
- Mehr Realismus wagen
China ist für Deutschland ein wirtschaftlicher Rivale. Doch wer die bilateralen Beziehungen mit Peking nur durch die Linse dieser Rivalität sieht, der verkennt, dass sich die Interessen unserer Länder in vielen Bereichen überlappen. Uns eint mehr als uns trennt.
Wie konnte China so schnell so tief sinken? Gestern noch war es richtig „in“, das Lieblingsland deutscher Politiker und Manager, stets in einem Atemzug genannt mit Stichworten wie „Zukunft“ oder „Dynamik“. Heute ist es plötzlich „out“, eine Gefahr für Demokratie und Wohlstand, wird mit „wirtschaftlicher Abhängigkeit“ oder dem „Wettbewerb der Systeme“ verknüpft und soll mit einer „wertebasierten Außenpolitik“ eingedämmt werden. Es gibt zu viele Extreme in dieser deutschen Chinadebatte, zu viel Schwarz und Weiß, kaum Grautöne. Das Pendel der Chinawahrnehmung ist mal wieder ganz am anderen Ende der Amplitude angekommen. Verwundern muss uns das allerdings nicht, denn es war schon immer so.
Das Chinabild der Europäer schwankt seit der Renaissance zwischen zwei Polen hin und her wie das Pendel einer Kuckucksuhr. Ludwig der XIV. ließ sich im Garten von Versailles einen mit chinesischen Motiven verzierten Pavillon bauen, für die Treffen mit seiner Mätresse Madame de Montespan. Etwa 1670 war das. Damals war China in Europa gerade Objekt uneingeschränkter Bewunderung. Der deutsche Adel äffte den Sonnenkönig nach, indem er seine Schlösser ebenfalls mit „Chinoiserien“ füllte.