Hauptbahnhof in Frankfurt am Main / dpa

Neue Strukturen notwendig - Wie die Deutsche Bahn besser gesteuert werden könnte

Die Deutsche Bahn AG ist in eine tiefe Krise gerutscht. Der Bund als Eigentümer hat keine Ziele festgelegt. Außerdem sind die Instrumente der Steuerung des Staatskonzerns unklar. Doch viele Probleme werden öffentlich kaum diskutiert.

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Thomas Ehrmann ist Professor am Institut für Strategisches Management der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und lehrt Wirtschaftswissen- schaften. Er war Referent im Bundeswirtschaftsministerium und hat als Berater für die Bahn und private Verkehrsanbieter gearbeitet.

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Christian Böttger war in verschiedenen Funktionen für die Bahn und für Siemens tätig. Seit dem Jahr 2000 ist er an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin Professor für Wirtschaftsingenieurwesen. 

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Nach gängiger Einschätzung begann die Fehlentwicklung der Deutsche Bahn AG vor etwa zwanzig Jahren mit der Vision des DB-Managements, einen internationalen, börsennotierten Mobilitäts- und Logistikkonzern zu schaffen. Zur Finanzierung des internationalen Wachstums wurden die Gewinne der Bahnsparten in Deutschland genutzt, diesen wurde ein rigider Sparkurs auferlegt. 

Durch den Verkauf von Vermögenswerten (Immobilien, Fährbetrieb, Datennetz) wurde eine weitere Milliarde Euro generiert. Mit diesem Geld wurden internationale Beteiligungen im Bereich Logistik und Mobilität zugekauft; allein in den Nuller-Jahren für über 5 Mrd. Euro. Die Wachstumsziele wurden nach dem Scheitern des Börsenganges beibehalten. 2012 präsentierten Vorstandschef Rüdiger Grube und sein Finanzchef Richard Lutz das Ziel, bis den Umsatz bis 2020 von 40 Mrd. Euro auf 70 Mrd. Euro zu steigern, überwiegend durch weitere Firmenkäufe. Dem Bund als Eigentümer wurden dabei deutlich steigende Gewinne in Aussicht gestellt. 

Tatsächlich gingen die Gewinne seit 2012 stetig zurück. 2015 musste der Konzern einige Auslandsbeteiligungen wertberichtigen und deshalb erstmals einen Milliardenverlust ausweisen. Auch in den Folgejahren kündigte die Deutsche Bahn (DB) steigende Gewinne an, die jeweils nicht erreicht wurden. Die Corona-Pandemie schließlich lieferte eine bequeme Begründung für rote Zahlen. 2020 musste die DB AG fast 2 Mrd. Euro Verlust für die internationale Sparte Arriva ausweisen, nachdem Arriva in England ein großer Vertrag wegen Schlechtleistung entzogen worden war. Wegen der hohen Corona-Verluste fiel dies kaum öffentlich auf. 

Seit Jahren in den roten Zahlen

Auch 2022 wurden noch Verluste ausgewiesen, für 2023 sind wiederum Verluste in Aussicht gestellt. Dabei gibt es eine neue, wenig stichhaltige Begründung für die Verluste – die DB investiere für die Verkehrswende. Tatsächlich befinden sich die meisten operativen Sparten seit Jahren in den roten Zahlen, es ist nicht erkennbar, wie der Konzern ohne Staatshilfen finanziell stabilisiert werden könnte.

Über viele Jahre war DB Regio eine stabile Gewinnquelle, durch zunehmenden Wettbewerb und schlechte Infrastrukturqualität gehen die Erträge der Sparte stetig zurück. Der Fernverkehr dürfte nach Corona wieder leicht profitabel werden. Die Güterverkehrssparte DB Cargo ist in desaströsem Zustand. Sie verliert Volumen in einem wachsenden Markt und erwirtschaftet hohe Verluste, mehrere Sanierungsprogramme sind verpufft. 

Die Infrastruktursparten mit ihren regulatorisch garantierten Gewinnen haben jahrelang hohe Erträge generiert, diese sollen aber – eigentlich schon seit 2018 – nicht mehr dem Konzern zur Verfügung stehen. Etwa die Hälfte des Umsatzes stammt aus zwei Auslandssparten. 

Die erste, der Logistikkonzern Schenker, ist weltweit aktiv. Über Jahre war er nur mäßig profitabel und erwirtschaftete wenige Gewinn als die Wettbewerber. Während der Corona-Pandemie sind die Gewinne, wie bei allen Logistikfirmen, explodiert. Inzwischen rutscht die Branche in die Krise, die Gewinne fallen, es bleibt ein großer Teilkonzern mit wenig Synergien zum Kerngeschäft und großen Risiken. 

Intransparenz bei internationalen Aktivitäten

Die zweite große internationale Sparte, Arriva, die Personenverkehr in Europa betreibt, wurde von der DB lange als „Ertragsperle“ bezeichnet. Tatsächlich hat die Sparte immer nur geringe Erträge erwirtschaftet und nur in zwei der letzten elf Jahre eine geringe Dividende ausgeschüttet. Anfang 2020 verlor Arriva ein großes Franchise in England wegen Schlechtleistung, dabei entstand ein Verlust von fast 2 Mrd. Euro. Bereits 2017 hatte der DB-Aufsichtsrat den Verkauf der Sparte beschlossen, dieser war jedoch über Jahre verschleppt worden. Ende 2022 wurden erste Landesgesellschaften verkauft, im Oktober 2023 wurde der Verkauf der verbliebenen Sparte angekündigt. Insgesamt hat der DB-Konzern mit Arriva mehrere Milliarden Euro verloren. 

Die Sparte „Beteiligungen/Sonstiges“ enthält zum einen die Overheadfunktionen des Konzerns, zum anderen eine große Zahl heterogener Beteiligungen, über die der Konzern kaum berichtet. So hält er Beteiligungen an ca. 25 Start-Ups, er betreibt Consulting auf allen Kontinenten und hat jüngst eine neue Sparte gegründet, die auch nach dem Verkauf von Arriva internationalen Nahverkehr betreibt, unter anderem in Canberra, Delhi, Kairo und Toronto. Die Verluste der Sparte steigen seit Jahren stetig an, ab 2023 sollen die Overheadkosten auf die einzelnen Sparten verteilt und damit die Transparenz weiter gesenkt werden.

Öffentlicher Qualitätsverlust

Neben der wirtschaftlichen Lage wird die Qualität der Eisenbahn öffentlich zunehmend diskutiert. Die Pünktlichkeit geht seit einigen Jahren zurück, die Zahl der Zugausfälle im Personenverkehr ist dramatisch angestiegen. Neben den aktuellen Personalengpässen wird der Zustand der Infrastruktur als Hauptproblem identifiziert. Seit 2008 bezuschusst der Bund die Ersatzinvestitionen der Bahn auf vertraglicher Basis (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, kurz LuFV). Im Gegenzug für die Bundesmittel verpflichtete sich die DB AG, bestimmte Qualitätsziele zu erreichen. In den letzten Jahren hat die DB AG die Qualitätsziele jeweils erreicht, Verkehrsministerium und Eisenbahnbundesamt haben dies überprüft und jeweils bestätigt. 

Mit zunehmender Diskrepanz zwischen Qualitätsberichterstattung und der von den Kunden erlebten Zuverlässigkeit änderte die DB AG Anfang 2023 ihr Narrativ. Bahnchef Lutz erklärte, die Bahn habe bereits mit der Einführung der ersten LuFV Qualitätszielwerte ausgewählt, von denen klar war, dass man sie bequem erreichen könne. Der neue Netzvorstand Philipp Nagl legte einen mit anderer Methodik erstellten Netzzustandsbericht vor, der erhebliche Defizite und Investitionsrückstände in der Infrastruktur erkannte. 

Auf dieser Basis stellte Mitte 2023 der Bund ca. 40 Mrd. Euro zusätzliche Finanzmittel für die Schiene bereit. Dabei gelang es DB und Ministerium, eine öffentliche Diskussion zu vermeiden, warum das System der Qualitätsberichterstattung und Kontrolle und die Messungen des Ministeriums über 15 Jahre versäumt haben, den Verfall der Infrastruktur zu erkennen.    

Ursachen der Misere

Mit der Bahnreform von 1994 wurde die damalige Bundesbahn restrukturiert und eine neue Steuerungsarchitektur eingeführt. Das übergreifende Konzept war das „Besteller-Ersteller-Prinzip“, mit welchem politische Entscheidungen und die Verwendung öffentlicher Mittel transparenter gestaltet werden sollten. 

Im Regionalverkehr der Eisenbahn, aber auch im kommunalen Nahverkehr (ÖPNV) wurden die Organisationen neu gegliedert. Es wurden Bestellorganisationen gegründet, die sich im öffentlichen Eigentum befanden und die politisch gewünschten Verkehrsleistungen festlegten und bestellten. Die Verkehrsunternehmen als Ersteller erbrachten die Leistungen und gaben an, welche Zuschüsse sie für diese Leistungen benötigten. 

Idealerweise, aber nicht zwingend, sollte die Leistungserbringung im Wettbewerb erfolgen. Auch für Eisenbahnverkehrsunternehmen, die sich im Eigentum der Öffentlichen Hand befinden, entsteht in diesem System kein besonderer Steuerungsbedarf. Sie erbringen eine Leistung auf vertraglicher Grundlage. Die Effizienz der Leistungserbringung ist das einzige Ziel dieser Unternehmen. 

Einfluss auf Entscheidungen

Im ÖPNV wurde die neue Marktordnung nur begrenzt umgesetzt. Insbesondere in den großen Städten kam es kaum zu wettbewerblichen Vergaben, Aufgabenträgerstrukturen sind kaum ausgebildet, die großen kommunalen Betreiber üben großen Einfluss auf die Entscheidungen aus. Bei der Eisenbahn wurde das Prinzip insbesondere im Regionalverkehr mit erheblichem Erfolg eingeführt. Die Länder schafften starke Aufgabenträger und schrieben Verkehre aus, der Ausschreibungswettbewerb führte zu erheblichen Effizienzgewinnen und Qualitätsverbesserungen. 

Im Fernverkehr war mit der Bahnreform eine ähnliche Struktur vorgesehen, bis heute wurde aber das im Grundgesetz vorgesehene Fernverkehrsgesetz nicht geschaffen, es gibt bis heute keine Vertragsgrundlage zwischen Bund und DB AG für die Leistungserbringung im Fernverkehr. In der Infrastruktur wurde mit der LuFV ein Vertrag im Geist des Besteller-Ersteller Prinzips abgeschlossen. Der Bund definiert – auf aggregierter Ebene – die Netzqualität und stellt dafür Geld zur Verfügung. Die DB AG verpflichtet sich zur Erreichung der vorgegebenen Qualitätsziele.   

Politiker und Beamte im Aufsichtsrat

Der Aufsichtsrat der DB AG war nach der Bahnreform entsprechend vor allem mit Wirtschaftsvertretern besetzt . Die drei verantwortlichen Ministerien und der Bundestag entsandten je einen Vertreter/-in, die sechs weiteren Sitze waren von Wirtschaftsvertretern besetzt, in den ersten Jahren überwiegend Vorstände deutscher Großunternehmen. In der Mehdorn-Ära wurden weniger profilierte Aufsichtsräte berufen, die aber politisch gut vernetzt waren. Es entstand der Vorwurf, diese seien für den Vorstand bequemer zu steuern.

Darüber hinaus hat die Politik seit der Bahnreform bis etwa 2015 bei der DB AG wenig steuernd eingegriffen. Außer einigen allgemeinen Aussagen in den Koalitionsverträgen hat der Eigentümer keine Ziele vorgegeben. Die Politik hat also als Prinzipal darauf verzichtet, das Management als Agent mit Zielen, Anreizen und Sanktionen zu steuern. Dies führte etwa im Falle von Börsengangprojekt und Internationalisierungsstrategie dazu, dass sich das (Bahn-)Management (mit eigenen Zielen) selbst gesteuert hat. Dies hat jeweils nachträglich zu Kritik aus Politik und Öffentlichkeit geführt. Das Versäumnis des Bundes als Eigentümer, klare Ziele für die DB AG zu setzen, wird seit Jahren auch vom Bundesrechnungshof kritisiert.

In den letzten Jahren hat sich die Besetzung des Aufsichtsrates deutlich verändert, ohne dass dazu je öffentliche Debatten stattgefunden hätten. Die Wirtschaftsvertreter werden sukzessive verdrängt, inzwischen stammen vier Aufsichtsratsmitglieder aus den Ministerien, drei weitere sind Bundestagsabgeordnete. Die Verschiebung bei der Aufsichtsratsbesetzung ist aus mehreren Gründen problematisch. 

Interessenkonflikte und Kompetenzprobleme

Zum einen weist der Bundesrechnungshof darauf hin, dass Ministerialvertreter und Abgeordnete stets einen Interessenkonflikt hätten. In ihrer Primärfunktion seien sie dem sparsamen Umgang mit Steuermitteln verpflichtet, die DB AG hingegen wünsche maximale Steuermittel. Daraus resultiert natürlich eine Präferenz der Ministerialen für hohe Gewinne respektive niedrige Verluste für die DB AG, was im Zweifelsfalle auch eine Präferenz gegen chancengleichen Wettbewerb auf der Schiene impliziert. 

Zum anderen droht diese Aufsichtsratsbesetzung zu Kompetenzproblemen zu führen. Staatssekretäre und Abgeordnete sind zeitlich hoch beansprucht, es ist zu bezweifeln, dass sie die Zeit aufbringen können, eine solche Steuerungsfunktion zusätzlich auszuüben. Darüber hinaus werden Ämter und Funktionen im politischen Raum oft getauscht, die durchschnittliche Amtszeit der Aufsichtsräte lag in der letzten Dekade bei weniger als zweieinhalb Jahren. 

Mit der Qualitäts- und Finanzkrise der DB AG hat sich die faktische Steuerung der DB AG durch die Politik verschoben. Bis vor etwa zehn Jahren respektierte die Politik den bestehenden Rechtsrahmen. Die Rolle des Eigentümers war getrennt von der Rolle des Vertragspartners. Als Eigentümer erfolgte die Einflussnahme nur über die bestellten Aufsichtsräte. Auch respektierte die Politik die Autonomie der DB AG als Leistungsersteller. 

Nicht regelkonforme Interventionen der Politik

Für die breite Öffentlichkeit blieb jedoch die Politik, insbesondere der Verkehrsminister, verantwortlich für die Eisenbahn. Mit der sinkenden Qualität und wirtschaftlichem Misserfolg häuften sich die nicht regelkonformen Interventionen der Politik gegenüber der Bahn. Offiziell wurde diese Entwicklung im Juni 2022, als Verkehrsminister Wissing ankündigte, im Ministerium eine Steuerungsgruppe für die DB AG aufzubauen. Mit einigen Verzögerungen ist diese Einheit inzwischen eingerichtet. 

Mit der Ankündigung der Steuerungsgruppe teilte der Minister auch mit, die Interessen des Eigentümers künftig stärker gegenüber dem Aufsichtsrat durchsetzen zu wollen. Über Konflikte zwischen Eigentümer und Aufsichtsrat ist öffentlich nichts bekannt. Gerüchten zufolge hat allerdings der Aufsichtsrat in zwei Fällen in den letzten Jahren Vorstandsbesetzungen gegen den Wunsch des Ministeriums entschieden, da die Vertreter der Eigentümerseite nicht einheitlich abgestimmt haben. Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften sind nicht weisungsgebunden. 

Üblicherweise haben AGs nur ein Ziel, nämlich Gewinnmaximierung. Daraus lassen sich eindeutige Maßstäbe für Entscheidungen des Aufsichtsrats ableiten. Mangels klarer Zielformulierung hat bei der DB AG der Aufsichtsrat keinen derartig klaren Maßstab. 

Keine Ziele festgelegt

Das Vorgehen bei der geplanten Steuerung der DB AG bleibt allerdings vorerst unklar. Der Steuerungsprozess beginnt nach allgemeinem Verständnis mit der Festlegung von Zielen. Eine solche Zielfestlegung hat jedoch die Politik in den letzten Jahren nicht vorgenommen. Zudem sind die Instrumente der Steuerung unklar. Wie oben dargelegt, sind diese nach bestehender Rechtslage beschränkt auf die Besetzung des Aufsichtsrats und die vertraglichen Vereinbarungen bei der Infrastrukturfinanzierung. 

Die Infrastruktur bietet ein besonders instruktives Beispiel für die Steuerung beziehungsweise dessen Versagen: 2008 schlossen Bund und DB AG die oben bereits erwähnte Vereinbarung (LuFV) zur Finanzierung der Bestandsinfrastruktur. Der Bund stellte Geldmittel zur Verfügung und definierte Ziele für die Qualität des Netzes, bei deren Verfehlen Strafen drohen. Es gab zu dem Vertragsentwurf – und erneut bei der Vertragsfortschreibung – Expertenanhörungen im Verkehrs- und im Haushaltausschuss des Bundestages. Die Experten kritisierten den Entwurf recht einhellig, Messmethoden und Zielwerte seien deutlich zu unscharf. Trotzdem wurde die LuFV verabschiedet, inzwischen hat Bahnchef Lutz die damaligen Kritikpunkte bestätigt – in einer normalen AG wäre es wohl kaum vorstellbar, dass sich ein Vorstand ungestraft öffentlich damit brüsten würde, seinen Eigentümer ausgetrickst zu haben. 

Die seit 2008 jährlich von der DB erstellten Infrastrukturzustandsberichte berichteten stets von einem soliden Zustand der Infrastruktur. Das Eisenbahnbundesamt hat die Berichte geprüft und abgenommen. Das Verkehrsministerium hat ein Millionenbudget für eigene Messungen. Auch hier wurden nie Probleme erkannt oder öffentlich benannt. 

Die Frage, warum diese Instrumente versagt haben, soll in diesem Aufsatz nicht weiter behandelt werden. Auf jeden Fall ermöglichten sie der DB AG das Narrativ, der schlechte Zustand der Infrastruktur sei eine neue Erkenntnis, die vor 2023 nicht sichtbar gewesen sei. Dies trifft nicht zu, die Verschlechterung des Infrastrukturzustands ist seit Jahren offensichtlich und bekannt. Die Alterung der Infrastruktur ist im Zustandsbericht dokumentiert, ist aber keine pönalisierte Kennzahl. 

Kontrolle hat versagt

Der Netzbeirat hat in einigen seiner jährlichen Berichte auf den kritischen Zustand hingewiesen, auch der Bundesrechnungshof hat Warnungen ausgesprochen. Schließlich hat das Ministerium selbst 2020 und 2021 in Antworten auf Kleine Anfragen des Bundestages Rückstände bei den Ersatzinvestitionen von 30 – 50 Mrd. Euro bestätigt. Die Erkenntnisse führten, soweit öffentlich bekannt, bis Anfang 2023 weder im Bundestag noch im Ministerium zu besonderen Aktivitäten. Das Thema wurde erst breit diskutiert, als die DB AG selbst die Probleme öffentlich machte. 

Bemerkenswert ist, dass die Vorstände der DB Netz AG selbst für 2022 noch Boni erhielten, obwohl zum Beschlusszeitpunkt der dramatische, zuvor verschleierte Zustand der Infrastruktur bereits bekannt war.
Anders als Abgeordnete und Ministerien, die nur einer politischen Kontrolle unterliegen, haften die Organe einer Aktiengesellschaft, Vorstand und Aufsichtsrat, bei Pflichtverletzungen persönlich. Der Verfall der Infrastruktur stellt für die DB AG ein existenzbedrohendes Risiko dar, über das der Vorstand den Aufsichtsrat zu informieren und Gegenmaßnahmen zu entwickeln hätte. Öffentlich ist nicht bekannt, ob der Vorstand diese Schritte unternommen hat. Zu vermuten ist aber auch, dass der Eigentümer kein Interesse daran haben dürfte, ein möglichen Fehlverhalten zu verfolgen. 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Kontrollsysteme für den Zustand der Infrastruktur versagt haben. Der Eindruck ist, dass keiner der politischen Akteure bereit ist, dieses Versagen vertieft zu analysieren, um daraus Erkenntnisse zur künftigen Steuerung abzuleiten

Lösungsansätze aus dem Ausland

Auf der Suche nach Lösungsansätzen können Strukturen bei Bahngesellschaften im Ausland und in anderen Branchen herangezogen werden. Allerdings ergibt eine Analyse keine klare Lösungsskizze für die Situation der Eisenbahn in Deutschland. Verschiedene Untersuchungen aus anderen Ländern zeigen keine klare Vorteilhaftigkeit bestimmter Strukturmodelle. Auch die Steuerungsstrukturen sind vor dem Hintergrund unterschiedlicher Rechtsformen öffentlicher Betriebe nicht direkt nutzbar. 

Allerdings sind einzelne Erkenntnisse und Bausteine auch für Deutschland relevant. Ein eindeutiger Befund ist aber der, dass Politik und Eigentümer klare Ziele formulieren sollten. Wichtig ist neben der Klärung der Ziele das Aufsetzen eines Steuerungs-, Anreiz- und Regulierungsapparates, der sowohl zielekompatibel ist, als auch diskretionäre Eingriffe verhindert.

Die Steuerung von Organisationen erfolgt auf Basis der Strukturen und Aufgabenzuweisungen. Wenn ein Besteller, sei es gesetzlich oder vertraglich, einem Ersteller detaillierte Verpflichtungen auferlegt und die Bezahlung des Erstellers geregelt ist, ist der Steuerungsaufwand für das Ersteller-Unternehmen gering. In diesem Fall verbleibt für die Politik nur die Rolle als Eigentümer. Entsprechend kann die Steuerung, zum Beispiel im Aufsichtsrat, professionellen Aufsichtsräten überlassen werden.

Besteller-Ersteller-Prinzip stärken

Gibt es keine klare Trennung zwischen den Rollen des Bestellers und Erstellers, steigt der Steuerungsbedarf für die Politik deutlich an. Wenn ein Unternehmen bestellend agiert, nimmt es damit quasi Aufgaben der Verkehrspolitik ein, oft geht damit einher auch ein weitgehender und nicht klar vertraglich geregelter Zugriff auf öffentliche Mittel. In dieser Konstellation wird die Politik den Anspruch erheben, verstärkt steuernd einzugreifen. 

Aus Autorensicht wäre es die beste Lösung, das Besteller-Ersteller-Prinzip bei der Eisenbahn zu stärken. Gesetzlich ist diese Aufgabentrennung angelegt, das grundgesetzlich vorgesehene Fernverkehrsgesetz allerdings wurde bis heute nicht eingerichtet. Die bestehenden Leistungs- und Finanzierungsverträge für die Infrastruktur bedürften dafür nur einer begrenzten Nachschärfung.

In der bestehenden politischen Konstellation steht nicht zu erwarten, dass eine solche klare Aufgabenstrukturierung durchsetzbar ist. Deshalb beruhen die nachfolgenden Überlegungen auf der Prämisse, dass es nicht gelingen wird, eine klare Trennung der Funktionen von Besteller und Ersteller zu vorzunehmen. 

Klare Ziele vorgeben

Wie die Forschung zeigt, stellt das Fehlen klarer Ziele ein Problem dar, das die Leistung von Unternehmen beeinträchtigen kann. Bei der DB AG hat der Eigentümer, wie oben dargelegt, weder für die Verkehrspolitik noch für das Unternehmen Ziele gesetzt. Wie der Vergleich mit anderen Ländern und anderen Politikfeldern zeigt, hat die Politik im Allgemeinen wenig Neigung, quantifizierbare Ziele zu formulieren, an deren Erreichung die Verantwortlichen später gemessen werden könnten („Selbstverpflichtung“). 

Für eine Steuerung des Unternehmens DB AG scheint es aber geboten, dass der Bund als Eigentümer klare Ziele vorgibt. So könnten zum Beispiel der Infrastrukturgesellschaft Ziele zur Steigerung der Transportleistungsmengen vorgegeben werden. Diese würden in Zielvereinbarungen für das Management mit Boni umgesetzt. Zugleich wäre auch die Erreichung von Kapazitätsvorgaben und Qualitätszielen zu vereinbaren.  

Insgesamt geht es, wie aus der Überlegung zur Infrastrukturgesellschaft deutlich wird, um die Trade-Offs zwischen unterschiedlichen Zielgrößen. Bei der DB AG geht es zum einen um wirtschaftliche Ziele (Gewinn), zum anderen um die verkehrspolitischen Ziele (zum Beispiel Verkehrsleistung, Marktanteil). Lange Zeit hat die DB AG, vom Eigentümer unbehelligt, den Gewinn und internationales Wachstum als Hauptziele festgelegt. 

Verkehrliche Ziele im Vordergrund

Inzwischen hat der Bund klar formuliert, dass die verkehrlichen Ziele im Vordergrund stehen, laut aktuellem Koalitionsvertrag soll der Marktanteil im Güterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigen, die Verkehrsleistung im Personenverkehr soll sich verdoppeln. Umgekehrt sind keine Ergebnisziele mehr formuliert. Als Konsequenz zeichnet sich ab, dass bei der DB AG zugunsten der Verkehrsleistung jetzt die Kosten nicht mehr beachtet werden. Der Overhead steigt stetig an, Maßnahmen zur Kostensenkung werden verschoben. 

Deshalb wäre es zur Balancierung der Trade-Offs sinnvoll, der DB AG auch ein Ergebnisziel vorzugeben. Ein denkbarer Maßstab für die Gewinnfestlegung sind die Refinanzierungskosten des Eigenkapital, also der Zinssatz des Bundes. Der Bund sollte auch weitere strategische Eckpunkte festlegen, zum Beispiel Vorgaben für Beteiligungen außerhalb des Bahnsektors. Diese Vorgaben wirken in einer AG rechtlich nicht unmittelbar gegenüber dem Vorstand, sie wären aber Leitlinien für den Aufsichtsrat.

Um den im besten Falle zielkompatiblen und nicht diskretionären Durchgriff des Eigentümers auf das Unternehmen zu verbessern, käme auch eine Umwandlung der Rechtsform in Frage. Das Grundgesetz verlangt die Führung der Bahn als Wirtschaftsunternehmen, denkbar wäre aber eine Firmierung als GmbH, in der der Eigentümer etwas mehr Durchgriff nehmen könnte. 

 

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Unabhängig von der Wahl der Rechtsform kann der Eigentümer den Einfluss auf sein Unternehmen weitgehend nur über den Aufsichtsrat ausüben. Insofern besteht ein kaum auflösbarer Widerspruch zwischen der Rechtslage und dem Anspruch des Verkehrsministers, die Bahn diskretionär stärker aus dem Ministerium heraus zu steuern. Die naheliegende Lösung, Aufsichtsräte abzuberufen, die nicht im Sinne des Eigentümers agieren, steht dem Minister nicht zur Verfügung, da das Besetzungsrecht gemäß Koalitionsvereinbarung unterschiedlichen Ministerien und Fraktionen zusteht. 

Dabei ist die Besetzung des Aufsichtsrats mit Vertretern der Ministerien und mit Parlamentariern, wie ober bereits erläutert, wegen der Interessenkonflikte umstritten. Die Bundesregierung ignoriert diese Kritik seit Jahren. Es fehlen allerdings auch überzeugende Alternativen: Traditionell wurden oft erfahrene Manager-/innen mit begrenztem Zeitbudget benannt. In den letzten zwei Jahrzehnten ist in Deutschland ein Pool von „Berufsaufsichtsräten“ entstanden, die über die erforderliche Sachkunde verfügen und auch das für dieses Amt erforderliche Zeitbudget bereitstellen können. 

Allerdings ist diese Gruppe oft auch von den Einnahmen dieser Tätigkeit abhängig, das könnte sie anfällig machen für Druck des Eigentümers. Auf Sicht der Politik sind solche Aufsichtsräte ein Risiko, gerade wenn sie nicht steuerbar sind.  Gegenüber den interessengebundenen und weisungsaffinen Ministerialvertretern stellen Berufsaufsichtsräte trotzdem eine Verbesserung des Steuerungssystems dar, sofern es gelingt, innerlich unabhängige Aufsichtsräte zu identifizieren und durchzusetzen. 

Bund sollte Managementfehler ahnden

Eine weitere Schwäche in der bisherigen Steuerung der DB AG ist die geringe Bereitschaft des Eigentümers, Fehlverhalten zu ahnden. Dieser Punkt wurde bereits oben beschrieben. Weder Bundestag noch Verkehrsministerium haben auf die wiederholten kritischen Berichte des Bundesrechnungshofes reagiert, ebenso wenig auf Hinweise zur verfallenden Bahninfrastruktur. Auch in der Rolle als Eigentümer lässt der Bund Konsequenz vermissen. So ist beispielsweise die jahrelange Verfehlung der wirtschaftlichen Ziele ohne personelle Konsequenzen geblieben. Auch die Unternehmensorgane könnten bei Fehlverhalten in die Haftung genommen werden. 

Obwohl es einige Indizien für solches Fehlverhalten gibt, zum Beispiel bei der verzögerten Meldung der Kostensteigerungen beim Münchener Tunnel, gibt es – soweit bekannt – keine Verfahren. Allerdings ist kaum ein formales Instrument vorstellbar, mit welchem gegenüber dem Parlament, Ministerium oder Aufsichtsrat ein konsequenteres Verhalten eingefordert oder durchgesetzt werden könnte.

Ein Baustein, der zu einer besseren Steuerung beitragen könnte, ist öffentliche Kontrolle. Voraussetzung dafür wäre mehr Transparenz. Zum einen sollte die Regierung ihre Ziele hinsichtlich Verkehrspolitik und Bahn öffentlich formulieren. Zum anderen sollte die DB AG verpflichtet werden, der Öffentlichkeit mehr und bessere Daten zur Verfügung zu stellen. Solche Vorgaben wären sowohl in der Politik als auch beim DB-Management wenig populär, aber vielleicht lässt sich im Rahmen der anstehenden Reformen ein solches Transparenzpaket durchsetzen. 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass keine Wunderlösung erkennbar ist, mit der die aktuellen Steuerungsprobleme gelöst werden können. Vielmehr bedarf es der Reform vieler kleiner Bausteine, um eine bessere Steuerung der DB AG zu erreichen. 
 

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Norbert Heyer | Fr., 8. Dezember 2023 - 09:08

Die Bahn soll das Rückgrat der Verkehrswende werden? Ich lache mich tot: Die Energiewende konnte bis jetzt unter freundlicher Mithilfe der Nachbarn halbwegs gestemmt werden - nur die intensive, auf billige Energie angewiesene Wirtschaft wandert aus. So auch die Fahrgäste der Bahn: Wer eine Alternative hat, meidet die Bahn. Wir waren mal begeisterte Bahnfahrer: Wir akzeptierten Verspätungen von bis zu 3 Stunden, im Winter wurden die Wagen gekühlt, im Sommer geheizt, wegen vereister Weichen saßen wir über 2 Stunden in einem total überfüllten Zug, einmal wurde uns Schwarzfahren unterstellt, dass Ticket war am Schalter ausgestellt worden. Da reichte es uns, die DB ist in Europa die unpünktlichste, die Schweizer nehmen an der Grenze keine Rücksicht mehr und fahren pünktlich ab. Solange der Staat seine Finger im Spiel hat, ist das Chaos vorprogrammiert. Da ja noch mehr Staat geplant ist, wird sich für DB keine Verbesserung der katastrophalen Situation ergeben, es ist und bleibt immer Murks.

Karl-Heinz Weiß | Fr., 8. Dezember 2023 - 10:08

Die Kosten für das Bahnprojekt Stuttgart sind von ursprünglich 2,5 Milliarden auf aktuell über 10 Milliarden € gestiegen. Das Projekt S-Bahn-Erweiterung München läuft ebenfalls finanziell komplett aus dem Ruder. Nach der Lektüre des Artikels sind für mich die Gründe
deutlich besser nachvollziehbar: organisierte Verantwortungslosigkeit. Und das setzt sich bei der jahrelang vernachlässigten Personalgewinnung fort. Ein 7-Tage-Schichtsystem mit wechselnden Einsatzorten ist nicht für alle erstrebenswert. Deshalb liegt Herr Weselsky auch nicht komplett falsch.

Dieser Begriff bezeichnet präzise den Zustand, der bei uns in Deutschland fast überall herrscht, wo der Staat seine Hände im Spiel hat:

Organisiert wird von einem aufgeblähten Verwaltungsapparat in Deutschland, was das Zeug hält, aber das Meiste davon bringt nichts, weil es falsch, zumindest jedoch zu schwerfällig und ineffizient ist.

Dazu kommt die entscheidende Tatsache, daß n i e m a n d (vom Kanzler bis zum kleinsten Mitarbeiter im Staatsdienst) jemals für seine Entscheidungen und sein Handeln persönlich Verantwortung übernehmen muß.
Daß das Land an die Wand gefahren wird, spielt keine Rolle:
Die Gehälter der "Staatsdiener" fließen in jedem Falle weiter...

Wie soll dabei etwas Vernünftiges rauskommen?