Szene aus Christopher Nolans "Oppenheimer"
Szene aus Christopher Nolans „Oppenheimer“ / dpa

Oppenheimer und die Bombe - Die Arbeiter des Teufels

Mit seinem Film „Oppenheimer“ hat Christopher Nolan die Debatte um die Atombombe in die Gesellschaft zurückgebracht. Begriffen haben wir sie bis heute nicht. Das „Manhattan-Projekt“ ist die Quintessenz der modernen Naturwissenschaften.

Jochen Kirchhoff

Autoreninfo

Jochen Kirchhoff wurde 1944 in Torgau geboren. Mit seinen Monografien zu Giordano Bruno, Friedrich Schelling und Nikolaus Kopernikus hat er sich einen Namen als Wissenschaftsphilosoph gemacht. Von 1991 bis 2002 lehrte Kirchhoff Naturphilosophie an der Humboldt Universität zu Berlin. 

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Die Atombombe ist der große Todesengel, der über der Menschheit schwebt. Sie signalisiert und manifestiert eine permanente Bedrohung, der niemand entgehen kann. Zugleich werden fundamentale, ja abgründige und quälende Fragen aufgeworfen, die sich die wenigsten Menschen überhaupt stellen. Um diese Fragen aber soll es hier gehen.

Zunächst dies: Welche Energie wird eigentlich in der Atombombe frei? Alle Welt glaubt das zu wissen. Aber die Sache ist rätselhafter, als viele denken. Denn was ist überhaupt Energie? Was ist Kernkraft? Was Kernenergie? Bekanntlich hat es die Physik niemals geschafft, hier eine wirkliche Klärung herbeizuführen  was im übrigen für die meisten ihrer gängigen Begriffe gilt.

Das Lebendige in der Defensive

„Wir haben die Arbeit des Teufels getan“, resümierte Robert Oppenheimer, der Chef des „Manhattan-Projektes“, im Rückblick auf sein Werk. Und auch: „Wir haben die Sünde kennengelernt.“ Aufschlussreiche Sätze, die man ernst nehmen kann und auch sollte. Sie beziehen sich schließlich auf eines der größten Menscheitsverbrechen. Hat dieses Verbrechen die Naturwissenschaft generell kontaminiert, im besonderen natürlich die Physik? Das wurde 1945 und in den Jahren danach durchaus von Einzelnen diskutiert, spielt aber heute eine eher untergeordnete Rolle. Verwundern kann das nicht, da sich die global herrschende Megatechnik ohnehin als alternativlos geriert und alles Lebendige längst in die Defensive gedrängt hat. Der Transhumanismus und die Atombombe hängen eng zusammen, wie man ohne großen Scharfsinn erkennen kann. Es sind lebensfeindliche Großprojekte, die uns bedrohen und die dennoch gnadenlos vorangepeitscht werden. 
 
Die Naturwissenschaft seit Galilei, daran darf, ja muss erinnert werden, war stets eine abstrakte Naturwissenschaft; um die Erkenntnis der Lebenswelt jedenfalls ging es ihr nie. Strenggenommen hat es eine Wissenschaft des Lebens kaum je gegeben. In der abstrakten Naturwissenschaft ging es stets um eine quasi entsinnlichte, skeletthaft verdünnte und in diesem Sinne tote Welt. Die Frage nach dem Wesen der Dinge geriet also unter die Räder. Sie wurde für irrelevant erachtet. Wozu Farbe, wozu Sinn, wozu Schönheit, wozu geistig-kosmische Verbundenheit? Das alles war nicht mehr von Bedeutung. Es zählte nicht und wurde somit auch nicht gezählt bzw. der toten Zahl unterworfen.

Was hingegen zählte, waren Dinge, und damit Objekte ohne Innenseite, ohne Qualitäten, ohne Bewusstsein. In dieser Beschränkung lag die große Stärke der mathematischen Physik, die zunächst die Grund- und Leitwissenschaft der Moderne wurde. Auch die Quantentheorie hat daran nichts geändert. Es triumphierte auf ganzer Front die subjektblinde Wissenschaft  eine Wissenschaft, die die Welt als bloße Dingwelt betrachtete, als bloßes Außen. Parallel zu dieser Entwicklung geriet das Universum zunehmend zur lebensfeindlichen Wüste, zugänglich und erschließbar nur durch den kalten und mehr oder weniger toten Rasterblick. Der Technikhistoriker Lewis Mumford hat in diesem Zusammenhang einmal vom „Verbrechen Galileis“ gesprochen; ein Verbrechen, das die meisten als solches gar nicht sehen oder sehen wollen. Darüber aber mutierte der Mensch, wie Peter Sloterdijk sagt, zum „kosmischen Idioten“… Und er blieb in dieser Rolle bis heute.

Der Omegapunkt der Naturwissenschaft

Nur aus eben diesem „kosmischen Idiotismus“ heraus konnte die abstrakte Naturwissenschaft überhaupt jenen Höhenflug entfalten, der so viel Bewunderung fand und findet. Und das, obwohl er uns mittelfristig ruiniert. Wenn also der Biochemiker und Wissenschaftskritiker Erwin Chargaff, einst Mitentdecker der DNA, die Atombombe als „Quintessenz der Naturwissenschaft“ bezeichnet, dann ist damit ein Urteil ausgesprochen, das in seiner Schärfe kaum zu überbieten ist. In dieser Wertung nämlich läuft die gesamte Naturwissenschaft auf ihren Omegapunkt zu, und dieser Punkt ist die Atombombe. Verschiedentlich ist davon gesprochen worden, das Grauen der atomaren Verwüstung bedeute den „Verlust der Unschuld“ der Wissenschaft. Das aber ist eine naive Sicht. Diese Unschuld nämlich hat es nie gegeben. 

 

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In einem langen Gespräch über die Grundlagen der Physik, das ich im Sommer 1974 mit Werner Heisenberg führen konnte, forderte ich Heisenberg damals auf, in nur einem Satz zu formulieren, was er als Physiker als sein innerstes Anliegen bezeichnen würde. Er sagte daraufhin: „Ich will die Natur verstehen und zwar so genau verstehen, dass Voraussagen möglich sind.“ In diesem Satz aber steckt eine erhebliche Einschränkung, ein Tunnelblick. Denn die Fülle des Lebendigen kann auf diese Weise niemals in den Fokus rücken  und soll es vermutlich auch gar nicht. Das Weltall als lebendiger Organismus, wie dies der große Renaissancephilosoph Giordano Bruno noch sah, bleibt somit unsichtbar und unerkennbar. Und so ist es bis heute. Selbst die größten Fernrohre können daran nichts ändern. Im Gegenteil. Sie füttern nur die Hybris der involvierten Forscher.

Es ist also nur folgerichtig, dass sich die abstrakte Naturwissenschaft, als sich ihr die Möglichkeit dazu bot, auch die Mikrowelt und die Strahlungsphänomene der Materie mit ihrem analytischen Tunnelblick erschließen wollte. Ihr Ziel war es dabei stets, das Sicherheitsschloss der Natur aufzusprengen, also das, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Es war wie ein magischer Sog, der die Forscher ins Kleinste der Materie hineinzog und ihr Bewusstsein zunehmend mineralisierte. Die politische Konstellation tat zudem das Ihrige, um diesem dunklen Wollen den Weg zu ebnen.

Mathematisierter Okkultismus

So ist die Atombombe der grausige Wechselbalg der modernen abstrakten Physik. Denn mit der Newtonschen Physik kann man keine Bombe bauen. Wohl aber mit den Mitteln der Megatechnik und der abstrakten Werkzeuge und mathematischen Methoden, die alles Lebendige überrollen und planieren. Hier möchte ich anmerken, dass der unzählige Male vorgebrachte Zusammenhang zwischen der Energieformel, die Einstein populär machte, und der Atombombe so direkt nicht gegeben war. Es ist keineswegs die Materie „einfach so“ in Energie umgewandelt worden. Im letzten bleibt unbekannt, was wirklich bei diesen Vorgängen abläuft. Es ist wie ein „mathematisierter Okkultismus“. Das Substantielle der Sache verschwindet weitgehend hinter der zunehmend umfassender praktizierten Mathematik. Formeln, Hypothesen und kühne Fiktionen behaupteten das Feld. Ohne Mathematik lief und läuft gar nichts. Das aber hat die erkenntnistheoretische und philosophische Grundlagenkritik, die es ja vereinzelt immer noch gibt, enorm erschwert. 

Was aber Energie wirklich ist und wie sie hier zur Manifestation kommt (das gilt auch für die Materie), bleibt unbekannt. Eine vollständige Umwandlung von Materie in Energie ist niemals beobachtet worden. Und sie geschieht auch nicht bei der Kernspaltung und Kettenreaktion und ihren desaströsen Folgen.

Es gibt in diesem Zusammenhang eine interessante, aber kaum beachtete Aussage von Werner Heisenberg zur Frage der in der atomaren Explosion freigesetzten Energien, die ich hier zitieren möchte, weil sie zentral wichtig ist: „Es ist gelegentlich behauptet worden, dass die enormen Energiemengen bei den Atomexplosionen unmittelbar durch die Verwandlung von Masse in Energie entstehen und dass man nur aufgrund der Relativitätstheorie diese riesigen Energiemengen voraussagen kann. Diese Ansicht beruht auf einem Missverständnis. Die großen Energiemengen … waren seit den Experimenten von Berquerel, Curie und Rutherford über den radioaktiven Zerfall bekannt. … Die Energie, die bei einer Atomexplosion frei wird, stammt also direkt aus dieser Quelle und ist nicht durch die Verwandlung von Materie in Energie hervorgebracht.“

Der innerste Kern

Die Atombombe kann als innerster Kern der Naturwissenschaft und ihrer strukturell abstrakten Erkenntnissuche verstanden werden. Dieser Zugang mündet langfristig fast immer in Zerstörung, auch wenn das viele vielleicht nicht hören wollen. Wer die Welt primär als berechenbaren Kräftezusammenhang begreift, wird sie irgendwann zu zerstören versuchen. Nur über eine Wiedergewinnung des Lebendigen und damit auch des lebendigen Kosmos, der uns trägt und umgibt, haben wir überhaupt eine Chance, uns aus dieser Verblendung zu befreien. Vielleicht ist dazu eine tiefgreifendes Umdenken erforderlich.

Zur Stunde allerdings sieht nichts danach aus, dass es möglich wäre, ein solche geistige Revolution zu vollziehen. Die Mehrheit der Menschen auf diesem seltsamen Gestirn, das wir bewohnen, scheint sich wohnlich eingerichtet zu haben in einem lebensfernen, ja in Teilen geradezu verbrecherisch oder faschistisch anmutenden Universum, in dem Schwarze Löcher als Sternenfresser und ähnliche Monster das Geschehen dominieren. Wenn das über uns und um uns herum geschieht, woran können wir uns dann orientieren? Kosmologie wäre dann eigentlich Chaotologie, die zugleich das Spiegelbild unserer kollektiven Bewusstseinsverfassung darstellt. Wir begreifen das Universum nach Maßgabe unseres Bewusstseins.

Die Atombombe bündelt den Weltbildwahn der Menschen, der sich eisern in ihren Köpfen verankert hat und als objektivierbare Wissenschaft gilt. Der Atompilz gewinnt hier nachgerade einen sakralen Status. Shiva zerstampft die Welt. Und die Angst davor sitzt tief in den Seelen. Der sogenannte moderne oder postmoderne Mensch ist ein durch und durch gespaltenes oder schizophrenes Wesen. Er bewohnt die Lebenswelt, die immerhin in Restbeständen noch existiert, aber zugleich hat er sich fast schon von ihr verabschiedet. Mit seinem Bewusstsein ist er längst in den Cyperspace abgetaucht oder in den Orbit aufgestiegen, aus dem heraus ihn nun die Gespenster seiner eigenen Projektionen angrinsen. Bilder, denen er nicht entrinnen kann. 

Die Arbeit des Teufels also ist getan. Was haben wir ihr jetzt entgegenzusetzen?

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Albert Schultheis | Mi., 2. August 2023 - 12:06

an die Stelle der erschütternden Wirklichkeit stellen! Ja, die Naturwissenschaften sind eine einzige Kränkung, eine tiefe Traumatisierung der menschlichen Hybris. Bitte verfallen Sie nicht auch in dümmlich linksgrüne Narrative von der Wissenschaft der alten weis(ß)en Männer! Keine infantilistische Larmoyance, bitte! Die Physik, die Biologie, die Chemie, die Psychologie - was haben sie zu bieten außer Traumata? Ich lebe auf einer Vulkaninsel, die in fast regelmäßigen Abständen von pyroklastischen Verheerungen heimgesucht wird. Die gigantische, "mineralische" Zerstörung ist nichts anderes als die Geburt neuen Lebensraums. Grausam. Hoffnungsvoll! Die Conditio humana, was ist sie anderes als der Wechsel von Krieg und Frieden, Survival of the fittest - wie wir gerade wieder erleben. Unser Problem ist nicht die Atombombe, das Virus, das Streben nach Hegemonie und Totalitarismus, wir haben uns des Schauderns vor den Abgründen entwöhnt aus Hybris und Dummheit! Wissenschaft aber lehrt uns Demut

Urban Will | Mi., 2. August 2023 - 12:34

denken ließ („Eine kurze Geschichte der Menschheit“).
Wie vieles andere, von dem wir heute gewiss nicht nur profitieren, konnte auch die Wissenschaft nur entstehen, denke ich, nachdem der Mensch sesshaft geworden ist, sprich von der Daseinsform des jagenden Nomaden überging in die des Siedlers.
Grund dafür, von Harari gut erklärt, war die Entdeckung des Weizens, der das gejagte Wild, die essbaren Früchte, etc. als Hauptnahrungsquelle ersetzte.
Wo der Mensch sich aber niederließ, entfachte er nicht nur ein enormes Sterben unter der Tierwelt, er fing nun mal das „Denken“ erst richtig an und die Atombombe war dann irgendwann einer der „Höhepunkte“.
Wer sich nicht täglich ums Überleben kümmern muss, kann nun mal auf dumme Gedanken kommen.
Ebenso wenig, wie die Wissenschaft je „unschuldig“ war, ist es auch der Mensch nie gewesen. Was immer er erforscht und gebaut hat, irgendwann wurde es zu seinem Schaden missbraucht. Es liegt wohl in d Natur „höherentw.“ Wesen, sich selbst auszurotten.