
- Nicht die ganze Wahrheit
Die CDU hat entgegen anderslautenden Meldungen die sächsischen Kommunalwahlen nicht gewonnen. Mit zweimonatiger Verspätung stellt sich das heraus. Solche Manipulationen schaden der Demokratie und züchten Entfremdung
Die Autorin Antje Hermenau berät als Landesgeschäftsführerin die Freien Wähler in Sachsen und kandidierte auf der Landesliste.
Im Frühjahr 1989 wurden die Ergebnisse der Kommunalwahl in der DDR noch gefälscht. Heute sind wir in der Bundesrepublik zivilisatorisch einen Schritt weiter: die Ergebnisse stimmen, aber die Veröffentlichung des amtlichen Endergebnisses nimmt bizarre Umwege. Zuerst wird das Ergebnis der sächsischen Kommunalwahl vom 26. Mai gar nicht veröffentlicht, dann, acht Wochen später, kommt es kurz vor dem Abtauchen ins Wochenende oder den Sommerurlaub auf die offizielle Homepage der Landeswahlleiterin Sachsen. Zudem ist die Präsentation der Ergebnisse nur etwas für Rätselfans. Es gibt keine systematische Ordnung, weder nach dem Alphabet noch nach der Höhe des Ergebnisses.
Die CDU der Gewinner? Eine Falschnachricht
Wer sich die Mühe macht, die Tabelle bis ganz nach unten zu studieren, der erkennt aber: Die damalige Schlagzeile, die CDU habe die Kommunalwahl in Sachsen gewonnen, war eine Falschnachricht, bundesweit veröffentlicht. Am Tag nach der Wahl waren nämlich nur die Ergebnisse der Kreistagswahl als das vermeintliche Ergebnis der Kommunalwahlen bekannt gegeben worden. Die gesamten Kommunalwahlen inklusive der Gemeinde- und Stadtratswahlen haben aber mit 25,8 Prozent klar und eindeutig die Freie Wähler e.V. und die Unabhängigen Wählervereinigungen gewonnen – in jedem der zehn Landkreise des Freistaates Sachsen. Auch in der Summe aller Stimmen, die bei den Kommunalwahlen in Sachsen angegeben wurde, inklusive der drei kreisfreien Städte Chemnitz, Dresden und Leipzig.
Es gab bis zur vergangenen Woche kein amtliches Gesamtergebnis, das aufzeigen würde, wer gewonnen und wer Stimmen in der gesamten kommunalen Familie eingebüßt hat. Das ist erstaunlich. Denn die Daten und abgegebenen Stimmen der Kommunalwahl sind in den Computern des Statistischen Landesamtes gespeichert. Es hätte nur einiger Mausklicks bedurft, das Gesamtergebnis von Excel berechnen zu lassen. So aber musste man sich als Bürger mühevoll durch jeden der 416 Wahlkreise durchklicken und alles händisch eintragen, um zu erfahren, wer wie viele Stimmen hatte. Vor fünf Jahren waren die Ergebnisse bereits einen Tag später verfügbar gewesen.
Veheerende Niederlage für die Christdemokraten
Das Ergebnis offenbart eine verheerende CDU-Niederlage: minus zehn Prozentpunkte. Sie hat nur 23,8 Prozent der Stimmen erhalten und landet hinter den Wählervereinigungen. Wollte das Statistische Landesamt, dessen überraschend kürzlich neu berufene Leiterin Carolin Schreck Mitglied der CDU ist, dieses Ergebnis der Bürgern so lange wie möglich vorenthalten, um den Abwärtstrend der sächsischen CDU vor der anstehenden Landtagswahl auf- und politische Konkurrenten niederzuhalten? Die Wählervereinigungen inklusive Freie Wähler (WV) haben mit 25,8 Prozent die Gemeinde- und Stadtratswahlen gewonnen. Sie wurden aber willkürlich an die letzte Stelle der offiziellen Tabelle gesetzt.
Die veröffentliche Statistik der Gemeinderatswahlen verdeutlicht einen bemerkenswerten Trend in Sachsen: Auf dem Land haben die Parteien, allen voran die CDU, massiv an Boden verloren. In den zehn sächsischen Landkreisen sind Freie Wähler und Wählervereinigungen stärkste Kraft, im Landkreis Görlitz sogar mit 45 Prozent. Im Freistaat Sachsen ist auf dem Land eine neue partei-unabhängige, konservative Kraft entstanden. Die CDU wird nicht nur von der AfD zunehmend in einem Teil ihrer ehemaligen Programmatik ersetzt, sie spielt im ländlichen Raum keine volksparteiliche Rolle mehr. Dabei sind die Freien Wähler das Gegenteil der politischen Kraftmeier in der AfD. Sie machen Sachpolitik und drücken niemandem ihr jeweils individuelles Weltbild auf. Die Freien Wähler sind in Sachsen eine wachsende, stabile, in der Bevölkerung breit verankerte Kraft und könnten, wenn sie am 1. September in den Sächsischen Landtag stark genug einziehen, das politische Gefüge und die Koalitionsverhandlungen beeinflussen. Sie könnten auch einen neuen Politikstil voran bringen, bürgernäher und ideologieärmer.
Landeswahlamt hätte Fehler einräumen müssen
Gegenüber 1990 hat die CDU in Sachsen auf Gemeinderatsebene ihre Stimmen halbiert. Verloren haben auch SPD und Linke, die sich mit der Abwendung von Sahra Wagenknechts Linie und einer Zuwendung zur linksgrünen Katja Kipping zu einer weiteren Großstadtpartei in Sachsen entwickeln. Der ländliche Raum in Sachsen ist politisch stabil – stabil konservativ, orientiert sich an Rechts- und Sozialstaat und möchte in einer Demokratie leben. Die Menschen, die dort leben, sehen nur nicht mehr die CDU als Garanten dieser Ordnung.
Das Landeswahlamt verzichtet auch auf Vergleichswerte bei den Kreistagswahlen. Es hätte einräumen müssen, dass die CDU mit rund 29 Prozent gegenüber 2014 rund zwölf Prozentpunkte verloren und die AfD mit 23,66 Prozent gut 18 Prozentpunkte gewonnen hat. Unsichtbar bleibt auch, dass die Wählervereinigungen, die sich als Freie Wähler-Fraktionen formieren, um gut drei Prozentpunkte auf knapp 15 Prozente zugelegt haben, dass Linke und SPD eingebrochen sind. Die Frage, wer eine solche kommunikative Manipulation nötig hat, scheint leicht zu beantworten zu sein. Aber auch andere profitieren davon, wenn die Wahrheit nicht auf den Tisch kommt, die SPD beispielsweise. Linke und Grüne werden in den urbanen Szenenvierteln um die Vorherrschaft kämpfen.
Vertrauensbruch der Institutionen
Wie soll dadurch mehr Vertrauen in die Demokratie entstehen? Die Leute sind nicht dumm. Sie wissen, wen sie in ihrem Dorf und in ihrer Stadt gewählt haben. Ganz oft fällt inzwischen der kurze, demokratisch verheerende Satz: „Es ist wie früher.“ Da muss man sich nicht wundern, wenn Ostdeutsche zu den demokratischen Institutionen auf Abstand bleiben. Nun wird man klandestin in den Medien die falschen Angaben vom Mai korrigieren, vielleicht sogar in der Hoffnung, dass keiner merkt, dass sie im Mai einer Ente aufgesessen waren. Was löst eine solche Verfahrensweise in Menschen aus, die bereits erwachsen waren, als vor 30 Jahren die Mauer fiel? Déjà-Vu-Erlebnisse. Distanz. Zorn. Demokratie lebt aber von Vertrauen. Und Vertrauen entsteht durch Nähe – Nähe zum Bürger. Das zu diskreditieren, ist politisch töricht.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Gastbeitrages fehlte der Hinweis, dass Antje Hermenau die Freien Wähler in Sachsen nicht nur berät, sondern auch deren Landesgeschäftsführerin ist und über die Landesliste kandidierte. Wir haben dies oben ergänzt. Wir bitten die möglicherweise entstandenen Irritationen zu entschuldigen.