
- Nützliche Idioten der Antisemiten
In Jerusalem ist schon manch Weltbewegendes entstanden. Jetzt eine „Jerusalemer Deklaration“ – verfasst von zweihundert der „renommiertesten“ internationalen Holocaustforscher. Herausgekommen ist eine Mogelpackung.
Eine Reihe der Unterzeichner der „Jerusalemer Erklärung“ sind alles Mögliche. Philosophen, Manager wie Lothar Zechlin, Schriftstellerinnen wie Eva Menasse und andere Luftmenschen, die, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bislang weder durch Holocaustforschung, noch als Historiker aufgefallen sind. Hinzu kommen quasi als Würze reale Holocaustwissenschaftler. Bemerkenswert ist die Machart ihres Werkes. Seriöse Wissenschaftler diskutieren Thesen, falsifizieren diese und einigen sich am Ende auf ein vorläufiges Papier, das sie der wissenschaftlichen Welt und der Öffentlichkeit zur Diskussion freigeben.
Die „internationalen Holocaustforscher“, die sich hinter dem „Jerusalem“-Markenzeichen versammeln, verkündeten dagegen eine „Deklaration“ – darunter machen sie es nicht. Doch eine Deklaration ist in der Regel kein wissenschaftliches Produkt, sondern ein politisches Instrument. Deklarationen sollen Parolen von Revolutionen, Erklärung von Menschenrechten etc. als Treibsatz dienen, nicht Forschungsarbeiten.
Der Vorwurf der blutigen Entstehung
Die Verfasser der Deklaration erwähnen in ihrer Anti-Antisemitismus-Definition unter anderem, Judenhass sei eine Variante des Rassismus, die Vorurteile gegenüber Juden akkumuliere, den Hebräern ein schlechtes Wesen und eine geheime Macht über die globalen Ereignisse zuschreibe. Zudem werden Angriffe gegen Juden und ihre Einrichtungen erwähnt. Das ist insgesamt recht sparsam.
Jeder, der sich mit Antisemitismus beschäftigt, weiß, dass Judenhass vielfältig und wandlungsfähig ist. Moderner Judenhass bedient sich seit dem Nazi-Genozid vielfach einer Camouflage: Gegen Juden per se hat man großzügiger Weise nichts, das Übel stecke vielmehr im Zionismus und dessen „Ausgeburt“: Israel. Kernvorwurf ist, dass der Staat Israel durch Gewalt entstanden sei. Eine Binsenweisheit. Man vergisst zu erwähnen, dass fast alle anderen Staaten ebenfalls durch Gewalt, „Blut und Eisen“ etc. entstanden sind. Die USA, die Volksrepublik China, Kanada, Polen, Deutschland, die brave Schweiz gar ... Den blutigen Entstehungsvorwurf reservieren die modernen Antisemiten indessen vorwiegend für das satanische Paar Zionismus & Israel.
Die Sparsamkeit der Jerusalemer Deklaratoren wandelt sich dialektisch zur Großzügigkeit, sobald Israel ins Spiel kommt. Als nicht antisemitisch wird die Ablehnung des Zionismus, Kritik an Israel, die auf Tatsachen beruht (dass „Tatsachen“ alles und nichts bedeuten können, selbst Fake News, sollte inzwischen jeder wissen), sowie der Boykott Israels beschrieben. Was das Ende des jüdischen Staates und damit von Millionen Juden bedeuten würde. Das soll kein Antisemitismus sein? Hier erhebt sich die Frage: Cui bono? Wem nützt diese Jo-Jo-Definition von Holocaustforschern und solchen, die sich als solche ausgeben?
Antisemitismus gleicht dem Wahnsinn
Antisemitismus gleicht dem Wahnsinn. Meschugge ist allumfassend. Es braucht eine Beschreibung, damit Psychiater, Juristen, Kriminelle, Journalisten, Politiker und Interessierte eine Arbeitsgrundlage haben. Auch deshalb wurde 1998 die „International Holocaust Remembrance Alliance“ IHRA etabliert. Der Zusammenschluss von Regierungen und Experten aus 34 Staaten unter derzeitigem deutschen Vorsitz ist bestrebt, die Erinnerung an die Schoah durch Aufklärung und Forschung wachzuhalten. 2016 hat sich die IHRA auf eine Antisemitismus-Definition geeinigt:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden und Jüdinnen, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder in Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.
... Der Vorwurf gegenüber den Jüdinnen und Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.
... Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.
... Die Anwendung doppelten Standards, in dem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.“
Mit dieser Definition erklärt die IHRA das Mutationsprinzip des Judenhasses. Antisemitismus changiert zwischen religiöser Feindschaft, Rassismus und dem ideologischen Hass des Antizionismus. Letzterer wird gegenwärtig vorwiegend von der BDS-Bewegung getragen, welche den Staat Israel zu erdrosseln sucht, indem sie weltweit zum Boykott des Landes und seiner Einrichtungen inklusive Forschungsstätten ebenso wie zum Stopp der Investitionen in Zion und zu Sanktionen aufruft.
Pro und contra Antisemitismus
Ein wichtiges Feld der modernen Auseinandersetzung pro und contra Antisemitismus ist die Teilnahme von Juden. Wenn Hebräer gegen den Zionismus oder die Existenz Israels, beziehungsweise für dessen Boykott einträten, könnten diese Strömungen nicht antisemitisch sein, lautet das falsche Argument. Warum sollten Menschen jüdischer Herkunft oder Religion nicht Antisemiten sein dürfen? Auch Juden besitzen das Recht auf Dummheit, Selbsthass und Verkommenheit. So schlossen sich einst viele deutsche Juden antisemitischen Vorurteilen an – in der Hoffnung, die Judenhasser beschwichtigen zu können.
AEG-Chef Walther Rathenau, dem es als Jude verwehrt blieb, preußischer Leutnant zu werden, polemisierte 1897 in seiner Schrift: „Höre Israel!“: „Auf märkischem Sand eine asiatische Horde.“ Vergeblich. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der deutsche Patriot Rathenau zum Opfer antisemitischer Hetze: „Schlagt tot den Walther Rathenau/ Die gottverdammte Judensau!“ 1922 machten die Judenfeinde ernst und ermordeten Rathenau. Ein Vorspiel nur für die elf Jahre später einsetzende Nazi-Diktatur.
Deklaration auf den Müll werfen
Diese Folgen kennen die Wohlgesinnten nicht oder sie wollen nichts davon wissen. Sie mögen Gutes im Sinn haben. Israels Besatzungspolitik zu kritisieren ist legitim. Das geschieht ohnehin in und außerhalb Zions. Doch wer den Antisemitismus erforscht oder es vorgibt und sich Jerusalem auf Panier schreibt, sollte fähig sein, die möglichen Konsequenzen seines Tuns zu begreifen. Die Unterzeichner sollten ihre Deklaration auf den Müll werfen, ansonsten machen sie sich zu nützlichen Idioten der Antisemiten.