
- Vom Schandmal zum Mahnmal?
Die sogenannte Judensau an der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-Anhalt darf bleiben. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Kontextualisierung durch eine Textplatte schaffe die nötige historische Distanz zu der eindeutig antisemitischen Plastik. Medien- und Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hält dieses Urteil für eine krasse Fehlentscheidung - denn das Gericht unterschätze die Macht der Bilder.
In diesem Prozess, der viel Aufmerksamkeit bekommt, geht es – auf den ersten Blick - um einen Stein. Der Bundesgerichtshof befasst sich mit der Frage, ob ein jahrhundertealtes antisemitisches Relief an einer Kirche in Wittenberg eine Beleidigung sein kann. Denn das behauptet der Kläger und verlangt von der Kirche, das Relief zu entfernen.
Kirchlicher Antisemitismus
Das Relief an der Stadtkirche ist eine typische „Judensau“-Darstellung, wie sie seit dem Hoch- Mittelalter über Jahrhunderte in der christlichen Bildersprache üblich war. Sie zeigt ein weibliches Schwein, an dessen Zitzen Juden hängen und saugen. Hinter der Sau steht ebenfalls ein Jude und schaut ihr in den Anus. Das ist eine extreme antisemitische Schmähung und eine heftige Beleidigung. Genauso war diese Darstellung auch gemeint. Sie sollte Juden, für die das Schwein ein unreines Tier ist, beleidigen, ausgrenzen, demütigen. Die „Judensau“ ist eine schmerzhafte Erinnerung an die unheilvolle, antisemitische Geschichte der christlichen Kirchen.