
- Unverschämt ungeniert
Am Donnerstag stellt sich Boris Johnson als britischer Premierminister zur Wahl. Verliert er, könnte der Brexit kippen. Doch nach Umfragen liegt Johnson mit seinen Konservativen vorn. Dabei nimmt er es mit Fakten nicht so genau. Doch genau das macht seinen Erfolg aus
Im Sommer 1906 fand es sich, dass die Tochter des damaligen Premierministers Herbert Asquith, Violet, auf einer Dinnerparty neben Winston Churchill zu sitzen kam, der gerade die erste Sprosse seiner politischen Leiter erklommen hatte, als Unterstaatssekretär für die Kolonien in Asquiths liberaler Regierung. Violet, spätere Bonham Carter, die Großmutter der bekannten Filmschauspielerin Helena Bonham Carter, fand den jungen Politiker „in gedanklicher Abstraktion versunken“, wie sie in ihren Erinnerungen später schrieb. Als er während des Dinners endlich der jungen Dame neben sich gewahr wurde, fragte er sogleich ziemlich abrupt nach ihrem Alter. „19“, gab sie zurück, worauf er, „fast verzweifelt“, antwortete: „Und ich bin schon 32. Freilich jünger als jeder hier, der etwas bedeutet“, setzte er nicht ohne Stolz hinzu.
Dann folgte ein Sturzbach der Worte: „Fluch unserer Sterblichkeit! Wie grausam kurz ist doch die uns zugemessene Spanne für alles, was wir in sie hineinpressen müssen!“ Weitere Verwünschungen über das kurze Leben, angesichts der immensen Leistungen, zu denen der Mensch fähig sei, kamen hinzu. Doch das Thema hätten Dichter, Propheten und Philosophen aller Zeiten schon so ausgiebig erörtert, dass es schwer sei, dem noch etwas Neues, Aufregendes hinzuzufügen. „Aber mir gegenüber gelang es ihm“, schreibt Bonham Carter, „in einer Flut großartiger Sprache“. Seine abschließenden Sätze werde sie nie vergessen: „Wir sind doch alle Würmer. Aber ich glaube, ich bin ein Glühwurm.“