Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
() Das Gesicht der Neunziger: Die Models Tatjana Patitz und Christy Turlington beim Fotoshooting
Wir tragen, was wir sind

Mode lässt uns schöner aussehen, macht uns glücklicher. Doch in Deutschland gilt sie als unwichtigste Sache der Welt. Wir haben sie aus unserem Alltag verbannt, kleiden uns lieber billig ein – auch wenn wir damit billig aussehen.

"Mode ist der Seismograf ihrer Zeit“, schrieb vor dreißig Jahren die Berliner Journalistin Ursula von Kardorff. Noch konkreter hatte es 1940 Walter Benjamin in seinem „Passagenwerk“ formuliert: „Wer die Mode zu lesen verstünde“, schrieb er, „der wüsste im voraus nicht nur um Strömungen in der Kunst Bescheid, sondern auch um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen.“ Ungewohnte Worte im Zusammenhang mit Mode, die in Deutschland, wenn sie überhaupt zur Kenntnis genommen wird, nicht als die schönste, sondern als die unwichtigste Nebensache der Welt abgetan wird. Das war nicht immer so. Aber derzeit scheint uns das Gefühl für sie abhanden gekommen zu sein. Mode mag zuweilen Rätsel aufgeben, aber sie gibt auch immer Auskunft über unsere Befindlichkeiten. Und setzt Signale. Umso unverständlicher bleibt es, wie wenig Spielraum wir ihr in den Medien geben. Dass sie im Fernsehen so gut wie gar nicht vorkommt, daran hat man sich fast gewöhnt. Aber dass man ihr auch in den Tageszeitungen die eigene Seite gestrichen hat? Im Gegensatz zu Auto, Motor und Sport ist sie den allgemeinen Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen. Dabei ist sie uns täglich näher als jedes Automobil, und intelligenter als Fußball ist sie allemal. Trotzdem handelt man sie im Vermischten ab, wo kaum Platz bleibt, sich ernsthaft mit ihr auseinander zu setzen. Oder sie markiert den Pausenclown auf bunten Bildern. Mode an sich interessiert nicht mehr. Was fasziniert, sind ihre Auswüchse und der Hype, der um sie veranstaltet wird. Man schreibt über Supermodels, Fashion Victims und die Menschen, die sie entwerfen. Man fragt Jil Sander, warum sie zurückgekommen ist, und rätselt mit Karl Lagerfeld, warum er sich um die Hälfte seines Gewichts verschlankte. Nur, was sie entwerfen, fragt niemand. Sollte das jemanden interessieren, wird er an die Frauenzeitschriften und Modemagazine verwiesen. Warum beschränken sich Fußballfans dann nicht auf Sportillustrierte? Weil die Herren in den maßgeblichen Redaktionen selbst Fußballfans sind? Liegt das Problem der Mode, in der öffentlichen Meinung keine Wahrnehmung mehr zu finden, darin, dass noch immer Männer unsere Medienlandschaft dominieren? Mode ist, wie die Kunst, das Theater oder das Kino, auf die Medien angewiesen. Wie soll man wissen, was Mode ist, wenn niemand darüber schreibt? Weil sie uns zu oberflächlich erscheint? Bis heute bleiben ihr die Feuilletons verschlossen, obwohl sie ein Teil unserer Kulturgeschichte ist. Dabei hat die Mode in der öffentlichen Meinung der Zeitungen auch in Deutschland eine ebenso lange Tradition wie im Ausland. War es einst das Kaiserhaus und der Adel, die stilbildend wirkten, so sind es in den zwanziger bis vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Stars der Berliner Bühnen, Revuen und des Kinos, die man nachzuahmen versuchte. Fritzi Massary, die Königin der Operette, der Stummfilmvamp Lil Dagover oder die mädchenhafte Elisabeth Bergner wurden später abgelöst von Lilian Harvey, Marika Rökk oder Renate Müller, einst Idealbild der deutschen Frau. In jenen drei Jahrzehnten bemühte sich die Mode in Deutschland sogar um Eigenständigkeit, was unter den Nazis natürlich nicht ganz unfreiwillig geschah.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.