Alte Frau in Lugansk
Eine Frau trägt eine Flasche mit Trinkwasser nach Hause auf dem von prorussischen Kämpfern kontrollierten Gebiet in der Region Lugansk / picture alliance

Konflikt zwischen Russland und der Ukraine - Die meisten Russen haben andere Probleme

Während der Konflikt zwischen dem Westen und Russland um die Ukraine zu eskalieren droht, hat die russische Bevölkerung eher wenig Interesse am aktuellen Geschehen. Meinungsumfragen zufolge wollen die meisten Russen keinen Krieg – sie sorgen sich vielmehr um mögliche Sanktionen, den Verfall der Währung und um ihren Wohlstand.

Autoreninfo

Ekaterina Zolotova ist Analystin für Russland und Zentralasien beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine, und damit auch zwischen Russland und dem Westen, sind inzwischen gut dokumentiert. Russland hat Truppen an der Grenze zusammengezogen, die USA haben Einspruch erhoben, und die Verhandlungen zur Lösung des Problems sind ins Leere gelaufen, was die Möglichkeit einer Militäroperation aufkommen lässt. Eine Frage, die in den Schlagzeilen ignoriert wird, ist, ob die russische Bevölkerung tatsächlich einen Krieg will. Bislang scheint die Antwort ein klares Nein zu sein.

Russische Meinungsforschungsinstitute haben dies bestätigt. Laut einer Umfrage sind weniger als 5 Prozent der Russen bereit, sich an einem Krieg zu beteiligen. Tatsächlich verfolgen nur 20 Prozent der Russen das aktuelle Patt aufmerksam. Viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens argumentieren, dass Russland keinen Krieg braucht, da es keine wirkliche Bedrohung gibt, und dass die Bevölkerung einfach keine Lust hat zu kämpfen.

Es gibt viele Erklärungen dafür, warum dies so ist. Eine ist die Geographie. Obwohl der Großteil der russischen Bevölkerung auf der „europäischen“ Seite des Landes lebt, liegt der größte Teil des Territoriums auf der „asiatischen“ Seite. Es überrascht nicht, dass die Gefahr eines Krieges in der Ukraine im asiatischen Teil Russlands als geringe Sicherheitsbedrohung wahrgenommen wird. Für den Osten ist das Thema gewissermaßen aus den Augen, aus dem Sinn.

Russland ist ein multiethnischer Staat

Ein weiterer Faktor ist die Kultur. Russland ist ein multinationaler Staat, in dem mehr als 190 Ethnien und Nationalitäten in der überwiegend russischen Bevölkerung vertreten sind. Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass sich viele Russen mit den unter ihnen lebenden Ukrainern identifizieren, anstatt sie als Feinde zu betrachten. Andere Nationalitäten, die keine historische und kulturelle Verbindung zur Ukraine haben, interessieren sich nicht wirklich für die Rückgewinnung russischer Grenzgebiete, so wichtig sie auch für die Regierung sein mag.

Dann gibt es noch einen wirtschaftlichen Aspekt. Krieg ist eine ressourcenintensive Angelegenheit, die als weit weniger dringlich angesehen wird, da die russische Wirtschaft stagniert, die Inflation steigt und mehr als die Hälfte der Bevölkerung ein Einkommen unter dem Landesdurchschnitt erzielt und auf staatlich gelenkte Projekte zur Verbesserung ihres Lebensstandards wartet. Es ist schwer für sie, sich für Geopolitik zu interessieren, wenn sie versuchen, über die Runden zu kommen.

Dennoch gibt es eine geopolitische Erklärung dafür, warum sich die Russen nicht so sehr für den Konflikt interessieren. Für sie ist er ein Problem unter vielen, kein existenzielles Thema. Sie sehen ihn durch das Prisma der westlich-russischen Spannungen, die für sie dem Kalten Krieg nur allzu ähnlich sind. Zwar geben viele Russen den USA und der Nato die Schuld an der derzeitigen Eskalation, doch diejenigen, die alt genug sind, um sich daran zu erinnern, wissen auch, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion und der damit verbundene Gebietsverlust zu vielen der heutigen Probleme Russlands beigetragen haben.

Sie verstehen, dass all diese jüngsten Ereignisse – die Festlegung der roten Linien durch Moskau, das erneute Engagement im ehemaligen sowjetischen Raum, die Auseinandersetzungen um Nord Stream 2, die Krise an der weißrussischen Grenze, die Nato-Übungen in Osteuropa, die ständige Androhung neuer Sanktionen, die Aufmerksamkeit Russlands für Kuba und Venezuela, die demonstrative Verlegung von Truppen von einem Teil Russlands in einen anderen sowie die Reduzierung der Gaslieferungen durch die Jamal-Gaspipeline – Versuche beider Seiten sind, die Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen Gegners zu testen.

Informations-Grundrauschen

In diesem Sinne ist der Ukraine-Konflikt nur ein Aspekt einer größeren Konfrontation zwischen den Interessen Russlands und des Westens. Für die meisten Amerikaner ist er ein relativ neues Thema. Für die meisten Russen ist es ein Thema, das sich seit 2014 entwickelt hat, seit dem Beginn der Feindseligkeiten in Donezk und Luhansk und der Annexion der Krim durch Russland, über der ein Jahr lang das Gerede vom Krieg schwebte. Für den durchschnittlichen russischen Bürger ist dies also nur ein Informations-Grundrauschen.

Was die Russen durchaus interessiert, ist die Frage, wie sich diese ganze Konfrontation auf ihren Lebensstandard auswirken wird. Sie sind besorgt über die Reaktion des Westens und damit über die Zukunft Russlands im internationalen Handel und Finanzwesen, denn Schwankungen des Rubels, die Inflation und die Stabilität des Finanzsystems werden sich auf ihren Wohlstand auswirken.
 
Das Aufpeitschen von Militär- und Sanktionshysterie kommt Russland in der Regel teuer zu stehen. Die Wirtschaft leidet bereits unter der sich beschleunigenden Inflation, der Abwertung der Währung, dem Absturz des Aktienmarktes und dem Rückzug des Auslands aus Staatsanleihen. Die konfliktbedingte Unsicherheit führt zu einem Kapitalabfluss, da ausländische Investitionen in Erwartung möglicher Sanktionen eingefroren werden. Im Januar 2022 sank der Anteil ausländischer Investitionen in russische Staatsanleihen auf 18,8 Prozent, verglichen mit 34,9 Prozent im März 2020.

Angst vor schwachem Rubel

Darüber hinaus reagiert der russische Rubel besonders empfindlich auf Ereignisse wie diese. Allein die Ankündigung, dass Sanktionen möglich sind, ließ den Rubel fallen. Ebenso fiel er Ende Januar, als die US-Botschaft amerikanischen Bürgern empfahl, die Ukraine zu verlassen. Ein schwacher Rubel ist für die russischen Bürger schlimmer als für den Staat, der immer noch Wege finden kann, um Löcher im Haushalt zu stopfen. Die Menschen aber kaufen ausländische Produkte wie Autos, Smartphones und Haushaltsgeräte, so dass ein schwacher Rubel die Kosten für ihren Konsum in die Höhe treibt.
 
Es gibt auch allgemeinere Befürchtungen, dass ein militärisches Engagement die russischen Gaslieferungen nach Europa und die Lebensmittellieferungen nach Asien, Afrika und in den Nahen Osten unterbrechen würde, was zu höheren Preisen im eigenen Land führen würde. Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet: Der Internationale Währungsfonds stellte kürzlich fest, dass eine mögliche Eskalation des Konflikts zu einem Anstieg der Energiepreise und einer weiteren Beschleunigung der Inflation in der Welt führen würde.

Aus all diesen Gründen interessieren sich die meisten Russen nicht für den Ukraine-Konflikt. Wenn überhaupt, dann ist er Teil eines größeren Problems, bei dem eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ihre Lebensqualität beeinträchtigen könnte. Die russischen Durchschnittsbürger leben ihr Leben in Sorge wegen der Pandemie, wegen ihrer Finanzen, wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten und künftiger Sanktionen. Aber Kiew ist für sie sehr weit entfernt.

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Annette Seliger | Di., 8. Februar 2022 - 11:28

den jeweiligen Gegner immer klein zu reden. Das ist wichtig für die eigene Klientel, denn die Bürger, die hier schon länger leben und den Laden am laufen halten, müssen ja wissen wofür sie im Ernstfall bezahlen müssen (Arbeitsplatzverlust, höhere Energiepreise, weil man teures Fracking Gas aus U.S.A. kaufen muss, etc.). Dazu ein Photo von einem armen Mütterchen, das sich irgendwo einen Kanister Wasser geholt hat, weil die Leitung daheim eigefroren ist. Der geneigte Cicero Leser sitzt daheim in der warmen Stube und muss denken - "ach wie gut es uns doch geht". So viel zum Framing. NEIN, den Russen geht es nicht schlecht. Die Staatsschulden sind bei 10-12%, die Kassen reichlich durch die hohen Energiepreise der letzten Jahre gefüllt, Deutschland benötigt wegen seiner dämlichen Energiewende bezahlbares Gas ohne Ende und mit China hat Russland den am stärksten wachsenden Binnenmarkt an der Seite - wer braucht das Europa? Die Interessen von Russland sind berechtigt - die haben gute "Werte"!

Propaganda, so, so, waren sie schon mal in Rußland. Ich meine nicht St. Petersburg oder Moskau. Ich meine so Gott wie deh, wie der Berliner sagt.
Ich empfehle auch mal das Phoenix Feature Russland, wenn man sich nicht die Mühe machen will quer durch Russland mit dem Barkas zu fahren.
Ich finde es doch sehr befremdlich, was hier für Kommentare abgegeben werden.
Aber ich tröste Sie etwas, in den USA sieht es nicht viel anders aus, da bricht im Winter auch gerne mal die Strom- und Wasserversorgung zusammen. Da hat jeder im mittleren Westen einen Benzingenerator in der Garage stehen.

käme (d. h. Einmarsch der Russen) u. dann - wie Scholz angekündigt hat - Nordstream2 nicht in Betrieb genommen würde, wären wir Deutschen viel härter von den Folgen betroffen als die Russen von den Sanktionen des Westens.
Die meisten Russen sind s e h r geduldig u. leidensfähig! Sie haben schon ganz andere Zustände ertragen als fehlende Alltagsprodukte. Es geht ihnen durchschnittlich schlechter als bei uns - vor allem den Millionen, die mit kleinen Renten oder geringem Lohn auskommen müssen. Im Vergleich zu Deutschland, wo ein Mindeststandard zu jeder Wohnung gehört, leben viele Russen immer noch beengt u. in Verhältnissen, wie man sie hier keinem Asylanten zumutet.
Russen richten sich eben ein u. strecken sich nach der Decke.
Bei uns wird sich der Rückgang des Komforts u. des Geldwertes recht bald
in der Stimmung der Menschen bemerkbar machen.
U n s e r e Regierung darf jedenfalls eher mit Revolten rechnen als Putin, wenn auch nicht in dem Maße wie etwa in Frankreich.

Nö, die muss Putin nicht befürchten. Sobald der erste Demonstrant erscheint, schickt Putin seine Bluthunde los, die mit dem Gummiknüppel in der Hand für Ruhe und Ordnung sorgen.

Und anschließend geht es ab nach Sibirien, auf Staatskosten, und nicht nur für vierzehn Tage!

Wie wohlwollend doch Putin mit besorgten Bürgern umgeht!

Und bei uns? Gehen als Spaziergänger getarnte Rechtsextremisten und Covidioten auf die Straße, attackieren Journalisten und Polizisten, bedrohen Politiker, setzen ihre eigenen Kinder gegen Ordnungshüter ein...und was passiert?

Nichts, vielleicht werden die Personalien aufgenommen.

Ach, wie gut haben es die Demonstranten doch im Vergleich in Russland...

für wen die Autorin arbeitet, da kann man gar nichts anderes erwarten. Lohnt nicht zu lesen. Angst vor Inflation, der Pandemie ..... man greift sich an den Kopf. Inflation haben wir hier genauso, wenn nicht noch schlimmer und die Pandemie ist vorbei, nur nicht bei uns und in Österreich..... man man man.....
Man hätte im Gegenzug auch als Bild einen Armutsrentner in D herauspicken können, der Flaschen sammelt..... Oder die prallen Migranten Jungmänner in Markenklamotten und ohne Masken, wie sie die Sau rauslassen in einer beliebigen Großstadt.... gibt ja genug.

für berechtigt wenn Russland sein Einflussgebiet bis nach Westeuropa ausdehnen will?
Leider befürchte ich das sie die Zusammenhänge kalter Krieg UdSSR und Putins Weg nach dorthin nicht verstehen.

Sie nennen es gute Werte, ich nenne es Erpressung und Imperialismus.

Tomas Poth | Di., 8. Februar 2022 - 11:36

Was mich an Rußland so verwundert ist, daß es seine hohen technischen Fähigkeiten in Raumfahrt, Rüstung und Erschließung von Rohstoffquellen, nicht in den Bereich ziviler Produkte und Konsumgüter umsetzen kann.
Rußland ist in diesen Bereichen kein Akteur im Weltmarkt, kann nicht bei Fahrzeugen, Hausgeräten, Unterhaltungselektronik usw. punkten.
Das scheint wohl nicht so wichtig zu sein, da ist Rußland eher unterentwickelt. Man muß dies auch im Vergleich zu China sehen, daß wirtschaftlich zum Global Player wurde und dies nun auch schrittweise in der Raumfahrt und auf der militärischen Ebene vollzieht.
Irgendetwas fehlt den Russen da in ihren Genen! Sie müssen ihr Potential weiter entwickeln oder werden eines Tages einen erneuten Zusammenbruch erleben.
Hohe militärische Fähigkeiten reichen nicht, um im Innern die Menschen bei Laune zu halten.

Tonicek Schwamberger | Di., 8. Februar 2022 - 13:00

. . . für Ihre zutreffende, sehr gute Analyse.-
Ich bin jedes Jahr mehrmals für einige Wochen in RUS und kann Ihre Darlegungen bestätigen.

Ernst-Günther Konrad | Di., 8. Februar 2022 - 13:16

Es sind nur die politischen Vertreter und die wirtschaftlichen Nutznießer, denen je nach Ausrichtung Kriege durchaus gelegen kommen, ihren Machtbereich und ihren Reichtum zu mehren, Und solange ihnen Putin halbwegs ein Auskommen sichert, hat er auch Zuspruch.. Den Zuspruch liest man auch in unabhängigen Berichten anderer Autoren, bei allen bestehenden Konflikten in der russischen Gesellschaft, wo es, wie überall auch, immer gesellschaftliche Verlierer geben wird. Nur eines lieben die Russen besonders, ihre Freiheit und Unabhängigkeit von anderen Staaten. Und wenn ich es richtig verstehe, sind es nur die westlichen Medien, die sich mittels Kriegsrethorik in die politischen Abläufe Russlands einmischen. Im Land dort selbst, haben die Russen tatsächlich sicher die Alltagssorgen, die in jedem Land der Erde herrschen. Und unzufriedene Regierungsgegner gibt es auch überall. Jedenfalls ist der Zuspruch für Putin größer, als uns die westlichen Medien gerne erzählen wollen.

Romuald Veselic | Di., 8. Februar 2022 - 14:17

Ungarn/1956 o. CSSR/1968 ist und knapp so groß, wie 2x D. Sowie 1 UA-Soldat hat einen Wert von 3 D-Soldaten. Und: die Ukraine ist nicht AFG, wo Verhältnis, auf einen gefallenen Sowjet-Soldaten, dutzende Taliban/Gotteskrieger getötet waren. Was dank Reproduktion vor Ort, zur Makulatur wurde.
Abgesehen davon, dieses ewige militärische Umhermanövrieren, kostet immens viel Geld/Ressourcen. Es sieht so aus, dass Putins Absicht ist, die USA & Co dadurch müde zu machen, damit sie, die UA aufgeben, um endlich ruhe zu haben.
Der eigentliche Nutznießer davon ist PRC, die ihre Expansion fortsetzt, wenn sich die zwei - RUS vs. Westen u. Umgebung, gegenseitig bekriegen werden.

Die Pandabären werden sich nur freuen.
Es gibt immer noch genug Bambussprossen für alle.

Juliana Keppelen | Di., 8. Februar 2022 - 17:34

Ich behaupte die meisten Europäer auch. Dazu genügt ein Blick ins Hinterland von EU Staaten zum Bsp. Kosovo, Bulgarien, Rumänien, Griechenland die immer noch schwer unter der Finanzkrise leiden auch wenn nicht mehr darüber berichtet wird usw. das heißt innerhalb der EU oder Europas gibt es genug Landstriche die nicht so reich gesegnet sind und Menschen gerne vergessen werden. Das heißt aber nicht, dass die Menschen weniger glücklich oder unglücklich sind als in den "wohlhabenden" Landstrichen. Selbst die Postbotin, stellvertretend für alle schwer arbeitenden Menschen, hat andere Probleme. Sie kann nur staunen wenn sie abends die Tagesschau ansieht wo ihr Steuergeld hinfließt, das sie so sauer verdient hat (Kiewer Großmäuler sind halt wichtiger). Es ist also nur eine hauchdünne Elite also "Experten" die meinen die Kriegstrommeln rühren zu müssen. Dabei stehen das aufgeregte Kriegs- und Waffengeschrei sowie diese Pseudo-Aufgeregtheiten und Aktivitäten in keinem Verhältnis zu den Fakten.

Christoph Kuhlmann | Do., 10. Februar 2022 - 07:24

dann gäbe es weitaus weniger davon. Putin schweißt die Nato zusammen. Die EU ebenfalls. Ohne Geländegewinne in der Ukraine macht das Ganze keinen Sinn. Mit einem Krieg wird es richtig teuer für die Weltwirtschaft, Insofern glaube ich nicht, dass China an einer neuen Weltwirtschaftskrise mit exorbitanten Energiepreisen interessiert ist.