
- Die Islamdebatte ist primitiv
An vielen französischen Stränden gilt seit dem Sommer ein Burkini-Verbot. Doch was als Antwort auf den islamistischen Terror gedacht war, spielt den Feinden der offenen Gesellschaft in die Hände. Die Debatte um die Vollverschleierung führt an den eigentlichen Problemen vorbei
In den mondänen französischen Badeorten Cannes und Nizza sind dieser Tage Polizeibeamte zu beobachten, die sich weiblichen Badegästen nähern, um diese auf ihre „unsittliche“ Bekleidung aufmerksam zu machen. Um welche verbotenen Kleidungsstücke es sich handelt? Natürlich um Burkinis.
Schon Ende Juli wurde das Verbot per Dekret erlassen, auf Initiative des Bürgermeisters von Cannes, David Lisnard. Darin heißt es, der Zutritt zum Strand und das Baden sei Menschen verboten, die „keine korrekte Kleidung tragen, die die guten Sitten und die Laizität respektiert sowie die Hygiene- und Sicherheitsregeln achtet“.
Sittenwächter, wie man sie aus islamischen Ländern kannte
Der Verfasser dieses Beitrages möchte nicht der Frage nachgehen, was man im Rathaus von Cannes unter „guten Sitten“ oder unter einer Bekleidung versteht, die die Laizität respektiert. Nein. Viel eher sei der Verweis auf die jüngere Vergangenheit erlaubt, als die Cote d'Azur als Hort der Libertinage galt. Als Strand, an dem der Bikini seinen weltweiten Durchbruch erlebte, zu einem Zeitpunkt, wo er anderswo noch verboten war.
Heute hingegen erlebt man in Cannes und andernorts Szenen, die man eher aus islamischen Ländern kannte: Gesetzeshüter, die zwangsweise staatlich verordnete Bekleidungsvorschriften durchzusetzen versuchen. Was dem Bikini in Cannes und Nizza einst erlaubt war, obwohl er einen Kulturschock auslöste, bleibt dem Burkini verwehrt.
Es ist eine Phantomdebatte
Die aktuelle Islamdebatte im Westen ist primitiv. Unsere Probleme bestehen nicht aus Burkinis, Burkas oder Kopftüchern. Es handelt sich um eine Phantomdebatte, an den eigentlichen Problemen wird vorbeidiskutiert. Wir müssen Massnahmen ergreifen, um die unbestrittenen, einmaligen Vorzüge der westlichen Zivilisation zu verteidigen und dabei die Herzen der moderaten Muslime gewinnen – und nicht Hysterie und Misstrauen streuen.
Nach den ersten inhaltlich dürftigen Begründungen für die erteilten Burkini-Verbote von Seiten der südfranzösischen Bürokraten, lieferte der Bürgermeister von Cannes eine Erklärung, die wahrscheinlich gewichtig klingen sollte, in Wirklichkeit aber die Gefahr verdeutlicht, in der wir uns im Westen befinden: „Das ist eine Maßnahme unter vielen anderen, um die Bevölkerung im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand vor terroristischen Taten zu schützen.“
Eine Angstgesellschaft hat nichts zu verteidigen
Nun kann man den Kopf darüber schütteln, sich über so viel Blödheit wundern oder die Frage aufwerfen, ob der Bürgermeister wirklich glaubt, ein dschihadistischer Terrorist werfe aufgrund eines erlassenen Burkini-Verbotes seine Terrorpläne über Bord. Es wäre angebrachter, darauf hinzuweisen, dass der Terror nicht nur das Ansehen des Islam, sondern auch die Lebensbedingungen der Muslime weltweit schwer beschädigt. Das stört die Attentäter indes nicht, im Gegenteil.
Je mehr Hass und Ausgrenzung Muslime erleben, umso mehr werden sie sich auf ihren Glauben zurückziehen, so das Kalkül der Terroristen. Dass die meisten Muslime keine Lust haben, sich und andere in die Luft zu sprengen, zeigt in den Augen der Islamisten nur, dass sie nichts Besseres verdient haben, als selbst beseitigt zu werden. Das erklärt auch, weshalb die meisten Opfer islamistischen Terrors Muslime sind. Insofern, natürlich unbewusst, arbeiten Bürokraten wie der Bügermeister von Cannes den Terroristen zu.
Wenn wir unsere einst offenen Gesellschaften in Angstgesellschaften verwandeln, basierend auf Verboten, auf Ausgrenzung und Hysterie, dann gäbe es eigentlich nichts mehr zu verteidigen, dann hätten wir uns schon unterworfen, dann hätten die Feinde der offenen Gesellschaft gesiegt.