Margot Käßmann
Die frühere Bischöfin Margot Käßmann verurteilt die Aktionen der der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“. /dpa

Theologin Margot Käßmann über Klimaproteste und Gewalt - Exklusiv für Xing-Leser: „Die Rede von der ,Letzten Generation‘ ist falsch und traurig“

Die frühere Bischöfin Margot Käßmann verurteilt die Protestaktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ im Straßenverkehr und gegen Kunstwerke. Zuletzt hatte die Evangelischen Kirche in Deutschland die „Letzten Generation“ zur Synode eingeladen und die Aktionen verteidigt. Sorge bereitet der früheren EKD-Ratsvorsitzenden auch der nachlässige Umgang mit der christlichen Tradition in Deutschland.

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Frau Käßmann, Klimaaktivisten der selbsternannten „Letzten Generation“ beschmieren Kunstwerke und blockieren Autobahnen. Wie bewerten Sie diese Proteste?

Zunächst bin ich dankbar, in einem Land zu leben, in dem Menschen anders als in China oder im Iran oder anderswo auf der Welt frei demonstrieren und für ihre Überzeugungen einstehen können. Ich verstehe auch die Anliegen: Wir müssen angesichts des Klimawandels dringend, schneller und intensiver handeln. Zum anderen aber muss ich sagen, dass Gewalt gegen Sachen und auch Selbstverletzungen für mich schon immer eine höchst problematische Form des Protests waren. Sie kann ich nicht akzeptieren. 

Was genau ist für Sie problematisch an diesen Aktionen? 

Gewalt gegen Objekte ist vor allem deswegen problematisch, weil sie auch zu Gewalt gegen Menschen führen kann. Das war für mich schon in den 80er- und 90er-Jahren Thema. Ich habe mich immer engagiert und bin dafür auch selbst auf die Straße gegangen, aber grundsätzlich gewaltfrei. Meine Vorbilder sind da Martin Luther King und Mahatma Gandhi. Es geht nur gewaltfrei. Alles andere ist unchristlich. 

Die Aktivisten nennen sich „Letzte Generation“. Was lesen Sie als Theologin aus dieser Selbstbeschreibung?

„Letzte Generation“, das ist eine merkwürdige Selbstbeschreibung und auch Selbstüberhöhung. Ich schaue zwar darauf als bald 65-jährige Frau mit einer gewissen Nachsicht. Aber ich muss auch an meine Großmutter denken. Ihr wurde gesagt, sie solle nach dem Ersten Weltkrieg keine Kinder in die Welt setzen, weil die Welt zu düster sei. Und sie hat vier Kinder bekommen. Meiner Mutter wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gesagt, es sei nicht zu verantworten, Kinder in die Welt zu setzen, auch sie bekam vier Kinder. Mir wurde es gesagt, angesichts der nuklearen Bedrohung dürfe man keine Kinder bekommen. Und wir haben vier Kinder bekommen. Nun wurde meinen Kindern gesagt, sie sollten angesichts der Klimakrise keinen Nachwuchs auf die Welt bringen. Und sie haben Kinder bekommen. Diese Rede von der „Letzten Generation“ ist falsch und traurig. Ich bin Theologin, ich bin Christin, und die Hoffnung, dass wir die Welt erhalten, weist weit über diesen Fatalismus hinaus. 

Sixtinische Madonna
Klimaproteste an der Sixtinischen Madonna in Dresden / dpa

Sie haben auch auf das Problem der Selbstverletzung bei den Aktivisten hingewiesen. Was genau steckt dahinter? 

Da empfinde ich auch als Mutter und Großmutter, und mich schmerzt diese Protestform. Ich kann nicht verstehen, dass sich ein Mensch selbst verstümmelt. Mit meinem Körper und meiner Gesundheit muss ich immer sorgsam umgehen. Für mich ist jedes Leben auch ein Geschenk, ein Geschenk Gottes. In Frankreich ist das ja noch viel schlimmer, weil die Polizei da nicht so zart mit den festgeklebten Aktivisten umgeht. Sie werden dort nicht vorsichtig abgelöst, wie bei uns, sondern regelrecht abgerissen. Ich verstehe die Anliegen der jungen Menschen, aber ich verstehe diesen Weg nicht. Wie gut, dass in Deutschland die Polizei so sorgsam mit ihnen verfährt.

Diskreditieren diese Aktivisten nicht die Klimabewegung als Ganzes? 

Es ist ein Protest, der nach Aufmerksamkeit schreit. Das ist auch in gewisser Weise verständlich. Hätte der Klimaprotest am Samstag stattgefunden und nicht am Freitag, hätten Fridays-for-Future auch nicht diese Sichtbarkeit erlangt, wie sie sie bekommen haben. 

Woher kommt dieser Drang zur Gewalt? 

In dieser Suche nach Aufmerksamkeit gibt es diese Gewaltspirale. In der Achtundsechziger-Zeit und bis heute werden Autos angezündet und Häuser beschädigt. Für mich ist das keine Lösung, sondern immer nur Ausdruck einer ganz großen Hilflosigkeit. Es birgt immer die Gefahr, dass solche Gewalt umschlägt, auch in Gewalt gegen Menschen, beispielsweise in Gewalt gegen Polizisten und Ordnungskräfte. Das finde ich hochproblematisch, falsch und gefährlich.

 

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Was ist die Aufgabe der Kirche in dieser aktuellen Lage?

Es gibt zwei Aufgaben: Auf der einen Seite muss die Kirche die Anliegen der Aktivisten anhören. Aber auf der anderen Seite ist Deeskalieren und Vermitteln die wichtigste Aufgabe der Kirche. Die Kirche muss immer Hoffnung und Versöhnung und Zuversicht in die Welt bringen. Die biblische Botschaft ist die Botschaft von Hoffnungsträgern, nicht die von einer endzeitlichen anmutenden „letzten Generation“. Unsere Gesellschaft braucht dringend die biblischen Bilder von der Kraft der Versöhnung, von der Ermutigung, dass nach Jahren der Wüstenwanderung ein Land zu erreichen ist, in dem Milch und Honig fließen. Es scheint mir derzeit alles so erschreckend mutlos. In der „Letzten Generation“ drückt sich für mich eine furchtbar traurige Verzagtheit von jungen Leuten aus, die doch das Leben erobern sollten.

Insgesamt dringt die christliche Botschaft immer weniger durch – und steht sogar unter Verdacht. Was sagen Sie dazu, dass der Bibelspruch auf dem Berliner Stadtschloss überblendet werden soll? 

Zunächst mal ist ja nur eine Kunstaktion gedacht. Aber unsere Gesellschaft muss schon akzeptieren, dass wir in einer christlichen Tradition stehen – selbstkritisch auch gegenüber der Geschichte des Christentums, das ist gar keine Frage. Aber die Werte unserer Gesellschaft – Nächstenliebe, die Unantastbarkeit der Würde jedes Einzelnen – sind am Ende abgeleitet aus der christlichen Grundüberzeugung. Unsere Gesellschaft ist nicht denkbar ohne die christliche Vorstellung der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen. Wenn die christliche Botschaft inzwischen eine Provokation ist, dann mag das so sein. Aber wir können sie nicht aus unserem Gedächtnis löschen. 

Im Friedenssaal in Münster haben Beamte des Außenministeriums vor dem G7-Treffen das 500 Jahre alte Kreuz weggeschafft. Ihr Kommentar?  

Das ist natürlich für die Politik etwas peinlich. Ich denke nicht, dass sich ein Muslim oder ein Atheist daran wirklich gestört hätte. Da erleben wir inzwischen auch eine Ängstlichkeit im öffentlichen Raum, sich irgendwie politisch unkorrekt zu verhalten. In einem muslimisch geprägten Land akzeptiere ich auch islamische Zeichen. Da brauchen wir hier unsere Tradition nicht zu verstecken. Das Kreuz aus dem Friedenssaal zu nehmen, ist also schlicht Quatsch. 

Zum Schluss: Sie sind ja inzwischen vor allem als Predigerin unterwegs. Wie erleben Sie das Land von der Kanzel aus gesehen? 

In diesem Jahr habe ich 25 Gottesdienste gehalten, viele in Ostdeutschland. In Zwickau, in Eisenach, in Leipzig, in Finsterwalde … Und ich erlebe vor allem eine große Sehnsucht nach Zuversicht. Es gibt diesen starken Wunsch nach positiver Botschaft, nach einer Botschaft der Hoffnung. Diese fehlt oft im öffentlichen und auch kirchlichen Diskurs. Wir brauchen ein neues Narrativ, ein Narrativ von Hoffnung und Zuversicht, das die Menschen nicht klein macht, sondern ihnen eine Zusage mitgibt: Wir stehen zusammen, wir können Zukunft gestalten, die Starken werden den Schwachen helfen. Also eine positive Erzählung im besten Sinne. Das wäre eine Erzählung, die sich auf das Evangelium stützen kann. 

Das Gespräch führte Volker Resing.

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