
- Entscheiden die Frauen oder die Einwanderer?
Bei den Midterms in den USA gehen alle Beobachter von einem äußerst knappen Rennen aus. Die Demokraten setzen auf die Frauenstimmen, die Republikaner um Donald Trump auf die Einwanderer als Drohkulisse. Sicher ist nur: Die Spaltung des Landes wird so weiter vorangetrieben
Wie kann es sein, dass ein notorischer Lügner, ein sexistischer Frauengrapscher, und schlimmer noch, ein vorsätzlicher Spalter und Hass erzeugender Mann wie Donald Trump Chancen hat, eine Wahl für seine Partei zu entscheiden?
Die Dinge laufen gut für Trump
Bevor Sie, wie in deutschen aufgeklärt-liberalen Zirkeln üblich, aufschreien: Das geht doch gar nicht!, werfen Sie einen Blick in die nicht minder aufgeklärte und liberale New York Times, die Trump-kritischer kaum sein könnte. Sie gibt dem Kolumnisten Christopher Buskirk breiten Raum. Und der führt einige gewichtige Argumente an, die erklären, warum ein solcher Politiker wie Trump es eben doch schaffen kann, die Republikaner vor einer Niederlage zu bewahren. Trumps Gegner sollten sich daran erinnern, schreibt Buskirk, dass Trump mehr Stimmen als je ein Republikaner vor ihm gewonnen habe, dass er weiterhin sehr populär in seiner Partei und ein Präsident in Zeiten eines wirtschaftlichen Booms sei, mit der niedrigsten Arbeitslosenzahl seit 1969 und leicht gestiegenen Löhnen. Außenpolitisch habe er es vermieden, Amerika in größere Kriege zu verwickeln, und es dennoch geschafft, die Bedrohung durch den Islamischen Staat zu verringern. Die Schlussfolgerung des Kolumnisten: Warum sollten Wähler einen Wechsel wollen, denn: Things are going well – die Dinge laufen gut.
Niemand wagt eine Vorhersage für den Wahlausgang
Natürlich gibt es viele andere, weitaus kritischere Stimmen vor den Midterm-Wahlen, und natürlich gibt es einen Wust von Zahlen. Aber alle haben eines gemeinsam: Keiner wagt wirklich eine Vorhersage darüber, wie das Rennen am Dienstag ausgehen wird. Dass Umfragen auf dramatische Weise falsch liegen können, haben vor zwei Jahren die Präsidentschaftswahlen auf geradezu historische Weise gezeigt: Fast keiner, Donald Trump eingeschlossen, hat mit seinem Wahlsieg gerechnet – und dennoch hat er gewonnen.
Zwei Dinge bedürfen der Klarstellung: Donald Trump als Präsident steht überhaupt nicht zur Wahl, und Mehrheitsveränderungen zu Lasten des amtierenden Präsidenten im Kongress gehören im politischen System der USA zur Normalität. Die Mitglieder des Repräsentantenhaus werden wieder wie alle zwei Jahre neu gewählt wird, sowie ein Drittel des Senats.
Seit etwa Mitte vergangenen Jahrhunderts hat die Partei, die den Präsidenten stellte, jeweils im Durchschnitt 24 Sitze im Repräsentantenhaus in diesen Zwischenwahlen verloren – eine mehr, als die Demokraten brauchen würden, um die Mehrheit in dieser Kammer des Kongresses zu erobern. Ausnahmen gab es nur unter den Präsidenten Lyndon B. Johnson und George Bush Senior.
Geben die Frauen den Ausschlag?
Das Rennen, zumindest darüber sind sich die Analysten in beiden Parteien einig, wird auch diesmal eng. Auch wenn die Zahlen vom vergangenen Wochenende einen Trend zugunsten der Demokraten in den besonders heiß umstrittenen Wahlkreisen zu verheißen scheinen. Es könnte also so kommen, dass die Demokraten knapp eine Mehrheit erreichen. Dieselben Umfragen halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass sie auch im Senat die ganz knappe Mehrheit der Republikaner kippen werden.
Die Demokraten setzen dabei vor allem auf das „women’s vote“, die Stimmen der Frauen. Obwohl Millionen von weißen Frauen bei den Präsidentschaftswahlen für Trump gestimmt haben – und nicht für Hillary Clinton. Dennoch gibt es in den Vorstädten eine Rekordzahl von weiblichen Kandidaten auf Seiten der Demokraten. Sie könnten frischen Wind in die Demokratische Partei bringen, deren weibliches Aushängeschild die 78-jährige Kongress-Veteranin Nancy Pelosi ist. Allzu gerne würde sie wieder als Parlamentspräsidentin im Kongress sitzen. Für Aufbruch steht sie allerdings nicht unbedingt.
Der wie gerufene Marsch der Einwanderer
Donald Trump setzt dagegen stur auf seine Basis. Praktisch seit dem ersten Tag nach seinem Amtseintritt befindet er sich im Dauerwahlkampf und hat in den vergangenen Tagen noch einmal zu einem furiosen Endspurt angesetzt – mit einem Thema, das die Spaltung der Einwanderernation noch weiter vertieft: einige tausend Menschen aus Mittelamerika haben sich – für ihn wie gerufen – in Marsch gesetzt und versuchen, zur US-Grenze mit Mexiko zu gelangen. Trump setzt sie alle mit Kriminellen, Drogenhändlern und sonstigen Gewalttätern gleich. Er schreckt sogar nicht davor zurück auf Twitter zu behaupten, auch „unknown Middle Easterners are mixed in“ sprich: islamische Terroristen hätten sich darunter gemischt.
Sadly, it looks like Mexico’s Police and Military are unable to stop the Caravan heading to the Southern Border of the United States. Criminals and unknown Middle Easterners are mixed in. I have alerted Border Patrol and Military that this is a National Emergy. Must change laws!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 22. Oktober 2018
Dafür gibt es keine Beweise. Dennoch hat der Präsident mit dem Einsatz von bis zu 15.000 Soldaten gedroht, um sie abzuwehren – und den Einsatz von Schusswaffen für angemessen gehalten gegen Migranten, die mit Steinen werfen würden. Dagegen haben sich seine Generäle gewehrt, unter Hinweis auf die Einsatzrichtlinien, die bei so einem Verhalten die Verhältnismäßigkeit verletzt sehen. Nicht dass Trump sich daran stört. Denn er weiß: Seine überwiegend weißen Wähler bejubeln alles, was den demographischen Wandel in den USA eindämmt, der die Weißen in überschaubarer Zukunft zu einer Minderheit machen wird.
Der oberste Spalter der Nation
Das ist der Kern der gegenwärtigen Auseinandersetzung, die Amerika so tief zerrissen hat wie lange nicht. Donald Trump hat sich bewusst und vorsätzlich zum obersten Spalter der Nation gemacht, er hat eine Atmosphäre geschaffen, in der Gewalt und Hass offener denn je zum Alltag geworden sind. In seinen für ihn aufgeschriebenen Teleprompter-Reden spricht er gelegentlich vom notwendigen Zusammenhalt, um auf Twitter unkontrolliert und brutal zu seinem eigentlichen Ich zurückzukehren. Das setzt auf Konfrontation, auf Lügen und den Aufbau von rücksichtslosen Drohkulissen.
Auch wenn ein Mehrheitswechsel im Kongress nichts Ungewöhnliches wäre, so gilt vielen Amerikanern der Gang zur Wahlurne diesmal als Schicksalswahl für die Richtung, in die Amerika geht. Ob zu Recht, muss man noch einen Tag abwarten. Allerdings sagen diese Wahlen noch nichts Endgültiges aus über die Wahlaussichten für den amtierenden Präsidenten. Sein Vorgänger Barack Obama musste 2010 bei den Kongresswahlen die heftigste Niederlage seit 70 Jahren für die Demokraten verkraften. Zwei Jahre später wurde der erste schwarze Präsident im Weißen Haus wiedergewählt. Erst nach acht Jahren trat er ab.