
- „Wolfgang, wir stehen hinter dir“
Für seinen kritischen Essay zur Identitätspolitik ist Wolfgang Thierse öffentlich abgewatscht worden – besonders von Mitgliedern der Queer AG in der SPD. Deren stellvertretender Bundesvorsitzender distanziert sich zwar von der Hetze. Trotzdem findet er, Thierse hinke der Partei hinterher.
Sascha Roncevic ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Queer AG in der SPD.
Herr Roncevic, Wolfgang Thierse ist für seinen kritischen Essay zur Identitätspolitik in der FAZ von Mitgliedern der AG Queer öffentlich abgewatscht worden. Er wurde als reaktionär und neu-rechts beschimpft, ohne dass das begründet wurde. Das alles kommt zu einem Zeitpunkt, wo der SPD-Kanzlerkandidat Respekt als Wahlkampfparole ausgegeben hat. Ist die AG Queer der Sargnagel der SPD?
Nein, und das ist sie schon deswegen nicht, weil die SPD Queer Wolfgang Thierse gar nicht öffentlich abgekanzelt hat. Das waren einzelne Mitglieder. Aber wir als AG haben nie ein Statement abgegeben, in dem es heißt, Wolfgang Thierse sei reaktionär.
Heißt das, Sie hatten mit dem Gastbeitrag keine Probleme?
Wir teilen diesen Beitrag nicht in allen Punkten. Aber wir würden niemals sagen, wegen dieses Beitrags muss Wolfgang Thierse aus der Partei gejagt werden. Er ist ein Sozialdemokrat durch und durch, der in seinem Leben immer wieder gezeigt hat, dass er sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einsetzt, auch für queere Menschen. Er war nicht nur einer der ersten Politiker, die beim Christopher Street Day gesprochen haben, er hat auch die Katholische Kirche für ihren Umgang mit queeren Menschen kritisiert.
Der ehemalige Bundestagspräsident warnt in seinem Text davor, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt, wenn Minderheiten ihre Partikularinteressen über das Allgemeinwohl stellen. Was ist daran auszusetzen?
Ich stimme ihm in dem Punkt zu, dass er sagt, wir leben in einer immer pluraler werdenden Gesellschaft, da gibt es nun mal Kämpfe um Ressourcen wie Aufmerksamkeit. Der Ton wird immer rauer. Das ist der Sache nicht dienlich. Ich glaube aber, er verwechselt das Anliegen der Leute mit der Art und Weise, wie einige Leute das kommunizieren. Aber das ist eben nur ein Teil der Community. Es gibt nicht die queere Community.
Woran machen Sie Ihre Kritik inhaltlich fest?
Mich hat etwa der Satz gestört: „Biographische Prägungen, und seien sie noch so bitter, dürfen nicht als Vorwand dafür dienen, unsympathische, gegenteilige Ansichten zu diskreditieren oder aus der Diskussion auszuschließen.“ Das ist eine pauschale Unterstellung, dass man seine persönliche Betroffenheit immer als Vorwand für etwas missbraucht. Dabei gibt es doch auch Situationen, wo es sinnvoll ist, diese biographische Prägung einzubringen. Eine Debatte lebt ja von verschiedenen Perspektiven.
Leider ist es in diesen identitätspolitischen Debatten aber doch oft so, dass die Opferperspektive das Argument ersetzt.
Aber es ist doch ein Unterschied, ob man sich als Opfer fühlt oder ein Opfer ist. Wir werden immer wieder gefragt, was wollt Ihr denn noch, Ihr seid doch schon gleichgestellt? Kaum einer kann sich vorstellen, dass es da noch Opfer gibt. Dabei zeigen Statistiken, dass es Gewalt gegen Schwule und Lesben gibt. Warum darf man diese Gewalterfahrung nicht mit in den Diskurs einbringen? Man darf es bloß nicht als absolutes Argument hinstellen.
Kritik ist das eine, der Ton macht aber die Musik. Ist es Ihnen als stellvertretender Bundesvorsitzender der Queer AG gar nicht unangenehm, wenn Sie sehen, wie ein Mitglied der Queer AG bei einem Online-Talk des SPD-Kulturforums und der Grundwertekommission mit Gesine Schwan und der FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel zu deren Kritik am Outing von Schauspielern im SZ-Magazin seine persönlichen Erfahrungen benutzt hat, um alle Andersdenkenden zu stigmatisieren?