - diesmal im Nahen Osten und diesmal ist der Iran dabei. Es gibt zwar keinerlei Beweise, dass Putin und die Mullahs sich in irgendeiner mit der Hamas verabredet hätten (die Waffen kommen wohl diesmal eher von Selenskyjs Unterhändlern - man muss ja für die Zeit nach dem verlorenen Krieg sorgen!). Aber es ist wohl zuallererst im Interesse Joe Biden, dieses neue Szenario aufzumachen. Der Mann braucht schnell irgendeinen Erfolg!!

Und schon fliegen die Amis wieder Angriffe und bombardieren Stellungen in Syrien. In Syrien! Syrien hat sich bisher vollständig aus dem Hamas-Gemetzel herausgehalten. Es ist genau das, was ich vorausgesagt hatte: Hinter der Fassade der Solidarität mit Israel, wird die USA immer nur versuchen, die eigenen sinistren Interessen zu verfolgen! Der alte Hass auf Assad, auf Syrien - dem einzigen laizistischen Staat in der ganzen Region! Dabei unterhalten die USA auf syrischen Boden Stützpunkte gegen jedes internationale Recht! Was haben die dort zu suchen? Internationales Recht gilt eben nur für Russen, nicht für Amerikaner. Es ist, wie ich es befürchtet habe: die USA suchen sich wieder mal einen neuen Schauplatz aus, wo sie neues Chaos, Elend und Gewalt anrichten können. Es fehlt nur noch der Angriff auf den verhassten Iran. Dann haben wir den nächsten Weltkrieg.
Deutschland hat angeblich die dümmste Regierung der Welt - sie wird nur noch unterboten durch die niederträchtigste in Washington!

Keppelen Juliana | Do., 26. Oktober 2023 - 17:30

sich ganz von der Nahostpolitik fernhalten würde denn bisher waren die Einmischungen nicht gerade ein Renner. Zumal die EU sich weltweit eher zur Lachnummer entwickelt hat und als Zwergpinscher an der Leine von Uncle Sam degradiert hat. Von welchem größeren Player wird den die EU noch ernst genommen? Das ist eine ernste Frage.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 27. Oktober 2023 - 07:51

Machen wir uns alle nichts vor. Wer in der EU, welcher Staat soll das sein, auch die BRD nicht, hat sich jemals länger Gedanken zum Konflikt im Nahen Osten gemacht als für den Moment, wo da gerade mal wieder was los war. Sobald kriegerische Akte sich beruhigt hatten, irgendwie halbwegs wieder Ruhe eingekehrt war, kümmert sich jeder wieder um sich selber. Von der EU zu erwarten, eine gemeinsame Außenpolitik auch beim Thema Naher Osten zu gestalten ist naiv. Derzeit 27 Staaten verfolgen nach wie vor, wenn es darauf ankommt, ihre eigenen Interessen. Und wer in D sollte da als Diplomat, als großer Denker im Sinne eines Genschers ehrlich und glaubhaft als möglicher Schlichter auftreten? Baerbock und die grünen Weltenretter? Olaf der Vergeßliche? Im Moment ist scheinbar alternativlos Unterstützung für Israel angesagt, Kritiker werden sofort als Antisemiten bezeichnet. Wie soll ein Dialog entstehen, wenn man sich inhaltlich nicht dem gesamten Konflikt zuwendet, sondern nur das Massaker sieht.