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- „Chaplin steht für Menschlichkeit und Liebe“
Charlie Chaplin ist wieder in Berlin: Die Retrospektive „Chaplin Complete“ zeigt 80 seiner Werke und lässt die Euphorie an der Stummfilm-Ikone wieder aufleben. CICERO ONLINE traf sich mit seiner Tochter Geraldine und sprach mit ihr über das Erbe eines Namens, Chaplins politischen Aktivismus und warum ihn Orangen traurig machten.
Frau Chaplin, vor 80 Jahren, 1931, kam ihr Vater Charlie
Chaplin nach Berlin, um seinen Film „City Lights“ vorzustellen.
Damals säumten Menschenmengen die Straßen vom Bahnhof
Friedrichsstraße bis zum Hotel Adlon hier am Pariser Platz. Nun ist
er wieder da: Die Filmschau „Chaplin Complete“ lässt die Euphorie
und den Jubel vergangener Tage wieder aufleben. Wie fühlt sich das
an?
Eine richtige Chaplin-Orgie steht Berlin da ins
Haus und zu gerne würde ich für die Dauer des gesamten Festivals
bleiben, um alle Filme anzusehen. Mein Vater würde das sicher
machen und sich dann selbst in der dritten Person kommentieren:
„Das hat er gut gemacht.“ Von meinem Hotelzimmer aus konnte ich am
Eröffnungstag „The Great Dictator“ sehen, der ja hier am
Brandenburger Tor gezeigt wurde. Ich saß auf der Fensterbank und
hörte dem Lachen der Menschen zu. Das hat mich sehr bewegt.
Wie ist es auf den Spuren Ihres Vaters zu
wandeln?
Es ist großartig. Ich bilde mir gerne ein,
dass ich hier im Adlon eben jenes Zimmer bewohne, in dem er damals
residierte, aber sicher bin ich mir nicht. Mein Vater kam 1921 das
erste Mal nach Berlin. Zu dieser Zeit war das einer der wenigen
Orte, an dem ihn die Menschen nicht auf der Straße erkannten, da
seine Filme hier noch nicht gezeigt wurden. Er war inkognito und
genoss das anfangs auch. Eines Abends ging er mit einem Freund und
zwei jungen Frauen aus. Natürlich versuchte er, die beiden Mädchen
zu verführen, doch das scheiterte kläglich und sie zogen mit seinem
Bekannten davon. Das verunsicherte ihn dermaßen, dass er zu
zweifeln begann, ob seine Persönlichkeit auch ohne seinen Ruf stark
genug sei.
Ist Ihnen dieses Gefühl, diese Art des Selbstzweifels
bekannt?
Nein. Ich bin nicht annährend so berühmt wie
mein Vater. Auch wenn ich denselben Namen trage, mein Ruf ist ein
ganz anderer.
Der Name Chaplin ist eine Institution, eine Marke, mit
der ganz bestimmte Vorstellungen und Erwartungen verbunden sind.
Ich stelle es mir nicht einfach vor, mit einem solchen Namen
aufzuwachsen.
Der Name Chaplin steht für
Menschlichkeit und Liebe, für nichts anderes. Jeder hat in mir
einen guten Menschen gesehen, weil sie in meinem Vater einen guten
Menschen gesehen haben. Die Welt liebte ihn und diese Liebe ist
mein Erbe. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.
[gallery:Chaplin – Das Erbe eines Namens]
Wie erklären Sie sich diese unfassbare Faszination an
den Filmen Ihres Vaters, heute genauso wie damals?
Seine Filme sind zeitlos. Wenn man sie sieht, begreift man, wie
viel sie einem über sich selbst und sein eigenes Leben, sein
Schicksal verraten. Mein Vater war ein Visionär, der seinem
Publikum den Spiegel vorhielt und das, was die Menschen bewegte,
reflektierte. Er reagierte perfekt auf die Themen seiner Zeit und
ich glaube, er wusste besser als alle anderen über das Geheimnis
des menschlichen Daseins. Der kleine „Tramp“ war dabei der
Inbegriff eines unantastbaren menschlichen Geistes; eine gefallene
Seele, ein gefallener Aristokrat, der sich trotz allem weder Anmut,
noch Würde nehmen ließ. Zu jener Zeit waren die Menschen erschöpft
und sahen in den Filmen meines Vaters eine Möglichkeit, dem Alltag
zu entfliehen, ihre Probleme für einen Moment zu vergessen. Mit
Charlie Chaplin konnten sie lachen, denken und sie konnten wachsen.
Das war sein Verdienst an der Menschheit.
Die Filme der 1920er, 1930er Jahre, die Filme ihres
Vaters bedienten eine Form des Eskapismus vor der sozialen
Realität. Hat das Kino diese Aufgabe Ihrer Meinung nach heute
noch?
Das Kino bietet heute andere Möglichkeiten, der
Realität zu entkommen. Mir erscheint das allerdings sehr fremd und
ich kann mich selbst in diesen Filmen nur schwer wiederfinden.
Letztens habe ich „Transformers“ gesehen – was für ein Schwachsinn…
Solche Filme tragen einen in fremde Welten. Sie lehren einen aber
nichts über das Leben oder über sich selbst.
Sie haben mit Robert Altman und Jacques Rivette
gearbeitet, Größen des New Hollywood und der Nouvelle Vague. Sie
wurden als Independent-Muse gehandelt und sind dadurch dem
europäischen Autorenkino wahrscheinlich näher, als dem sich dazu
vollkommen konträr bewegenden Hollywood’schen Studiosystem mit
seiner Blockbuster-Maschinerie.
Ja, das ist ganz
richtig. In Hollywood geht es nur darum, Geld zu machen und am
Wochenende die Kinositze mit Zuschauern zu füllen. Der Geist des
Films, wie lange er überlebt und was er künftigen Generationen
bedeutet, gerät völlig in den Hintergrund, was sehr schade ist.
2009 war ich an der Blockbuster-Produktion „Wolfman“ beteiligt, die
über 140 Millionen Dollar kostete. Sieben Produzenten waren am Set
und alles an was ich denken konnte, waren die aufwendig bemalten
Wohnwägen. Allein mit dieser Farbe hätte man einen schönen kleinen
Independent-Film machen können. Was für eine Verschwendung!
1965 spielten sie eine der Hauptrollen in „Doctor
Zhivago“, ein Blockbuster zweifelsohne. Haben Sie sich da
ausversehen nach Hollywood verirrt?
Ich hätte auch
einen Baum oder einen Stuhl spielen können. Es ist mir egal was ich
spiele, Hauptsache ich darf spielen und das war ein großartiger
Film. Dass ich die Rolle bekam, war ein Glücksfall. Ich war dieses
Chouchou in Paris, Tänzerin, Model und Charlie Chaplins Tochter.
Mein Gesicht war auf einigen Titelcovern und Regisseur David Lean
bekam eines davon in die Finger, sah mein Gesicht, las meinen Namen
und dachte sich: „Eine Chaplin. Das kann nicht verkehrt sein.“
Dann verdanken Sie die Rolle also Ihrem Namen. Ist es
nicht auch ein klein wenig enttäuschend eine Rolle aufgrund eines
berühmten Nachnamen zu bekommen?
Nein, ganz und gar
nicht. Das ist, als würde man mit einem wunderschönen Gesicht in
diese Welt geboren werden und sagen, man möchte nicht der Schönheit
wegen, sondern aufgrund seines Talents ernst genommen werden. Also
nimmt man eine Rasierklinge und zerschneidet sich damit das
Gesicht. Der Name Chaplin war ein Geschenk für mich. Und er ist es
noch.
Sie wollten Balletttänzerin werden. Tanzen Sie
noch?
Nein. Ich habe den Tanz aufgeben, oder er mich.
So genau weiß ich das nicht mehr. Ich war nicht gut genug und als
ich das bemerkte, habe ich dem Ballett den Rücken gekehrt.
Vermissen Sie es?
Das ist wie mit der
ersten Liebe. Am Anfang ist man wahnsinnig verliebt, regelrecht
besessen. Doch man wird älter und entwächst dieser Leidenschaft. Am
Ende hasst man sich und möchte nie wieder daran erinnert werden.
Ich habe keine Ballettstange mehr gesehen seit ich 20 Jahre alt
war. Als ich dann mit Pedro Almodovar zusammenarbeitete, spielte
ich eine Ballettlehrerin und ich musste mich wieder langsam an
meine alte Liebe herantasten. Das war wie eine Art Exorzismus für
mich. Heute kann ich wieder ins Ballett gehen, ohne es zu
hassen.
Man kommt nicht umhin, hier den Perfektionismus ihres
Vaters herauszuhören. War es als Kind schwierig für Sie, diesem
Druck, seiner strengen Hand standzuhalten?
Ja, das war
in der Tat sehr schwer. Er verlangte viel Disziplin, bestrafte uns
für schlechte Noten oder versohlte uns den Hintern, wenn wir etwas
angestellt hatten. Aber ganz ehrlich, lieber so als auf die leichte
Tour. Nur so wird man richtig auf das Leben vorbereitet und
letztendlich kommt einem das zugute. Das mag im ersten Moment hart
klingen, und das ist es auch, doch gerade als Schauspieler braucht
man eine eiserne Disziplin; ohne die schafft man es nicht.
Gab es Dinge, die Ihren Vater traurig
machten?
Weihnachten. Dieser Feiertag machte ihn
wirklich traurig. Wenn er all die Berge von Geschenken unter dem
Baum liegen sah, erinnerte er sich wohl an seine eigene Kindheit
zurück, an die Armut. Damals bekam er nicht mehr als eine Orange
geschenkt. Wenn wir nach London kamen, dann ließ er sich meistens
in irgendeinem Teil der Stadt absetzen und machte sich alleine auf
den Weg, lief durch die Straßen. Ich weiß nicht, was er dachte;
manchmal wurde er einfach melancholisch. Aber er war nie ein
trauriger Clown.
Charlie Chaplin wurde Zeit seines Lebens für seine
politischen Statements und das Parodieren verschiedener
Staatsapparate kritisiert. Ihm wurde mangelnder Patriotismus
vorgeworfen, er musste sich vor dem Komitee für unamerikanische
Umtriebe verantworten und J. Edgar Hoover versuchte sogar, ihm die
Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen. Würden Sie Ihren Vater als
politischen Aktivisten bezeichnen?
Mein Vater hat sich
nie zu einer bestimmten politischen Richtung bekannt, doch
natürlich kritisierte er bestimmte Gesellschaftsmodelle, den
Kapitalismus oder auch die Industrialisierung. 1917 entstand sein
Film „The Immigrant“. In einer Einstellung zeigt er Menschen, die
auf einem Boot nach Amerika kommen, in das Land der Freiheit, der
unbegrenzten Möglichkeiten… Die Kamera schwenkt von der
Freiheitsstatue nach unten und man sieht die Einwanderer in ihrem
Boot, angekettet wie Vieh; ein unfassbarer Affront gegen die
Vereinigten Staaten. Zu Beginn seiner Karriere war er vor allem
Anarchist, ein kleiner Unruhestifter, erst später nahm seine Arbeit
die romantischen und melancholischen Züge des kleinen „Tramp“ an.
Mehr als ein politischer Aktivist verstand er sich als
Individualist und Antikonformist. Er sagte immer, dass er kein
Kommunist sei, aber genauso lehne er es ab, sie deshalb zu hassen.
Er fühlte sich Zeit seines Lebens mit dem Underdog verbunden und
allein das ist doch schon ein politisches Statement: Er war durch
und durch Humanist.
Frau Chaplin, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sarah Maria Deckert.
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