
- Mit Demokratieprinzip und Meinungsfreiheit unvereinbar
In einem Gastbeitrag für die „Legal Tribune Online“ argumentiert der Staatsrechtler Dietrich Murswiek, mit der neuen Extremismus-Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ würden Regierungskritiker zu Extremisten abgestempelt.
Als die Proteste gegen die Corona-Politik zunehmend unangenehm für die Bundesregierung wurden, erfand der neue Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang eine neue Extremismus-Kategorie: die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. So konnte er den harten Kern der nicht richtig ins Links-Rechts-Schema passenden Querdenker-Szene mit geheimdienstlichen Mitteln ins Visier nehmen.
Der Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, nimmt in einem Gastbeitrag für die Legal Tribune Online (LTO) dieses Konzept nach Strich und Faden auseinander. Murswiek schreibt: „Extremisten im Sinne des Verfassungsschutzes sind seither nicht nur Rechts- und Linksextremisten, sondern auch ,Delegitimierer‘.“ So stehe etwa laut Verfassungsschutzbericht 2021 jemand bereits unter Extremismusverdacht, wer nach der Flutkatastrophe im Ahrtal „aktiv den Eindruck“ erweckte, dass staatliche Stellen mit der Bewältigung der Lage „komplett überfordert gewesen seien“.
Für Murswiek verwechselt der Verfassungsschutz damit Kritik an der Regierung mit Kritik am Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. „Er sieht ,eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten‘ als Delegitimierung des Staates und deshalb als verfassungsfeindlich an. Mit diesem Vokabular weicht er die Grenzen juristisch fassbarer Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung auf und ermächtigt sich selbst dazu, oppositionelle Bestrebungen als extremistische Bestrebungen zu bewerten.“ Im demokratischen Staat gehöre es jedoch zum Wesen der Opposition, Kritik an der Regierung zu üben. „Es ist das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der – parlamentarischen und der außerparlamentarischen – Opposition, alles zu kritisieren, was die Regierung macht – ob diese Kritik berechtigt ist oder nicht. Ob sie berechtigt ist oder nicht, entscheidet nicht der Verfassungsschutz, sondern das entscheidet jeder für sich, insbesondere an der Wahlurne.“
Parteinahme für die Regierung
Murswiek stellt klar: „Wenn der Verfassungsschutz von ,Agitation‘ statt von Kritik spricht, dann ist das eine Parteinahme für die Regierung. Jeder ist berechtigt, auch heftige Kritik an der Regierung zu üben. Kritik ist das Lebenselixier der Demokratie. Sie als ,Agitation‘ zu verunglimpfen, steht dem Verfassungsschutz nicht zu. ,Ständige‘ Kritik ist nicht nur erlaubt, sondern wird von der demokratischen Opposition geradezu erwartet. Nur mit These und Antithese, Kritik und Gegenkritik entfaltet sich ein demokratischer Diskurs.“
Mit dem Begriff des „Verächtlichmachens“ habe der Verfassungsschutz einen Gummibegriff gewählt, der sich beliebig biegen lasse, so der Staatsrechtler. „Wird die Außenministerin ,verächtlich gemacht‘, wenn jemand sich über ihre häufigen Sprachschnitzer mokiert? Und ist es ein ,Verächtlichmachen‘, wenn der Eindruck erweckt wird, das staatliche Krisenmanagement sei bei der Ahrtal-Katastrophe ,komplett überfordert‘ gewesen?“ Der Verfassungsschutz werte bereits heftige Kritik an der Regierungspolitik als delegitimierend und daher extremistisch. „Wenn Bundesinnenministerium und Bundesamt für Verfassungsschutz der Meinung sind, dass der Staat und seine Institutionen schon dann in ihrer Legitimität infrage gestellt werden, wenn jemand in Bezug auf eine konkrete Situation von ,Versagen‘ oder ,Totalversagen‘ der politisch Verantwortlichen spricht, dann haben sie nicht verstanden, was das Demokratieprinzip ausmacht.“
Der Verfassungsschutz ist kein Wahrheitsministerium
Es könne auch nicht darauf ankommen, so Murswiek weiter, ob der gegen die Regierung gerichtete Vorwurf des Versagens berechtigt ist oder nicht. „Das Innenministerium (oder der ihm unterstellte Verfassungsschutz) ist kein Wahrheitsministerium. Ob ein politischer Vorwurf berechtigt ist oder nicht, ist in der Demokratie Sache des politischen Streits, nicht obrigkeitlicher Entscheidung.“
Wenn der Verfassungsschutz heftige Kritik an der Regierungspolitik als „delegitimierend“ und daher extremistisch aus dem demokratischen Diskurs verdrängen wolle, dann verfehle er nicht nur seine Aufgabe, sondern werde damit selbst zum Problem für die Demokratie. „Mit der Anprangerung ,ständiger Agitation‘ gegen die Regierung als angeblich den demokratischen Staat delegitimierend versucht der Verfassungsschutz, oppositionelle Strömungen zu delegitimieren“, schreibt der Jurist. „Solche hoheitlichen Eingriffe in den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung sind mit dem Demokratieprinzip und mit der Meinungsfreiheit unvereinbar.“
Murswiek: „Der Verfassungsschutz sagt zwar, dass es ihm nicht darum gehe, ,legitime‘ Protestaktionen gegen die Corona-Maßnahmen zu diskreditieren. Aber im demokratischen Staat ist grundsätzlich jeder Protest gegen Regierungsmaßnahmen legitim.“
Den vollständigen Beitrag von Dietrich Murswiek lesen Sie hier.