
- Trauer und Verantwortung
Ein 14-jähriges Mädchen jüdischer Herkunft wurde vergewaltigt und ermordet. Der mutmaßliche Täter floh zunächst in den Irak, dort wurde er gefasst. Die Verfehlungen der Migrationspolitik müssen offen gelegt werden, aber ohne Schnappatmung. Ein Untersuchungsausschuss wäre das richtige Mittel
Freiburg, Kandel, jetzt Wiesbaden: Es ist immer wieder das gleiche Muster: Mädchen und junge Frauen werden grausam getötet. Von jungen Männern, die als Asylbewerber kamen, aber in Wahrheit wohl keinen Anspruch auf Schutz hatten. Der normale menschliche Reflex in solchen Fällen wären Erschrecken, Entsetzen, Trauer. Darüber, dass Leben viel zu früh genommen wird und Lebenschancen vernichtet wurden. Und darüber, dass die Leben der Opfer sowie von deren Angehörigen und Freunden nicht nur von den Tätern geschändet wurden, sondern die anschließend von skrupellosen Politikern aller Richtungen, von sensationsgierigen Medien und sensationslüsternen, empörungssüchtigen Bürgern noch zusätzlich missbraucht werden.
Und auch Trauer über die vergebenen Lebenschancen von jungen Männern, die aus welchen Gründen auch immer zu Mördern wurden und mit dieser abgrundtiefen Schuld für immer leben und mit ihr eines Tages vor ihren Schöpfer, Gott, Allah treten müssen, wenn sie denn an ihn glauben. Sowie deren Familien, die wie die Täter gleichfalls missbraucht werden von Politik, Medien und Öffentlichkeit.
Die Pflicht zur Nüchternheit
Natürlich ist jeder Fall, wie jeder Kriminalfall, zunächst ein Einzelfall. Die Ermittler und die Justiz müssen prüfen, wie es zu der konkreten Tat kam. Welche Motive der mutmaßliche Mörder hatte. Ob er er seine Tat womöglich länger geplant und ob er Mittäter, Helfer oder Mitwisser hatte. Wer dafür Verantwortung trägt, dass er wie in dem jüngsten Fall entkommen konnte. Und ob und wie sie seiner dennoch habhaft werden können.
So nüchtern müsste es eigentlich ablaufen. Das ist die Pflicht der Polizei, der Ermittler und der Gerichte, die die Täter am Ende im Namen des Volkes abzuurteilen und zu bestrafen haben, wenn die Beweise reichen. Und das ist die Pflicht der Politiker und Regierenden, die dafür zu sorgen haben, dass Straftaten nach Möglichkeit verhindert werden und – falls dies nicht gelingt – dafür, dass die Täter und weitere Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden. Im Zweifelsfall auch die Regierenden selbst.
Schadenfreude der Fremdenfeinde
Aber so nüchtern verläuft es in Deutschland im Jahr drei nach Beginn der großen Flüchtlings- und Migrationskrise leider nie. Kaum wird eine neue Gewalttat bekannt, an der ein angeblicher oder tatsächlicher Flüchtling beteiligt war, verfallen die einen, die Fremdenfeinde, in eine frohlockende Schadenfreude: „Seht, schon wieder hat ein Ausländer, ein sogenannter Flüchtling, ein deutsches Mädchen, eine deutsche Frau umgebracht. Und die Politik schaut nur zu, statt endlich dieses Pack aus dem Land zu werfen!“ So lautet dann jedesmal die Reaktion in zahllosen User-Kommentaren im Internet und sicherlich auch an Frühstücks- oder Abendbrottischen, in der Kantine, in der Kneipe oder bei sonstigen Treffen. Bild und ähnlich gesinnte Medien frohlocken mit, weil Mord und Totschlag, erst recht durch „Flüchtlinge“ mit islamischen Hintergrund, immer Schlagzeilen, Klicks, Auflage, Quote bringen.
Die andere Seite reagiert freilich kaum besser: Politiker und Journalisten, die im Zweifel jeden, der behauptet, Flüchtling zu sein, ins Land lassen würden, betonen – zunächst zurecht, wie gesagt –, dass es sich um einen bedauerlichen Einzelfall handele, von dem aus nicht auf alle/viele Flüchtlinge geschlossen werden dürfe. Und dass sich Deutschland dadurch nicht von einer humanen Aufnahmepolitik abbringen lassen dürfe. Was beides zunächst ebenfalls stimmt.
Politik verschließt die Augen
Sie verschließen jedoch die Augen davor, dass sich aus einer Reihe von Einzelfällen, die sich häufen, irgendwann ein erschreckendes Muster ergibt, das schreckliche Folgen haben kann. Nicht nur für die Betroffenen, sondern für die Gesellschaft und die Politik insgesamt. Sie stumpfen immer mehr ab oder geilen sich wie AfD-Politiker und andere rechte Demagogen an solchen Gewalttaten sogar auf. Sie erklären den Zustand zur neuen „Normalität“ und würden am liebsten alle potenziellen Mörder, Verbrecher und Gefährder zum Teufel jagen, also aus ihrer Sicht so gut wie alle Migranten und Geflüchteten aus arabischen, islamischen oder afrikanischen Ländern. Und dazu auch die für deren Aufnahme verantwortliche Politiker.
Zu denen, die so denken, zumindest so reden, gehören auch Politiker der CSU, der CDU und der SPD, aber auch einige der Linken wie Sarah Wagenknecht. Sie alle möchten auf dem Feuer der allfälligen Erregung ihr schwarz-braun-rotes Süppchen kochen.
Die, welche angesichts all dessen noch immer unverdrossen einer naiven Willkommenspolitik und -kultur das Wort reden, sollten allerdings genauso innehalten. Denn auch wenn sie keine unmittelbare oder mittelbare Schuld haben, dass einzelne Flüchtlinge zu Attentätern, Mörder und Verbrechern werden: Sie müssen sich schon der Frage stellen, ob sie letztlich nicht doch eine Mitverantwortung tragen, weil sie – die Kanzlerin von oben angefangen – seit 2015 Hunderttausende großenteils unkontrolliert ins Land gelassen und nicht überprüft haben, ob darunter welche waren und sind, die für die hier schon Lebenden zur Gefahr werden werden können.
Haben die Verantwortlichen Schaden abgewendet?
Jeder Politiker, der in Deutschland ein Wahlamt übernimmt, muss schwören, dass er alles tun wird, Schaden vom deutschen Volke und damit möglichst von jedem Bürger abzuwenden. Sind CDU, CSU, SPD sowie Grüne und Linke, die Merkels Flüchtlings- und Migrationspolitik kritiklos mitgetragen haben, dieser Verantwortung gerecht geworden?
Dieser zentralen Frage sollte sich Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Länder widmen und nicht bloß konkreten Einzelfällen und konkreten Verfehlungen und Fehlentscheidungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, auch wenn es die zweifellos gab bei der Masse der Anträge und Fälle. Die zu tun, wäre eine Pflicht der Parlamentarier, denn sie haben ihre Aufgabe nicht oder nicht ausreichend erfüllt: Die Migrations- und Flüchtlingspolitik der Regierungen auf allen Ebenen zu kontrollieren und zu steuern, in den vergangenen drei Jahren, wie schon in den Jahrzehnten zuvor-
Noch wichtiger wäre, dass Politik und Gesellschaft endlich in Nüchternheit und Ruhe über eine Neuausrichtung der gesamten deutschen und europäischen Flucht- und Migrationspolitik nachdenken. Ohne das ständige Aufzählen schrecklicher Einzelfälle, wozu auch unbegründete, oftmals gerichtlich aufgehobene Ablehnungen von Asylanträgen und Abschiebungen unter Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen etwa nach Afghanistan zählen.
Was zu tun ist
Dazu müssten in erster Linie gehören:
1. die Ursachen für Flucht und Migration endlich tatsächlich und nicht nur mit Lippenbekenntnissen zu bekämpfen. Damit Menschen dort leben und überleben können, wo sie am liebsten bleiben wollen: in ihrer Heimat. Das erfordert auch eine grundlegende Änderung unserer Handels-, Entwicklungshilfe- und Grenzschutzpolitik.
2. Eine Aufnahme und Integration tatsächlicher Opfer von Verfolgung, Krieg und Not gemäß den Grundlinien der internationalen Flüchtlingskonventionen, nämlich durch Umsiedlungsprogramme für die am stärksten Betroffenen: Kinder, Frauen, Alte, Verletzte, Kranke. Nicht von kräftigen jungen, gewaltgeprägten Männern, die oftmals von ihren Familien mit viel Geld für Schleuser-Verbrecher losgeschickt werden, um in einem fernen Land in der Mitte Europa ein neues Glück für sich und ihre Angehörigen zu suchen.
Was ihnen niemand verdenken kann. Was aber nicht der Sinn des Asylrechts und einer richtig verstandenen Flüchtlings- und Migrationspolitik sein kann. Erst recht, wenn die bisherige, in der Summe verfehlte Politik dazu geführt hat, dass Menschen ins Unglück gestürzt wurden und werden: Opfer, Täter und ihre jeweiligen Angehörigen. Und mit ihnen eine hoffentlich mittrauernde Gesellschaft.