Captagon
Beschlagnahmte Captagon-Pillen nach einem Drogenfund in Beirut / picture alliance

Drogenkonsum in Saudi-Arabien - Die Captagon-Prinzen

Ausgerechnet im sittenstrengen Saudi-Arabien grassieren Drogenkonsum und Drogenhandel. Besonders verbreitet ist ein Amphetamin namens Captagon. Auch Mitglieder der königlichen Familie sind in das illegale Geschäft verwickelt, zumal sie keine Strafverfolgung zu befürchten haben. Und die Regierung weigert sich, den Ernst der Lage einzugestehen.

Autoreninfo

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der American University in Beirut und Autor bei Geopolitical Futures.

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Fast kein Land ist frei von der Geißel illegaler Drogen, aber ausgerechnet Saudi-Arabien – der Hüter der heiligsten Stätten des Islams – entwickelt sich zu einem der weltweit größten Umschlagplätze für illegale Substanzen. Das Problem hat sich in den vergangenen zehn Jahren noch verschärft. Zwischen 2015 und 2019 entfielen auf Saudi-Arabien mehr als 45 Prozent der weltweiten Beschlagnahmungen einer als Captagon bekannten Amphetamin-Droge. Die saudische Regierung weigert sich, den Ernst der Lage einzugestehen, und schiebt die Schuld auf ausländische Akteure. Zwar scheinen die saudischen Behörden das Problem zu bekämpfen, doch sind auch Mitglieder der königlichen Familie und der Sicherheitskräfte in die Vorgänge verwickelt.

Weit verbreiteter Drogenmissbrauch

Der Ölboom Mitte der 1970er Jahre, der mit einem sprunghaften Anstieg des Wohlstands und dem Zuzug hunderttausender Arbeitskräfte aus den Nachbarländern einherging, führte zu erheblichen Veränderungen in der saudischen Gesellschaft. Diese Veränderungen trugen zum raschen Anstieg der Drogenabhängigkeit bei. Die saudische Regierung hat das Ausmaß des Problems verheimlicht. Offiziellen Schätzungen des saudischen Innenministeriums zufolge beläuft sich die Zahl der Drogenabhängigen im Land auf 200.000, doch einige zivilgesellschaftliche Vereinigungen weisen darauf hin, dass es tatsächliche weitaus mehr sind. Saudi-Arabien ist der drittgrößte Drogenkonsument der Welt und der größte im Nahen Osten. Auf Drogenkonsum und -schmuggel steht bei normalen Bürgern und Ausländern die Todesstrafe, nicht aber bei Mitgliedern der königlichen Familie, die von der Strafverfolgung ausgenommen sind.

Der Drogenmissbrauch nimmt vor allem unter jungen Männern und Frauen in städtischen Gebieten im Alter zwischen 18 und 29 Jahren zu. Mehr als 60 Prozent der Drogenabhängigen gehören zu dieser Altersgruppe, und etwa die Hälfte aller drogenkonsumierenden Saudis ist arbeitslos. Der Drogenmissbrauch hat sich auch auf das Militär und Berufe wie Medizin und Ingenieurwesen ausgeweitet. Etwa 90 Prozent der Süchtigen sind Saudis, während die restlichen zehn Prozent Ausländer sind, die 40 Prozent der 35 Millionen Einwohner des Landes ausmachen. Captagon-Pillen, die manchmal zur Gewichtsabnahme oder zur Steigerung der Aufmerksamkeit eingesetzt werden, sind die am weitesten verbreitete Droge in Saudi-Arabien, die von mehr als 40 Prozent der Süchtigen konsumiert wird. Die von den Behörden beschlagnahmte Menge an Captagon-Pillen entspricht weniger als 10 Prozent der konsumierten Menge.

Auch das syrische Regime ist verwickelt

Trotz der saudischen Behauptungen über eine ausländische Beteiligung sind die führenden Köpfe im Drogenhandel – die Finanziers, die lokalen Betreiber und die Vertriebsnetze – selbst Saudis. Dennoch fließen große Mengen an Drogen aus den Ländern des Goldenen Halbmonds (Pakistan, Afghanistan und Iran), Syrien, Libanon und Jemen nach Saudi-Arabien. Saudi-Arabien macht jedoch vor allem den Libanon dafür verantwortlich und beschuldigt die Hisbollah, der Hauptschmuggler von Drogen in das Königreich zu sein. Im Vergleich zu anderen Ländern wie Afghanistan, Iran, Syrien und Irak ist die Menge der aus dem Libanon kommenden Drogen jedoch gering. Die Rolle des syrischen Regimes im Captagon-Handel übersteigt beispielsweise bei weitem die der Hisbollah. Etwa 80 Prozent des nach Saudi-Arabien geschmuggelten Captagon kommen aus Syrien und generieren Einnahmen, die dreimal so hoch sind wie der Haushalt des Assad-Regimes. Doch während Riad als Reaktion auf die Verwicklung der Hisbollah in den Schmuggel die Einfuhr libanesischer Produkte untersagte, beendete es seinen neunjährigen Boykott von Importen aus Syrien im Jahr 2020.

Die Gewinne bei Captagon sind enorm. Eine Lieferung kostet zehn Millionen Dollar – einschließlich der Kosten für Rohstoffe, Schmuggel und Bestechung – und kann einen Gewinn von 180 Millionen Dollar einbringen. Selbst wenn die Behörden mehrere Sendungen beschlagnahmen, kann schon eine einzige Ladung einen beträchtlichen Gewinn abwerfen.

 

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Das Königreich will sich nicht mit den Stämmen auseinandersetzen, die erhebliche Bestechungsgelder von Drogenschmugglern erhalten, und hat stattdessen auf Verschwörungstheorien zurückgegriffen, um das Problem zu erklären. In den lokalen Medien wird behauptet, dass Saudi-Arabien das Ziel internationaler krimineller Banden wäre, die mit feindlichen Organisationen in Verbindung stehen und daran arbeiten, das Land mit Drogen zu überschwemmen, um sein soziales Gefüge zu zerstören und seine islamischen Werte zu untergraben. Das Königreich sei eines der mächtigsten Länder in der Region, und diese Organisationen wollten den Erfolg der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprojekte des Landes in den kommenden Jahren zunichtemachen.

Prinzen und Offiziere

Prinzen und Offiziere sind auch stark in lokale Schmugglernetze verwickelt. Die Behörde für Kontrolle und Korruptionsbekämpfung hat sogar ihre eigenen Beamten beschuldigt, von Schmugglern Bestechungsgelder angenommen zu haben, um deren illegale Aktivitäten zu vereiteln. Im Jahr 1999 schmuggelte ein prominenter saudischer Prinz zwei Tonnen Kokain von Venezuela nach Frankreich, wo er 2007 in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 100 Millionen Dollar verurteilt wurde. Die USA beschuldigten ihn auch der Verschwörung zum Vertrieb von Drogen in den Vereinigten Staaten. Im Jahr 2015 verhafteten die libanesischen Behörden einen anderen saudischen Prinzen, der versucht hatte, 1900 Kilogramm Captagon-Pillen in einem Privatjet zu schmuggeln. Er wurde zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt und wurde als „Prinz von Captagon“ bekannt. Der libanesische Präsident Michel Aoun begnadigte ihn und ließ ihn vier Jahre später auf Ersuchen Saudi-Arabiens aus dem Gefängnis frei. 

Vor sechs Monaten wurde ein saudischer Sicherheitsbeamter auf dem internationalen Flughafen von Beirut beim Versuch festgenommen, 16 Kilogramm Captagon-Pillen über Kuwait nach Saudi-Arabien zu schmuggeln.

Mitglieder der königlichen Familie nutzen ihre Immunität vor Strafverfolgung, um Drogen in das Königreich und andere Länder zu schmuggeln. Angeblich sind sie auch selbst begeisterte Konsumenten von Kokain und Haschisch. Der umstrittene saudische Prediger Ali al-Maliki beschuldigte Mitglieder der königlichen Familie, für das Drogenproblem des Landes verantwortlich zu sein, und sagte: „Wir haben Prominente, die auf ihren Höfen sehr lebhafte Partys veranstalten, die auch Drogen verkaufen und sie ins Land bringen.“ Doch trotz der strengen Anti-Drogen-Gesetze werden alle, die in den Handel verwickelt sind, als Kleinhändler bestraft, während keiner der großen Dealer, die für die Einfuhr von Drogen ins Land verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen wird.

Soziale und religiöse Probleme

Die steigenden Suchtraten wurden durch eine Reihe sozialer und religiöser Probleme verschärft, darunter strenge soziale Normen, Einsamkeit, Langeweile und das Fehlen eines ausdrücklichen religiösen Verbots von Drogen. Die sich in den letzten Jahren beschleunigenden gesellschaftlichen Veränderungen, wie die Zulassung von Konzerten und das Recht der Frauen, Auto zu fahren, haben einen Kulturkampf ausgelöst, der zu Unklarheiten darüber führt, was die Menschen als gutes oder schlechtes Verhalten ansehen.

Ein weiterer Grund für den zunehmenden Drogenkonsum unter jungen Menschen ist der Mangel an Arbeitsplätzen mit angemessenen Gehältern. Der saudische Lebensstil ist teuer, und für junge Männer ist es schwierig, die Erwartungen zu erfüllen, vor allem in Bezug auf Heirat und Wohnung. Darüber hinaus haben Kritiker des Kronprinzen Mohammad bin Salman ihm vorgeworfen, er spiele eine Rolle bei der Überschwemmung des Landes mit Drogen, um junge Menschen von der Politik fernzuhalten und sie davon abzulenken, mehr Rechte einzufordern. Die Verhaftung liberaler Religionsgelehrter und das Verschwinden von Reformern und Jugendberatungszentren haben zu diesem Problem ebenfalls beigetragen.

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Manfred Bühring | Mo., 21. November 2022 - 14:59

... wen interessiert es, ob sich die Saudis oder andere Länder des arabischen Halbmondes mit Drogen zugrunde richten?

Karl-Heinz Weiß | Mo., 21. November 2022 - 16:32

Im Beitrag wird Saudi-Arabien mit 35 Mio. Einwohner als drittgrößter Drogenkonsument weltweit bezeichnet. Dieser extrem hohe Wert ist nicht belegt, ebenso der Anteil der Ausländer (laut intern. Statistik statt 40 knapp 25%). Das eigentliche Problem sehe ich in der hohen Arbeitslosigkeit, und dies in einem der reichsten Länder weltweit.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 21. November 2022 - 16:35

religiöses Verbot von Drogen?
Dachte ich es mir doch.
Allerdings sollte Saudi-Arabien seine Haltung überdenken und zwar aus gesundheitlichen Aspekten.
Amphetamine sind leistungssteigernd?
Schon möglich, aber verbrauchte Lebensenergie der Organe geben sie nicht wieder zurück?
Zum Schluss bleibt evtl. eine sehr hohe Zahl körperlicher Wracks?

Gerhard Lenz | Mo., 21. November 2022 - 20:16

Wenn die Scheichs aus S.A. oder Kuwait oder aus "weiss der Kuckuck" mal wieder einen Kurztripp in eins der weltweiten Luxusresorts machen und dort Alkohol und fleischlicher Lust frönen, juckt das niemanden und wundert keinen.

Die ganze Doppelmoral eines religiös-ausgerichteten Systems wird deutlich, wenn man andererseits im gleichen Land Frauen (bis vor kurzem) nur in Begleitung Auto fahren liess und nur beschränkt deren Berufstätigkeit tolerieren.

Mutti heim in die Küche und dem Schah oder Land drei Kinderchen gebären ist eben die arabische Version dessen, was in Deutschland im letzten Jahrhundert als Vorbildlich gepriesen wurde und die AfD gesellschaftspolitisch schon wieder preist.

Ernst-Günther Konrad | Di., 22. November 2022 - 11:50

Von mir aus können die sich komplett das Hirn mit Drogen zerstören. Bei uns In D soll unter staatl. Aufsicht THC frei gegeben werden und wer wird da daran verdienen? Also mal schön den Ball flach halten. Cannabis streng reguliert zur Schmerztherapie, lasse ich mir gefallen. Mehr aber auch nicht. Und wenn ich mir die Politiker der Regierung anschaue, scheinen die auch alle unter Drogen zu stehen. Nach jahrelangem Genuss von Merkel THC und Lauterbachs Serumcocktail gegen Corona kein Wunder.

Christoph Kuhlmann | Mi., 23. November 2022 - 08:07

ein verschreibungspflichtiges Medikament. Es wirkt leistungssteigernd und ist bei mäßigem Gebrauch handhabbar. Wie immer macht die Dosis das Gift. Eine halbe Captagon lässt einen stundenlang lernen und hat keine spürbaren Nebenfolgen. Zwanzig auf einmal sind tödlich. Wie immer gibt es kein Patentrezept, mit dem Suchtfaktor umzugehen. Einerseits führen Verbote zu sucht fördernden kriminalisierten Milieus und zur Substitution mit weitaus gefährlicheren Drogen, Crystal Meth zum Beispiel, andererseits zeigt die starke Abhängigkeit von Opiaten in den USA, dass es ohne Kontrolle auch nicht geht. Sonst schafft die pharmazeutische Industrie viele Millionen Abhängige. Sei es mit Wachmachern, Schmerzmitteln oder Schlaftabletten. Auch noch so harte Strafen und intensive Kontrollen nützen nichts. In den Gefängnissen ist der Drogenmissbrauch eklatant.