
- Ideenwettbewerb statt Glaubenskrieg
Anstatt aus Gründen kurzfristiger Gewinnabsichten am Bewährten festzuhalten, sollte sich die Automobilindustrie der längst bekannten Zukunftstechnologie verschreiben. Das Problem: In der Debatte über E-Mobilität verdrängt Dogmatismus oft die rationale Abwägung.
Einst dominierte Kodak das Geschäft mit der Fotografie. Auch Grundlagenforschung konnte der Industriegigant: Schon in den 70er Jahren wurde die Digitalfotografie erfunden, die um die Jahrtausendwende schließlich die Welt der Lichtbildaufnahmen für immer verändert hat. Auch wenn heute nur noch ein Bruchteil aller Bilder mit Digitalkameras aufgenommen wird, sind diese Artikel noch immer ein gewaltiger Markt, weil weltweit immer mehr Bilder aufgenommen werden. Sozusagen ein kleineres Stück von einem größeren Kuchen, was das Geschäft noch immer profitabel macht. Bloß die Firma Kodak ist nicht mehr dabei. Denn deren Management hat sich der im eigenen Haus entwickelten Technologie verwehrt, weil es sich das Geschäft mit Zelluloidfilmen nicht verderben wollte. Der vorsätzlich verspielte Vorsprung machte den einstigen Riesen zum Nachzügler und zwang ihn schließlich in die Knie.
In vielen Branchen nur zweite Liga
In der Bundesrepublik treibt viele die Angst um, dass es Deutschland ähnlich ergehen könnte. Schließlich wurde hier schon der Anschluss an einige Technologien versäumt: Zuvorderst auf dem Feld der Digitalisierung, aber auch in der Solarbranche, bei der grünen und roten Gentechnik, der Finanzwirtschaft oder der Unterhaltungselektronik ist Deutschland in die zweite Liga abgestiegen oder gleich ganz ausgeschieden. Noch einmal darf das nicht passieren. Deutschland ist nach wie vor sehr industriell geprägt, aber die Branchenvielfalt unter den Top-Unternehmen ist geschwunden. So gleicht der deutsche Wohlstand zunehmend einer Sänfte mit immer weniger Trägern.
Jetzt droht die Autoindustrie auch noch wegzubrechen. Nach Jahrzehnten anhaltenden Erfolgs und einer Position an der Weltspitze kommt plötzlich alles ins Wanken. Der Vorbote war der Dieselskandal, dass aber nun der Verbrennungsmotor selbst in Frage gestellt ist und reine E-Auto-Hersteller die Investorenträume beflügeln, trifft die Branche ins Mark. Gern wird der Leitbranche vorgehalten, wie einst Kodak aus Gründen kurzfristiger Gewinnabsichten am überkommenen Bewährten festzuhalten, anstatt sich mit aller Kraft der längst bekannten Zukunftstechnologie zu verschreiben – zu Lasten der eigenen Zukunft.
Konsens beim autonomen Fahren
Immerhin: Viele Entscheider haben den Ernst der Lage erkannt; Politiker, Manager und Gewerkschaftsvertreter ringen um konstruktive Lösungen für die Zukunftsfähigkeit der Industrie. Eher Konsens besteht beim autonomen Fahren. Für die hochmobile Pendlergesellschaft öffnet sich hier ein weites Zukunftsfeld, welches die „Freude am Fahren“ neu definieren, aber keineswegs überflüssig machen wird.
Anders hingegen verhält es sich mit der Frage des Antriebs: Hier wird ein zunehmend erbitterter und polemischer Streit darüber geführt, ob die Industrie sich gänzlich und möglichst sofort allein der E-Mobilität verschreiben sollte, oder ob stattdessen auch alternative Konzepte wie die Brennstoffzelle und E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, erzeugt aus erneuerbaren Energien, verfolgt werden müssten.
Das wichtigste Argument ist der Wirkungsgrad
Diese Debatte wird mit großer Schärfe geführt, der Riss geht quer durch die oben genannten Gruppen. Das wichtigste Argument für eine reine E-Auto-Strategie ist der Wirkungsgrad: Dieser ist beim E-Auto sehr hoch, Brennstoffzelle und Verbrennungsmotor mit E-Fuel können da bei weitem nicht mithalten.
Deshalb sei es sinnlos, Ressourcen auf Antriebsdiversifikation zu verschwenden, weil diese in die Sackgasse führe. Befürworter einer gemischten Strategie, welche darauf setzt, verschiedene alternative Antriebskonzepte parallel voranzutreiben und passgenau für unterschiedliche Zwecke einzusetzen, stellen in aller Regel darauf ab, dass eine Vollversorgung mit erneuerbarer Energie in weiter Ferne liegt, die Umweltbilanz des E-Autos selbst nicht ohne Makel ist und die Technologie sich auch gar nicht für alle Anwendungen als beste Option erweist.
Debatte verlässt die Sachebene
Leider verlässt diese Debatte immer öfter die Sachebene und wird stattdessen Teil jenes Kulturkampfes zwischen Progressiven und Bewahrern, welcher dazu führt, dass bei immer mehr Fragen der Dogmatismus die rationale Abwägung verdrängt. Infolgedessen werden Realität und Fortschritt von beiden Seiten ausgeblendet. So liegt ein flächendeckendes Netz an Ladesäulen in weiter Ferne, welches den gesamten Fuhrpark bedienen könnte. Speichermöglichkeiten jenseits der Produktion von Wasserstoff und synthetischem Kraftstoff, den die Brennstoffzelle oder klassische Motoren nutzen könnten, gibt es auf dem Papier viele, in der Praxis kaum.
Ohne Speichermöglichkeiten gibt es aber keine Alleinversorgung mit erneuerbarer Energie, welche aber Voraussetzung wäre, dass das E-Auto tatsächlich emissionsfrei ist, weil das auch für die Stromherstellung gelten müsste. Andererseits wird E-Fuel bislang nur in homöopathischen Dosen unter hohem Energieaufwand hergestellt, und für die Brennstoffzelle scheint nach Dekaden der Ankündigungen zu gelten, dass sie der Antrieb der Zukunft ist – und es immer bleiben wird.
Ideenwettbewerb statt Glaubenskrieg
So leben alle alternativen Antriebe von Voraussetzungen, die erst noch Wirklichkeit werden müssen. Dabei sollte aber der Fortschritt nicht unterschätzt werden. Der menschliche Erfindungsgeist hat das Potential, die inhärenten Schwächen aller alternativen Automobilantriebe zu überwinden oder zumindest zu kompensieren. Freilich gibt es dafür keine Gewähr. Dann aber würden sich die Technologien schlicht nicht durchsetzen oder halten können, so wie auch der Zelluloidfilm heute keine Marktrelevanz mehr hat.
Angesichts des Nebeneinanders von Fallgruben und Potentialen ist es sinnvoll, allen Ansätzen eine Chance auf Bewährung zu geben, anstatt sie vehement zu verdammen. Das Credo „One size fits all“ kann sich durchaus als falsch erweisen, weil situativ ganz unterschiedliche Ansätze gefragt sind. Denn die Anforderungen unterscheiden sich ganz erheblich zwischen Stadt und Land, zwischen Industrie- und Schwellenland mit mangelhafter Infrastruktur, zwischen Kleinwagen und LKW. Die Frage nach dem geeigneten Antrieb für das Auto sollte daher zum Ideenwettbewerb statt zum Glaubenskrieg werden.
Dogmatismus darf nicht Oberhand gewinnen
Für diesen Wettbewerb ist es schädlich, wenn der Dogmatismus gegenüber dem kühlen Kalkül die Oberhand gewinnt. Das Signalwort „Verbrenner“ ist inzwischen zum ideologischen Symbol geworden, mit dessen Verwendung die eigene Modernität und Moralität herausgearbeitet wird, ohne aber das Thema Ottomotoren als Brückentechnologie oder emissionsfreien Antrieb, welcher zumindest vorläufig für bestimmte Zwecke die sinnvollste Variante ist, differenziert zu betrachten.
Die erbittertsten Gegner lehnen in Wahrheit oftmals das Automobil an sich ab. Das ist legitim, sollte dann aber auch so offen ausgesprochen werden. Anstatt irgendwelcher Verbote wären Gebote sinnvoller, die das Ziel der Emissionsfreiheit und nicht den Weg dahin vorgeben. Wenn eine Technologie so schlecht ist wie neuerdings angeblich der „Verbrenner“, verschwände sie von selbst. Die Dampfmaschine oder Analogkamera musste schließlich niemand verbieten.