
- „Schulschließungen sollten das letzte Mittel sein“
Nach gut eineinhalb Jahren Corona-Pandemie leiden Kinder zunehmend psychisch unter den Isolationsmaßnahmen. Sie brauchen eine Stimme. Jörg Dötsch vom Universitätsklinikum Köln erklärt, warum Präsenzunterricht wichtig ist und welchen Stellenwert das Impfen hat.
Professor Dr. Jörg Dötsch ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
Professor Dötsch, der Schulunterricht in Präsenz ist nun wieder in allen Bundesländern gestartet. Halten Sie diesen Schritt angesichts steigender Infektionszahlen für richtig?
Ja, ich halte das für völlig richtig, denn wir haben gesehen, dass Schulschließungen bei Kindern sowohl negative Auswirkungen auf den Zugang zu Bildung haben als auch auf das psychische Wohlbefinden, auch bereits bei sehr kleinen Kindern.
Welche psychischen Folgen der Corona-Pandemie haben Sie an Kindern festgestellt?
Wir haben gesehen, dass die Häufigkeit von Depressionen, Angst- oder auch Essstörungen im jüngeren Alter besonders zugenommen hat, als Schulen das erste Mal geschlossen wurden und Kinder zu Hause bleiben mussten. So verlieren sie den Anschluss an die Gesellschaft, weil sie verlernen, wie man untereinander in Interkation tritt. Eine Berechnung des möglichen volkswirtschaftlichen Schadens durch die Schulschließungen ist eher zweitrangig, die Gesundheit und das Wohlergehen während und nach einer solchen Krise stehen im Vordergrund.
In Zukunft soll bundesweit bei einem Infektionsfall in einer Schule nicht mehr die ganze Klasse in Quarantäne geschickt werden. Was halten Sie davon?
Es freut mich, dass die Regierung sich dafür ausgesprochen hat, in dieser Situation mehr Möglichkeiten einzuräumen, denn wir müssen alles dafür tun, den Schulbesuch zu realisieren. Es sollte lieber mit anderen Schutzmaßnahmen gearbeitet werden wie dem Tragen einer Maske, regelmäßigem Testen, dem Abstandhalten und dem Einhalten der Hygieneregeln, anstatt ganze Klassen in Quarantäne zu schicken.
Was hätte die Politik in der Vergangenheit besser machen können?
Es sollte niemandem Fehler vorgehalten werden, die passiert sind. Wir sollten nicht in die Vergangenheit schauen und urteilen, wer was falsch gemacht hat, sondern in die Zukunft blicken und das Wissen nutzen, das wir jetzt haben. Wir wissen, dass Gastronomie, Unternehmen oder etwa Lehrerverbände eine eigene, starke Stimme haben und für sich einstehen können. Sie können klar zum Ausdruck bringen, was ihnen an der aktuellen Situation nicht passt. Kinder haben jedoch nicht so eine Stimme.
Das heißt, Kinder brauchen eine Stimme?