Jürgen Weber mit seinem Hund
Ausblick nach 16 Jahren Arbeitslosigkeit: Jürgen Weber fängt neu an / Anja Lehmann

Sozialreform-Debatte - Tschüss, Hartz IV

Eine Klage beim Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Hartz IV-Sanktionen entfachte eine neue Diskussion über diese Art der Sozialhilfe. Die damalige SPD-Chefin Andrea Nahles wollte sie ganz abschaffen. Dabei verbucht die Wirtschaft sie als Erfolg. Aber sind die Hartz IV-Reformen das wirklich? Ein Text aus der Januar-Ausgabe.

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Er hat es geschafft. Dabei hatte Jürgen Weber die Hoffnung schon aufgegeben, dass ihm das Jobcenter je einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln würde. So, wie er von Hartz IV spricht, klingt es, als rede er nicht von Arbeitslosigkeit, sondern von einer heimtückischen Krankheit, die sich schleichend ausbreitet und nach und nach den ganzen Körper lähmt. Aber seit einem Monat hat er es schwarz auf weiß: Jürgen Weber, 59, gelernter Tischler, zuletzt als Müllmann beschäftigt und seit 2002 arbeitslos, ausgemustert mit einer kaputten Schulter, ist jetzt als Wachmann angestellt bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten.

Weber lächelt. Auf dem Tisch in seiner Stube liegt noch der Ordner mit dem Wissen, das er sich für die Prüfung eingebimst hat: Waffenrecht. Sicherheitsbestimmungen. Objektschutz. Es ist nicht der Job, von dem er geträumt hat. Nachts arbeiten. Streife laufen in Schloss Sanssouci. Der Job, sagt er, sei für ein Jahr befristet, „die Bezahlung scheiße“. Er verdient 10,10 Euro brutto die Stunde, etwas mehr als der Mindestlohn. Aber nach etwa 1000 Bewerbungen in 16 Jahren und sieben Vorstellungsgesprächen ist dieser Job für ihn der Jackpot. Was Jobcenter nicht vermochten, hat er selbst gefunden. Und das macht ihn besonders stolz. Es ist sein Sieg über das System. Raus aus Hartz IV.

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Yvonne Walden | Do., 3. Januar 2019 - 09:54

Was "die Wirtschaft" als Erfolg verbucht, ist für uns Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fast immer von Nachteil.
Denn wenn aufgrund von Steuersenkungen und Einsparungen die Gewinnmarge bei den Unternehmen steigt, kommt diese Gewinnsteigerung so gut wie ausschließlich der Kapitalseite, also den Aktionärinnen und Aktionären (bei Aktiengesellschaften) zu gute. Dabei werden die besagten Gewinne überwiegend von uns Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern "erwirtschaftet". Warum also werden wir nicht ebenfalls an der Gewinnausschüttung beteiligt? Wir gelten bekanntlich als "Kostenfaktoren", deren Lohn- und Gehaltshöhe nach Möglichkeit ebenfalls abgesenkt werden sollte, denn auch das läßt die Gewinne sprudeln. Gerade auf diese betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge sollte auch CICERO immer wieder hinweisen.

Ja, und zwar auf fernöstliches, asiatisches Niveau, verschleiert unter dem Oberbegriff "Globalisierung". Problem ist nur, dass wir hier auf Arbeitnehmerseite ein (noch) viel höheres Aufwandniveau haben als in Asien. Und dieses Aufwandsniveau wird durch hiesige politische Entscheidungen immer weiter steigen als dass dieses fallen wird. So wird dann auf Arbeitnehmerseite Vermögen und Besitz peu à peu zerstört und unsere Industrie bleibt "Wettbewerbsfähig" d.h. deren Gewinne und Vermögen vergrößern sich. Begonnen hat diese Entwicklung der "Genosse der Bosse" und und diese findet bis heute Fortsetzung. Leider ist es im richtigen Leben so, dass zu allem immer zwei gehören. Einer der macht und einer der machen lässt. Und so wird es hier leider bleiben wie es ist. Besonders die sPD wird ihrer frühere Klientel durch welches Geschwafel auch immer nicht weiter täuschen können.

das vordergründige Ziel von Hartz war und ist, eine arbeitgeberfreundliche Masche zu finden (Niedriglohn-Sektor), auch um Investoren zu gefallen. Ex-Kanzler Schröder hat ja 2005 in Davos stolz darauf hingewiesen, dass Deutschland nun günstige (das heisst niedrige) Löhne anbieten kann. Darüber hinaus ist Hartz, und das mag "typisch deutsch" sein, ein Zwangs-und Kontrollsystem, eine kalte Mechanik, die den Arbeitslosen zum willenlosen Objekt des Arbeitsmarktes machen soll. Ein Problem besteht aber darin, dass Arbeitgeber nur ungern bei Jobcentern wegen Personal anfragen - Hartz ist nun einmal ein Stigma, das aber die Gesellschaft toleriert. Wenn man einen Afrikaner "Neger" nennt, kann man unter Umständen juristische Probleme bekommen, dagegen ist eine Etikettierung wie "Harzer" anscheinend problemlos.

Ernst-Günther Konrad | Do., 3. Januar 2019 - 10:14

Die SPD hat es versäumt, nach Harz IV und seinen ersten praktischen Erprobungsphasen, die Inhalte weiter fortzuschreiben. Warum wurde kein Konzept entwickelt, gerade ältere ausgebildete und berufserfahrene Menschen, die ihren Job verlieren, gemeinsam mit der Wirtschaft dahingehend einzugliedern, so dass sie ihr Wissen als "Praxisausbilder" bei Teilung der Kosten für die in Höhe der vorherige Entlohnung in der Arbeitswelt den "Jungen" weitervermitteln? Warum wurde gerade jungen Menschen ohne Schulausbildung nicht konsequent die Leistungen nur dann zugesprochen, wenn sie bereit sind Schulabschlüsse nachzuholen und in einen Ausbildungsberuf danach zu gehen? Warum wurde im sog. Billiglohnsektor nicht nachgesteuert und verhindert, das sich die Wirtschaft qualifizierte Arbeit für Hartz IV-Bezüge verrichten lässt? Warum wurde nicht deutlich und klar gemacht, dass es grundsätzlich nur Geld gegen Leistung gibt? Die Zeilen reichen nicht.
SPD - wer nochmal? Areiterpartei? Kenne ich nicht.

gabriele bondzio | Do., 3. Januar 2019 - 10:52

Job befristet, „die Bezahlung scheiße“, dazu bis vor das Bundessozialgericht gezogen, um ihn sich zu erstreiten."...das sind schon harte Fakten. Auch das dieser Job, trotz der unübersehbaren Mühe, keine Garantie verspricht. Frau Nahles, bei der nach Steuern/Ausgaben das Vermögen grob auf 1,2 bis 1,5 Millionen Euro geschätzt wird: https://gehaltsreporter.de/promi_gehaelter/politik/andrea-nahles/ Auch wenn sie weitere Fehler im Amt produziert, muss sie sich keine Sorgen um ihre Rente machen. Der Jackpot war ihr immer sicher. Ihr Satz im Interview /Spiegel: „Da muss sich niemand Sorgen machen, denn wir wollen etwas ganz anderes als Linkspartei und Grüne.“ Die SPD,in einem beispiellosen Sinkflug. Weil ihr „wollen“ schon immer aus dem „können“erwuchs. Sollte mit Versprechungen vorsichtig sein, die in der sich abzeichnenden wirtsch./politischen Lage weltweit, untergehen könnte.

dieter schimanek | Do., 3. Januar 2019 - 11:08

Sie nennen selbst die Zahl 4,3 Millionen Hartz 4 Bezieher, also Arbeitslose. Dazu kommen noch 1,1 Millionen Arbeitslosenempfänger von ALG 1, macht zusammen = 5,4 Millionen Arbeitslose. Wir brauchen aber angeblich jede Menge Arbeitskräfte. Spurwechsel, Einwanderung ohne Deutschkenntnisse und Schulabschluß. Wer da nicht erkennt, daß es nur um Lohndrückerei geht muß blind sein. Kann man übrigens bei Karl Marx schon nachlesen, soviel zu unseren linken Parteien. Asozial und neoliberal.

Fritz Gessler | Do., 3. Januar 2019 - 11:22

die 2 millionen plus seit 2015 eingewanderten nicht. it's simple as that. und genauso simpel, dass die grenzen von frau merkel weit geöffnet wurden - keine 3 monate nach einführung des mindestlohnes... der wirtschaftliche erfolg deurschlands beruhte IMMER auf import billiger arbeitskräfte (sogar schon zu kaisers zeiten: polen haben das ruhrgebiet zur kohlegrube/stahlschmiede gemacht. nach '45 3 milionen qualifizierte flüchtlinge aus der SBZ/DDR zu den 6 millionen vertriebenen. nach dem mauerbau: import von gastarbeitern aus türkei, italien, jugoslawien. deutsches kapital braucht immer lohndrücker. hartz Iv war der erste gfrossversuch, eine arbeitslosenreservearmee im eigenen land zu schaffen: und es war eine ROT-GRÜNE regierung.

Brumo Raab | Do., 3. Januar 2019 - 18:54

Ohne Hartz 4 müsste ich mir eine Arbeit suchen und könnte nicht mehr in München wohnen. Will Frau Nahles und die SPD das wirklich?

Jens Winkelmann | Fr., 4. Januar 2019 - 01:39

Wer Hartz IV abschaffen will, soll erstmal sagen was danach kommen soll. Habecks bedingungsloses Grundeinkommen ist reiner Populismus. Will er es nicht mit dem Verbot von Cum-Ex-Geschäften finanzieren? Ich kann mir in der heutigen Zeit keine seriöse Finanzierung vorstellen. Die Grünen haben Hartz IV mitbeschlossen, aber die Prügel bekommt alleine die SPD. Haben die Grünen nicht auch mitbeschlossen den Hambacher Forst zu roden? Das Prinzip "Fordern und Fördern" war richtig und bleibt richtig. Auf dieser Grundlage sollte Hartz IV weiterentwickelt und Fehler korrigiert werden. Die SPD hätte schon längst eine Agenda 2020 oder 2030 entwickeln sollen, anstatt rückwärtsgewandt die eigenen Erfolge öffentlich zu zerreden.
Übrigens: Schröder hatte 2005 bei seiner Niederlage immerhin noch 34,2% gegenüber der Union mit 35,2%.

Holger Stockinger | Fr., 4. Januar 2019 - 02:49

machten mal eine "Harz-Reise".

Dass im Hartz-System jetzt eine Million "geschenkte Menschen" (die Grüne Abgeordete Göring-E.) sich bestens "Fühlen", ist natürlich auch kein Witz.

Der "deutsche" Arbeiter wohnt offenbar schon länger hier, um so dämlich zu sein, weiter SPD zu wählen.

30 % GRÜNE werden auch keinem frau/man ARBEIT ersparen. Ohne Pass ins deutsche Schlaraffenland - "der grüne Traum der Angela Merkel" wird Einheimische wie Nachfahren eventuell mehr Kosten bescheren als Heinrich Heine in Paris dachte ...

(Cit.: Denk ich an Deutschland in der Nacht ...)

Guido Schilling | So., 6. Januar 2019 - 19:37

Antwort auf von Holger Stockinger

ca. 60 Mio Einwohner gelten als Deutsche, davon sind rund 3,9 Mio Hartz4-Bezieher. Die restlichen hier lebenden 22 Mio sind Ausländer. Davon erhalten 2,1 Mio auch Hartz4-Leistungen. Ein großer Anteil der Zuwanderer ist in o.a. Einwohnerzahl noch nicht enthalten und bezieht ebenfalls Sozialleistungen. Noch Fragen? (quelle NWZ 5./.6.2019

Bernd Muhlack | Fr., 4. Januar 2019 - 14:40

… lasse ich jetzt mal besser außen vor; außerdem kenne ich sie nicht.
Eine meiner Bekannten ist seit Februar 2018 arbeitslos; das kleine Unternehmen wurde dicht gemacht. Mittlere Reife, Bürokauffrau und inzwischen knapp 40 Jahre Berufserfahrung; 58j jung. Sie war immer eine Verfechterin von Hartz 4 und Sanktionen. Nein, sie findet keinen neuen, adäquaten Job, trotz immenser Berufserfahrung.
So allmählich geht ihr der "Arsch auf Grundeis" (sorry), da sie ob diverser Ersparnisse und einer Eigentumswohnung niemals Hartz 4 erhalten wird; es sei denn sie verprasst alles zeitnah (oder schenkt es mir?) Das größte Problem: sie wäre nicht mehr krankenversichert!
Ein in jeder Hinsicht perfektes System, nicht wahr?
… also 40 Jahre gearbeitet, Steuern und Abgaben gezahlt!!!
Das frühere, abgestufte System des Leistungsbezugs gemäß Lebensarbeitszeit fand ich gerechter.
Nichts gegen Beamte (jeder sollte einen haben!), jedoch werden diese NIEMALS in solch eine Bredouille kommen, nicht wahr?