
- Viel Geld hilft nicht immer viel
Für die gesellschaftlichen Umwälzungen Inklusion, Migration und Digitalisierung wurden für die Lehrerbildung hohe Geldsummen versprochen. Doch was auf dem Papier schick aussieht, wird in der Realität so nicht umgesetzt
Die großen gesellschaftlichen Umwälzungen, die sich mit den Stichworten Inklusion, Migration und Digitalisierung umreißen lassen, stellen das zukünftige und gegenwärtige Personal an Schulen vor große Herausforderungen. Und das weit über die Lehrkräfte hinaus. Regelschullehrkräfte sollen sonderpädagogische Kompetenzen entwickeln. Gleichzeitig sollen Sonderpädagogen wissen, wie es an der Regelschule aussieht. Während sich gymnasiale Lehrkräfte plötzlich mit unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderbedarfen auseinandersetzen müssen. Lehrkräfte müssen lernen mit fünf und mehr Sprachen in einer Klasse umzugehen, insbesondere Hauptschullehrkräfte müssen die notwendigen Kompetenzen entwickeln, um mit einem Migrationsanteil von 50 bis 90 Prozent in ihren Klassen konstruktiv umzugehen. Und selbstverständlich findet dies alles unter den Auspizien der digitalen Revolution statt.
Die Politik verspricht Abhilfe: Bis 2023 stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung 500 Millionen Euro bereit, um die Qualität und Attraktivität der Lehrerbildung zu steigern. Das Geld wird in der ersten Förderphase für 49 Projekte an 59 Hochschulen und Universitäten ausgegeben, die entsprechenden Hochglanzerfolgsbroschüren können im Internet heruntergeladen werden. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union lässt sich auch nicht lumpen. 45 Millionen Euro stellt er im Förderzeitraum 2014 bis 2020 für Projekte zur Förderung der Rückkehr von Migranten zur Verfügung, 60 Millionen entfallen auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem und 92 Millionen auf die Integration von Drittstaatsangehörigen.
Automatischer Erfolg?
Also hat Integration zumindest finanziell Priorität. Aus den Fördermitteln zur Integration haben etwa allein der Lehrstuhl Schulpädagogik der LMU München, der Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur und die Stadt München in einem gemeinsamen Projekt die letzten vier Jahre rund 1,5 Millionen Euro erhalten, um mit dem Projekt „Schule für Alle“ die Integration von Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in der Stadt München zu erleichtern. Im Hinblick auf die Digitalisierung hat die bayerische Staatsregierung vor der Wahl die bayerischen Universitäten aufgerufen, Programme zu entwickeln, die Digitalisierung in die Lehramtsausbildung zu integrieren und hierfür ein Fördervolumen von mehr als vier Millionen pro Jahr in Aussicht gestellt. Der Bund, ein Bundesland und die Europäische Union scheinen tatsächlich Hand in Hand zu agieren, um Herausforderungen in der Welt durch eine verbesserte Professionalisierung von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften zu begegnen.
In den bereits erwähnten Hochglanzbroschüren wird häufig pauschal ein Erfolg konstatiert oder in Aussicht gestellt. So heißt es in einer Broschüre zur Qualitätsoffensive Lehrerbildung, man „spüre“ so etwas wie eine gemeinsame „Bewegung“ der Fächer, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften, die bisher nicht zusammengearbeitet haben. Diesem „Spüren“ von Erfolg seien ganz konkret drei Beispiele des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der LMU gegenübergestellt, der in den oben genannten drei Bereichen, Inklusion, Migration und Digitalisierung, gemäß den üblichen Kriterien erfolgreich lehrt und forscht. Der konkrete Blick von der „Front“ einer einzelnen konkreten Einheit lässt nämlich bisweilen Zweifel am Erfolg des sinnvollen Umgangs mit Mitteln in dem gegebenen Rahmen aufkommen.
Zweifel sind angebracht
Beispiel Inklusion: Die bayerische Staatsregierung hat sich Inklusion auf ihre Fahnen geschrieben. Es wurde im Ministerium eine Stabsstelle Inklusion eingerichtet und allen bayerischen Universitäten wird in der Schulpädagogik eine sonderpädagogische Lehrkraft beigeordnet, die sonderpädagogische Kompetenz einbringen soll. Es gibt zusätzliche sonderpädagogische Lehrstühle. Allein an der LMU München werden neun Stellen und eine Professur neu eingerichtet. Dies alles mit der Idee, sonderpädagogische Kompetenz müsse in die Regelschulpädagogik integriert werden. Gleichzeitig erhält auch die Grundschulpädagogik vier abgeordnete Lehrerstellen mehr. Auf den ersten Blick sieht das großartig aus, eine gewaltige finanzielle Anstrengung. Dennoch sind Zweifel angebracht!
Das Programm ist zeitlich begrenzt, Abordnungen gelten üblicherweise drei Jahre, häufig mit einer Verlängerung von zwei Jahren. Bis dahin müssen die sonderpädagogischen Kompetenzen in den Köpfen etwa der mehr als 9.000 Lehramtsstudierenden in München oder der 7.000 Lehramtsstudierenden in Regensburg sein. Das ist viel Arbeit für eine einzelne abgeordnete Lehrkraft, die unmittelbar aus dem Schulkontext kommt, die im allgemeinen universitäre Strukturen und aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen nicht kennt und, wenn sie sie endlich kennt, wieder zurück an die Schule muss. Darüber hinaus muss die abgeordnete Lehrkraft mit sehr altem Equipment arbeiten, weil die bayerische Staatsregierung keine Sachmittel zur Verfügung stellt und es als eine Aufgabe der Universitäten sieht, Sachmittel wie etwa Computer zur Verfügung zu stellen. Nicht überraschend sieht es die Universität als Aufgabe der Lehrstühle an, diese Mittel zur Verfügung zu stellen, erhöht aber seit mehr als 14 Jahren die Etats dieser Lehrstühle nicht. Mit anderen Worten: Die abgeordneten Lehrkräfte arbeiten in einem Kontext finanzieller Wunder.
Die abgeordneten Lehrkräfte sind außerordentlich engagiert, aber man kann sich auch fragen, ob eine wissenschaftlich fundierte Lehrerausbildung nicht auch mehr Wissenschaftler als „change agents“ bräuchte. Eine der Aufgaben von Wissenschaft in den Bildungswissenschaften ist es, Veränderungsideen von außen an die Schule heranzutragen, die von innen heraus nicht entwickelt werden können. In der Grundschullehrerbildung der LMU etwa besteht fast die Hälfte des Personals aus abgeordneten Lehrkräften.
Qualität der Bildung verschlechtert sich
Gleichzeitig wird übersehen, dass an der LMU etwa durch das Aufstocken von neun Stellen und einer Professur der Sonderpädagogik hunderte von Lehramtsstudierenden auch in den Veranstaltungen der anderen Bildungswissenschaften auftauchen, ohne dass dort entsprechende Stellen geschaffen würden. Die Betreuungsrelation in diesem Teil der Lehramtsausbildung – der Schulpädagogik, der Allgemeinen Pädagogik und der Pädagogischen Psychologie – verschlechtert sich daher eklatant: Das „Mehr“ an Inklusion führt zu einem weniger an Qualität in der Lehramtsausbildung insgesamt. Daran ändert es auch nichts, dass an der LMU wie auch an anderen bayerischen Standorten die Lehrenden des Mittelbaus ebenso wie auch die abgeordneten Lehrkräfte besonders hohe Stundendeputate haben. Zum Abschluss sei noch erwähnt, dass alle Verbesserungen der Professionalisierung von Lehrern an der LMU in einem Gebäude stattfinden müssen, welches Mitte der achtziger Jahre für etwas mehr als 4.500 Studierende geplant war und heute mehr als 11.000 Studierende beherbergt. Aber mit der Digitalisierung werden wir das alles in den Griff bekommen.
Beispiel Migration: Es gibt gewaltige Anstrengungen verschiedener Institutionen der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder, Menschen dabei zu unterstützen, eine Lebensperspektive in Deutschland zu entwickeln. Das ist richtig und steht außer Zweifel. Interessant ist es, sich einmal dem bürokratischen Prozess einer dieser Anstrengungen anzuschauen. Die Stadt München, der Lehrstuhl für Schulpädagogik und der Lehrstuhl für Deutschdidaktik sollen circa 640.000 Euro vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union bekommen, um Sprachförderung für Personen mit Migrationshintergrund an Schulen zu ermöglichen oder Schulentwicklungsprozesse anzustoßen, die Schulen „fit“ machen sollen für die Herausforderung, die Schüler mit Migrationshintergrund darstellen.
Es sei daran erinnert, dass von den knapp 1 Million Personen, die im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sind, nur 2 Prozent Deutschkenntnisse haben 48,3 Prozent arabisch sprechen und 18,1 Prozent albanisch. Unabhängig von den unterschiedlichen kulturellen Leitbildern, die hier aufeinander stoßen, ist allein die Sprachbarriere eine große Herausforderung. Lehrkräfte lassen sich hier nur schwer von einer „Wir schaffen das“ – Rhetorik einfangen, sondern wollen vollkommen zu Recht konkrete Unterstützung auch in Ihrer Professionalisierung für das Neue.
Überall Personalmangel
Bürokratisch sieht die erfolgreiche Einwerbung eines Projekts für diese Gemengelage wie folgt aus: Im September kommt der Bescheid, dass das Projekt im Juli hätte anfangen können. Gleichzeitig gibt es einen Vorbehalt, Kürzungen seien noch möglich. Bei der üblichen Ausschreibungsfrist von vier Wochen bedeutet dies eine Einstellung für einen Projektmitarbeiter frühestens im November, wenn bereits ein Sechstel der Projektlaufzeit ungenutzt verstrich. Der Zuwendungsbescheid ist noch vorläufig, eine finanzielle Feinplanung für die Ausgabe von Tutoren, die Förderunterricht erteilen sollen, für die Programmierung einer Onlineplattform, die Schulentwicklungsprozesse unterstützt, für die kostenintensive Erstellung von Lernmaterialien kann nicht stattfinden, weil die Mittel gegebenenfalls noch gekürzt werden könnten. Im Juni 2019 – elf Monate nach dem ersten vorläufigen Zuwendungsbescheid und nach knapp der Hälfte der Projektlaufzeit – ist immer noch kein Endbescheid vorhanden, denn das BAMF sieht sich aus Personalmangel nicht in der Lage, einen solchen Bescheid zu erstellen.
Gleichzeitig soll der Lehrstuhl Schulpädagogik jedoch alle Ziele erreichen, die in dem Antrag angegeben sind. Eine solche hanebüchene Mittelvergabe ist bei Leibe kein Einzelfall, wenn es um Mittel der Europäischen Union geht. Natürlich könnte man in einem solchen Fall auf den Gedanken kommen, mit der Arbeit einfach erst dann anzufangen, wenn die Mittel da sind – und danach das Projekt verspätet, aber vollständig durchzuführen. Aber nicht mit der Europäischen Union! Hier gibt es fixe Projektzeiträume, und dass eine Universität mit drei Monaten Verspätung erfährt, dass sie ein Projekt hätte beginnen können und dass nach einem knappen Jahr immer noch kein Geld geflossen ist, ist noch lange kein Grund, von dem starren Startzeitpunkt abzurücken. Und so gehen die LMU und die Stadt München inzwischen mit einer fünfstelligen Summe in Vorleistung, damit überhaupt etwas vorangeht und zumindest rudimentäre Verbesserungen für Münchner Schulen und Münchner Studierende möglich sind. Aber keine Sorge: Am Ende wird es auch für die Gruppe dieser Projekte, die von der Europäischen Union gefördert werden, eine tolle Hochglanzbroschüre geben, in der der Erfolg intensiv „gespürt“ wird.
Alles nur Spaß?
Beispiel Digitalisierung: Die bayerische Staatsregierung möchte eine Basisqualifikation im Kontext digitaler Medien für alle Universitätsstandorte in Bayern, schließlich gibt es eine Digitalisierungsministerin. Hierfür gab es eine Ausschreibung, die Universitäten haben Anträge formuliert und innerhalb ihrer Institution intensive Absprachen geführt, wie eine solche Basisqualifikation verankert werden kann. Man kann davon ausgehen, dass in jeder Uni 70 bis 100 Stunden an einem solchen Antrag gearbeitet worden ist. Erfreulicherweise gab es Anfang Oktober einen vorläufigen Bescheid, in dem den bayerischen Universitäten insgesamt 3,8 Millionen Euro an Personalmitteln in Aussicht gestellt wurden, von denen die LMU 456.000 Euro erhalten sollte. Daraufhin wurden an den Universitäten Stellen ausgeschrieben, Absprachen innerhalb der Bildungswissenschaften intensiviert, Kontakte mit dem Ministerium aufgenommen und vieles mehr. Jedoch, es war alles nur ein Spaß!
Nach der Wahl wurde die in Aussicht gestellte Summe nicht in den Haushalt eingestellt, andere Dinge waren wichtiger. Damit war alle Arbeit an den Universitäten beinahe umsonst. Es wurden einige wenige Restmittel aus dem Haushalt zur Verfügung gestellt, die eine Umsetzung des ambitionierten Projekts Lehramtsstudierende für die Digitalsierung „fit“ zu machen, unmöglich machen. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, man möge dieses wichtige Thema an den Universitäten nicht aus den Augen verlieren, vielleicht ergebe sich im kommenden Jahr noch etwas. Auf jeden Fall hat man die Digitalisierung als Bestandteil der Professionalisierung schon einmal in Lehramtsprüfungen hineingeschrieben und damit die Universitäten verpflichtet, sich damit auseinanderzusetzen. Wahrscheinlich wird der Erfolg schon gespürt! Die Begeisterung der Bildungswissenschaften hierzu ist jedenfalls groß.
Kann man generalisieren, was hier aus der Perspektive eines einzelnen Lehrstuhls in Bayern geschildert wurde? Statt einer Antwort sei hier noch mal Bildungsministerin Anja Karliczek zitiert, die nach einer Mittelstreichung von 26 Prozent in den viel zitierten Exzellenzclustern der deutschen Universitäten gesagt hat: „Ich bin sicher, dass wir auch bei den neuen Exzellenzclustern mit den jetzigen Mittelkürzungen herausragende Leistungen sehen werden.“