Das Cover der Cicero-Ausgabe im März: Staatshumor
Im deutschen Fernsehen ist von subversivem Humor nicht viel zu sehen / Illustration: Jill Senft

Cicero im März - Rumalbern im korrekten Korsett

Zu Zeiten eines Dieter Hildebrandt wurden Sendungen noch wegen Unbotmäßigkeit abgesetzt. Heute albern Witzereißer im öffentlich-rechtlichen Rundfunk harmlos und staatstragend vor sich hin. Wie ist dem Kabarett der Biss abhanden gekommen? Dieser Frage gehen wir im neuen „Cicero“ nach

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Journalismus, hat der große George Orwell einmal gesagt, sei: „etwas zu veröffentlichen, von dem andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Propaganda.“ In höherem Maße noch gilt dieses Verdikt fürs politische Kabarett. Es muss subversiv sein, sein Witz ist wie ein Pflug – dazu da, den harten Boden der Macht immer wieder zu durchfurchen, ohne falsche Rücksichtnahme und Obrigkeitstreue. Der Narr am Hofe hatte schon diese Rolle und war dafür mit der Lizenz zur Grenzüberschreitung ausgestattet. Unser Titelautor Wolf Reiser vermisst diese subversive Kraft des real existierenden Kabaretts im deutschen Fernsehen schmerzhaft. Er erinnert sich melancholisch an die Zeiten eines Dieter Hildebrandt,  in denen es vorkommen konnte, dass Sendungen wegen angeblicher Unbotmäßigkeit abgesetzt wurden. Heute hingegen albern im korrekten Korsett der Programmverantwortlichen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Witzereißer harmlos und staatstragend vor sich hin. Allenfalls wird in Vulgärrhetorik  ein ausländischer Staatschef geschmäht wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vom gemeinhin über Haltungs­fragen erhabenen Jan Böhmermann.

Es geht mehr verloren als gelungene Pointen

Ansonsten regiert die seichte „Witzischkeit“, über deren Grenzenlosigkeit der brillante Hape Kerkeling einmal Heinz Schenk einen Ohrwurm singen ließ. Was da fehlt, ist mehr als die eine oder andere gelungene Pointe. Verloren zu gehen droht eine politische Kultur, in der das Lachen über die Regierenden ein Lebenszeichen einer intakten Demokratie darstellt. Der Philosoph und Literaturnobelpreisträger Henri Bergson hat dieser vitalen Kraft des Lachens vor knapp 120 Jahren ein ganzes Buch gewidmet. Im deutschen Fernsehen des Jahres 2019 kommt sie deutlich zu kurz. Kabarettisten und Redakteure der Sendungen klagen Reiser ihr Leid. Nur wenige wagen sich dabei so weit aus der Deckung und zeigen so viel innere Freiheit wie der in München lebende Kabarettist Bruno Jonas. „Wer den linken Laufstall überschreitet, wird als Abtrünniger behandelt“, so Jonas. Das politische Kabarett sei „nach und nach auf Linie gebracht worden“. Framing nennt man das neuerdings.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.

Lesen Sie die aktuelle Titelgeschichte Staatshumor – Die Ödnis des deutschen Fernsehkabaretts

Außerdem in dieser Ausgabe:

– Wie sich das Parteiensystem neu sortiertCicero Civer März

– Wie sich rechte und linke Gewaltpotenziale gegenseitig aufstacheln  

– Ein Interview mit Österreichs Außenministerin Karin Kneissl

– Warum Plastik besser ist als sein Ruf

– Warum Rolando Villazón nur noch matte Töne liefert

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Michaela Diederichs | Mi., 27. Februar 2019 - 14:59

Richtig schöne Idee für die neue Ausgabe. Kann ich leider nicht mehr lesen. Online hab ich mich auch abgemeldet. 2 Monate lang mal das Gehirn ruhen lassen. Täte diesen Möchte-Gern-Kabarettisten auch mal gut. Aber ab Mai bin ich wieder dabei! Bis dahin.

Johannes Rausch | Mi., 27. Februar 2019 - 15:55

Vor mehr als 4 Jahrzehnten habe ich das Fach Geschichte studiert. Der aus meiner Sicht gebildetste Prof. sagte:" Es gibt einen untrüglichen Indikator dafür, ob man noch in einer wirklichen Demokratie, oder schon nicht mehr in einer solchen lebt. Wenn nahezu alle "Kulturschaffenden" die Regierung loben, lebt man nicht mehr in einer Demokratie!"

Ernst-Günther Konrad | Do., 28. Februar 2019 - 07:53

Antwort auf von Johannes Rausch

Lieber Herr Rausch, sie hatten einen sehr klugen und weitsichtigen Professor. Würde dies heute so öffentlich von einem solchen Mann geäußert werden, wäre der Aufschreib sicher groß und in den sozialen Netzwerken gäbe es mit Sicherheit ein links-grün gesteuerten "Shitstorm". So haben sich inzwischen die Zeiten geändert. Nur der Wahrheitsgehalt der Aussage Ihres Professors, der bleibt erhalten, solange sich Menschen noch an ihn erinnern. Ich kannte den Professor nicht, aber habe durch sie seine Aussage erfahren. Ein Satz den ich mir behalten werde. Danke.

Gerhard Lenz | Fr., 1. März 2019 - 10:15

Antwort auf von Johannes Rausch

..nur nicht blinde Regierungsfreundlichkeit. Ich weiss ja nicht, wann Sie sich das letzte Mal politisches Kabarett angesehen haben, aber wenn es gut gemacht ist, bekommt da jede politische Richtung ihr Fett weg.

Oder man nehme, als Beispiel, im Öffentlich-Rechtlichen die hervorragende Heute Show: Da ist keiner im Politbetrieb vor beißendem Spott gefeit. Sicher klingt das zuweilen etwas 'platt' und manchmal auch nur nach 'Geblödel' - aber regierungstreu? Wohl kaum.

Dass der eine oder andere politische Akteur öfters auf die Schippe genommen wird liegt wohl an der besonderen "Eignung" des getroffenen Subjektes.

Joachim Baumeister | Do., 28. Februar 2019 - 08:51

Der Niedergang des politischen Kabaretts ist seit längerer Zeit zu beobachten. Da werden vorwiegend die links-grünen Schubladen aufgezogen, um dort die Belehrungsshilfen zu holen; kein Kabarett sondern Lehrstunde wo man politisch stehen soll. Und dann gehts vorwiegend auf die üblichen Gegner: AfD, Seehofer, Trump. Das ist nicht nur langweilig, sondern hat schon Agitationscharakter. Und wenn dann mißliebige Politiker auch mit Arschloch betituliert werden (Ingo Apelt), dann hat das mit Kabarett nichts mehr zu tun, da hört der Spaß auf. Aber das interssiert ARD und ZDF nicht. Hauptsache das TV-Volk, das übrig gebliebene, haut sich bei derartigen Banalitäten auf die Schenkel. Wie vermisse ich Dieter Hildebrandt oder Lore Lorenz z.B.

Juliana Keppelen | Do., 28. Februar 2019 - 10:05

Ich in ganz jungen Jahren habe noch begierig im Radio den "Insulanern" aus Berlin zugehört. Danach die diversen Kabarettsendungen die ausnahmslos alle sehr gut waren. Und tatsächlich seit einigen Jahren nur noch seichte Komedie und billigste Witzenreißer auf Kosten der immer gleichen ( vorgegebnen?) Bösewichter Trump, Putin, Erdogan. Scharfe Ironie, bissige Einlassungen und aufdecken der Phrasendrescherei unserer Regierung oder Mißstände in der EU usw. Fehlanzeige. Politik (einschließlich Mutti) in Deutschland oder der EU im Kabarett einfach nicht mehr vorhanden. Ich denke es gibt diese kritischen Köpfe nur dürfen die nicht weil politisch nicht korrekt.