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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Salome Surabischwili, Präsidentin von Georgien / dpa

Schleichende Annexion von Georgien? - Musterkind auf Abwegen

Georgien galt lange als Musterkind in einer unruhigen Kaukasus-Region, jetzt drohen Maßnahmen der Regierung, den Weg des Landes Richtung Westen zu torpedieren. Während das Interesse der EU an Georgien abgekühlt ist, nutzt Russland die Corona-Krise und die internationale Aufmerksamkeit auf Belarus, um seinen Einfluss im Land weiter auszubauen.

Autoreninfo

Oliver Rolofs ist Managing Partner der Münchner Strategie- und Kommunikationsberatung connecting trust und Südosteuropa-Experte. Er war langjähriger Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz.

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Lange lief es gut für Georgien. Nach dem Krieg mit Russland im Jahr 2008 hat das Land erhebliche Fortschritte gemacht. So große, dass es nicht nur EU-Aspiranten aus dem ehemaligen Jugoslawien hinter sich lässt, sondern auch einige EU-Staaten. So steht Georgien beim "Doing Business"-Index der Weltbank und beim Korruptionswahrnehmungsindex besser da als Italien, Griechenland, Litauen oder Rumänien.

Auch bei der Pressefreiheit liegt Georgien noch vor Polen, Malta und Ungarn. In Folge des Konflikts zwischen Georgien und Russland vor nunmehr zwölf Jahren, stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel damals sogar zuversichtlich eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens in Aussicht.

Inzwischen ist das im Konflikt mit Russland stehende Land in das sogenannte „Enhanced Opportunities Program“ (EOP) der Nato aufgenommen, das erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten an Nato-Manövern und Kooperationsprojekten sowie Zugriff auf ausgewählte geheime Bündnisinformationen verspricht. Seit 2016 besteht zudem ein Assoziierungsabkommen zwischen Georgien und der EU. Damit wäre das Land tatsächlich auf dem besten Wege, früher oder später Beitrittskandidat zu werden.

Georgien profitiert von strategischer Lage 

Dafür sprach nicht zuletzt auch der rasante wirtschaftliche, soziale, und politischer Fortschritt der letzten Jahre, der Georgien zur Vorzeigenation des Kaukasus gemacht hat. Ein einfacher Blick auf die Landkarte zeigt die strategisch wichtige Lage, die Georgien als Knotenpunkt für den Handel zwischen Ost und West, vor allem aber auch für die digitale Seidenstraße, einnimmt.

Mit letzterer soll eine schnellere, effektivere Verbindung ermöglicht werden, die das Land für Hyperscaler wie Vodafone, Google, oder Amazon attraktiv macht. Davon würden sowohl Georgien, als auch Europa profitieren. Eine solche Entwicklung ist aber nur möglich, wenn angemessene rechtliche und politische Voraussetzungen gegeben sind.

Im Schatten von Corona baut Moskau seine Macht aus 

Doch der Lack des Musterkindes beginnt zu bröckeln. Das Land entwickelt sich durch erratische Maßnahmen der georgischen Regierung zunehmend zu einem Potemkinschen Dorf für dringend benötigte ausländische Investoren und torpediert damit seinen weiteren Weg in Richtung Europa.

Gleichzeitig wächst der Druck aus Russland, das die Grenzen der seit dem Georgien-Krieg 2008 abtrünnigen Provinzen Abchasien und Süd-Ossetien weiter in das Landesinnere verschiebt. Vor einer schleichenden Annexion des Landes durch Russland warnte jüngst das georgische Außenministerium.

Erst 2019 war Georgien erneut Opfer einer groß angelegten, von Russland ausgehenden Cyberattacke. Während Europa mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie beschäftigt ist und gebannt auf die Entwicklungen in Belarus schaut, baut Moskau seine Machtposition über die wichtigen Verkehrs- und Handelsrouten für Energieträger in der Schwarzmeerregion weiter aus. 

Investoren werden nachhaltig verschreckt 

Entsprechend beunruhigend ist eine Reihe von Maßnahmen der Regierung gegenüber ausländischen und heimischen Investoren in den vergangenen Jahren, die droht, eine Annäherung mit Europa zu unterminieren. Dazu gehören vor allem politische Entscheidungen, Vertragsbrüche und Enteignung internationaler Investitionen in allen Bereichen der Infrastruktur - von Häfen, über Öl und Gas, bis hin zur Digitalisierung.

Höhepunkt dieser Entwicklung ist eine im Juli auf den Weg gebrachte Gesetzesänderung, die die elektronische Kommunikation reguliert und der Regierung in Tiflis nun erlaubt, eigene Manager mit Vollmachten in Firmen einzuschleusen, um diese zu kontrollieren. Der Schritt wurde sowohl von den betroffenen Firmen verurteilt, als auch von zivilgesellschaftlichen Verbänden, die sich für Medienfreiheit im Land einsetzen. 

Dabei folgt die Aktion einem bedenklichen Trend der vergangenen Jahre: 2019 etwa hat NEQSOL Holding, eine internationale Gruppe mit Infrastrukturinvestitionen in den USA, Großbritannien, dem Kaukasus und dem Nahen Osten, einen 49-prozentigen Anteil am Telekommunikations- und Internetdienstleister Caucasus Online erworben. Absicht der rund 50 Millionen Dollar schweren Investition war die Entwicklung eines modernen Glasfasernetzes, das als „digitale Seidenstrasse“ über 1,8 Millarden Menschen zwischen Europa, den Kaukasus und Nahen Osten mit Asien verbinden sollte.

Vor der Übernahme hat die Firma nach eigenen Angaben die Regierung durchgehend auch über ihre langfristigen Pläne informiert und das Einverständnis der zuständigen Behörden und Minister erhalten. Unter dem Vorwand unzureichender Informationen hat die Regierung nun aber Schritte eingeleitet, um die Firma zu enteignen und den Vertrag rückgängig zu machen.

Kein Einzelfall 

Auf ähnliche Weise wurde auch das amerikanische Mineralöl- und Erdgas-Unternehmen Frontera 2017 enteignet. Das US-geleitete Anaklia Deep Sea Port Projekt, eine 2,5 Milliarden US-Dollar Investition in die georgische Hafeninfrastruktur, sollte das Land schnell zu einem wichtigen Teil des Seewegs zwischen Ost und West machen. Womöglich unter russischem Druck wurde das Projekt aber dieses Jahr auf georgischer Seite ebenfalls abgebrochen.

Entsprechend angeschlagen ist das Investitionsklima und zunehmend auch das Vertrauen in Georgien als zuverlässigen wirtschaftlichen und politischen Partner. Die ausländischen Direktinvestition sind im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahr bereits um 42% niedriger gewesen. Mit dem Coronavirus dürfte die Situation inzwischen noch ungünstiger sein. Die US-Regierung hat zudem ihre jährliche finanzielle Unterstützung für Georgien um 15% reduziert, bis sich die Situation vor Ort verbessert.

Investitionen aus der EU ermöglichen positiven Reformweg

Problematisch wird dies aus politischer und vor allem sicherheitspolitischer Sicht, wenn Georgien dadurch weiter von einem positiven Reformweg abweicht und von internen und externen Interessen vereinnahmt wird. Auch der digitale Knotenpunkt könnte dadurch etwa über Russland oder die Türkei verlegt werden, eine Aussicht, die sowohl für Georgien als auch für Europa kontraproduktiv wäre. 

Georgien bleiben zwei Wege, mit dieser Problemlage umzugehen: Es kann den eingeschlagenen Weg fortführen und als leichte Beute für Moskau zunehmend von westlicher Investition und der EU abgeschnitten werden. Oder aber es kann diese neuen Maßnahmen rückgängig machen und, vielmehr noch, weitere internationale Investitionen in seine digitale und wirtschaftliche forcieren und damit auch souveräner gegenüber dem Einfluss Russlands werden.

Starkes Georgien auch im Interesse der EU 

Genauso muss Europa den strategischen Wert Georgiens erkennen, auch um den russischen Einfluss am Schwarzen Meer aufzuhalten und das Land und damit die Kaukasusregion eng an sich binden. Die enge Partnerschaft zwischen Georgien und der EU sowie die proeuropäische Haltung der georgischen Bevölkerung sollten Anlass genug für Brüssel sein, die Einhaltung der Rechtssicherheit im Land an entsprechende Konditionen zu knüpfen. 

Ein starkes Georgien, das zugleich international offen ist und europäische Werte vertritt, kann in dynamischen Zeiten nur in Europas Interesse liegen. Ansonsten droht Georgien zu einem Pufferstaat zwischen der EU und Russland zu werden.

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Romuald Veselic | So., 30. August 2020 - 17:14

wie man im Westen/EU NICHTS bewirken kann.
Die EU "Rettungsschirme" kann man mit Dialyse oder Transfusion vergleichen, bei einem/mehreren Unheilbaren. Dabei auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres die Häuser brennen.
Wenn die Feuerwehr nicht die Brände löschen will/kann; dann kommen die Brände zu uns.
Ich hoffe, ich irre mich.

wolfgang dubbel | So., 30. August 2020 - 18:39

ich halte es für problematisch, uns von den us ehem. sovjet-republiken aufs auge drücken zu lassen. die baltischen staaten sind da eine vertretbare ausnahme. i.ü. ist georgien auch geografisch nicht mehr europa

Romuald Veselic | Mo., 31. August 2020 - 10:54

Antwort auf von wolfgang dubbel

Zypern - EU Mitglied, gehört geografisch auch Asien an. Sollte nicht EU anhören. Wurde dennoch gemacht, aus Gründen der Opportunität, wg. GR. Fast die Hälfte von Zypern, wird von Ankaras Marionetten regiert. Okkupation pur. Was mach UNO u. die NGO-s dagegen? Nordzypern ist vorgelagertes Protektorat, außer Türkei, von niemand dipl. anerkannt. Ist das etwa kein Imperialismus/Neokolonialismus?
Die TR-Streitkräfte sind dort stationiert, so, wie es früher Rotarmisten in der DDR gab. Schon deshalb ist es eine Zumutung, dass man noch die Türkei in NATO duldet oder irgendwelche wirtschaftliche TTIP-Variante mit diesem Land betreibt.
MfG Nevergreen

Tomas Poth | So., 30. August 2020 - 21:54

Beitritt Georgiens, macht nur so weiter wenn ihr den Frieden destabilisieren wollt, und die EU, das vorgebliche Friedensprojekt immer schneller zur Implosion bringen wollt.
Die EU ist jetzt schon ein disfunktionaler Haufen.

Gerhard Lenz | Mo., 31. August 2020 - 11:35

Antwort auf von Tomas Poth

Im Zusammenhang mit den Corona-Pegida-Demonstrationen fordern Sie doch lautstark, den Menschen die "Grundfreiheiten" zurückzugeben!

"Freiheit" scheint ja für Sie "eine gewisse Bedeutung" zu haben!

Also sollte man den Menschen in Georgien, wie auch in der Ukraine und vielleicht eines Tages in Belarus, doch bitteschön die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden, ob sie der EU und eventuell eines Tages der NATO angehören möchten.

So wie sich Polen, Balten usw. - trotz Opposition Putins - für Mitgliedschaft in diesen Organisationen entschieden haben.

In Freiheit! Und diese ist nicht teilbar, oder? Und sicher nicht abhängig davon, ob sie mit den Wünschen eines Herrn Putin vereinbar ist.

Wolfgang Zeh | Mo., 31. August 2020 - 06:46

Wäre es möglich, dass man in Georgien erkannt hat, dass die EU nicht viel mehr ist als es die SU war? Nur mit ganz viel bunt statt grau und rot?
dass man auf echte Mitbestimmung aka Demokratie pfeift, wie die ungenierte Inthronisierung der Kommissionspräsidentin demonstriert hat?
Dass der Leviathan NATO eine wunderbare Tarnung für die"Supremacy in the military field " unserer Freunde abgibt, was den Georgiern nur von einem anderen Freund ausgehend noch gut in Erinnerung ist?
Und vielleicht wollen die Georgier nur einfach nicht der City of London zum Opfer fallen?
Vielleicht haben die Georgier auch ihre eigenen Vorstellungen wie die Zukunft des Landes aussehen soll, ganz ohne westliche Thinktanks und Sicherheitskonferenz.
Nur so ein paar Gedanken.

Juliana Keppelen | Mo., 31. August 2020 - 11:31

Antwort auf von Wolfgang Zeh

Georgien soll seinenWeg so gehen wie sie denken, dass es für ihr Land gut ist. Vielleicht haben sie erkannt, dass der Weg den die "US Berater" für Georgien vorgesehen haben nicht der richtige ist, denn kaum im Land ging schon das Ballern los (wie üblich wenn "US Berater" in einem Land auftauchen). Kleine Anmerkung zu dem Thema Einmischung in andere Länder in der NYT, Zitat "was machen wir falsch gegenüber den Chinesen?" Antwort eines Lesers "die Chinesen kommen mit Geld, wir kommen mit Bomben. Das soll nur ein Hinweis sein auf die unterschiedlichen Sichtweisen.

Christoph Kuhlmann | Mo., 31. August 2020 - 07:52

weshalb Georgien diesen Kurswechsel vollzieht. Die georgische Politik ist wohl für die meisten Leser eine Black Box.