HSH-Nordbank-Affäre - „Schrecklicher Filz zwischen Banken und Senat“

Der Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss soll erweitert werden und auch die kriminellen Geschäfte der HSH Nordbank beleuchten. Was es mit der skandalumwitterten Landesbank auf sich hat und welche Rolle Olaf Scholz und Peter Tschentscher dabei spielen, erklärt der Finanzexperte Gerhard Schick im Interview.

Hätte das Thema Cum-Ex am liebsten aus den Schlagzeilen: Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Die HSH Nordbank ging 2003 aus der Fusion der Landesbanken Hamburg und Schleswig-Holstein hervor, ehe sie 2018 mit einem Verkauf vor der Insolvenz gerettet wurde – die Steuerzahler der beiden norddeutschen Bundesländer kostete die Misere um die Bank schätzungsweise 14 Milliarden Euro. Die Geschichte der einstigen Landesbank, die seit ihrer Privatisierung als Hamburg Commercial Bank fungiert, durchziehen unzählige Skandale und milliardenschwere Rettungsversuche. Nun soll der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) in der Hamburgischen Bürgerschaft, der die mutmaßliche Einflussnahme führender SPD-Politiker auf die steuerliche Begünstigung der Warburg Bank untersucht, den Fall beleuchten. Denn die HSH Nordbank war auch ein wichtiger Cum-Ex-Akteur.

Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick ist Gründer und Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, die sich als Gegengewicht zur Finanzlobby versteht.

Herr Schick, bevor wir auf die Skandale der HSH Nordbank zu sprechen kommen: Was ist überhaupt die Kernaufgabe einer Landesbank?

Landesbanken sind dafür da, die regionale Wirtschaft zu fördern und die Rolle des Zentralinstituts für die regionalen Sparkassen zu übernehmen. Insbesondere bei größeren Geschäften, die eine einzelne Sparkasse nicht leisten kann, ist es sinnvoll, wenn es eine Landesbank gibt. Sie sollte aber, wie im Übrigen eigentlich auch die Sparkassen, am Gemeinwohl orientiert sein und nicht irgendwelche abgehobenen Gewinnziele haben – dafür gibt es private Banken.

Die HSH Nordbank hat aber wie eine private Bank agiert.

Sie wurde ja auch auf einen Börsengang vorbereitet. Die Idee war schon vor Jahren, die Bank zu privatisieren. Und man kann schon sagen, dass es ein bisschen Pech war, dass diese Privatisierung über einen Börsengang durch die Finanzkrise 2008 unterbrochen worden ist. Dadurch blieb das Institut im öffentlichen Eigentum, obwohl es bereits agiert hat wie ein privates Institut.

Gerhard Schick, Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende / dpa

Als Kardinalfehler gilt die Abschaffung der sogenannten Gewährträgerhaftung durch Bürgschaften der Länder im Jahr 2005. Können Sie erläutern, was das bedeutet?

Die Europäischen Kommission vertrat die Auffassung, dass die Gewährträgerhaftung durch die staatlichen Eigentümer den Wettbewerb mit den anderen Banken verzerrt, also als unerlaubte staatliche Beihilfe einzuordnen ist. Denn weil die staatlichen Eigentümer für den Fall eines Zahlungsausfalls hafteten, kamen die Landesbanken wesentlich billiger an Geld als andere Institute. Das wurde dann abgeschafft, aber mit einer Übergangszeit. In dieser wollten die Landesbanken ihren Finanzierungsvorteil nochmal so richtig nutzen und kauften gerade in der Zeit ganz groß ein, in der am Finanzmarkt viele toxische Produkte angeboten wurden. Was eine Erklärung dafür ist, warum Landesbanken in der Finanzkrise besonders stark in Probleme kamen. Das betrifft nicht nur die HSH Nordbank, sondern zum Beispiel auch die WestLB und die SachsenLB.

Als es dann in der Finanzkrise bergab ging, versuchte die HSH Nordbank, ihre Bilanz mit sogenannten Omega-Deals zu beschönigen. Was hatte es damit auf sich?

Die Landesbank verschob 17 Milliarden Euro ihrer Problemkredite mit einer komplexen Transaktion aus ihrer eigenen Bilanz in ein Finanzmarktvehikel, um ihre eigene finanzielle Lage besser darzustellen, als sie war. Das ist natürlich nicht erlaubt. Es gab daraufhin einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wegen des Vorwurfs der Untreue und Bilanzfälschung. Und es kam zu einem in dieser Form einzigartigen Gerichtsprozess gegen den gesamten Vorstand. Allerdings kam es zu keiner Verurteilung, obwohl das Gericht den Tatbestand der Untreue bejahte.

Wie sahen die staatlichen Rettungspakete aus?

2008 nahm die HSH Nordbank den Finanzmarktstabilisierungsfonds des Bundes in Anspruch, 2009 brauchte sie drei Milliarden Euro zusätzliches Kapital und eine Risikoabschirmung der Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein über zehn Milliarden Euro. Schon 2015/16 reichten diese Maßnahmen nicht mehr aus, weil die auf Schiffsfinanzierung spezialisierte Bank in der Schifffahrtskrise belastet war. Und 2018 musste sie letztlich auf Druck der EU, die eine endlose Serie von staatlichen Bankenrettungen verhindern wollte, doch noch an ein privates Konsortium verkauft werden, was die Beteiligten lange verhindern wollten. Die ganze Affäre hat die Steuerzahler in Hamburg und Schleswig-Holstein mindestens elf Milliarden Euro gekostet, andere Schätzungen gehen von 14 Milliarden Euro aus. Der NDR zog den Vergleich: Das sind fast 18 Elbphilharmonien.

Warum haben die verantwortlichen Länder nichts gegen die riskanten Geschäfte getan?

Die Governance bei den Landesbanken war schlecht, also die Kontrolle des Vorstands durch die staatlichen Eigentümer einerseits sowie die internen Kontrollen in der Bank andererseits. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass die öffentlichen Eigentümer sich nicht um eine klare Ausrichtung gemäß des öffentlichen Auftrags bemüht haben. So konnte es passieren, dass die HSH Nordbank zahlreiche krumme Geschäfte machte und im Bereich Schiffsfinanzierung ein enormes Klumpenrisiko aufbauen konnte. Ähnlich schlimm sah es bei der SachsenLB und der WestLB aus. Die Länder haben auch überhaupt nicht sichergestellt, dass die Banken sich aus problematischen und illegalen Geschäften heraushalten.

Die HSH Nordbank hat sich zwischen 2008 und 2011 mit Cum-Ex-Deals, bei denen sich die Akteure einmal abgeführte Kapitalertragsteuern mehrfach erstatten ließen, an der Staatskasse vergriffen.

Und die Finanzminister in Hamburg und Schleswig-Holstein, die 2005 und 2006 an der Gesetzgebung gegen Cum-Ex-Geschäfte mitgewirkt haben, sind nicht auf die Idee gekommen, bei ihrer eigenen Landesbank zu gucken, ob sie auch solche Geschäfte macht. Die Reihe von Fehlentscheidungen, Skandalen, Mitwirkungen an kriminellen Geschäften zeigt: Die Kontrollfunktion wurde schlichtweg nicht ausgeübt.
 

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Das gestohlene Geld aus den Cum-Ex-Deals betrug über 100 Millionen Euro, gleichzeitig wurden Boni an die Vorstände ausgezahlt. Ein Vorstandsvorsitzender beispielsweise erhielt 2009 während der Krise 2,9 Millionen Euro. Und die Rettung der Bank hat wie gesagt schätzungsweise elf bis 14 Milliarden Euro Steuergeld gekostet. Finden Sie die Aufmerksamkeit, die das Thema in der Öffentlichkeit bekommen hat, angesichts dieser Summen angemessen?

Nein. Angesichts der Größenordnung wurde das Thema viel zu wenig in der Öffentlichkeit diskutiert. Es ist doch skandalös, dass eine Staatsbank Geschäfte zulasten des Staates macht und dessen Steuerkassen plündert, nachdem dieser Staat die Bank mit Steuergeldern vor der Insolvenz gerettet hat. Und die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft in Hamburg dann nicht einmal ermittelt hat, hätte einen öffentlichen Aufschrei erzeugen müssen. Hinzu kommt, dass kaum Druck ausgeübt wurde, dass Politiker Verantwortung übernehmen.

Welche konkrete Verantwortung tragen Hamburgs Politiker?

Die Landesregierungen sind über ihre Finanzminister oder teilweise auch über ihre Staatssekretäre im Aufsichtsrat der jeweiligen Landesbank vertreten und sollen die Arbeit der Bank kontrollieren. Wenn ein Institut wie die HSH Nordbank in derart krasser Weise Milliarden in den Sand setzt, stellt sich natürlich die Frage, wo die Kontrolleure waren. Das ist für den Landeshaushalte in Hamburg und Schleswig-Holstein kein Pappenstiel, sondern richtig viel Geld. Damit könnte man sehr viele Schulen sanieren. Und wenn man sich anschaut, wie in Schleswig-Holstein im Landeshaushalt jedes Jahr gespart werden musste, dann kann man nur sagen: Die Ursache dieses Spardrucks ist eben teilweise die Rettung dieser Landesbank. Aber dieser Zusammenhang ist in der Öffentlichkeit kaum gesehen worden. Deswegen kamen die verantwortlichen politischen Akteure auch nicht unter Druck.

Deswegen hat die SPD in Hamburg kein Interesse, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Steuergeldaffäre um die Warburg Bank auf die HSH Nordbank erweitert wird.

Klar, die SPD hat das Interesse, das Thema Cum-Ex und Hamburg sehr schnell zu beerdigen, weil sich mehrere Spitzenpolitiker in dieser Affäre wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert haben. Das geht von Olaf Scholz, der sich in Erinnerungslücken flüchtet und sich dabei in Widersprüche verstrickt, bis hin zu Bürgermeister Peter Tschentscher, der zugesehen hat, wie sein Finanzamt das mittels Cum-Ex-Transaktionen vom Steuerzahler gestohlene Geld nicht von der Warburg-Bank zurückforderte.

Tschentscher hat ein Schreiben der Warburg-Bankiers Christian Olearius mit Bitte um Erlass der Rückzahlung, das Olearius Tschentscher auf Empfehlung von Scholz geschickt hat, an seine Mitarbeiter weitergereicht und mit grüner Tinte die „Bitte um Information zum Sachstand“ notiert. Wenige Tage später machte das Finanzamt eine Kehrtwende und verzichtete auf die Rückzahlung.

Und Tschentscher ist nicht eingeschritten, was er hätte tun müssen. Dass er einfach zugeschaut hat, wie das Finanzamt einer Bank die Gewinne aus kriminellen Geschäften belässt, ist ein Riesenskandal. Deswegen haben wir als Finanzwende auch seinen Rücktritt gefordert. Und Johannes Kahrs hat sich von einem Banker, der kriminelle Geschäfte gemacht hat, für Lobbyarbeit engagieren lassen und ist für ihn beim Bundesfinanzministerium und der Finanzaufsicht hausieren gegangen. Führende SPD-Politiker haben sich also für eine Bank mit kriminellen Geschäften eingesetzt und gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Das will man so schnell wie möglich aus den Schlagzeilen haben. Aber es ist von Seiten der Bürger völlig richtig, dem auf den Grund zu gehen, denn in einem Rechtsstaat darf es nicht möglich sein, dass Menschen, die viel Geld haben, mit kriminellen Geschäften durchkommen, weil sie dieses Geld teils zur Beeinflussung der Politik einsetzen.
 

Lesen Sie hier die Titelgeschichte der Cicero-Märzausgabe 2022, in der Oliver Schröm und Ulrich Thiele ausführlich Olaf Scholz' und Peter Tschentschers Verstrickung in den Cum-Ex-Skandal der Warburg Bank dokumentieren: „Wer verschweigt, hat etwas zu verbergen“




 

Im Jahr 2014 musste die HSH Nordbank die ergaunerten Cum-Ex-Gelder zurückzahlen. Als Scholz zwei Jahre später der Warburg-Bank in der Cum-Ex-Affäre zur Seite stand, muss er sich der Brisanz der Geschäfte sehr bewusst gewesen sein.

Und das gilt auch genauso für Peter Tschentscher, der damals Finanzsenator war und noch näher dran war, weil er als Teil des Aufsichtsrats Verantwortung hatte. Er hat sich damals kritisch zu den Cum-Ex-Geschäften geäußert und wusste also, worum es ging, als zwei Jahre später der Brief von der Warburg-Bank auf seinem Tisch landete.

Aber was ist die Verbindung zur Warburg-Affäre, weshalb der Untersuchungsausschuss auf die HSH Nordbank erweitert wird?

Da bin ich auf die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses gespannt. Es gibt die Vermutung, dass der Umgang mit der HSH Nordbank ein Argument dafür war, dass man bei der Warburg-Bank ebenfalls nicht so genau hingesehen hat. Die Behörden haben offenbar das, was eine Wirtschaftskanzlei im Auftrag der HSH herausgefunden hat, einfach übernommen und nicht selbst nachgeforscht. Die Warburg-Banker sollen 2016 als Argumente angeführt haben, dass die Stadt die HSH Nordbank günstig davonkommen ließ, nun solle man das auch mit ihr tun.

Inwiefern ist das alles Hamburg-spezifisch? Es scheint ja eine gewisse Kultur vorzuherrschen, durch die Banken selbst bei Straftaten begünstigt werden.

Weder bei der HSH Nordbank, noch bei der Warburg Bank, noch bei der Varengold Bank hat die Staatsanwaltschaft Hamburg in Sachen Cum-Ex Ermittlungen aufgenommen. Das leistete alles die Kölner Staatsanwaltschaft. Und dann noch die Tatsache, dass Hamburg auf insgesamt 90 Millionen Euro verzichten wollte. Ich kann mir die Gesamtbilanz nur mit einem erschreckenden Filz zwischen Banken und Senat in Hamburg erklären.

Der Rechtsanwalt Gerhard Strate, dessen Anzeige gegen Scholz und Tschentscher die Hamburger Staatsanwaltschaft mit hanebüchenen Argumenten abgeschmettert hat, bezeichnet die Staatsanwaltschaft sogar als Schutzwall für die Stadtpolitik. Dazu muss man wissen, dass der amtierende Generalstaatsanwalt von der SPD unter Scholz’ Ägide eingesetzt wurde. Wie sehen Sie seine Unabhängigkeit?

Ich glaube, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft auf der falschen Seite steht. Gegen den Journalisten Oliver Schröm, der über die Affäre aufklärt, ist sie sofort aktiv geworden. Aber bei den Bankern, die in Cum-Ex verwickelt sind, hat sie nicht ermittelt. Das ist heftig: Wenn eine Staatsanwaltschaft Hinweise auf strafrechtliches Handeln hat, muss sie ermitteln. Ich bin deswegen sehr dafür, die Staatsanwaltschaften in Deutschland unabhängig von den Justizministerien zu machen. Wir haben zum Glück in Deutschland insgesamt ein gutes Justizsystem. Aber in Hamburg zweifle ich in Teilen massiv an der Unabhängigkeit der Justiz.

Welche langfristigen Folgen sehen Sie, wenn sich so eine Kultur etabliert, dass Regierungsverantwortliche keine Verantwortung übernehmen?

Das Signal, das damit an Politiker und Banker gesendet wird, lautet: Ich kann Ähnliches tun, der Allgemeinheit in großem Umfang schaden, es interessiert eh niemanden. Deswegen besteht die Gefahr, dass sich solche Vorkommnisse wiederholen. Warum sind denn nach 2008 die krummen Geschäfte bei den Banken weitergegangen? Weil fast alle Banker mit den krummen Geschäften, die zur Finanzkrise führten, durchkamen. Verurteilt wurde in Deutschland nur ein einziger. Ich weiß nicht, welche illegalen Finanzgeschäfte gerade gemacht werden – aber ich gehe davon aus, dass sie weiterhin passieren, weil man die Konsequenzen aus den Finanzskandalen der letzten Jahre nicht gezogen hat.

Das Interview führte Ulrich Thiele.

Hören Sie passend zum Thema Hamburg und Cum-Ex: Oliver Schröm im Cicero-Podcast mit Ulrich Thiele: „Die Enthüllungen werden Olaf Scholz juristische Probleme bereiten“

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