
- Führungsloser Fall
Die Grünen haben im beginnenden Bundestagswahlkampf völlig die Orientierung verloren und taumeln der Fünf-Prozent-Hürde entgegen. Dabei gäbe es eine Möglichkeit, dem Abwärtsstrudel zu entrinnen
Zu den bemerkenswerten Ergebnissen der beiden Landtagswahlen im Mai gehört das Abschneiden der Grünen. In Schleswig-Holstein holte die Partei vor einer Woche ein Rekordergebnis. Sie blieb zweistellig und gewann etwa 15.000 Wähler hinzu, in NRW endete die Landtagswahl am Sonntag mit einem grünen Fiasko.
Jetzt ist die grüne Not groß. Denn zusammen haben die beiden Landtagswahlen gezeigt, wie zerrissen die Öko-Partei ist, wie sehr ihr ein strategisches Zentrum und politische Führung fehlen. Für den Bundestagswahlkampf verheißt dies nichts Gutes. Wie verzweifelt die Grünen sind, ließ sich am Sonntagabend sehen, beim Auftritt von Jürgen Trittin bei Anne Will. Nicht nur, dass der Wortführer des linken Parteiflügels ständig dazwischenredete und auch der Moderatorin ins Wort fiel. Vor allem jedoch fiel er durch ein Machtkalkül auf, das den Wählerwillen völlig ausblendet. Er versuchte sogar, den FDP-Mann Wolfgang Kubicki mit dem abenteuerlichen Argument zu locken, in einer Ampel-Koalition mit der SPD könnten Grüne und FDP dem Wahlverlierer „viel Macht“ abnehmen, am Ende habe man dann „mehr vom Kuchen“. Schleswig-Holsteins grüner Spitzenmann Robert Habeck distanzierte sich davon umgehend via Twitter. Habeck, der offensichtlich mit einer Jamaika-Koalition liebäugelt, schrieb, in Schleswig-Holstein würden die Grünen verantwortlich und nicht nach Kuchenstückgröße verhandeln.
Erfolgreich im Norden, erfolglos im Westen
Blickt man in die beiden Bundesländer, könnten die Analysen der Wahlergebnisse aus Sicht der Grünen nicht unterschiedlicher sein. In Schleswig-Holstein haben die Grünen die vergangenen fünf Regierungsjahre genutzt, um ihre Wählerbasis zu verbreitern. In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Grün-Wähler fast halbiert. In Kiel wurde die SPD abgewählt, die Grünen hingegen haben im Wahlkampf ihre politische Unabhängigkeit betont und spielen nun eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung. Sie könnten die FDP in eine Ampel-Regierung locken oder CDU und FDP in einem Jamaika-Bündnis zu einer Mehrheit verhelfen. Am Montag trafen sich FDP und Grüne zu einem Sondierungsgespräch, um auszuloten, welche Basis es für eine Zusammenarbeit der beiden kleinen Parteien in einer Koalition entweder mit der CDU oder der SPD gibt.
Dass die Grünen in Schleswig-Holstein diese Rolle spielen können, hat viel mit der bisherigen Finanzministerin Monika Heinold und dem bisherigen Umweltminister Robert Habeck zu tun. Beide gehören zu den populärsten Politikern des Landes. Heinold hat der Finanzpolitik des Landes ihren Stempel aufgedrückt und gezeigt, dass Grüne mit Geld umgehen können. Habeck ist es gelungen, sich als Visionär zu profilieren, der in Schleswig-Holstein Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnt. Im Wahlkampf plädierte er für mehr Demut vor dem Wähler und präsentierte so grüne Werte als bürgerliche Haltung und Alternative zu einem abstoßenden grünen Moralismus. Habeck scheut sich auch nicht, einen linken Patriotismus zu propagieren.
In Nordrhein-Westfalen hingegen zog die Spitzenkandidatin und Bildungsministerin Sylvia Löhrmann ihre Partei mit einer unpopulären und unprofessionellen Bildungspolitik zusätzlich nach unten. Umweltminister Johannes Remmel hat vor allem mit seinem rechtlichen Dirigismus viele Wähler gegen sich aufgebracht. Machtstrategisch hat sich der traditionell eher linke Landesverband an die SPD gefesselt und ist zusammen mit dieser tief gefallen. Stattdessen gibt es im Landtag von Nordrhein-Westfalen in den kommenden fünf Jahren vermutlich eine schwarz-gelbe Landesregierung.
Alter Richtungsstreit bricht wieder auf
So ist, kaum sind die Wahlen vorbei, bei den Grünen der alte Richtungsstreit wieder ausgebrochen. Realos und Linke machen sich gegenseitig für die schwierige Lage verantwortlich. Die Spitzenkandidaten, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, wirken überfordert. Obwohl sie sich als Realos in der Urwahl durchgesetzt haben, fehlt beiden sowohl die Autorität in der eigenen Partei als auch die Popularität bei den Wählern.
Zugleich leisten sich die Grünen den Luxus, den mit großem Abstand populärsten grünen Politiker, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, wie einen Aussätzigen zu behandeln. Regelmäßig werfen sie ihm Verrat an der reinen grünen Lehre vor. Etwa, wenn er mit Rücksicht auf die Automobilindustrie seines Bundeslandes vor einem Fahrverbot für Dieselfahrzeuge warnt oder, wenn er im Bundesrat der Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer zustimmt.
Nie hat die Partei den Versuch unternommen, Kretschmann, der in Stuttgart an der Spitze einer grün-schwarzen Landesregierung steht, in die Bundespolitik einzubinden. Nie hat sie in den vergangenen Jahren versucht, den Spagat zwischen der realpolitischen Verantwortung des einzigen grünen Ministerpräsidenten und den Herausforderungen einer Oppositionspartei im Bundestag produktiv zu machen. Nie haben die Grünen versucht, aus der Tatsache, dass sie in elf Bundesländern in ganz unterschiedlichen Machtkonstellation regieren – in grün-schwarzen und schwarz-grünen, in rot-grünen, rot-rot-grünen und rot-gelb-grünen Bündnissen – eine konsistente politische Strategie zu entwickeln.
Das könnte sich wie in NRW nun auch im Bundestagswahlkampf rächen. Denn tatsächlich haben die Grünen mittlerweile überhaupt keine realistische Machtoption mehr. Das von den grünen Funktionären favorisierte Bündnis mit SPD und Linken wird von der Mehrzahl der Wähler eindeutig abgelehnt.
Spitzenkandidaten ohne Glaubwürdigkeit
Doch auch um die Glaubwürdigkeit der Spitzenkandidaten ist es nicht besonders gut bestellt. Göring-Eckardt und Özdemir stehen zwar für eine Öffnung gegenüber dem bürgerlichen Lager, trauen sich aber nicht, diese Öffnung selbstbewusst öffentlich zu bekunden. Zugleich gelingt es ihnen nicht, sich bei wichtigen Themen, die die Wähler in diesem Bundestagswahljahr bewegen, zu profilieren, etwa bei den Themen Innere Sicherheit, Einwanderung oder Islamismus.
Bei der Energiewende klammern sich die Grünen an die alten Fördermechanismen. Dabei hat sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als historisch überholt erwiesen und ist nur noch ein teures Subventionsgrab, das den Strompreis in die Höhe treibt. Zugleich drängt der linke Parteiflügel darauf, einmal mehr mit dem Thema Umverteilung und der Forderung nach höheren Steuern in den Wahlkampf zu ziehen. Dabei ist das schon 2013 schiefgegangen, ohne dass die Partei daraus etwas gelernt hätte.
Kein Wunder, dass die Grünen auch bundesweit der Fünf-Prozent-Hürde entgegen taumeln. Fast fühlt man sich an den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlkampf 1990 erinnert, in dem die Grünen im Jahr der Wiedervereinigung den Slogan „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“ plakatierten und prompt aus dem Bundestag flogen.
Kretschmann und Habeck bleiben außen vor
Natürlich gäbe es eine Möglichkeit, umzusteuern. Die Grünen könnten Winfried Kretschmann zu einem Zugpferd der Grünen im Bundestagswahlkampf machen und ihn auch in die Programmarbeit einbinden. Sie könnten Robert Habeck zum dritten Spitzenkandidaten machen, obwohl er bei der Urwahl Cem Özdemir knapp unterlegen war. Zusammen mit den beiden populären Landespolitikern, könnte sich die Partei auch wieder Machtoptionen jenseits von Rot-Rot-Grün eröffnen. Noch wäre ein Neuanfang möglich. Doch dafür müssten sich die Grünen aus dem Klammergriff des linken Parteiflügels lösen, der zwar an der Basis keine Mehrheit hat, aber viele strategisch wichtige Posten in der Partei besetzt hält. Es sieht nicht so aus, als würde die ausgezehrte Partei dafür derzeit die Kraft aufbringen.