
- Showdown am Mittelmeer
Seit Jahren tobt in Libyen ein Konflikt, der sich zum größten Stellvertreterkrieg des Nahen Ostens ausgeweitet hat. In Deutschland interessiert man sich nur dafür, wenn wieder Tausende Flüchtlinge über das Mittelmeer kommen. Dabei ist die Sicherheit von Europa unmittelbar bedroht.
Der Bürgerkrieg in Libyen findet in Deutschland meist nur wenig Interesse – es sei denn, größere Zahlen von Flüchtlingen drohen das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren. Dabei sind die Auswirkungen des Staatsverfalls in dem nordafrikanischen Land seit 2011 dramatisch. Erst befeuerten Waffen und Söldner infolge des Zusammenbruchs des Gaddafi-Regimes Konflikte in der Sahelzone, die sich heute bereits zu einem Flächenbrand ausgeweitet haben.
Dann setzte sich in Libyen ein besonders starker Ableger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) fest, der erst nach verlustreichen Kämpfen 2016 zerschlagen werden konnte. Außerdem nutzten Hunderttausende afrikanische Flüchtlinge die Gelegenheit, über das Territorium des zerfallenden Staates den Weg über das Mittelmeer nach Europa anzutreten.
Die Machtlosigkeit der EU
Seit einigen Monaten versucht Europa zwar etwas intensiver auf den Konflikt einzuwirken, doch zeigt sich jetzt, wie machtlos die EU ist, seit die USA sich nicht mehr um Libyen kümmern. Lange waren es Regionalstaaten wie Katar einerseits und die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten andererseits, die das internationale Desinteresse an Libyen nutzten und mithilfe lokaler Verbündeter einen Stellvertreterkrieg auf kleiner Flamme führten.
Da es sich ausnahmslos um prowestliche Staaten handelte, missfielen ihre Auseinandersetzungen den Europäern zwar, stellten aber keine unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit des Kontinents dar. Mit den jüngsten Interventionen Russlands und der Türkei hat sich diese Ausgangslage geändert. Die Aussicht auf russische und türkische Militärstützpunkte am Südufer des Mittelmeers, von denen aus Ankara und Moskau nicht nur Öl- und Gasströme nach Europa kontrollieren können, sondern auch Flüchtlingsbewegungen, haben den Europäern den Ernst der Lage vor Augen geführt. Doch die EU ist außen- und sicherheitspolitisch viel zu schwach, die Mitgliedstaaten zu uneins und Deutschland als wichtigste Macht des Kontinents zu wenig sicherheitspolitisch interessiert, um das Ruder noch einmal herumzureißen.
Im Gewimmel der Milizen
Der libysche Bürgerkrieg war nie so intensiv und opferreich wie der in Syrien. Vielmehr war es ein Konflikt mit Unterbrechungen, der 2011 begann, 2014 bis 2015 für einige Monate eskalierte und 2019 erneut einsetzte. In den Zwischenphasen kam es zwar immer wieder zu Kämpfen, wie etwa gegen die Terroristen des IS, die 2015 bis 2016 einen Ministaat rund um ihre libysche Hauptstadt Sirte aufbauten. Doch dominierten zahlreiche Milizen das Geschehen, die alle so schwach waren, dass größere Kampfhandlungen meist ausblieben.
Die teils erstaunliche Schwäche der Kontrahenten ist bis heute eines der wichtigsten Merkmale des Bürgerkriegs. Dies galt auch für die „Truppen“ General Khalifa Haftars, der sich als neuer starker Mann Libyens präsentiert und im April 2019 die bis heute andauernde Phase des Bürgerkriegs einleitete, indem er einen Großangriff auf die Hauptstadt Tripolis startete, der ihm die Macht im Land sichern sollte. Der heute 77 Jahre alte Haftar war ein Weggefährte Muammar al Gaddafis, hatte aber schon Ende der achtziger Jahre mit dem Diktator gebrochen.