Unterstützer von Ayatollah Ali Khamenei im Iran / dpa

Iranischer Machtkampf - Die Zukunft eines Regimes

Der Oberste Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, vermittelt seit langem zwischen den verschiedenen Fraktionen, die um Macht und Einfluss ringen. Er hat es dabei sogar mit Kräften zu tun, die radikaler sind als er selbst.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Kein Tauwetter in Sicht! Vielmehr zeichnet sich eine neue Generation iranischer Führer ab, die ideologisch weitaus härter eingestellt ist als die, die das Land seit der Gründung der Islamischen Republik vor 45 Jahren hervorgebracht hat. Ihr Aufstieg ist das Ergebnis des Versuchs des Regimes, sich selbst zu erhalten, angesichts einer Öffentlichkeit, die zunehmend desillusioniert ist von einer Ordnung, die lange Zeit von Theokraten dominiert wurde. Das beispiellose Ausmaß der technischen Entwicklung bei den jüngsten Wahlen im Jahr 2024 unterstreicht den sich verschärfenden internen Machtkampf im Vorfeld der Nachfolge eines neuen Obersten Führers. Das iranische politische System kann nicht weiterhin die Öffentlichkeit unterdrücken und gleichzeitig einen Krieg gegen sich selbst führen.

Bei den Wahlen zum Parlament und zur Expertenversammlung 2024, die am 1. März stattfanden, war die Wahlbeteiligung so niedrig wie bei keiner anderen Wahl seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979. Staatlichen Medien zufolge gaben etwas mehr als 40 Prozent der Wähler ihre Stimme ab, anderen Berichten zufolge lag die Beteiligung deutlich niedriger. Nach Angaben der Nahost-Nachrichtenplattform Amwaj.media landete der Sprecher des scheidenden Parlaments und prominente ehemalige Kommandeur der Islamischen Revolutionsgarden, Mohammad Bagher Ghalibaf, im Rennen um die Sitze in der Hauptstadt Teheran, wo die Wahlbeteiligung mit 25 Prozent noch niedriger war, auf dem vierten Platz.

Bei den Wahlen zur Expertenversammlung, dem 88-köpfigen klerikalen Gremium, das den Obersten Führer wählen und absetzen kann, war die größte Überraschung, dass Sadegh Laridschani (der ein Jahrzehnt lang als Oberster Richter fungierte und aus dem mächtigen Laridschani-Clan stammt) seinen Sitz verlor. Die Tatsache, dass der ehemalige Präsident Hassan Rouhani, der seit der Gründung des Regimes an der Spitze der nationalen Sicherheit steht und viele Schlüsselpositionen in den verschiedenen Elite-Institutionen des Regimes innehatte, von der Teilnahme an der Wahl zur Expertenversammlung ausgeschlossen wurde, unterstreicht das Ausmaß, in dem die diesjährigen Wahlen manipuliert wurden.

Massenhafter Ausschluss von Reformisten

Die Wahltechnik, die den iranischen Konservativen die Oberhand verschaffen soll, reicht bis zu den Parlamentswahlen 2004 zurück. Im Vorfeld dieser Wahl kündigte der Wächterrat (ein zwölfköpfiges klerikales Gremium, das die Kandidaten für öffentliche Ämter überprüfen kann) den massenhaften Ausschluss von Reformisten an, die seit den 1990er Jahren immer stärker wurden. Doch anstatt die politischen Machtkämpfe zu beenden, verschlimmerte die Ausschaltung der Reformkräfte diese in den nächsten 20 Jahren noch, da sich konkurrierende konservative Fraktionen zu streiten begannen. Während der Präsidentschaft von Mahmoud Ahmadinedschad und Rouhani, die den Iran von 2005 bis 2021 jeweils für zwei Amtszeiten führten, war der Kampf zwischen Pragmatikern und Ideologen sehr intensiv.

Der Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei vermittelt seit langem zwischen den verschiedenen Fraktionen, die um Macht und Einfluss ringen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten jedoch erforderte dieser Prozess, der sich ansonsten weitgehend hinter den Kulissen abspielte, nicht nur zunehmend sein persönliches Eingreifen, sondern wurde auch viel öffentlicher. Am deutlichsten wurde dies in der Ära Ahmadinedschad (2005-13), als sich der damalige unberechenbare Präsident nicht nur mit den konservativen Kollegen im Establishment anlegte, sondern sich in seiner zweiten Amtszeit auch gegen Khamenei stellte. Infolgedessen verschärften sich die Verwerfungen in der konservativen Bewegung in einer Zeit, in der die USA immer mehr Sanktionen verhängten.

Atomabkommen mit Washington

Khameneis Lösung bestand darin, die Rückkehr der pragmatischen konservativen Kräfte zu ermöglichen. Bei den Wahlen 2013, an denen sich fast 73 Prozent der Wähler beteiligten, besiegte Rouhani seine Rivalen deutlich. Damit konnte der Oberste Führer zwei wichtige Ziele erreichen. Erstens wurde dadurch die öffentliche Unterstützung für das Regime wiederhergestellt, die durch die umstrittenen Wahlen 2009 und den anschließenden monatelangen Aufstand der Grünen Bewegung stark gelitten hatte. Zweitens eröffnete er Teheran die Möglichkeit, inmitten der schärfsten Sanktionen, die das Land je erlebt hat, ein Atomabkommen mit Washington auszuhandeln.

Teheran litt nicht nur unter den schweren finanziellen Folgen der Sanktionen, sondern kämpfte auch darum, eine aggressive Außenpolitik mit dem Bedürfnis nach innenpolitischer Ruhe in Einklang zu bringen. Die Gespräche mit den Vereinigten Staaten vertieften jedoch die Gräben innerhalb des iranischen politischen Establishments. Während die von Rouhani geführten Pragmatiker die Gespräche als entscheidend für die nationale Sicherheit ansahen, versuchten Ideologen unter den Klerikern und innerhalb der Revolutionsgarden, den Kontakt zu den USA und Zugeständnisse an sie zu begrenzen, da sie die Verhandlungen als schädlich für das Regime betrachteten.

Ein großer Sieg für die Pragmatiker

Das Atomabkommen von 2015 war ein großer Sieg für die Pragmatiker, aber er war nur von kurzer Dauer. Die Entscheidung der Trump-Administration von 2018, aus dem Atomabkommen auszusteigen und erneut Sanktionen zu verhängen, untergrub die pragmatischen Konservativen im Iran ernsthaft. Die iranischen Vergeltungsmaßnahmen, darunter ein Angriff auf eine saudische Ölanlage im Jahr 2019, der die Hälfte der Rohölproduktion des Königreichs zum Erliegen brachte, veranlassten die USA Anfang 2020 zur Ermordung des Chefs der Quds-Truppen innerhalb der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Die Ermordung Soleimanis rüttelte die Ideologen wach und schwächte die pragmatischen Konservativen weiter, die während Rouhanis zweiter Amtszeit (2017-21) erheblich an Boden verloren hatten.
 

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Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 schränkte der Wächterrat die Zahl der Kandidaten ein, um den Sieg von Ebrahim Raisi zu sichern, einem Hardliner-Ideologen und ehemaligen Staatsanwalt, der für die Unterdrückung abweichender Meinungen im Land berüchtigt ist. Aber nicht nur die pragmatischen Konservativen wurden in die Schranken gewiesen, auch Khameneis eigener Einfluss auf das System war geschwunden. Dies wurde deutlich, als der ehemalige Chef für nationale Sicherheit und Parlamentssprecher Ali Laridschani, der ältere Bruder des ehemaligen Justizchefs Sadegh Laridschani und einer der Favoriten im Rennen, disqualifiziert wurde. Khamenei versuchte, die Entscheidung rückgängig zu machen, doch der Wächterrat blieb hartnäckig.

Angesichts seines fortgeschrittenen Alters und von Spekulationen über seinen schlechten Gesundheitszustand hatte Khamenei seit langem an Einfluss verloren, während sich das System, das er mehr als 30 Jahre lang gestaltet und geleitet hatte, auf seinen Nachfolger vorbereitete. In der Zwischenzeit gewann der von der Revolutionsgarden geführte Sicherheitsapparat an Stärke. Die Hardliner befürchteten, dass der nächste Oberste Führer sie ins Abseits drängen könnte, vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden ideologischen Spaltungen innerhalb der Streitkräfte. Doch mit Raisi hatten sie einen der ihren als Präsidenten.

Kleiderordnung für Frauen

Raisis Regierung ist die am weitesten rechts stehende in der Geschichte der Islamischen Republik. In dem Bestreben, ihre Macht im Staat zu festigen, hat die Regierung Raisi, insbesondere nach mehreren Protestrunden in den vergangenen Jahren wegen der immer härteren wirtschaftlichen Bedingungen, die Beschränkungen in der Öffentlichkeit verschärft, vor allem die Kleiderordnung für Frauen in der Öffentlichkeit. 

Dies führte im September 2022 zum Tod von Mahsa Amini, einer jungen Frau aus der Provinz Kurdistan, während sie in Gewahrsam der Sittenpolizei war. Amini war verhaftet worden, weil sie bei einem Besuch in der Hauptstadt den Hidschab nicht ordnungsgemäß getragen hatte. Ihr Tod löste die schlimmsten öffentlichen Proteste seit denjenigen aus, die das islamische Regime vor Jahrzehnten an die Macht brachten. Die Demonstranten im ganzen Land, darunter viele Frauen, widersetzten sich den Behörden in gewalttätigen Protesten, die fast ein Jahr lang andauerten.

Das Ausmaß der Unruhen war so groß, dass viele hochrangige Vertreter des Regimes die Regierung kritisierten und davor warnten, dass die Unruhen die Islamische Republik bedrohten. Khamenei selbst sah sich gezwungen, in die Defensive zu gehen, und gab eine öffentliche Erklärung ab, wonach Frauen, die den Hidschab nicht konservativ tragen, nicht als weniger loyale Bürgerinnen betrachtet werden sollten. Hochrangige Vertreter des Regimes kündigten an, dass die Gesetze über die Bekleidung von Frauen in der Öffentlichkeit überarbeitet werden sollten, obwohl keine konkreten Maßnahmen ergriffen wurden. Die Demonstrationen klangen Mitte 2023 ab, aber sie kamen einem systemischen Schock für das Regime gleich, welches befürchtete, dass die Massenproteste seine Existenz vor einem kritischen Übergang bedrohten. Die Spaltungen innerhalb des Regimes verschärften sich noch weiter.

Sich verschärfende Machtkämpfe

In dem Bemühen, ihren Einfluss zu wahren, haben die Ideologen bei den Wahlen in diesem Monat versucht, eine Mehrheit im Parlament und vor allem in der Expertenversammlung zu erlangen. Da die Expertenversammlung für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt wird, werden ihre neuen Mitglieder höchstwahrscheinlich darüber entscheiden, wer die Nachfolge Khameneis als dritter oberster Führer des Landes antritt. Da die Ideologen den Wächterrat beherrschen, konnten sie die Konkurrenz der Pragmatiker ausschalten. Dennoch stehen in vielen Bezirken Stichwahlen für die Besetzung von Parlamentssitzen an, während die genaue Zusammensetzung der Expertenversammlung noch unbekannt ist.

Angesichts der weit verbreiteten und wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung, der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage und der sich verschärfenden Machtkämpfe zwischen den Eliten wird die Zukunft des iranischen Regimes wahrscheinlich von den Streitkräften des Landes entschieden werden – die allerdings ebenfalls durch ideologische Differenzen zerrissen sind.

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Ernst-Günther Konrad | Di., 12. März 2024 - 12:32

Aha. Nicht nur das Problem mit dem Irak (USA), auch innenpolitische Verwerfungen und wie überall, Ideologie vs. Pragmatismus. Und ein gespaltenes Volk, dass je nach Einflussnahme mal so und mal so wählt oder eben sich komplett aus den Wahlen verabschiedet. Warum eigentlich? Kann es sein, dass diese Nichtwähler weder das eine noch das andere wollen, sondern Frieden, Freiheit und das was man noch Demokratie nennen darf. Das Volk muss es richten und darf weder Außenstehenden noch Fanatikern folgen. Dich wie will man in einem solchen Land Widerstand leisten, wenn am Ende das Militär eingreifen wird und sich gespalten für oder gegen das Volk entscheiden soll. Wohin Ideologie gerade auch religiöser Prägung führ, erleben wir ja selber. Unsere Klimajünger eifern dem fanatischen Klimahype ohne Sinn und Verstand nach und treten dafür alles in die Tonne, was zwei Generationen aufgebaut haben. Bei uns wird kein Militär einschreiten können, die sind nicht genug. Bei uns muss es der Souverän richten

will aber ergänzen der iran steht sozusagen auf der Abschußliste des Plans 7. Länder in 5 Jahren das heißt medial werden wir vorbereitet auf eine ernste Auseinandersetzung mit dem Iran. Es ist sozusagen immer das gleiche Strickmuster. Das was sie über Wähler und Wahlen schreiben trifft doch ganz besonders auf unser Land zu. Nein das Militär wird bei uns nicht einschreiten allerdings bei einem militanten Putschversuch wäre ich mir nicht so sicher der Demokratielack ist ziemlich dünn.

Christoph Kuhlmann | Mi., 13. März 2024 - 09:51

Diese besagen, dass es einer Diktatur reicht, wenn ca. 15% der Bevölkerung sie unterstützen. Nun ist der Iran eine Theokratie mit demokratischen Elementen. Eine Wahlbeteiligung von 40% lässt darauf schließen, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten das System nicht unterstützt. Zudem sind nur 49% der Bevölkerung Iraner. Es gibt ethnische Spannungen. Wie die diversen Ethnien in einem bewaffneten Konflikt um die Macht reagieren ist, ist völlig offen. Die Halbwertzeit von Diktaturen ist durch die Korruption bedingt, ob es im Iran Institutionen gibt, welche diese bekämpfen ist mir nicht bekannt. Die sogenannten Revolutionswächter, eine militärische Einheit der islamischen Revolution im Iran, soll jedenfalls große Teile der Wirtschaft kontrollieren. Inwieweit andere militärische Kräfte sich ebenfalls eine ökonomische Basis verschafft haben ist vermutlich kaum herauszufinden. Irgendwann wird Zahl der Profiteure des Regimes zu gering, insbesondere wenn es sich weiter radikalisiert.

K.Vonnegut | Mi., 13. März 2024 - 12:47

Gestern war Weltfrauentag und in Berlin sah man auf Demos besonders viele Damen aus dem rot-grünen Umfeld. Dachten die vielleicht an die unterdrückten Frauen im Iran, Afghanistan, Pakistan, der ganzen islamischen Welt? Ich glaube, die dachten eher an die 50% Quote in unseren Institutionen und an Vorstandsposten, als den Kampf der Frauen für Menschenwürde und gleiche Rechte im Islam.
K.Vonnegut

Keppelen Juliana | Mi., 13. März 2024 - 14:47

Antwort auf von K.Vonnegut

ich spreche aus Erfahrung. Es gibt Frauen die für das Recht auf Abtreibung kämpfen und Frauen die gegen die Abtreibung kämpfen. Auch Frauen bewerten und beurteilen "Unterdrückung" unterschiedlich und wenn, nur als Bsp., Frauen im Iran gegen das Kopftuch demonstrieren heißt das noch lange nicht, dass die Mehrheit der Frauen das Kopftuch als Unterdrückung empfinden (es soll Frauen geben die bei uns dafür kämpfen das Kopftuch im Ö Dienst tragen zu dürfen). Die Unzufriedenheit liegt meisten in den wirtschaftlichen Bedingungen das heißt wiederum nicht, dass sie sich unser Wirtschaftssystem wünschen. Also die Hoffnung auf einen Regimewechsel aus westlicher Sicht ist aus meiner persönlichen Sicht eher Wunschdenken. Auch wissen die Iraner, dass von aussen durch massive Sanktionen ihr Land in die Knie gezwungen werden soll um evtl. eine Clique ans Ruder zu bringen die nicht unbedingt für das Volk besser sein muss.