
- Insolvenzfall Union
Angenommen die Union wäre ein Unternehmen: Nach der Pleite am 26. September hätte dann ein Insolvenzverwalter einen ambitionierten Restrukturierungsplan aufgesetzt. Dieser reichte von einer parteiinternen „Rente ab 67“ über ein Krawatten-Verbot bis hin zu einer Umbenennung der Partei. Könnte das helfen?
Wären CDU/CSU ein Unternehmen, hätte die Geschäftsleitung am 26. September wohl die Insolvenz anmelden müssen. Da kann man Friedrich Merz nur zustimmen. 24 Prozent – das reicht nicht mehr für das Überleben einer Volkspartei. Das alte Management-Team muss jetzt raus, der Insolvenzverwalter übernimmt das Kommando. Soweit das Gedankenexperiment.
Aber im Ernst, warum ziehen wir gedanklich eigentlich solch starken Trennlinien zwischen Unternehmen und Parteien? Bei näherer Betrachtung ergeben sich viele Gemeinsamkeiten. Schauen wir uns den „Insolvenzfall Union“ doch mal genauer an: Stellen wir uns vor, ein akribischer Insolvenzverwalter samt eines Teams arbeitswütiger Unternehmens- und Restrukturierungsberater stürze sich auf die CDU/CSU. Jeder Stein wird umgedreht, es gibt keine Denkverbote mehr. Wie würde man die Union sanieren, wenn sie ein Unternehmen wäre?
Wackelige Governance-Strukturen
Der wohl meistgenannte Grund für die Wahlniederlage der Union ist sicherlich die Auswahl des Kanzlerkandidaten. Interessanter noch als die Personalie Laschet selbst ist aber, wie die Entscheidung für den Kandidaten zustande kam. Tatsächlich kristallisierte sich im Frühjahr heraus, dass es keinen strukturierten Prozess gibt, wie die CDU/CSU einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten bestimmen. Stellen wir uns im Vergleich vor, es gäbe keinen formell definierten Prozess, wie zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Automobilkonzerns oder der CEO eines amerikanischen Tech-Giganten bestimmt würde – unvorstellbar! Was im Bereich von Unternehmen unvorstellbar ist, war hier banale Realität: Die wahrscheinlich einflussreichste Partei Europas hat einfach keinen klar definierten Prozess, um ihren „CEO“ zu bestimmen.
Unsere Restrukturierungsberater würden dies als ein Versagen der Governance der Pleitefirma CDU bezeichnen. Dieser neudeutsche Begriff beschreibt die Steuerungs- und Regelungssysteme von Organisationen. Eine gute Governance soll dabei helfen, das Management im Sinne der Zielerreichung zu verbessern.
Was müsste bei der Union also verändert werden? Erstens sollte es einen klar definierten Prozess geben, durch welchen ein gemeinsamer Kandidat zügig und mit geringen Kollateralschäden bestimmt wird. Zweitens sollte der Prozess zu einem Kandidaten führen, mit welchem sich das „Unternehmensziel“ bestmöglich erreichen lässt: Das Ziel der Ernennung eines Kanzlerkandidaten ist natürlich, diesen später zum Kanzler wählen zu können. Es braucht also eine Personalie, welche eine hohe Wahrscheinlichkeit auf einen Wahlsieg verspricht.
Welcher konkrete Prozess würde sich anbieten? Unsere Governance-erprobten Berater schlagen einen zweistufigen Ablauf vor. Im ersten Schritt würden CDU und CSU jeweils separat einen vorläufigen Kandidaten vorschlagen können. Wenn beide Parteien einen Kandidaten hervorbringen, würde der Kanzlerkandidat dann durch die gemeinsame Bundestagsfraktion gewählt. Dies würde sicherstellen, dass ein kompetitiver Kandidat aufgestellt wird. Denn die Bundestagsabgeordneten haben ein ganz persönliches Interesse daran, dass die Union in der Wahl gut abschneidet. Schließlich hängt auch ihr eigenes Mandat davon ab. Ein solches Verfahren wäre ganz im Sinne von gut konzipierten Governance-Strukturen: Davon ausgehend, dass alle Akteure ihr eigenes Interesse verfolgen, wird trotzdem das Ziel der Organisation als Ganzes erreicht.
Was wären weitere Schritte, um die Governance der Union zu stärken? Ein gemeinsamer Unionsrat von CDU und CSU könnte die allgemeine Kommunikation zwischen den Parteien durchaus verbessern. Eine Doppelspitze für die CDU, auf der anderen Seite, könnte Zuständigkeiten und Machtverhältnisse eher weiter verwässern. Tatsächlich hat die Union de facto ja schon eine Doppelspitze: die Vorsitzenden von CSU und CDU.
Intelligente Personalstrategie notwendig
Doch außer starker Governance-Strukturen, was sind andere Erfolgstreiber von Parteien? Um dies zu beantworten, bleiben wir doch mal beim Gedankenexperiment mit dem Vergleich von Unternehmen zu Parteien: Wenn die Union ein Unternehmen wäre, was wäre der wichtigste Produktionsfaktor dieses Unternehmens? Ähnlich wie bei vielen dienstleistungsorientierten Unternehmen ist der Faktor Arbeit beziehungsweise das Humankapital entscheidend für Parteien. So gleicht eine Partei zum Beispiel eher einer Anwaltskanzlei, wo es auf Wissen und Erfahrung der Juristen ankommt, als einem Industrieunternehmen mit teurer Fabrik und Maschinen.
Vereinfacht gesagt: Ob eine Partei erfolgreich ist, hängt entscheidend von ihren Mitgliedern ab. Genauer gesagt, deren Kommunikationsvermögen, Wissen, Kreativität, Erfahrung, Teamwork und so weiter. Diese Feststellung mag trivial erscheinen. Aber wird dies in Parteivorständen vollends verstanden und daraus die notwendigen Schlüsse gezogen? Das Management von Humankapital innerhalb von Organisationen wird als Personalmanagement oder auch Human Resources (HR) bezeichnet. Parteien, welche erfolgreich sein wollen, müssten eine intelligente Personalstrategie zum Mittelpunkt ihrer Arbeit machen. Bei näherem Hinschauen sehen wir hier bei der Union aber große Defizite. Was schlagen unsere Unternehmensberater vor?
Keine Mitglieder, keine Party
In den vergangenen Jahrzehnten hat die CDU massive Mitgliederverluste erlitten: Sie halbierte sich praktisch von 790.000 im Jahr 1990 auf 405.000 im Jahr 2019. Mit Blick auf das erwähnte Humankapital ist dieser anhaltende Mitgliederverlust dramatisch. Weniger Mitglieder bedeutet, dass es für die Besetzung einer bestimmten „Stelle“ weniger potenzielle Kandidaten gibt. Das „durchschnittliche Humankapital“ eines parteiinternen Funktionärs oder Mandatsträgers sollte dementsprechend also sinken. Weniger Humankapital wiederum führt tendenziell zu einer schlechteren „Performance“ der Partei, etwa schlechteren Wahlergebnissen. Dies kann im Umkehrschluss zum Abwärtstrend beitragen. Weitere Mitgliederverluste könnten folgen. Ein Teufelskreis droht. Man stelle sich im Vergleich vor, ein Unternehmen müsste die gleiche Zahl an Stellen jedes Jahr aus einer geringeren Anzahl von potenziellen Arbeitskräften besetzen.
Natürlich hat ein Mitgliederschwund noch weitere negative Konsequenzen, etwa weniger Mitgliederbeiträge. Der erste Schritt einer neuen Personalstrategie müsste also sein, Mitglieder zu halten und neue zu gewinnen: Eine ernsthafte Mitgliederstrategie wäre gefragt.
Was schlagen unsere Unternehmensberater vor? Ein einfacher Ansatz wäre, die „Eintrittsbarrieren“ für eine Parteimitgliedschaft zu senken. Beispielsweise könnte man Neumitgliedern ein Stipendium anbieten, welches im ersten Jahr die Kosten für eine Mitgliedschaft übernimmt. Das Kernstück einer Mitgliederstrategie müsste die Rekrutierung und Förderung von Nachwuchs sein – also Menschen im jüngeren und mittleren Alter. Schauen wir uns dieses Thema mal im Detail an.
Parteiinterne „Rente ab 67“?
Bei der Beteiligung von jungen Menschen zeigt sich bei der Union ein desaströses Bild. Das Durchschnittsalter in der CDU liegt bei 61 Jahren, das von CSU bei 60. Das wortwörtliche „Wegsterben“ von Parteimitgliedern ist der Hauptgrund für den massiven Mitgliederschwund. Zwar liegt das Durchschnittsalter von anderen Parteien wie der SPD auf einem ähnlichen Niveau (60). Die Grünen sind mit 48 Jahren aber deutlich darunter. Ebenso bewältigen andere Parteien den Generationswechsel bei Mandatsträgern viel besser. So sind im neu gewählten Bundestag zum Beispiel 19 Abgeordnete der SPD unter 30 Jahren, bei den Grünen 22 – und nur drei bei der Union. Dies entspricht einem Anteil der Fraktionsmitglieder von 18,6 Prozent bei den Grünen, 9,2 Prozent bei der SPD, aber nur 1,5 Prozent bei der Union. Auch unter Erstwählern zeichnet sich ein eindeutiges Bild ab. Hier landeten FDP und Grüne 2021 bei jeweils 23 Prozent. Die SPD lag immerhin bei 15 Prozent, während die Union abgeschlagen bei 10 Prozent rangiert.
Angesichts dieser Zahlen sollte es offensichtlich sein, dass eine Verjüngung der Union inzwischen eine existenzielle Bedeutung hat. Welche Maßnahmen bieten sich an?
Eine effektive – wenn auch sicherlich sehr umstrittene – Maßnahme wäre eine Art parteiinterne „Rente ab 67“. Diese könnte einen Generationswechsel strukturieren und in gewisser Weise sogar erzwingen. Zum Beispiel könnte eine „Rente ab 67“ bedeuten, dass Parteimitglieder dazu ermutigt würden, ab einem bestimmten Alter – zum Beispiel 65, 67 oder 70 – nicht mehr neu für öffentliche Ämter oder parteiinterne Funktionen zu kandidieren. Dies würde den Weg frei machen für Jüngere.
Zu oft wird parteiintern von Alteingesessenen in Machtpositionen das Argument gespielt, dass es „keine personellen Alternativen“ gäbe. Was hier natürlich vergessen wird zu erwähnen, ist, dass es doch eigentlich die Aufgabe von Verantwortlichen in Führungspositionen wäre, genau diese personellen Alternativen systematisch aufzubauen und so einen Generationswechsel zu ermöglichen. In einer perfekten Welt würde sich der Generationswechsel harmonisch und im Interesse der gemeinsamen Sache vollziehen. Die politische Praxis spricht leider eine andere Sprache.
Schauen wir uns exemplarisch die berühmte Seehofer-Söder-Saga an. Versetzen wir uns zurück ins Jahr 2017 – Machtkampf in Bayern. Auf der einen Seite der Platzhirsch Horst Seehofer: 68 Jahre alt, bayrischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender. Auf der anderen Seite der jüngere Herausforderer Markus Söder: 50 Jahre alt, bayerischer Finanzminister und seit langem „Kronprinz“ der CSU. Von außen betrachtet hätte alles für einen geordneten Machtübergang gesprochen. Die Realität sah bekanntlich anders aus: Nur nach einem monatelangen Machtkampf auf allen Ebenen konnte der Wechsel an der Spitze eingeleitet werden. Und schon in den Jahren zuvor hatte Seehofer seinen Konkurrenten systematisch ausgebremst. Eine parteiinterne „Rente ab 67“ hätte dem Machtwechsel einen klaren zeitlichen Rahmen gegeben. Beide hätten als Sieger dastehen können. Viel Drama wäre allen Beteiligten erspart geblieben; und übrigens auch ein inzwischen 72-jähriger, oft amtsmüde wirkender Horst Seehofer als Bundesinnenminister.
Eine ähnliche Altersgrenze gibt es tatsächlich schon für politische Jugendorganisationen. Bei der Jungen Union oder den Jusos liegt sie zum Beispiel bei 35 Jahren. Der offensichtliche Vorteil dieser Regelung ist, dass der Generationenwechsel klar geregelt ist. Es gibt für Ältere in Machtpositionen wenig Anreize, Jüngere auszubremsen. Man arbeitet zusammen und nicht gegeneinander.
Soll dies also bedeuten, dass Mitglieder ab 67 keine Rolle mehr in der Partei spielen sollten? Keineswegs. Mehr dazu später.
„Nachfolgpläne“ entwickeln
Eine parteiinterne „Rente ab 67“ würde vermutlich dafür sorgen, dass sich parteiintern viel frühzeitiger und systematischer um die Förderung von Nachwuchs gekümmert würde. Trotzdem könnte man Parteigremien ergänzend verpflichten, einen jährlichen „Nachfolgeplan“ zu erstellen. Hier würde aufgezeigt werden, welche parteiinterne Funktionen und öffentliche Ämter in den nächsten (zum Beispiel) zehn Jahren voraussichtlich neu zu besetzen sein werden. Eine „Rente mit 67“ würde in dieser Frage Planbarkeit schaffen. Diesem „Bedarf“ würde man dann das „Angebot“ von personellen Alternativen gegenüberstellen. Welche konkreten Schritte werden unternommen, um einen Generationswechsel zu unterstützen und Nachwuchs zu fördern? Bestenfalls sollten diese Nachfolgepläne auf allen Ebenen der Partei von Orts- bis Bundesvorstand erstellt werden.
Digitaler und flexibler
Politik in Deutschland ist stark regional verwurzelt. Oft führt der Weg über die ehrenamtliche Kommunalpolitik in die Profi-Politik auf Landes-, Bundes- oder Europa-Ebene. Dies hat definitiv Vorteile. Die starke regionale Verwurzelung stellt aber auch eine wachsende Herausforderung dar – vor allem für junge Menschen. Denn unsere Arbeits- und Ausbildungswelt ist von zunehmender Mobilität geprägt: Ein Umzug für Ausbildung, Arbeit, Studium, High-School-Aufenthalt, Praktika, Auslandssemester, work & travel, Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) et cetera wird zunehmend zur Normalität. Viele der jungen, politisch aktiven Menschen geht den Parteien in dieser Lebensphase verloren.
Wie könnte man also mehr junge Menschen in der Politik halten? Ein Ansatz wäre, Online-Formate zu stärken. Dadurch würde es möglich, auch nach einem Umzug weiterhin aktiv zu sein, besonders bei eher temporären Umzügen. Durch die Corona-Pandemie wurde Parteiarbeit per Zoom sogar zeitweise erzwungen. Parteien sollten auch in Zukunft „Hybrid-Modelle“ ermöglichen, das heißt, sich zu einem physischen Treffen online zuschalten zu können.
In einer zunehmend mobilen Welt kann es nicht länger als Einstiegskriterium für Politik gelten, das ganze Ausbildungs- und Berufsleben an einem Ort verbracht zu haben. In der Wirtschaft gilt schon länger das Gegenteil: In renommierten Unternehmen ist der Einstieg ohne Auslandserfahrung im Studium oder durch Praktika gar nicht mehr möglich.
Weiterbildung, Mentoring und Wissenstransfer
Eine Kernkomponente von Personalmanagement ist die Weiterentwicklung und Schulung der Arbeitskräfte. Unternehmen investieren hierfür heutzutage Unsummen. Ähnliche Investitionen von Parteien in ihre Mitglieder würden sich wahrscheinlich noch stärker auszahlen. Denn oftmals sind Menschen sehr lange in einer einzelnen Partei aktiv: Investitionen in das eigene Humankapital gingen also nicht verloren.
Aber müssten interne Weiterbildungen überhaupt viel kosten? Unsere Unternehmensberater schlagen eine pragmatische Lösung vor: Die Trainingseinheiten könnten vor allem von älteren Parteimitgliedern ehrenamtlich geleitet werden. Für Parteimitglieder, welche nach der „Rente mit 67“ aus der aktiven Politik ausscheiden, wäre eine neue, wichtige Aufgabe gefunden worden. So könnte die Einarbeitung und der Wissenstransfer zur nächsten Generation erfolgen. Zusätzlich sollte ein klar organisiertes Mentoring-System aufgebaut werden, in dem (vor allem jüngere) Neumitglieder ältere Mentoren zugewiesen bekommen.
Verschiedenste Trainings-Formen wären denkbar. Was waren in den vergangenen Jahren die prägenden regionalen Themen im Kreistag, und wie wirken sie sich auf die Gegenwart aus? Wie halte ich eine effektive Rede als Stadtverordneter? Was sind meine Aufgaben als Mitgliederbeauftrage oder Pressesprecherin eines Ortsverbandes? Es könnte auch um Sozialkompetenz und Persönlichkeitsentwicklung im Allgemeinen gehen. Wie gehe ich mit Druck um? Wie baue ich mir ein Netzwerk auf? Gerade die kommunikativen Fähigkeiten sollten gezielt geschult werden. Ein wichtiger Teil von Politik ist es ja, das „Produkt“ (politische Vorstellungen) an die „Kunden“ (Wähler) zu vertreiben.
Ein erster Schritt müsste sein, überhaupt einmal Einstiegsseminare für Neumitglieder zu etablieren. Tatsächlich gibt es das in der Union auch 2021 noch immer nicht. Stattdessen sind neue Mitglieder mehr oder weniger auf sich alleine gestellt, um ihre Fragen zu klären wie: Wo kann ich mich engagieren? Wie funktioniert die Partei intern? Dies ist eine Herausforderung vor allem für Menschen ohne politische Vorerfahrung. Ein Kernziel einer Personalstrategie müsste es aber sein, aus Mitgliedern mehr aktive Mitglieder zu machen. Im Vergleich dazu: Es gibt wohl kein größeres Unternehmen in Deutschland, wo es keine internen Schulungen zum Einstieg gibt. Und im Fall der Union reden wir von einer sehr großen Organisation. Wenn die CDU ein Unternehmen wäre, würde sie mit ihren gut 400.000 „Mitarbeitern“ auf Platz drei der deutschen Unternehmen liegen, knapp hinter VW und Deutscher Post. Ohne deren Mitarbeitern im Ausland wohl sogar auf Platz eins.
Union braucht eine Compliance-Kultur
Neben der Auswahl des Kanzlerkandidaten ist die sogenannte Maskenaffäre einer der meistgenannten Gründe für die Wahlschlappe der Union 2021. Was ist schiefgelaufen? Für unsere krisenerprobten Unternehmensberater ist klar, dass es sich hier um ein Compliance-Versagen handelt. Der neudeutsche Begriff Compliance beschreibt die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien und freiwilligen Kodizes von Unternehmen.
Wie kann also verhindert werden, dass sich in Zukunft ähnlich Vorfälle wiederholen? Wir haben uns zuvor schon die Themen Governance und Personalmanagement angeschaut. Compliance ist ein Thema, was interessanterweise beide Bereiche tangiert.
Erstens müssten im Bereich Governance die internen Kontrollmechanismen der Partei deutlich gestärkt werden. So sollte die Partei nicht erst über Zeitungsartikel von bezahlten Nebentätigkeiten der Abgeordneten erfahren. Im besten Fall hätten Mandatsträger, etwa von der Landtagsebene an, und auch wichtige Parteifunktionäre eine 100-prozentige Meldepflicht über alle finanziellen Einkünfte. Eine parteiinterne, unabhängige Compliance-Abteilung würde die Daten verwalten und analysieren. Neben den gesetzlichen Vorgaben für Abgeordnete sollte es bestenfalls parteiintern noch strengere Regeln für bezahlte Nebentätigkeiten geben.
Zweitens sollte das Thema Compliance auch mit Blick auf die Personalentwicklung eine große Rolle spielen: Konkret sollten parteiintern verpflichtende Schulungen für Mandatsträger und Parteifunktionäre organisiert werden. Was ist erlaubt, was nicht? Was sind die Meldepflichten?
Natürlich würden diese Maßnahmen für alle Beteiligten zusätzlichen Aufwand bedeuten. Allerdings gibt es de facto keine Alternative. Der Schaden durch weitere Compliance-Skandale wären unabsehbar.
Smarter, moderner, authentischer
Für den Erfolg von Unternehmen spielt das sogenannte Corporate Image beziehungsweise die Corporate Identity eine große Rolle. Wie tritt das Unternehmen auf? Wie wird es wahrgenommen? Was wird mit dem Unternehmen assoziiert? Gleiches gilt auch für Parteien. Hier tun sich bei der Union Schwächen auf. CDU/CSU müssten wieder als modern wahrgenommen werden statt altbacken. Als smart, aber nicht akademisch-besserwisserisch. Als anständig, aber nicht spießig. Als professionell, aber nicht wichtigtuerisch. Als geerdet und traditionsbewusst, aber nicht rückwärtsgewandt. Die Wunschliste ist lang.
Ein neues „Corporate Image“ kann natürlich nicht von der Parteispitze verordnet werden. Es muss gelebt und authentisch verkörpert werden. Aber was für Inspirationen gäbe es aus der Unternehmenswelt? Unsere Restrukturierungsberater machen drei einfache Vorschläge: Erstens könnte parteiintern eine Art „Krawatten-Verbot“ eingeführt werden. Der Dresscode von maximal business casual ohne Krawatte et cetera sollte vollkommen reichen. Die Idee: weniger hinter Anzug und Krawatte verstecken und mehr Dialog auf Augenhöhe. Ausnahmen sollten natürlich ermöglicht werden. Zweitens könnte man – wie zum Beispiel in der SPD – das Duzen der Mitglieder untereinander parteiweit einführen. Auch dies könnte zu einer offeneren „Unternehmenskultur“ beitragen. Drittens sollte parteiintern auf akademische Titel wie Dr. oder Professor verzichtet werden.
Würden diese drei kleinen Veränderungen sofort zu einer modernen „Unternehmenskultur“ und neuem „Corporate Image“ führen? Sicher nicht. Aber ein Anfang wäre es. Übrigens sind die genannten Punkte in US-amerikanischen Unternehmen schon lange selbstverständlich. Auch in Deutschland setzt sich der Trend zunehmend durch.
Schrumpfende Kernwählerschaft
Was sind langfristige Trends, die die Wählerschaft, also das „Marktumfeld“, der Union verändern? Unsere eifrigen Unternehmensberater erstellen schnell eine kompakte Marktanalyse. Zum Beispiel beim religiösen Hintergrund der Menschen zeigt sich eine bedeutsame demographische Entwicklung. Der Anteil der evangelischen und katholischen Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung hat stark abgenommen: von 94 im Jahr 1960 auf 52 Prozent im Jahr 2019. Gleichzeitig gibt es eine wachsende Zahl von konfessionslosen und muslimischen Menschen in Deutschland: 2019 entsprach ihr Anteil jeweils 39 und 7 Prozent. Demographisch gesehen schrumpft das christlich-konfessionelle Bürgertum, eine Kernwählerschaft der Union.
Inwiefern schafft es die Union, andere Bevölkerungsgruppen, beispielsweise Muslime, zu erreichen? Verlässliche Daten hierfür zu finden, ist schwierig. Schauen wir uns exemplarisch das Wahlverhalten der türkischstämmigen Mitbürger an. Bei der Bundestagswahl 2013 gingen 64 Prozent der Stimmen an die SPD, gefolgt von 12 für die Grünen sowie Linke. Die Union erhielt nur 7 – im Vergleich zu 41,5 Prozent unter allen Wahlberechtigten.
Auch in Bezug auf die Integration von Muslimen innerhalb der Union sieht es schlecht aus. So gibt es – vielleicht mit Ausnahme von Serap Güler – praktisch keine muslimischen CDU-Politiker mit bundesweitem Bekanntheitsgrad. 2021 wurden 38 Politiker mit Migrationshintergrund aus mehrheitlich muslimischen Ländern in den Bundestag gewählt. Davon sind nur zwei aus der Union. Ein Großteil entfällt auf SPD, Grüne und Linke.
Klar ist, dass sich die Union in Zukunft auch der wachsenden Zahl von nicht-christlich konfessionellen Bürgern öffnen muss, um ihr Wählerpotenzial auszuschöpfen. Dies ist vor allem ein Thema für urbane Räume.
Beeinflusst beispielsweise der „Markenauftritt“ der Union als „christliche“ Partei negativ die Wahlentscheidung von konfessionslosen oder muslimischen Menschen? Wenn ja, könnte man in Zukunft etwa stärker Wert auf den konfessionell-neutralen Begriff „Die Union“ oder das schon als Slogan firmierte „Die Mitte“ legen? Könnte man so neue Wählergruppen erreichen, welche inhaltlich eigentlich Schnittmengen zur Union aufweisen? Auf der anderen Seite könnte dies natürlich auf Kosten der Kernwählerschaft gehen, welche die Union gerade wegen dem „C“ wählen.
Zumindest sollte man versuchen, stärker zu betonen, dass die Union – trotz der Verbundenheit zur christlichen Tradition – allen Menschen offensteht und Politik für Menschen aller konfessioneller Hintergründe macht.
Die Frage, wie man nach außen hin auftreten möchte, ist natürlich untrennbar damit verbunden, für was man eigentlich eintreten möchte. Marketing und Marke müssen auch zum Produkt passen. Überhaupt wird die Union wieder mehr über Inhalte reden müssen und ihr Profil schärfen. Auch der beste Insolvenzverwalter und Unternehmensberater kann hier wenig helfen. Man kann eine Partei beraten, wie sie ihre Ziele besser erreichen kann. Aber was eine Partei erreichen will, das muss sie schon selber herausfinden.
Krise als Chance
Governance, Personalmanagement, „Rente mit 67“, Nachfolgepläne, Online-Formate, Weiterbildungen, Einstiegsseminare, Mentoring, Compliance, Unternehmenskultur, Markenauftritt – es gibt einiges zu tun für unseren Insolvenzverwalter. Aber wann wäre die Gelegenheit über grundsätzliche Veränderungen nachzudenken, wenn nicht jetzt?