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Sie kommen, um sich zu beschweren: Matti Karstedt und Laura Schieritz / JuLis Brandenburg

Klage gegen Paritätsgesetz in Brandenburg - Das Geschlecht, die Verfassung und wir

In Thüringen ist das Paritätsgesetz vom Landesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden. In Brandenburg ist es noch in Kraft, doch die Jungliberalen Matti Karstedt und Laura Schieritz klagen dagegen. Hier erläutern sie, warum sie es für gefährlich halten.

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Matti Karstedt ist Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Brandenburg und Beisitzer im Präsidium des Landesvorstandes der FDP. Er studiert Rechtswissenschaft an der Universität Potsdam und kandidierte bereits zwei mal zur Landtagswahl in Brandenburg.

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Laura Schieritz ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen und Beisitzerin im Landesvorstand der FDP. Sie trat als jüngste aller brandenburgischen Kandidaten 2017 zur Bundestagswahl an.

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Laura Schieritz ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen und Beisitzerin im Landesvorstand der FDP. Sie trat als jüngste aller brandenburgischen Kandidaten 2017 zur Bundestagswahl an und klagt nun gemeinsam mit Matti Karstedt gegen das dortige Paritätsgesetz. Matti Karstedt ist Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Brandenburg und Beisitzer im Präsidium des Landesvorstandes der FDP. Er studiert Rechtswissenschaft an der Universität Potsdam und kandidierte bereits zwei mal zur Landtagswahl in Brandenburg.

Unsere Parlamente sollen die Gesellschaft abbilden. Eine hehre Zielsetzung, an der sie seit jeher scheitern: Zu viele Männer, zu viele Studierte, zu viele Alte – die Liste könnte man um eine ganze Reihe von Kategorien ergänzen. Die Lösung des Problems liegt auf der Hand: Wir überlassen die Wahl nicht mehr den Bürgerinnen und Bürgern, sondern quotieren die Abgeordneten anhand von persönlichen Eigenschaften vor. Das sichert Repräsentation – und ist der Ausgangsgedanke für die Paritätsgesetze. Brandenburg hat es, Thüringen hat es für kurze Zeit gehabt und der Bund soll es noch bekommen.

Doch was gut gemeint ist, ist zugleich brandgefährlich. Wer die Wählbarkeit seiner Mitmenschen von ihrem Geschlecht abhängig macht, legt damit die Axt an historisch errungene Prinzipien. Das in unserer Verfassung garantierte Recht auf freie und gleiche Wahl wird unter dem Banner der Gleichstellung ausgehebelt.

Echte Chancengerechtigkeit schlägt verordnete Ergebnisgleichheit

Wir jedenfalls wollen nicht primär aufgrund von Eigenschaften gewählt und bewertet werden, auf die wir keinen Einfluss haben. Das Geschlecht, das Alter und die Ethnie gehören dazu. Das unserer Verfassung zugrunde liegende Verständnis von Repräsentation geht auch gar nicht davon aus, dass Männer nur von Männern und Frauen nur von Frauen vertreten werden können. Genauso, wie im Übrigen nicht nur eine weibliche Richterin über eine weibliche Angeklagte entscheiden darf oder vice versa. Das Individuum ist der Ausgangspunkt, der einzelne Mensch ist Grund und Grenze der Politik. Nicht die Gruppe, nicht das Kollektiv.

Eine Auffassung, die der Thüringische Verfassungsgerichtshof bestätigt hat, als er am vergangenen Mittwoch das dortige Paritätsgesetz für verfassungswidrig und nichtig erklärte.

Heilige Kühe soll man nicht schlachten

Nun sind Streitigkeiten vor Verfassungsgerichten selten unpolitisch. Die Bewertung der Urteile kann am Essenstisch wie im Parlament durchaus entzweien. Während wir das thüringische Urteil begrüßen, mögen andere es als Skandal empfinden. In unserer offenen Gesellschaft ist das legitim.

Doch so stark man auch inhaltliche und sachbezogene Kritik äußern kann und muss, so darf man niemals dem Reflex unterliegen, die Verfassung oder das Verfassungsgericht zu delegitimieren. Wer das tut, legt ohne jede Not die Axt an den Minimalkonsens unseres Rechtsstaats. Eine fatale Entwicklung, die uns allen auf die Füße fallen kann.

Justitia ist blind

Wenn Verfechterinnen und Verfechter des Paritätsgesetzes also öffentlich bedauern, dass der Verfassungsgerichtshof das Gesetz nicht gegen „Angriffe“ der AfD verteidigt habe, so offenbaren sie ein erschreckendes Verständnis von Gewaltenteilung. Verfassungsgerichte sind nicht der verlängerte Arm einer Regierung. Es ist nicht ihre Aufgabe, Gesetze und Regierungsprojekte zu verteidigen.

Dabei wollen wir gar nicht verhehlen: Ja, auch für uns als Liberale ist es unerträglich, dass in Thüringen nur die AfD den Rechtsweg gegen ein verfassungswidriges Gesetz bestritten hat. In unserer Heimat Brandenburg machen wir es anders; dort sind Junge Liberale, Piratenpartei und auch einzelne Bürgerinnen und Bürger gegen das Paritätsgesetz aktiv. Welche politische Gruppierung klagt, darf rechtlich jedoch keine Rolle spielen. Justitia ist schließlich blind. Gerichte bewerten auf Basis des Rechts, nicht nach Ansehen der Person. Und das muss auch so bleiben.

Wenn der Verfassungsgerichtshof also ein Gesetz für nichtig erklärt, weil es Grundrechte verletzt, so spielt nicht er das Spiel der Populisten, sondern all jene, die überhaupt erst – gegen alle Warnungen und Bedenken der unabhängigen wissenschaftlichen Dienste der Parlamente – verfassungswidrige Gesetze auf den Weg bringen.

Was zu tun bleibt

Jeder Mensch bringt durch seinen individuellen Hintergrund wertvolle Perspektiven in die politische Debatte ein. Repräsentationsdefizite muss man daher auch hinterfragen, wenn man Paritätsgesetze ablehnt. Viele Strukturen in Parlamenten und Parteien haben sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert und schrecken Frauen, aber auch junge Menschen, Nichtakademiker oder Menschen mit Migrationshintergrund ab.

Die Parteien sollten die Mitgliederermutigung und -entwicklung, eine respektvolle und partizipative Atmosphäre sowie Kampagnen mit Vorbildern aus der gesamten Gesellschaft stärker als Chance begreifen und vorantreiben. Gleichberechtigung braucht echtes Empowerment statt starr vorgegebener 50/50-Schablonen.

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Ingrid Malhotra | So., 19. Juli 2020 - 16:53

Es macht Mut und mindert ein wenig meine ziemlich pessimistische Sicht auf die nähere Zukunft, dass junge Menschen so sachlich und überlegt argumentieren und sich nicht vor den Schwierigkeiten scheuen, die auf jemanden zukommen, der sich gegen die gewünschte political correctness stellt.

Michaela 29 Diederichs | So., 19. Juli 2020 - 20:41

Antwort auf von Ingrid Malhotra

Klasse Beitrag einer Partei, die ich - ehrlich gesagt - inzwischen abgeschrieben habe.

Stefan Forbrig | So., 19. Juli 2020 - 16:53

"...Ja, auch für uns als Liberale ist es unerträglich, dass in Thüringen nur die AfD den Rechtsweg gegen ein verfassungswidriges Gesetz bestritten hat..."

Ganz genau das ist der Satz, der nachdenklich machen muß. Warum gibt die FDP als Opposition den Totalausfall?

Ein Treppenwitz der Geschichte:

Mit seinem Urteil hat das Landesverfassungsgericht Thüringen letztlich bescheinigt, dass die AfD im Thüringischen Landtag die einzige dort vertretene Fraktion ist, die in dieser Frage auf dem Boden der Verfassung steht. Ausgerechnet Thüringen, deren Landtagsfraktion von jenem Mann geführt wird, den der Verfassungsschutzpräsident wegen behaupteter, verfassungsfeindlicher Tendenzen unter Beobachtung hat stellen lassen.

Fritz Elvers | So., 19. Juli 2020 - 17:48

was sich der Marxismus-Feminismus ausdenkt, macht Sinn.

Die real existierende Frauenquote ist immer Resultat einer gesellschaftlichen Entwicklung. Hier liegt der Hund begraben, die gläserne Decke muss weg.

Peter Schulmeister | So., 19. Juli 2020 - 23:07

Antwort auf von Fritz Elvers

Wunderbar,daß es in diesem Lande junge,politisch engagierte Menschen gibt,welche entgegen landläufiger Pressemeinungen, Unsinn als Unsinn erkennen.In der CDU (wohlgemerkt,in der CDU der Mitläufer)),hat lediglich Merz berechtigte Zweifel an diesem Unfug geäußert.Die FDP könnte,ja könnte,über dieses Thema einen Preis gewinnen.Aber sie wird schlecht geführt und bleibt viel zu oft indifferent.

Manfred Westphal | So., 19. Juli 2020 - 18:24

Der Artikel gibt auch meine Meinung wieder, Gut,
dass junge Menschen sich so engagieren, da sehe ich doch etwas rosiger für Deutschland in die Zukunft,

Romuald Veselic | So., 19. Juli 2020 - 18:42

für nichtig erklärt, weil es Grundrechte verletzt, so - spielt nicht er das Spiel der Populisten, sondern all jene, die überhaupt erst – gegen alle Warnungen und Bedenken der unabhängigen wissenschaftlichen Dienste der Parlamente – verfassungswidrige Gesetze auf den Weg bringen. Zitat basta.

Welche kriminelle Kriterien beinhalten Populismus? Inwieweit ist's durch GG/StGB sanktioniert? Wo gibt's den Antipopulismus §?
Dann muss auch Popmusik als populistische Songform gelten. Denn Pop = Populär. Ergo: Populisten sind populär, also nicht ganz unbeliebt.
Ich möchte verweisen an die geschlechtliche Nichtparität der Fatih Moschee in Pforzheim; wo es 750 Gebetsplätze gibt, davon aber nur 150 für Nichtmänner bestimmt.
Spiel mir den Popsong vom Tod Deutschlands...
Isses scho Satireh?

Gisela Fimiani | So., 19. Juli 2020 - 19:00

Möge Ihre Klage vor dem BVerfG in Ihrem Sinne beschieden werden. Derartige „Winkelzüge“ werden in der Tat durch ein Selbstverständnis von Parteipolitikern befördert, welche die Macht in diesem Land durch Parteien ausgeübt sieht. Ein eingeschränktes Wahlrecht, welches sich nach WWII vielleicht noch rechtfertigen ließ, gereicht inzwischen ausschließlich den Parteien zum Wohl. Quotierung durch Listenplätze. Von mir als Bürger nicht wählbare Abgeordnete sollen mich vertreten...eine Entmündigung meiner Person. Der Geist der Demokratie darf keine Quotierung kennen. Fangen wir mit einem neuen Wahlecht an. Wenn Politiker wieder lernen wer ihr Souverän ist, könnten sie in Zukunft ein demokratischeres Selbstverständnis entwickeln und (partei-) politische Gesinnungs-Winkelzüge ließen sich weitaus schwerer rechtfertigen, wenn man gewählt werden möchte. Mehr „vernünftigen“ Kopfes statt „moralisierenden“ Bauches würde dem Land zum Vorteil gereichen. Gute Argumente schlagen jede Quote.

Walter Ranft | So., 19. Juli 2020 - 19:49

"Die Parteien sollten die Mitgliederermutigung und -entwicklung, eine respektvolle und partizipative Atmosphäre sowie Kampagnen mit Vorbildern aus der gesamten Gesellschaft stärker als Chance begreifen und vorantreiben."
Nett gesagt. Allerdings finde ich, dass das Parteiensystem insgesamt auf den Prüfstand gehört.

Jan Dutschmann | So., 19. Juli 2020 - 22:10

Wer hätte das gedacht, links der großdeutschen Partei gibt‘s es Eine die abseits der Linientreuen agiert —- da hat doch jemand geschlafen.....

Markus Michaelis | Mo., 20. Juli 2020 - 01:10

Eine kleine Korrektur: auch ein Verfassungsgericht ist selbstverständlich zu diskutieren und kritisieren. Es wäre langfristig falsch Verfassungsgerichte zu vergöttern oder sie als soetwas wie einen unangreifbaren Wächterrat quasireligiöser Wahrheiten zu sehen. Das Gericht ist absolut zu respektieren, alle Kritik nur im Rahmen der Verfassung, aber es ist auch nur ein Teil unserer Checks&Balances und spätestens bei Neubesetzungen wird ohnehin gestritten.

Aber im Wesentlichen hat der Artikel sehr recht: diese wachsende Einigkeit der letzten Jahre über immer mehr Parteien und Politiker, die großen Medien, den ÖR etc. dass Repräsentanz nur durch Menschen aus der richtigen Gruppe erfolgen kann und alles andere Richtung Diskriminierung geht, Menschen aus der falschen Gruppe sogar nicht redeberechtigt sein sollen ... das ist schon befremdlich. Intitativen gegen Männer- oder sonstige Dominanz sind gut. Aber es geht die letzten Jahre doch sehr weit und Widerspruch hört man kaum.

Manfred Sonntag | Mo., 20. Juli 2020 - 14:32

Ich bin begeistert! Junge Menschen mobilisieren gegen die Intrigen der Identitätspolitiker. Warum werden eigentlich nur Frauen, aber keine Diversen, LGBTQ, POC und jeder Altersjahrgang mit in die vermeintliche Gleichstellung einbezogen? Der Angriff auf die Demokratie, auf das garantierte Recht auf freie und gleiche Wahl ist in der totalitären Politikszene üblich. Das war auch in der DDR so. Damit sichert die herrschende Elite ihren Machteinfluss durch gezielte Delegierung von hörigen und willfährigen Menschen in die Parlamente. Aufrechte Demokraten werden dann über Veränderung der Kriterien im Verteilungsschlüssel ausgebootet. Große Teile des Establishments hat sich Handlungsstrategien bei ihren totalitären Vorbildern abgeschaut. Abschließend setze ich auf die Standhaftigkeit dieser jungen Politiker und unserer Gerichte!

Wolfgang Beck | Di., 21. Juli 2020 - 10:25

"Wir jedenfalls wollen nicht primär aufgrund von Eigenschaften gewählt und bewertet werden, auf die wir keinen Einfluss haben. Das Geschlecht, das Alter und die Ethnie gehören dazu." Anders formuliert, es ist ja nur dummer Zufall, daß wir ein bestimmtes Geschlecht haben, bzw. einem bestimmten Volk angehören. Klingt vernünftig - aber!!: Jahrzehntelang stand die Staatsbürgerschaft in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der nationalen Abstammung. Und Staatsbürgerschaft bedeutete für den männlichen Teil (Geschlecht = dummer Zufall) des Volkes die Unterwerfung unter die Wehrpflicht (früher 18 Monate dauernder Grundwehrdienst, drastische Einschränkung der persönlichen Freiheit), bedeutete Geradestehen für die freiheitliche demokratische Grundordnung, für all das was im Grundgesetz steht. Es ist wahrscheinlich sehr schwer, dies den jungen Leuten zu vermitteln; sie werden wahrscheinlich sagen, ist jetzt nicht mehr so, spielt keine Rolle mehr. Na danke.