
- Kann man „Querdenken“ überhaupt beobachten?
Im Stammland Baden-Württemberg wird „Querdenken“ nun vom dortigen Verfassungsschutz beobachtet. Aber kann man so eine Bewegung überhaupt überwachen? Und was erhofft man sich davon? Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke gibt Antworten.
Hans-Gerd Jaschke war bis 2018 Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin im Fachbereich Polizei- und Sicherheitsmanagement. Im Frühjahr erscheint sein neues Buch mit dem Titel „Politischer Extremismus. Eine Einführung“.
Herr Jaschke, der Verfassungsschutz Baden-Württemberg wird die „Querdenken“-Bewegung beobachten. Ist „Querdenken“ gefährlich?
„Querdenken“ entwickelt sich in eine gefährliche Richtung. Bei der Gründung im April war es eine Bewegung von in der Tat besorgten Bürgern, denen es um die Abwehr von Eingriffen in ihre Grundrechte ging, die in ihren Augen nicht nötig waren. Mittlerweile entwickelt sich „Querdenken“ immer mehr zu einem Magneten für die rechtsextremistische Szene. Das macht „Querdenken“ gefährlich.
Wann kam es zu diesem Wandel?
Es gibt bei den Demonstrationen immer noch bürgerlichen Protest. Ein Gutteil der Demonstranten sind besorgte Bürger, um diesen Begriff zu verwenden. Aber die Unterwanderung durch Rechtsextremisten hat längst eingesetzt. Das zeigt sich daran, dass in der Bewegung AfD-Funktionäre, NPD-Anhänger, Mitglieder der Identitären Bewegung und vor allem auch Reichsbürger aktiv sind. Ein Wendepunkt dafür war der Angriff auf den Reichstag am Rande der „Querdenker“-Demonstration in Berlin am 29. August. Hier zeigte sich, dass nicht nur Corona-Regeln missachtet werden, sondern auch Aufrufe zu Militanz zu vernehmen waren. Man wollte den Reichstag als Symbol dieses verhassten Staates stürmen. Seit September nimmt die Entwicklung nach rechts zu. Obwohl der Chef-Denker Michael Ballweg sich offiziell distanziert.
Wie ist das Kräfteverhältnis zwischen den Lagern? Wie viel Prozent sind besorgte Bürger, wie viele Rechtsextreme?
Die rechtsextreme Fraktion ist sicherlich eine Minderheit. Aber es ist eine lautstarke und einflussreiche Gruppierung. Man muss kritisieren, dass sich die bürgerlichen Demonstranten nicht entschieden distanzieren von den rechtsextremen Teilen, sondern diese gewähren lassen. Auch die Position: „Bei uns kann alles geäußert werden. Wir leben die Meinungsfreiheit. Deswegen lassen wir alle gewähren“, halte ich für einen schweren politischen Fehler.