Blick in den leeren Hörsaal H1 der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) / dpa

Eine fast wahre Geschichte - Wie ich meine „Meldestelle Anti-Intellektualismus“ bekam

Meldestellen liegen voll im Trend. Unser Autor erzählt hier die fast wahre Geschichte der sumpfgeborenen „Meldestelle Anti-Intellektualismus“. Mögen ihr noch viele weitere folgen, bis niemand mehr etwas Falsches denken kann.

Michael Andrick

Autoreninfo

Michael Andrick ist promovierter Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung. Er lebt in Berlin und publiziert u.a. in Deutschlandfunk Kultur, Freitag und Weltwoche. Sein aktuelles Buch „Im Moralgefängnis“ wurde ein Spiegel-Bestseller.

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„Wie die Leute mich ansehen und mit mir reden, ist juristisch nicht geregelt. Mit Intellektuellen kann es jeder halten, wie er will. Deshalb gibt es so viel hässliches Verhalten ihnen gegenüber – dagegen muss ich etwas tun. Wir Intellektuelle sind doch das Rückgrat der Demokratie!“ 

So sprach ich zu mir selbst und fuhr in die Hauptstadt. Dort kenne ich zum Glück eine hohe Charge, einen Minister, der ganz meiner Meinung ist. Also sage ich zu ihm: „Es gibt viel hässliches, zwar nicht strafbares, aber doch eben hässliches Verhalten gegenüber Intellektuellen – da müssen wir was machen! Schließlich sind Intellektuelle das Rückgrat der Demokratie!“ Der Minister, der sich auch für intellektuell und für das Rückgrat der Demokratie hält, erwidert: „Genau. Da müssen wir was machen!“

Das wird eine Mehrheit überzeugen

Der junge Herr Stumpf, als Kofferent des Ministers noch neu im Sumpf, schaltet sich ein und fragt: „Warum nicht einfach ein Anti-Anti-Intellektualismus-Gesetz machen?“ „Richtig, richtig, gute Idee“, erwidert der Minister. „Nur leider gibt es dafür keine Mehrheit. Die meisten Abgeordneten sind von Intellektualität ja nicht betroffen. Sie würden Anti-Intellektualismus gar nicht erkennen. Deshalb kann ich nicht direkt mit einem Gesetzentwurf zum Ziel kommen. Die Kollegen müssen erst aufgeklärt werden.“

„Nun gut, verstehe …“, sinniert Stumpf, rückt an die Stuhlkante vor und erklärt: „Ich hab’s: Auf dem Parteitag bringen wir Ihre Position ins Programm und plakatieren es dann ganz groß im Wahlkampf: ,Intellektuelle leiden still: Den Journalisten eine Stimme!‘ Oder so ähnlich ... Das wird eine Mehrheit überzeugen.“

Darauf ich, zum Kofferenten gewandt, mit angespannter Miene und geweitetem Mitleidsblick: „Das geht zu langsam, da muss Druck auf den Kessel. Denn es gibt ein Dunkelfeld. Das Problem ist massiv, es wird nur nicht gesehen. Noch ein Jahr ungebremster Anti-Intellektualismus, und wir haben Gruppensuizide von Kopfarbeitern. Man muss schon jetzt die Fenster der Redaktions- und Verlagshochhäuser zuschweißen. Das lese ich ganz deutlich aus den ganz vielen E-Mails, die ich bekomme, und ich höre es in ganz vielen Gesprächen mit ganz vielen Bürgern bei ganz vielen meiner Veranstaltungen!“

Das unsichtbare Dunkelproblem

Nun wende ich mich mit etwas gesenktem Haupt zum Minister: „Also brauchen wir Geld, damit wir das Problem … wir wissen ja, wie groß es sein muss, weil es überhaupt nicht zu sehen ist …“ – und genau jetzt trifft mein stierer Verzweiflungsblick den seinen – „wegen des gewaltigen Dunkelfeldes, das es versteckt … wir … nun wir brauchen jetzt eben Geld, um das unsichtbare Dunkelproblem ans Licht zu bringen – in einem Bericht mit Grafiken und allem Drum und Dran. Den Bericht können Sie dann Ihren Parteifreunden zeigen, und schon kriegen wir unser Anti-Anti-Intellektualismus-Gesetz.“

„Das klingt gut“, erwidert der Minister, seine Rechte vor sich im Kreise führend, als wollte er den richtigen Ton für eine Arie hochbringen, „die Intellektuellen haben keine Stimme, und wir werden sie ihnen verschaffen. Ohne sie gibt es keine Demokratie, sie sind … ähm …“ „Ihr Rückgrat!“, souffliere ich, und er stimmt mir bei: „Ganz recht, das Wort fiel mir nicht ein … Jedenfalls: Ich gebe euch das nötige Geld, damit ihr das das ganze Ausmaß der Sache ans Licht bringt. Dann können wir endlich etwas für die misshandelten Intellektuellen tun!“
 

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Sodann, zum Kofferenten am Sumpfesrand gewandt, fügt der Minister noch hinzu: „Stumpf, du musst verstehen: Diese Intellektuellen, die haben Funk und Fernsehen in der Hand und reden in den Schulen auf die Kinder ein. Wir machen uns zum Anwalt ihrer Sorgen und Nöte, ob sie welche haben oder nicht.“ 

Mit ruckelnden Bewegungen dem Einsinken wehrend, stößt Stumpf hervor: „Moment mal! Sie können doch nicht Steuergeld für Berichte zahlen, die Ihre Meinung bestätigen, um die Leute dann damit zu manipulieren. Was hat denn das mit dem Gemeinwohl zu tun? Minister heißt doch Diener“ – hier falle ich ihm ins Wort, mit eindringlichem Blick, aber nicht auf ihn, sondern auf den Minister, der, seit er bemerkte, dass Stumpf meint, bedrohlich im Boden einzusinken, sorgenvoll an sich selbst herabsieht und sogleich ansetzt, Stumpfens ungelenkes Wassertreten nachzuahmen. 

Verbreitete Misshandlung Intellektueller

„Es geht darum, ein Bewusstsein für die weit verbreitete Misshandlung Intellektueller zu schaffen!“, interveniere ich entschieden. Mit schräg niederfahrendem Blick wende ich mich dann an Stumpf: „Wie können Sie uns da mit solchen Bedenkenträgereien kommen! Wollen Sie etwa schuld sein, wenn Studienräte, Redakteure und Kolumnisten Betonfüße anziehen und sich in Rotten von der Museumsinsel stürzen? Alles nur wegen sträflich undenunzierter Alltagsdiskriminierung?“

Der Minister, der mit der Miene eines frisch Erwachten den Blick vom Sumpfboden löst und seinen Anzug zurechtrückt, geht nun beschwichtigend vor: „Lassen Sie es gut sein, Stümpfchen, Ihnen fehlt noch etwas die Erfahrung. Arbeiten Sie sich erstmal noch etwas tiefer hinein … und hören Sie auf, so mit den Beinen zu ruckeln – das macht mich ganz nervös! Es handelt sich einfach um eine branchenübliche Beratungsleistung, das ist alles.“

Falschdenk erkennen und reagieren

Stumpf hört auf zu ruckeln, spürt die Erleichterung im Rückgrat und versinkt. So sind wir endlich alle drei auf Augenhöhe erniedrigt, und ich spreche mit Bestimmtheit mein Schlusswort: „Genau. Jetzt erstmal aufklären über das Problem im Dunkelfeld. Eine erste Erleuchtung kostet 200.000 Euro, im zweiten Jahr wird für 500.000 Euro die ganze Dimension des sträflich verdunkelten Intellektuellenmissbrauchs offenbar werden. Das Bewusstsein bestimmt schließlich das Sein.“ 

„Sie wollen sagen“, begeistert sich nun Stumpf, „ohne berichtigtes Bewusstsein kann keine Meldestelle sein!“ „Jetzt haben Sie es verstanden, bravo“, erwidere ich. „Sie werden es weit bringen.“ Auf dem Weg zur Staatskasse versöhne ich mich dann ganz mit Stumpf: „Das wird famos, Sie werden sehen. Und nachher schließen wir ein Monitoring an, wie das neue Gesetz wirkt!“ 

Der Minister fügt gelassen hinzu: „Warten Sie nur ab, Stümpfchen. Ihnen machen wir auch noch ein Institut auf. Sie gehen dann in die Schulen und machen mit den verrohten jungen Leuten ein Sensitivitätstraining.“ „Ja, Herr Minister!“, versetzt Stumpf. „Und ich hab’ sogar schon den Namen dafür: Sch(l)au auf Rechts – Falschdenk erkennen und reagieren.“

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Markus Michaelis | Mo., 24. Juli 2023 - 13:35

Es gibt sicher viele Politiker, die das alles rein taktisch sehen, aber ich glaube die Linie und der Ton wird von politischen Akteuren bestimmt, die aus Überzeugungen handeln.

Der Hauptantrieb für Beauftragte und Meldestellen ist weniger, weil Funk und Fernsehen in der Hand der jeweiligen Gruppen sind, sondern weil Minister und Partei (zusammen mit vielen anderen) dadurch Werte umgesetzt sehen, an die sie glauben.

Gunther Freiherr von Künsberg | Mo., 24. Juli 2023 - 14:16

versucht der Autor, indem er dem Leser vorgaukelt, in der Hauptstadt gebe es so etwas wie Intellektualität. Intellektuell bedeutet“ Erkenntnisvermögen, Einsicht“. In Berlin ist der Begriff“ Vermögen“ ohnehin ein Unwort. Vermögen muss sozialisiert werden.
Wenn der Autor noch dazu eine Meldestelle für Antiintellektualismus fordert, fordert er in unsozialer Weise eine Denunziantenstelle in der Personen gelistet werden, die sich gegen einsichtige mit Erkenntnisvermögen ausgestattete Politiker wenden. Einsichtsfähige Politiker, die diese Eigenschaft aufweisen sind in mehrfacher Hinsicht als Repräsentanten unserer Demokratie völlig ungeeignet, weil ihnen der Sinn für moderne queere Moral, moraliengrüngesteuerten Zeitgeist und vor allem aber ihre mögliche Einsichtsfähigkeit sich einem grünphilosophischen Wirtschaft-und Klimadiktat unterzuordnen, fehlt. Stammtische sind die Quellen der Erkenntnis.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 24. Juli 2023 - 16:48

Hoffentlich haben sie niemand in der Ampel auf die Idee gebracht. Die suchen ständig nach Problemen, die es noch nicht gibt, aber gerne geschaffen und bekämpft werden wollen.
Habe mich köstlich amüsiert und bin gespannt, wer der nächste Minister sein wird, der ein neues Institut eröffnen läßt.