
- Mit gutem Gewissen gegen die bösen Bildungsfernen
Auch nach der Wahl haben Wuttiraden gegen alles, was irgendwie als rechts gilt, Konjunktur. Das offenbar größte Verbrechen des politischen Gegners: seine Bildungsferne. Das ist kaum besser als der rechte Hass
Auch zweieinhalb Wochen nach der Bundestagswahl ist die Empörungsflut nicht abgeebbt. Meine Facebook-Seite wird noch immer überschwemmt mit kruden 1933-Analogien, Wuttiraden gegen Ostdeutsche, rührseligen Weltoffenheits- und Toleranzschlagern und den üblichen „starken Zeichen gegen Rechts“. Für meine Facebook-Freunde scheint die Lage klar zu sein: Der Faschismus steht vor der Tür, er klopft schon an – und dagegen muss etwas getan werden. Oder eher: Dagegen muss noch mehr getan werden als bisher, nach dem Motto: Jetzt erst recht.
Denn schon in der Wahlkampfphase stellte man sich tapfer in den (Online-)Dienst des angeblichen Widerstandes, der sich schnell als blasierter Entrüstungs- und Abwertungswettbewerb entpuppte: Wer postet den herablassendsten, höhnischsten Kommentar gegen „Rechts“?
Zielscheibe des Spotts war meist ein Vergehen, das für die selbst ernannten Widerstandskämpfer offenbar das übelste von allen zu sein scheint: nicht gebildet zu sein. Über Wochen mokierte man sich genüsslich über die Bildungsferne der doofen Rechten, die, so die Logik, automatisch zu moralischem Fehlverhalten führe.
Geschmacklosigkeit auf beiden Seiten
Ein großer Hit waren zum Beispiel die Konter auf AfD-Wahlplakate und die in den sozialen Netzwerken verbreiteten Collagen, die in der Tat teils unappetitlich sind. Ein gutes Beispiel für rechte Geschmacklosigkeit ist ein Bild, das im letzten Jahr viel Aufsehen erregte: Es zeigt ein blondes Mädchen, umkreist von dunkelhäutigen, indischen Frauen, die es fasziniert anblicken und anlächeln. Darunter steht: „Deutschland 2030“ und (als Pseudo-Zitat der dunkelhäutigen Frauen): „Woher kommst du denn?“ Die Collage ist deutschlandweit bekannt, seitdem Erika Steinbach sie im Februar 2016 bei Twitter veröffentlichte und somit für Empörung sorgte.
Doch die Anti-Rechten sind nicht besser: Ein anderes Bild zeigt ein AfD-Wahlplakat mit einem strahlend lachenden Mädchen vor dem Kölner Dom, dazu steht geschrieben: „Mit 18 freut sich Lili noch mehr, dass ihre Eltern AfD gewählt haben.“ Darunter ist ein Gegen-Plakat zu sehen, das eine junge Frau vor dem Dom zeigt: Sie hat kurze, blond gefärbte Haare, einen grimmigem Gesichtsausdruck und ein „Hass“-Tattoo auf den Fingerknöcheln. Kommentar: „Das ist Lili mit 18, weil ihre Eltern AfD gewählt haben.“ Und als zusätzliche Mahnung: „Mensch bleiben.“ Über die Herkunft der wütenden Frau soll kein Zweifel bestehen – sie kommt aus Kreisen abseits der Mittelschicht, wo die Menschen keine Menschen mehr sind.
Bildungsfern gleich Unmensch
Das ist menschenverachtende Einfalt unter dem Deckmantel gutgesinnter Schlagfertigkeit. Denn die Aktionen der noblen Antifaschisten zeigen vor allem eins: In ihren Kreisen verachtet man die Unterschicht. Dank mehr als einem Jahrzehnt „Hartz-IV-TV“ haben sich die Chiffren für den stereotypen Proll aus der Unterschicht im kollektiven Bewusstsein verankert: unattraktiv, geschmackloser Kleidungsstil, ungebildet, herzlos – und, wie das Plakat deutlich sagt: eben kein Mensch mehr. Wer ungebildet ist, ist unmoralisch, ist rechts, ist ein Faschist, ist ein Unmensch.
Symptomatisch für die Zeit nach den Wahlen teilte neulich ein Freund von mir ein Bild mit der süffisanten Beschreibung: „Aus unserer beliebten Serie: ‚Korrelation vs. Kausalität‘: Je mehr Leute in einem Ort Ronny heißen, desto höher ist der Stimmanteil der AfD.“ Die dazugehörige Ansicht der Deutschlandkarte zeigt – Überraschung! – die neuen Bundesländer hervorhebend markiert. Es ist dieselbe Gleichung, nur mit dem obligatorischen Osten-Bashing garniert: Ronny = Ostdeutschland = bildungsfern = nicht weltoffen und tolerant = rechts = unmoralisch = Unmensch.
Noch bevor die Gleichung beendet ist, ist der Betroffene aus dem demokratischen Diskurs ausgeschlossen. So kann jeder, der sich erst einmal moralisch schuldig gemacht hat, mit gutem Gewissen entmenschlicht und als lästiges Ungeziefer abgetan werden. Die Ungebildeten sind Unmenschen, und Unmenschen will man kompromisslos abartig finden dürfen, ohne dass einem jemand dazwischenquatscht, auch das seien Menschen, die man ernst nehmen solle.
Debattenkultur funktioniert so nicht
Woher kommt diese Verachtung, die sich in ihren Diskriminierungsstrukturen kaum von Rassismus unterscheidet? Warum sieht man in Menschen aus der sogenannten bildungsfernen Schicht nur das natürlich Schlechte? Sieht man nur selbstverschuldete Armut? Als müsste der „Pöbel“, auf den man herabschaut, die Angebote zum Aufstieg nur vom Baum pflücken, aber selbst dafür zu faul sei. Oder glaubt er nicht genug an sich selbst, strengt er sich nicht genug an, anders als die Ex-Tellerwäscher-Helden in den romantischen Erfolgsstorys? Die Botschaft jedenfalls ist deutlich: Wer nicht zum Zirkel der moralisch, intellektuell und ökonomisch Erhabenen gehört, der hat selbst Schuld und seine Rechte verwirkt.
Wir dürfen uns wundern: Sind das also die Menschlichkeit und der Anstand, deren Fehlen man bei den anderen so leidenschaftlich anprangert? Ist das die soziale Wärme, mit der man als stolzer Kosmopolit die ganze Welt übersäen möchte? Möchte man Menschenverachtung mit Menschenverachtung begegnen, Auge um Auge, Zahn um Zahn? Nein, das zeugt nur vordergründig von kunterbunter Menschlichkeit und Liebe zur Vielfalt. Eine politische Debattenkultur wird so nicht gefördert – es ist ein kaltes, monotones Bunt.