
- „Erbschaften verletzen das Leistungsprinzip liberaler Gesellschaften“
Der Soziologe Jens Beckert forscht seit 20 Jahren zum Thema „Erben in der Leistungsgesellschaft“. Er sagt: „Das Aufstiegsversprechen liberaler Gesellschaften wird konterkariert, wenn die Vermögensstrukturen über die Generationen verfestigt sind.“ Gerade Wirtschaftsliberale sollten sich dieser Situation stellen, sagt Beckert – und plädiert für eine kompromissbereite Debatte über eine Reform der Erbschaftssteuer.
Jens Beckert, geboren 1967, ist seit 2005 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Der Soziologe forscht im Bereich der Wirtschaftssoziologie mit besonderen Schwerpunkten auf der Einbettung von Märkten und der Rolle von Erwartungen in der Wirtschaft. Sein Buch „Erben in der Leistungsgesellschaft“ (Campus, 246 Seiten, 34,90 Euro) gewährt einen Einblick in seine Forschungen zum Thema Erbschaft.
Herr Beckert, ist eine Erbschaft ein leistungsloses Einkommen?
Selbstverständlich. Der Erbe bekommt einen Vermögenszuwachs, ohne ihn selbst erwirtschaftet zu haben.
Ich frage, weil immer wieder zu beobachten ist, dass Wirtschaftsliberale über den Begriff spotten und sagen, die Kinder hätten sehr wohl etwas für das Erbe ihrer Eltern geleistet – etwa, weil sie durch die Sparmaßnahmen der Eltern selbst Verzicht geübt oder weil sie im Unternehmen ihrer Eltern mitgearbeitet hätten.
Wenn die Kinder im Unternehmen ihrer Eltern tätig sind, sind sie Mitarbeiter, deren Verdienst sich an entsprechenden Gehältern bemisst. Andere Mitarbeiter bekommen durch ihre Mitarbeit ja auch keinen Anspruch auf Teile des Unternehmens. Man könnte die Aussage vom leistungslosen Einkommen bei Ehepartnern einschränken und wie im Güterstandsrecht sagen, dass es sich um eine Zugewinngemeinschaft handelt. Aber im Kern sprechen wir bei Erbschaften von der Übertragung eines Vermögens in die nächste Generation, und die Kinder haben nicht das Vermögen ihrer Eltern erwirtschaftet. Gerade Liberale sollten sich der Situation stellen, dass hier eine Privilegierung stattfindet. Das heißt nicht automatisch, dass das schlecht ist, aber man sollte sich dem schon mit ernsthaften Argumenten stellen.
In Ihrem Buch „Erben in der Leistungsgesellschaft“ beschreiben Sie einen Widerspruch, der sich aus dieser Privilegierung ergibt: „Der Begriff der Leistungsgesellschaft impliziert, dass soziale Ungleichheit nur dann als gerechtfertigt angesehen wird, wenn sich Einkommens- und Vermögensunterschiede auf unterschiedliche Leistungsbeiträge zurückführen lassen.“ Inwiefern unterläuft das deutsche Erbschaftssystem das Leistungsprinzip?

(Copyright: MPIfG/David Ausserhofer)
Arbeitsleistung wird wesentlich stärker besteuert als Erbschaften. Der maximale Steuersatz liegt bei der Einkommensteuer bei 45 Prozent, bei der Erbschaftssteuer in direkter Linie bei 30 Prozent. Noch eine Besonderheit – auch im internationalen Vergleich –, ist, dass dieser Höchststeuersatz erst bei einem steuerrelevanten Erbe von 26 Millionen Euro greift. Wohingegen der Höchststeuersatz bei der Einkommensteuer bei 250.000 Euro greift. Noch dazu werden sehr große Erbschaften anteilig weniger besteuert als die mittleren Erbschaften, was daran liegt, dass sie im Wesentlichen aus Betriebsvermögen bestehen und diese weitgehend freigestellt sind.
2021 wurden in Deutschland geschätzt ca. 400 Milliarden Euro vererbt und geschenkt, darauf aber nur elf Milliarden Euro Steuern gezahlt. Ein Grund sind hohe Freibeträge. Ein anderer Grund ist, dass die Entlastung für Betriebsvermögen als Schlupfloch genutzt wird, um die Erbschaftssteuer für Privatvermögen zu umgehen.
Die Differenzierung von Privatvermögen und Betriebsvermögen ist nicht eindeutig. Die entsprechenden Steueranwälte finden so natürlich Möglichkeiten, den Steuersatz für ihre Klienten vorteilhaft zu gestalten. Wir haben in Deutschland also zum einen die niedrigen Steuersätze und zum anderen die Gestaltungsmöglichkeiten, durch die auch sehr große Erbschaften quasi ohne Steuerbelastung in die nächste Generation gegeben werden können. Geht man von den 400 Milliarden Euro aus, so werden Erbschaften im Durchschnitt mit 3-4 Prozent besteuert. Das entspricht der Verzinsung in einem Jahr.
Sie sagten, „gerade Liberale“ sollten sich dieser Situation stellen. Können Sie das erläutern?
Die Vermögensvererbung ist insbesondere ein Thema des Liberalismus, für den Chancengleichheit und Leistungsprinzip eine herausragende Rolle spielen. Dies waren natürlich in den bürgerlichen Revolutionen Begriffe, die sich gegen die Privilegien des Adels richteten. Die Feudalgesellschaft basierte auf Rechtsungleichheit, was sich auch in einem eigenen Erbrecht für den Adel ausdrückte. Und sozialer Status beruhte auf Herkunft. Die liberalen Protagonisten der bürgerlichen Revolution griffen diese soziale Ordnung an. Arbeitsleistung und Markterfolg der Individuen sollten zukünftig darüber entscheiden, wer oben steht. Für das Bürgertum und die Liberalen hat sich daraus ein unlösbarer Konflikt ergeben.