
- „Die Wähler lassen sich nicht mehr verarschen“
In kaum einer Stadt hat die SPD bei den Kommunalwahlen in NRW so viele Wähler verloren wie in Essen. Jörg Sartor, Chef der Essener Tafel, hat der Partei schon davor den Rücken gekehrt. Für ihren Abstieg hat er eine einfache Erklärung.
Jörg Sartor kommt aus einer sozialdemokratischen Familie und leitet die Essener Tafel. Bekannt geworden ist der ehemalige Kohle-Kumpel durch sein Buch, das er nach dem Streit um einen von ihm verhängten Ausländer-Stopp im Jahr 2017 geschrieben hat: „Schicht im Schacht: Verarmung, gescheiterte Integration, gespaltene Gesellschaft – der Niedergang des Ruhrgebiets. Eine Streitschrift.“
Herr Sartor, die SPD ist die Verliererin der NRW-Kommunalwahl. Die Sozialdemokraten haben mit 24,3 Prozent das bisher schlechteste Ergebnis in Nordrhein-Westfalen erzielt. Sie selbst haben sich 2019 nach vielen Jahren von der SPD abgewandt. Spüren Sie ein bisschen Schadenfreude oder schmerzt Sie das Ergebnis?
Eigentlich schmerzt mich das. In meinen Adern läuft noch immer SPD-Blut. Ich bin als Sozialdemokrat geboren, schon mein Großvater war in der SPD. Mein Vater war Gewerkschaftler und Betriebsrat. Und wenn man in einem Arbeiterstadtteil wohnt, wo Sie früher auf Wahlplakate eine Straßenlaterne draufmalen und SPD drunterschreiben konnten, und die wurde gewählt mit 60, 70 Prozent – dann steckt man so eine Niederlage nicht so einfach weg.
Sie klingen eher wehmütig als schadenfroh.
Eine gewisse Häme empfinde ich für gewisse Personen in der Partei. In Essen gab es in den vergangenen Jahren viele Kungeleien in der Führungsebene und bei der Vergabe der Listenplätze, die ich fast schon illegal fand.
So ein Postengeschacher gibt es nicht nur in der SPD.
Aber nicht in dem Maße. Gerade in der SPD ist das sehr verbreitet – auch in Berlin. Ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und so etwas macht mich einfach wahnsinnig.
Aber das war bestimmt nicht der einzige Grund, warum Sie sich von der Partei abgewandt haben, oder?
Doch, und es ärgert mich, dass die SPD nicht einsieht, was sie damit anrichtet. Stattdessen dreht sie immer weiter an der Schraube – in die falsche Richtung. Und sie stellt alle als dumm hin, die sie dafür kritisieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bei einer Diskussion der Oberbürgermeister-Kandidaten haben muslimische Eltern gefragt, was die Kandidaten gegen den hohen Ausländeranteil an Essener Schulen machen könnten – es könne doch nicht sein, dass 90 Prozent der Schüler keine deutschen Muttersprachler seien. Und wissen Sie, was der SPD-Oberbürgermeisterkandidat da gesagt hat: „Das muss man anders sehen. Man muss alle Menschen gleich behandeln. Dann gibt es gar kein Migrationsproblem.“
Augen zu – und durch?
Genau. Und der Oberbürgermeisterkandidat der Linken in Essen, der sich selbst als Marxist bezeichnet hat, hat daraufhin gesagt, er würde ihn gerne in seine Partei aufnehmen. Verstehen‘se? Bei der SPD sind bei dieser Wahl Kandidaten an der Spitze der Ratsliste aufgetaucht, die bisher bei den Linken waren. Da frage ich mich: Wo will die SPD hin?

NRW galt jahrzehntelang als Herzkammer der Sozialdemokratie. Warum laufen der Partei die Wähler weg?
Weil die Wähler nicht mehr dumm sind. Weil die nicht mehr die Straßenlaterne wählen. Das ist nicht mehr so wie zu meiner Zeit als Kohlekumpel. Da kam man aus dem Zechentor raus, ging zur Wahlurne – und alle haben SPD gewählt. Das war selbstverständlich. Über Parteiprogramme hat man nicht diskutiert.
Und wen wählen diese Menschen heute?
Das ist die große Frage. Also, ich habe die CDU gewählt.
Was macht die Partei denn besser als die SPD?
Der CDU-Bürgermeister ist glaubwürdiger. Und In meinem Stadtteil war die Partei einfach das kleinere Übel. Ich würde allerdings lügen, wenn ich sagte, die CDU ist meine neue Heimat.