Kristalina Georgieva, geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, auf der Frühjahrstagung des IWF in Washington / dpa

Internationaler Währungsfonds - Requiem für den IWF

Diese Woche findet in Washington die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) statt. Doch der IWF befindet sich in der größten Existenzkrise seit seinem Bestehen. Die Inflation galoppiert, und im „Globalen Süden“ braut sich die größte Schuldenkrise seit den frühen 1980er-Jahren zusammen.

Thomas Mayer

Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Als US-Präsident Richard Nixon im Jahr 1971 die Anbindung des US-Dollar an Gold beendete, zerstörte er das wichtigste Instrument der finanziellen Nachkriegsordnung, das Bretton-Woods-Währungssystem. In diesem System hatte der Internationale Währungsfonds die zentrale Rolle gespielt. Nun war seine Existenzgrundlage weg. Bevor die Organisation jedoch zur Auflösung gebracht werden konnte, ergriff ihre Führungsmannschaft die Chance, beim Management der lateinamerikanischen Schuldenkrise, die durch den Bankrott Mexikos im Jahr 1982 ausgelöst wurde, die Führung zu übernehmen.

Als ich im Oktober 1983 meine Stelle beim IWF antrat, lag die lateinamerikanische Schuldenkrise gerade ein Jahr zurück. Jacques de Larosiere, der damalige Direktor, begrüßte die neuen Rekruten der internationalen Finanzpolizei im Atrium des Gebäudes an der 19th Street in Washington mit dem Ruf, dass es unsere Aufgabe sei, die Welt in Zukunft sicherer zu machen. In meinem ersten Lehrjahr fuhr ich nach Äthiopien und Togo, um dort bei der Prüfung der Finanzen und (im Falle Togos) der Auszahlung von „Anpassungskrediten“ mitzuarbeiten. In beiden Ländern herrschten Diktatoren. Selbst dem noch ungeschulten Auge wurde schnell klar, dass dorthin überwiesene Hilfsgelder irgendwo im Land versickerten oder auf Schweizer Bankkonten landeten. Also beschloss ich, meine Karriere als Entwicklungsökonom zu beenden, und ließ mich in die Europaabteilung versetzen.

Dort dauerte es nicht lange, bis es turbulent wurde. Am „German Desk“ überraschte mich der Fall der Berliner Mauer. Ronald Reagan, „mein“ Präsident, den ich nie wählen konnte, hatte noch im Juni 1987 an dieser Mauer gerufen: „Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ Zwei Jahre später fiel sie tatsächlich. Wir fühlten uns im Auge der Geschichte und arbeiteten mit roten Ohren an der Wiederherstellung des Kapitalismus im Osten. Aber wie macht man aus einem Spiegelei wieder das ursprüngliche rohe Ei? Es funktioniert nicht. Man braucht ein neues Huhn und muss es zum Eierlegen bringen. Und das kostet Zeit.

Die niedrigen Zinsen animierten die Staaten der Welt zur Verschuldung

Ich war ungeduldig und wechselte in die Finanzindustrie. Wenn ich in den neunziger und frühen Nullerjahren meine alten Kollegen besuchte, war die Stimmung gedrückt. Angeblich lag die Macht nun bei den Märkten. Unter dem ehemaligen französischen Finanzminister Dominique Strauss-Kahn baute der IWF Stellen ab. Ich fühlte mich überlegen und bedauerte die Kollegen. Dann kamen die Große Finanzkrise 2008/09 und die Eurokrise 2010/11. Die deutsche Bundesregierung traute der EU-Kommission nicht zu, die Eurokrise zu managen, und holte den IWF ins Boot. Strauss-Kahn stellte wieder ein, und mein Gefühl der Überlegenheit war weg. Auch sein schändlicher Abgang wegen eines Sexskandals konnte die gefestigte Stellung des IWF als oberster Finanzkrisenmanager nicht erschüttern.

Das dürfte sich jetzt ändern. Das Magazin The Economist bescheinigt dem IWF die größte Existenzkrise seit seinem Bestehen. Am Arbeitsmangel liegt es nicht. Nach der Großen Finanzkrise manipulierten die Zentralbanken die Zinsen auf historische Tiefstände. Sie glaubten, dass eine „säkulare Stagnation“ der Weltwirtschaft die Inflation für immer ausgeschaltet und den langfristigen Gleichgewichtszins auf oder unter null gedrückt habe. Die niedrigen Zinsen animierten die Staaten der Welt zur Verschuldung. Vor allem in den „Emerging Markets“ und Entwicklungsländern, die man heute gerne den „Globalen Süden“ nennt, stiegen die Schuldenquoten seit 2010 um mehr als 70 Prozent.

 

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Doch die Einschätzung der Zentralbanker erwies sich als falsch, und die Inflation feierte ein kraftvolles Comeback. Die Zinsen steigen, und die Schuldner kommen in Bedrängnis. Die Silicon Valley Bank in den USA und die Crédit Suisse in der Schweiz beherrschten jüngst die Schlagzeilen. Doch wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt, als dass wir wahrnehmen, was außerhalb der USA und Europas geschieht. Anfang dieses Jahres erklärte Kristalina Georgieva, die Direktorin des IWF, 15 Prozent der Länder mit niedrigem Einkommen seien schon an der Schwelle zur Zahlungsunfähigkeit, und weitere 45 Prozent seien auf dem Weg dorthin. Bei 25 Prozent der „Emerging Markets“ sei das Risiko der Zahlungsunfähigkeit so hoch, dass diese schon in den ihnen abverlangten Zinsen berücksichtigt sei. Laut Economist sind 21 Länder, die 1,3 Billionen US-Dollar Schulden angehäuft haben und in denen 718 Millionen Menschen leben, schon im Zahlungsverzug oder brauchen dringend eine Umschuldung. Im „Globalen Süden“ braut sich die größte Schuldenkrise seit den frühen 1980er-Jahren zusammen.

Der wichtigste Grund für die Lähmung des IWF ist der Konflikt mit China

Doch anders als damals kommt der IWF heute nicht aus den Startlöchern. Seit den Pandemiejahren sind seine Hilfskredite um nur 51 Milliarden US-Dollar gestiegen. Die größten Empfänger bleiben die „Dauerkunden“ Argentinien, Ägypten und Pakistan. Der wichtigste Grund für die Lähmung des IWF ist der Konflikt mit China. Das Land hat in den vergangenen Jahren hohe Kredite an Entwicklungsländer vergeben und zeigt nur geringes Interesse, mit dem IWF bei der Umschuldung der überschuldeten Länder zu kooperieren. Gleichzeitig lehnen es die westlichen Gläubigerländer ab, einseitig Schulden zu streichen, da es dann China leichter falle, seine Schulden einzutreiben.

Eine Lösung wäre, Schulden nur zu vergeben, wenn sich die Schuldner verpflichteten, keine Zahlungen mehr an China zu leisten und dort auch keine neuen Kredite mehr aufzunehmen. Im Grunde liefe das auf eine Isolierung Chinas hinaus, das dann mit Russland zu den Parias des IWF gehörte. Mit zusammen knapp 9 Prozent der Stimmrechte könnten die „Parias“ zwar den IWF nicht in ihrem Sinne steuern, aber sie könnten die Arbeit sehr erschweren, insbesondere wenn sie andere Länder auf ihre Seite ziehen könnten.

Sowohl die Lösung der neuen Schuldenkrise als auch die Zukunft des IWF sind unklar. Nachdem er seine Funktion als Manager des Bretton-Woods-Währungssystems verloren hatte, konnte sich der IWF als globaler Manager von Finanzkrisen noch einmal neu erfinden. Wenn er der neuen Finanzkrise im „Globalen Süden“ weiterhin tatenlos zusehen muss, dürfte er auch diese Rolle ausgespielt haben. Doch Bürokratien haben ein zähes Leben. Wahrscheinlich erfindet sich die IWF-Bürokratie wieder neu, vielleicht als Finanzagent des Westens im neuen kalten Krieg gegen China und seine Verbündeten.

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Karl-Heinz Weiß | Di., 11. April 2023 - 15:59

Offenbar hat sich seit den Gründerjahren des IWF nichts geändert: die Hilfsgelder fließen weiterhin in die falschen Kanäle. Lediglich die Standorte der Briefkastenfirmen haben sich geändert - sehr zum Missfallen der Credit Suisse. Und China kümmert sich seit Anbeginn nicht um den Verwendungszweck.