Eine Estelada, die Fahne der katalanischen Nationalisten, weht am Zaun der Justizvollzugsanstalt Neumünster, in der der frühere katalanische Regionalpräsident Puigdemont einsaß
Flagge Kataloniens vor der Haftanstalt Neumünster: Rebellion, Aufruhr, Hochverrat / picture alliance

Fall Puidgemont - Die ideologischen Karten werden neu gemischt

Rebellion, Aufruhr, Hochverrat - der Fall Puidgemont wirkt wie aus der Zeit gefallen. Doch in Wahrheit markiert er eine Zeitenwende. Mitten im postnationalen Zeitalter erlebt der Gedanke der Nation eine Renaissance. Gerade für Linke ist das harter Tobak. Von Alexander Grau

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Es sind Begriffe wie aus einem Historienschinken oder aus einer längst vergangen Zeit: Rebellion, Aufruhr, Hochverrat. Und ähnlich archaisch wie die Begriffe wirkt der Konflikt, dem sie entstammen: eine Region, in der zumindest ein Teil der Bevölkerung die Unabhängigkeit anstrebt, und ein Zentralstaat, der das mit aller Macht zu verhindern sucht. 

Die Spannungen zwischen Katalonien und Spanien, der Haftbefehl gegen Carles Puigdemont, seine Flucht nach Belgien, seine abenteuerliche Verhaftung und kautionsbedingte Freilassung, das alles wirkt wie aus der Zeit gefallen. Dabei ist es hoch aktuell. Denn die Zeiten haben sich geändert. Der Konflikt um Katalonien ist nur ein Beispiel. Wir leben in einer Zeitenwende und wir begreifen es nur sehr langsam. Manche begreifen es gar nicht. Und wieder andere wollen es nicht wahrhaben.

Die Menschen wollen sich mit etwas identifizieren

Deutlich wird das an Begriffen wie „Nation“ oder „Identität“, also an Konzepten, von den manche glaubten, sie seien längst im Müllschlucker der Geschichte entsorgt (die Nation) oder privatisiert (die Identität). Falsch gedacht.

Die Nation feiert unter den Bedingungen der Globalisierung fröhliche Urständ. Das ist nicht sonderlich überraschend. Denn Menschen wollen sich mit etwas identifizieren. Und da der Mensch ein soziales Wesen ist, identifiziert er sich mit Kollektiven aller Art.

Was die Linke in ihren Identitätsdiskursen dabei immer übersehen hat: Selbstkonstruierte Kollektive – irgendwelche Special-Interest-Groups – haben auch und gerade in Zeitalter der Selbstverwirklichung ein ungleich geringeres Identifikationspotential als historisch gewachsene. Insbesondere in einer sozial hochmobilen Gesellschaft gewinnt das anscheinend Unveränderliche an Gewicht. Und das historische älteste Kollektiv, auf das Menschen bei ihrer Suche nach Identität zugreifen können, ist die Nation – so konstruiert sie immer sein mag.

Ein neuer Nationalismus

Die Renaissance des Gedankens der Nation in einem angeblich postnationalen Zeitalter ist daher nur konsequent. Und verwirrend zugleich. Denn die Vorzeichen haben sich geändert – und zwar grundlegend. Das macht die Sache so schwer einzuordnen und führt bei vielen zu Verklemmungen.

Der traditionelle Nationalismus des 19. Jahrhunderts war ein Kind kollektivistisch geprägter Gesellschaften der Vormoderne. Der neue Nationalismus hingegen, wie wir ihm etwa im katalanischen Separatismus begegnen, ist ein Produkt individualistischer Gesellschaften und damit der Suche des Einzelnen nach seiner persönlichen Identität. Fragten die Menschen der Frühmoderne noch „wer sind wir?“, so fragt der spätmoderne Individualist mit „wer bin ich?“

Es sind die Kinder der Postmoderne, die den Gedanken der Nation und was sich mit ihm verbindet plötzlich als Teil ihrer individuellen Identität begreifen. Damit werden die ideologischen Karten neu gemischt. Weltanschauliche Grenzen werden aufgebrochen. Individualisierung bedeutet nun nicht länger traditionelle Identifikationsräume zugunsten individueller Emanzipation abzulösen. Vielmehr beharren die emanzipierten Individuen auf ihr Recht, Teil einer Nation zu sein.

Damit haben die Wenigsten gerechnet. Am allerwenigsten die Linke. Denn für sie war Emanzipation immer gleichbedeutend mit der Aufkündigung überlieferter Rollenmuster: der sozialen Zugehörigkeit, der nationalen Identität, des Geschlechts.

Harter Tobak für die Linke

Doch plötzlich, und im Grunde wenig überraschend, wendet sich das Blatt, und die Menschen entdecken Traditionskollektive aus dem Geist der Selbstfindung neu. Insbesondere für linke Theoretiker ist das harter Tobak. Dabei waren es gerade sie, die den Identitätsdiskurs befeuert haben. Denn Identität, individuelle Selbstschaffung, das war ein originär linkes Projekt. Dass viele Menschen es nutzen, um sich überlieferten Identitätskonzepten zuzuwenden, damit hatte man allerdings nicht gerechnet. Geschichte kann gemein sein.

Das Ergebnis ist eine Implosion althergebrachter ideologischen Fronten. Der Fall Puigdemont demonstriert das eindrucksvoll. Beziehungsweise die Verklemmungen und das Schweigen, das er insbesondere in Deutschland auslöst.

Zeiten des Umbruchs

Gerade die, die immer von Freiheit und Emanzipation reden und denen reflexartig Tränen der Rührung in die Augen kommen, wenn das Wort „Zivilcourage“ erklingt, haben sich den letzten Tagen auffallend still verhalten. Und auch diejenigen, die bereit sind, ohne nähere Betrachtung in Hunderttausenden politische Flüchtlinge zu erkennen, hielten sich diesmal arg zurück.

Wohl gemerkt: Trotzig einen Nationalstaat erzwingen zu wollen, den ungefähr die Hälfte seiner Bewohner ablehnt, ist reichlich unklug. Peinlich hingegen ist mit Blick auf das Vorgehen des spanischen Staates das Schweigen derjenigen, die sonst nur im Ton tiefster Ergriffenheit von „demokratischen Werten“ reden. Doch wie gesagt: Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Die ideologischen Karten werden neu gemischt.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Cecilia Mohn | Sa., 7. April 2018 - 08:07

Danke Alexander Grau - super Artikel! Zurueck zur Nation! Wow!

Joachim Wittenbecher | Sa., 7. April 2018 - 08:42

Die Nation beinhaltet den Verfassungs-und Rechtsstaat u n d die kulturelle Identität der Bevölkerung - beides also. Die Nation ist somit die einzig erfolgversprechende Schutzmacht des Normalbürgers. Das haben die vergessen, die fälschlich glauben, keine Schutzmacht zu benötigen, da sie sich Schutz entweder kaufen oder extrem aggressiv - fast bürgerkriegsmäßig - erstreiten können. Die Bevölkerung selbst muss hierbei nicht ethnisch oder sprachlich homogen sein (siehe Schweiz); weiterhin kann die Nation m.E. auch auf freiwilliger Basis Teil eines vertraglichen Staatenverbundes sein, der allerdings dann auch funktionieren muss (siehe Europa). Die Nation ist also wie geschaffen dafür, sich in größeren Verbänden weiter zu entwickeln; sie ist d a s Zukunftsmodell. Der sehr gute Artikel von Herrn Grau beantwortet die aktuelle Frage (Spanien/Katalonien) nicht abschließend: Wird mit Separatismus die bestehende Nation (Spanien) zerstört oder eine neue Nation (Katalonien) geschaffen?

Harald Schlepper | Mo., 9. April 2018 - 15:23

Antwort auf von Joachim Wittenbecher

Wird mit Separatismus die bestehende Nation (Spanien) zerstört oder eine neue Nation (Katalonien) geschaffen?

Ich würde die Frage noch weiter fassen: wie würden sich die ebenfalls Katalanisch sprechenden Balearen und Valencia/Murcia verhalten, wenn es tatsächlich zu einer Abspaltung Kataloniens käme. Was ich als sehr unwahrscheinlich einschätze. Kämen dann die anderen Nationen in Spanien auch auf separatistische Gedanken? Ich meine die Basken und die Portugiesisch sprechenden Galizier? Ich vermute, die Katalanen wären mit einer Ausweitung der Autonomie zufrieden. Die Basken haben Bomben gelegt und viel Autonomie bekommen. Die Katalanen benutzen die Drohung mit der Abspaltung. Mit dem gleichen Ziel? Ich bin da nicht sicher. Das Argument, Katalonien wäre zu klein für einen Nationalstaat zieht für mich nicht, siehe Luxemburg, Slowakei und die baltischen Staaten.

Ralph Barthel | Sa., 7. April 2018 - 08:57

"Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Die ideologischen Karten werden neu gemischt."

Gott sei Dank

Ob man sich links, mittig oder rechts verordnet, ist relativ egal. Wenn dies aber zur Ideologie oder Religion mit Herrschaftsanspruch mutiert, wird's gefährlich.

Die Geschichte und Gegenwart zeigte und zeigt es immer wieder.

Gerd Steimer | Sa., 7. April 2018 - 09:53

Solidarität wird es auch keine geben, die einen kassieren, die anderen zahlen. Alles andere ist naiv. Nationale Identität ist unverzichtbar. Erst das eigene Land, dann die anderen, so machen es ausser Deutschland alle Staaten in der EU. Verzichten nur wir darauf, sind wir die Melkkühe. Die Tschechoslowakei hat sich auch aufgespalten, funktioniert wesentlich besser als das vorige Konstrukt. Die deutschen Minister sollen sich an ihren Eid halten - der betriftt Deutschland und das deutsche Volk

Klaus Decker | Sa., 7. April 2018 - 10:17

Allein schon wegen der Kommentare von Dr Grau
lohnt es sich, Cicero zu lesen! Erstaunlicherweise
kann auch ein Herr Augstein mit dieser neuen Art
von "Nationalimus" etwas anfangen. Vielleicht kommt in den politischen Diskurs doch Bewegung1

Gerhard Hellriegel | Sa., 7. April 2018 - 10:24

Einspruch. Meines Erachtens übersieht der Autor, was hinter diesem "Nationalismus" steht. Ob wir nach Osteuropa, England, Katalonien oder sonst wo blicken, hinter diesem "Rückzug" stehen allemal politische oder wirtschaftliche Differenzen. Es geht überhaupt nicht um diese Schwurbel-Identität. Sondern darum, dass Bevölkerungsteile sich zunehmend fremdbestimmt fühlen. Weil sie mit der herrschenden Politik nicht einverstanden sind. Es geht teils um das das religiöse oder moralische Monopol, um das Verhältnis zu Russland, zur Freizügigkeit, zur Migration oder Aufnahme von Flüchtlingen, zur wirtschaftlichen Übervorteilung, zum weit entfernten Brüssel, zur EU. Ich behaupte also, dass es diese Wendung zum Nationalen gar nicht gäbe, wenn das Übernationale (Überregionale) den eigenen politischen Vorstellungen folgen würde. Aus meiner Sicht ist daher das ganze Gerede um die "Identität" eine Ersatzdiskussion. Nebenbei: Puigdemon ist kein "Rechter". Zum Schluss: erst denken, dann zensieren.

Helmut Bachmann | Sa., 7. April 2018 - 12:05

ensteht und er ist aufgeklärt und sexy.

Christa Wallau | Sa., 7. April 2018 - 12:14

Die Unsicherheit in der CICERO-Redaktion ist
für mich deutlich spürbar.
Wie soll man sich jetzt hier richtig verhalten?

Was Herr Grau schreibt, ist ja absolut zutreffend:
Die Karten werden neu gemischt!
Dazu gehört der allmähliche Verlust der Definitionshoheit der Links-Grünen, zu denen die meisten Journalisten sich zählen.
Der Druck seitens der Menschen, die hiergegen
anrennen, wird täglich größer. Erst war es nur ein kleines, hartnäckiges Häuflein (dem ich bereits seit 30 Jahren angehöre), und jetzt werden es auf einmal immer mehr Leute (zudem noch welche, denen man Intelligenz u. Integrität nicht absprechen kann!), die eindeutig Meinungen vertreten, die nichts mehr mit dem bisher gültigen Mainstream zu tun haben.
O weh! Jetzt naht die Stunde der Bekenner!
Die Polarisierung ist da. Und nun, Herr Schwennicke u. Herr Marguier? Bei Ihnen steht schon deshalb viel auf dem Spiel, weil Sie selbst die finanzielle Verantwortung für CICERO tragen. Ich kann Ihr Dilemma nachvollziehen!

Thomas Kloft | Sa., 7. April 2018 - 12:51

Hier muss erwähnt werden, dass der Bürger auch immer mehr zurecht den Eindruck hat, dass in einem Europäischen Parlament undemokratische Entscheidungen über seinen Kopf hinweg gefällt werden, auf die er keinerlei Einfluss mehr hat und fatalerweise die große Mehrheit im Bundestag weiter auf dieses Konstrukt eines zukünftig vereinigten Europas setzt, das, aus vielfältigen Gründen, so nicht funktioniert. Eine Rückbesinnung u. Rückentwicklung zu mehr Eigenverantwortung ist zwingend notwendig, kann aber nur durch den Druck der eigenen Bevölkerung geschehen.

Ron Barker | Sa., 7. April 2018 - 13:19

Herr Grau,
Offensichtlich haben Sie, und fast alle Andere die Situation in Catalonia nicht verstehen wollen oder können ( Lesen Sie bitte mal, e.g, die heutige Ausgabe von abc.es
), die Thesen von Prüfendorf + Locke nie gelesen oder nicht verstanden haben. Da könnten Sie etwas über Rebellion lesen. Ihre Ausführung von dem Begriff "Nationalstaat" zeug eher von nicht verstanden können. Sie machen den Fehler die deutschen Erfahrung seit 1848 als allgemein gültige für den Rest von den Nationalstaaten in West-Europa/Nord Amerika die seit dem 15th Jahrhundert ihre individuelle Erfahrung eben mit Rebellion gemacht haben.

Wolfgang Henning | Sa., 7. April 2018 - 13:42

Verfolgt man die Beiträge in unseren Medien hat man nicht den Eindruck, dass der "Fall Puigdemont" das "große Schweigen" in Deutschland auslöst.
Schizophrener Weise ist es insbesondere die vereinigte Linke, die sich aktiv und mit Petitionen für Puigdemont und die Separatistenbewegung der Katalanen einsetzt. Richtig ist, dass fast 50 % der Katalanen keine Separation wollen.
Die Völker in Europa haben sich nach vielen Kriegen innerhalb der Volksstämme aus Vernunftgründen zusammengeschlossen und vertraglich Nationalstaaten gegründet. Die Mittel mögen nicht immer demokratisch gewesen sein, aber sie sind historisch gewachsen und in der europäischen Neuzeit demokratisch legitimiert. Sie beruhen insbesondere auf dem Schutz der Grenzen, dem innerstaatlichen Finanzausgleich, der unabhängigen Justiz und dem demokratischen Staatswesen.

Wolfgang Henning | Sa., 7. April 2018 - 13:50

In dieses System der gegenseitigen Anerkennung sind auch die Katalanen eingebunden, obwohl ihnen als Minderheitenrecht eine Teilautonomie zugestanden wurde. Die einseitige Aufkündigung dieser Verträge ist eben nach spanischem Recht (und nur darauf kommt es an) ein Verfassungsbruch und damit "Rebellion".
Die Probleme der EU beruhen weitgehend auf den unterschiedlichsten nationalen Interessen. Dort zu einer Einigung zu kommen, ist schwierig genug. Eine rückschrittliche Aufspaltung in Volksstämme würde eine Einigung in Europa unmöglich machen und erst recht ein Einfallstor für Migranten aller Art schaffen.

Herbert Weidner | Sa., 7. April 2018 - 17:52

Tja, wenn ein Erdogan kurdische Abgeordnete im Ausland jagt, sie in die Türkei entführen lässt, um sie jahrelang ins Gefängnis zu stecken, gibt es hier lautstarke Proteste.

Wenn der spanische Miniserpräsident Rajoy innerhalb der ach so demokratischen EU das Gleiche macht, passiert nichts. Er lässt etliche katalonische, demokratisch gewählte Abgeordnete einsperren und den obersten Rebellen Puidgemont im Ausland jagen, um ihn wegen "Ungehorsams" und "Rebellion" 30 Jahre lang weg zu sperren. Da schweigen alle Demokraten betreten und haben Wichtigeres zu erledigen. Nur ganz oben, im obersten Norden Deutschlands, stehen die Gesetzeshüter stramm und buchten Puidgemont eilfertig ein. Selbstverständlich streng nach Recht und Gesetz: "Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe nur gültige Vorschriften befolgt!" Diese Argumentation kommt mir bekannt vor: Hatten wir das nicht schon einmal?

Walter Rupp | Sa., 7. April 2018 - 18:02

Ich muss widersprechen, habe in Spanien gelebt, bin der Sprache mächtig und verstehe auch Katalanisch. Die Katalanen, die an der Autonomie festhalten wollen, aber keinen eigenen Staat wünschen, es handelt sich um die Hälfte der Bevölkerung dort, werden von den Ultra-Nationalisten eingeschüchtert und diskriminiert. Die Autonie der letzten dreissig Jahre wurde von den Separatisten dazu genutzt, um an den Schulen die Geschichte umzuschreiben und per TV Hetzpropaganda zu verbreiten. Ich habe selbst miterlebt, wie Andalusier, die in Barcelona seit Jahren leben, wie Untermenschen behandelt werden. Fällt Ihnen etwas auf?

Hans Pauckert | Sa., 7. April 2018 - 18:05

Ich glaube nicht, dass das stimmt. Deutschland ist ein Bundesstaat, und die Bundesländer haben ja doch einen großen Freiraum. Nur leider werden wir nun in einen Konflikt hineingezogen, mit dem wir nichts zu tun haben. Deshalb gehört dieser Herr nach Spanien ausgeliefert. Und zwar unverzüglich.

Sepp Kneip | Sa., 7. April 2018 - 18:37

"Die Renaissance des Gedankens der Nation in einem angeblich postnationalen Zeitalter ist daher nur konsequent."
Und warum ist das so? Weil man sich im Schoße einer Nation gut aufghehoben fühlte und fühlt. Weil die Menschen in Zeiten der Globaliesierung feststellen, dass es der Nation an den Kragen gehen soll und die Zukunftsplaner den Menschen kein Konzept von dem anhand geben können, was für sie stattdessen akzeptabel wäre. Im Gegenteil, die Menschen spüren die gewollte Ausdehnung eines zerstörerischen Multikulturalismus, der ihnen Identität und Nation rauben würde.

Die Menschen wollen sicherlich keinen Nationalismus im negativen Sinne. Nein, sie wollen wissen, wo sie hingehören. Wo sie dran sind. Sie wollen mitbestimmen und die Demokratie zurück, die Merkel ihnen graubt hat. Sie wollen wieder teilhaben an der Gestaltung ihres Landes und nicht übergangen werden. Sie haben genug von den linkslastigen Ideologien, die ihnen eine heile Welt vorgaukeln, die es nicht gibt.

Frank Unfrei | Sa., 7. April 2018 - 19:55

"Rebellion, Aufruhr, Hochverrat"
Diese Begriffe gehören zur Natur des Menschen, und werden es auch in Zukunft tun.
Der Fehler aller linken Theorien ist es, daß sie diese Seite des Menschen entweder negieren, oder idealisieren, und deswegen sind sie in der Vergangenheit gescheitert, und können auch die momentane Lage nur weiter anheizen.

Dimitri Gales | Sa., 7. April 2018 - 20:05

Ich bin für eine relative Unabhängigkeit Kataloniens; die Attitüde der spanischen Regierung trägt autoritären Charakter, wohl unterstützt von Brüssel. Man kann die Realität nicht dauerhaft unterdrücken oder deformieren - Tendenzen, die insbesondere Linke in ihren theoretischen, zuweilen irrational-utopischen Konzepten darstellen und vertreten. Der Nationalstaat und die Regionen haben Zukunft, was in keiner Weise hindert, mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten, ökonomisch oder in anderer Hinsicht. Aber Kraft geht immer von den Nationalstaaten und den Regionen aus, zumindest in Europa.

Felix Löcherer | Sa., 7. April 2018 - 21:20

Das "postnationale Zeitalter" war und ist eine Deutungskonstruktion, die weit mehr im linken Denken präsent war als in der kollektiven Realität. Kein anderes politisches Ordnungsmodell konnte bei Leistungsfähigkeit und Bindungskraft dem Nationalstaat das Wasser reichen. In Zeiten fortbestehender Nationen und damit Egozentrismen bedarf es zur Friedenssicherung eines aufgeklärten Patriotismus: nach innen Tradition und Zusammenhalt sichern, nach außen Völkerverständigung, Wertschätzung und Empathie erhalten.

Dieter Erkelenz | So., 8. April 2018 - 07:27

Also, Herr Grau, wenn ich sie richtig verstehe, eine Renaissance 'Nation'! Ich kann da Ihrer nüchternen Analyse nur zustimmen und verweise auf den Artikel "SEPARATISMUS. Die Erschütterung Europas
VON CONSTANTIN WIßMANN am 30. Oktober 2017.
und auf Ihren Artikel "DEMOKRATIE Wie der Individualismus (das Parteiensystem zerstört
VON ALEXANDER GRAU am 7. Oktober 2017" (unter besonderer Hervorhebung des Begriffes "Individualismus"!

Erich M. Schreiner | So., 8. April 2018 - 08:51

Danke, ein echter Augenöffner.

Klaus Dittrich | So., 8. April 2018 - 10:42

„ . . . das alles wirkt wie aus der Zeit gefallen.“
Mit Blick auf das Streben, einen eigenen kurdischen Staat zu schaffen, stellt sich die Frage: Ist dies wirklich so? Andere Beispiele ließen sich gewiss finden.

„ . . . der Suche des Einzelnen nach seiner persönlichen Identität.“
Lässt es sich nicht einfacher formulieren: Der Mensch, dessen Leben bekanntlich endlich ist, will sein Leben in einer gewissen Behaglichkeit und Sicherheit leben. Und wenn diese Bedingungen „von oben“ nicht umgesetzt werden, beginnt die Suche nach Strukturen, welche das gewünschte Leben (eventuell) gewährleisten.

„Denn Identität, individuelle Selbstschaffung, das war ein originär linkes Projekt.“
Als in der DDR sozialisierter Bürger mein Widerspruch – Es galt immer nur das Kollektiv; Identität, Individualität hatte sich diesem unterzuordnen.

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 8. April 2018 - 16:13

"Lark Rise to Candleford" (engl. Verfilmung):
"Twister Tyrill is my name
England is my nation
Lark Rise is my dwelling place
and Christ is my salvation
when I am dead and in my grave
and all my bones are rotten
Sing you this song and think of me
And mind, I´m not forgotten."
Von ganz Weitem halte ich Herrn Puigdemont für jemanden, dessen "dwelling place" Katalonien ist.
Er wirkt auf mich hilflos und politisch "kindlich".
Für einen großen Teil seiner Anhängerschaft trifft das von Herrn Grau Beschriebene aber vielleicht zu, als eine Art selbstbewusste Neuverortung.
So hätte ich eigentlich auch Europa gesehen, nur auf diesem Hintergrund als selbstbewusste Erweiterung.
Es scheint mir aber eher mittlerweile, auch so bewusst angelehnt, als Rollback zu einer Art Vereinigte Staaten von Europa analog zu den USA.
Vielleicht leiden wir aber auch nur an den Widersinnigkeiten einer Politik der offenen Grenzen, die uns im Namen von Humanität und Christentum ad absurdum führen könnte?

Franz Ruprecht | So., 8. April 2018 - 23:22

bereitet die kostbarsten Schmerzen.

Danke für den Beitrag Herr Grau.

Christian Bauer | Mo., 9. April 2018 - 14:21

von Globalisierung?
Diese Frage habe ich anfangs der 90er mal im Freundeskreis gestellt, und die Antwort war, angesichts der Auflösung Jugoslawiens: "Balkanisierung". Genau da stehen wir heute: Der Gedanke an eine künstliche Identifikation ist eben nicht menschengerecht. Der Mensch sieht sich, seinen Nachbarn, und eventuell noch jemand, der aber zumindest die gleiche Sprache sprechen muss. Die EU ist vielleicht für Menschen wichtig, die nichts anderes können. Aber der Rest? Der normale Europäer braucht die EU nicht, er kommt gut zurecht mit der EWG- und den Staaten ging es auch nicht schlecht. Gönnen wir Juncker und Co ihre Pension, und freuen wir uns am nach Nationen aufgeschlüsselten Medaillenspiegel von Olympia. Interessant- da darf man von Nationen im Wettstreit sprechen! Ansonsten ist man bei Verwendung des Wortes schon beinahe ein Nazi.
Merkwürdige Welt.

Harald Schlepper | Mo., 9. April 2018 - 15:49

Ein sehr gut Artikel, der es auf den Punkt bringt. Dabei müsste man Bedenken, dass Spanien mindestens 4 Nationen in einem Staat vereinigt: Katalonien mit Balearen, Baskenland, Galizien und den Kern mit Kastilien, La Mancha, Andalusien, Aragon etc. Die Valencianos sind Kandidaten für eine weitere Nation. Ihr Kampf um Anerkennung als eigenständige Sprache war zwar erfolglos, aber sie sie fühlen sich auch als eigenes Volk, nicht Spanier, nicht Katalanen. Es ist kompliziert. Wir können mehrere Nationen auf Dauer friedlich unter dem Dach eines Staates zusammen funktionieren? Die Tschechoslowakei und Jugoslawien haben es nicht geschafft. In Bulgarien gibt es Spannungen mit türkischen und mazedonischen Minderheiten. In der Schweiz funktioniert es. In Belgien rumort es. Letzteres ist ein Beleg dafür, dass Wohlstand alleine nicht ausreicht um nationalistische Tendenzen zu überdecken. Ist das United Kingdom Vorzeigmodell? Keinesfalls. Wir brauchen andere Antworten. Es ist eine Zeitenwende.