Wahlsieger Stephan Weil und die Spitzenkandidatin der niedersächsischen Grünen, Julia Willie Hamburg / dpa

Landtagswahl in Niedersachsen - Alle Weichen in Richtung Rot-Grün

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bleibt im Amt und will mit den Grünen eine Koalition bilden. CDU-Landeschef Bernd Althusmann gibt seinen Posten ab und gesteht Wahlniederlage ein. Die FDP scheitert an der Fünf-Prozent Hürde, ihr Bundesvorsitzender Christian Lindner führt das enttäuschende Ergebnis seiner Partei auch auf die Koalition mit SPD und Grünen im Bund zurück.

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Die SPD hat die Landtagswahl in Niedersachsen klar gewonnen. Ministerpräsident Stephan Weil kann nun wie erhofft mit den Grünen ein neues Regierungsbündnis schmieden. Sein bisheriger Koalitionspartner, die CDU, fuhr das schlechteste Wahlergebnis seit Jahrzehnten ein. Landeschef Bernd Althusmann räumte die Schlappe ein und kündigte noch am Sonntagabend an, sein Amt abzugeben. Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF (gegen 22.00 Uhr) flog die FDP nach fast zehn Jahren knapp aus dem Landtag – was nun für Ärger auch in der Berliner Ampel-Koalition sorgen könnte.

Die AfD legte ebenfalls stark zu und schaffte ein zweistelliges Ergebnis. Die Linke scheiterte erneut an der Fünf-Prozent-Hürde.

Der Wahlkampf war geprägt von den Folgen des russischen Einmarschs in die Ukraine. Im Zentrum standen die Energiekrise sowie die Sorgen vieler Bürger angesichts hoher Preise für Gas, Strom und Lebensmittel. Landespolitische Themen spielten eine Nebenrolle. SPD und CDU hatten vor der Wahl klargestellt, dass sie ihre 2017 eher widerwillig geschmiedete Koalition nicht fortsetzen wollen.

Schlechtestes Landesergebnis der CDU seit mehr als 60 Jahren

Laut den Hochrechnungen kommt die SPD auf 33,4 Prozent der Stimmen (2017: 36,9). Die CDU verbucht mit 28,0 bis 28,1 Prozent ihr schlechtestes Landesergebnis seit mehr als 60 Jahren (2017: 33,6). Die Grünen legen dagegen deutlich zu und landen mit 14,5 bis 14,6 bei einem Rekordergebnis (2017: 8,7). Auch die AfD gewinnt stark hinzu und erreicht 11,0 Prozent (2017: 6,2). Die FDP scheitert mit 4,8 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde (2017: 7,5). Die Linke liegt mit 2,7 Prozent ebenfalls erneut unter dieser Marke (2017: 4,6).

Den Hochrechnungen von ARD und ZDF zufolge kommen die SPD mit 57 Sitzen und die Grünen mit 24 Sitzen gemeinsam auf eine absolute Mehrheit im Landtag. Die CDU erreicht 47 Sitze, dahinter liegt die AfD mit 18 Mandaten.

Der 63-jährige Weil, seit fast zehn Jahren Regierungschef, peilt nun seine dritte Amtszeit an. „Die Wählerinnen und Wähler haben der SPD den Regierungsauftrag erteilt – und niemand anders sonst“, sagte er. „Wenn ich die Chance habe, möchte ich gerne eine rot-grüne Landesregierung bilden“, sagte er dem Sender Phoenix. Weil hatte schon vor knapp zehn Jahren ein rot-grünes Bündnis geschmiedet, das sich auf nur eine Stimme Mehrheit stützte und 2017 an einer grünen Abweichlerin scheiterte.

Die Grünen wollen nun wieder Regierungsverantwortung übernehmen, wie Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg sagte. „Wir werden alles dafür geben, als Grüne künftig Niedersachsen für die nächsten fünf Jahre wieder zu gestalten und zukunftsfest aufzustellen.“

CDU-Spitzenkandidat Althusmann sagte, die CDU habe verloren. „Dieses Votum nehmen wir demütig an.“ Die SPD habe einen klaren Regierungsauftrag.

Weil könnte sogar Ernst Albrecht als Regierungschef mit der längsten Amtszeit in Niedersachsen ablösen. Den verunsicherten Wählern präsentierte er sich im Wahlkampf als erfahrener Krisenmanager, mit einem kurzem Draht zu Kanzler Olaf Scholz.

Lindner enttäuscht

FDP-Chef Christian Lindner führte das enttäuschende Wahlergebnis seiner Partei auch auf die Koalition mit SPD und Grünen im Bund zurück. „Denn viele unserer Unterstützerinnen und Unterstützer fremdeln mit dieser Koalition“, sagte Lindner. „Wir sind in der Ampel-Koalition aus staatspolitischer Verantwortung, nicht weil SPD und Grüne uns von den inhaltlichen Überzeugungen so nahe stünden.“

In der Berliner Koalition könnte die FDP-Schlappe den Krawallfaktor gerade zwischen Liberalen und Grünen weiter erhöhen – vor allem mit Blick auf eine mögliche Zuspitzung der Energiekrise im Winter, mögliche weitere Entlastungsmaßnahmen, den Streit um die Atomkraft und die Schuldenbremse. Parteivize Wolfgang Kubicki forderte, dass die FDP ihre Positionen in der Ampel nun „deutlicher markieren“ müsse.

Bei den Landtagswahlen in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein musste die FDP ebenfalls deutliche Verluste hinnehmen – für den Einzug in den Landtag reichte es aber jeweils noch. Bei der Saarland-Wahl im Frühjahr kam die Partei auf etwas mehr Zustimmung, verpasste den Einzug in das Landesparlament aber knapp.

AfD-Bundeschef Tino Chrupalla zeigte sich erfreut über die erstarkte Landtagsfraktion. „Alles, was über zehn Prozent ist im Westen, ist Volkspartei. Das sind wir“, sagte er. „Wir sind wieder da.“ Die AfD gewann nach drei Landtagswahlen mit Verlusten erstmals wieder hinzu. Das dürfte Wasser auf die Mühlen der Protestbewegung sein, die die rechte Partei in diesem Herbst auf die Beine stellen will.

Knapp 6,1 Millionen Wahlberechtigte durften ihre Stimme abgeben. Die Wahlbeteiligung lag den Prognosen zufolge bei 60,8 bis 61,0 Prozent. 2017 betrug sie noch 63,1 Prozent, nach 59,4 Prozent im Jahr 2013.

Analyse der Forschungsgruppe Wahlen

Die SPD in Niedersachsen hat ihren Erfolg bei der Landtagswahl am Sonntag nach einer Forscher-Analyse ihrem Ministerpräsidenten zu verdanken. „Der Erfolgsfaktor Nummer eins heißt bei der SPD Stephan Weil“, schreibt die Forschungsgruppe Wahlen. „Mit Werten knapp unter der Ministerpräsidenten-Spitzenklasse überzeugt der Amtsinhaber mit seiner Bilanz (gute Arbeit: 71 Prozent) und hohem Ansehen.“ Auf der +5/-5-Skala liege Weil mit 2,1 klar vor CDU-Herausforderer Bernd Althusmann 1,2.

„Als Regierungschef wollen nur 26 Prozent Althusmann, aber 55 Prozent Weil, der das Land nach Meinung der Befragten auch am ehesten durch die unsicheren Zeiten führen kann“, so die Analyse. Gestützt auf viel Zuspruch aus der älteren Generation basiere der SPD-Erfolg auf guter Regierungsarbeit, hohem Vor-Ort-Ansehen und einem überlegenen Spitzenkandidaten Weil. Vom Bund sei dagegen kaum Rückenwind gekommen. Kritik an der Ampel-Koalition im Bund treffe aber vor allem die FDP, die beim Ansehen als Bundespartei (minus 0,2) einbreche.

Bei eingetrübter Konjunktur und selten großen persönlichen Zukunftssorgen genieße die SPD im Land in sozialen und ökonomischen Fragen mehr Vertrauen als die CDU, „die – neben einem nur mäßigen Standing vor Ort – erneut auch keinen bundespolitischen Rückenwind hat“. Die Grünen punkteten beim Top-Thema Energiepolitik, hinzu komme relativ viel Zustimmung für eine rot-grüne Koalition.

Die Niedersachsen-CDU weist der Umfrage zufolge inhaltliche Defizite auf: „In einem Umfeld, in dem Wirtschaftslage und Zukunftsvorbereitung skeptischer gesehen werden als 2017, hat die CDU in diesen Politikfeldern Kompetenzeinbußen.“ Die SPD sei weitgehend stabil und genieße hier ebenso wie bei den Themen Abmilderung der steigenden Kosten, Bildung, Infrastruktur oder soziale Gerechtigkeit auch das meiste Vertrauen. Bei der Energiepolitik seien die Grünen stark. „FDP und AfD bleiben bei den Parteikompetenzen wie so oft äußerst schwach.“

„Die AfD profitiert fast ohne eigenes Zutun von der multiplen Krisensituation“, schreibt die Forschungsgruppe weiter. Gewählt werde sie für 20 Prozent aller Befragten wegen ihrer politischen Forderungen, aber für 71 Prozent als Denkzettel, wobei sich die Unzufriedenheit insbesondere gegen die Politik und die Handelnden im Bund richte. Für 66 Prozent der Befragten nutzten der AfD aber auch die Ukraine-Krise und die hohen Preise etwa für Energie.

Die Basis für den SPD-Erfolg habe einmal mehr die ältere Generation gelegt: Bei den Menschen ab 60 schaffe die SPD starke 42 Prozent (unverändert), bei den unter 30-Jährigen komme sie nur noch auf 22 Prozent (minus 9). Die CDU verliere bei den unter 30-Jährigen allerdings noch stärker und erreiche 19 Prozent (minus 11). Die Grünen erzielten hier 20 Prozent (plus 7).

Beim Blick auf die nächste Landesregierung bevorzugen die Niedersachsen laut Analyse eine rot-grüne Koalition. Diese fänden 42 Prozent gut. 33 Prozent plädieren für Rot-Schwarz und 25 Prozent für Schwarz-Grün. Die FDP spiele hier keine Rolle mehr. dpa

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Ingo Frank | Mo., 10. Oktober 2022 - 06:26

Wenn’s schon der Kommentator der Tagesschau favorisiert, was kann, soll, darf dann noch schiefgehen. Siehe Focus online.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Ingo frank | Mo., 10. Oktober 2022 - 07:18

Thüringer Allgemeinen von heute zu Niedersachsen Wahl:
„Die rd. 12% für die AfD stellt ein fulminantes Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland …..
Offenbar kommt also die Krise auch mittlerweile in der Geldbörse der Menschen dort an, wo mehr Vermögen vorhanden ist als in den Ostdeutschen Bundesländern“
Und dieser eingeleitete Prozess durch vor allem Grüne Energie & Wirtschaftspolitik wird diesen Prozess rasant beschleunigen … auch im Westen. Und nicht vergessen nicht nur im Osten ist heute Montag,…. da ist es bei den veröffentlichten Zahlen v. Demonstranten gut ablesbar. Es werden jede Woche mehr …..
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Auch im tiefsten Dunkeldeutschland wurde gewählt. Genauer gesagt in Cottbus, da, wo wiederholt so manche zweifelhafte Gruppierung von sich Reden macht, natürlich im Kampf für Volk und Vaterland, aus "Liebe zu Deutschland!".

Und weil der Boden fruchtbar schien, wollte sich die AfD anschicken, ein erstes Rathaus im dunkleren Teil Deutschlands zu erobern, als ersten Stützpunkt, ja Ausgangspunkt für weitere Eroberungen.

Aber, siehe da, die Cottbuser verhielten sich erstaunlich "anti-faschistisch": Sie wählten einen Sozialdemokraten, während der Kandidat der Partei "Retter des Vaterlandes", der "Alternative für Russland" gerade mal auf ein Drittel der Stimmen kam.

Und während im Westen die Rechtsextremisten 10,9 Prozent in Niedersachsen so bejubeln, als hätten sie die absolute Mehrheit errungen, wehrt sich der Osten wenigstens punktuell gegen die Braunen.

Schöne Grüße in Ihre "Republik"

ich habe mich über das Ergebnis der AfD gefreut, wenn auch nur verhalten, denn es ist nach wie vor deutlich zu niedrig für den Grad an Frustration den man erlebt.

Ich sehe hier auch den geringen Unterschied zwischen den medial massiv gehypten Grünen die es in Anbetracht der medialen Unterstützung, Verklärung und Lügen auf gerade einmal etwas mehr als 3% mehr gebracht haben als die medial massiv benachteilgte AfD! Das ist bezeichnend und erschreckend zugleich, denn es sind offensichtlich immer noch viele Menschen in diesem Land der Meinung die Grünen wären ein Teil der Lösung und nicht des Problems und das trotz des massiven Versagens der Grünprotagonisten auf Bundesebene! Natürlich gilt die gleiche Aussage auch für die anderen „etablierten“ Parteien, denn auch die machen schon lange keine Politik im Sinne des deutschen Bürgers mehr!

Christoph Kuhlmann | Mo., 10. Oktober 2022 - 07:28

Die Energiepreiskrise lässt sich nur durch eine Angebotserweiterung beenden. Hierzu müssen sofort alle Wege beschritten werden. Vom Biogas über die Kernenergie, von der Windkraft bis zur Förderung heimischer Gasreserven, auch durch Fracking. Jede Regierung, an der die Grünen beteiligt sind, wird dieser Priorität im Wege stehen. So ist die Wirtschaftskrise nicht abzuwenden und wird sehr langwierig.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 10. Oktober 2022 - 09:18

Eine andere Koalition macht doch auch aus deren Sicht keinen Sinn. Die Loser der CDU braucht Weil nicht. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, heißt ein Sprichwort. Die AFD legt zu und wird zweistellig. Gut so, wenigstens eine Opposition braucht der Landtag dort. Die CDU ist ja auch inzwischen rot angestrichen., und wird dort auch weiterhin alles abnicken, wie vorher in der Groko.
@ Tomas Poth - Danke für die Info aus Ihrer örtlichen Presse, man kann nicht alles lesen, da fehlt oft die Zeit.
Jedenfalls ist der Erfolg der AFD nun auch in NdS ein weiterer Dorn im Fleisch der Links-grünen Ökofaschisten. Jedenfalls dürfte es dort recht schnell gehen eine Regierung zu bilden, die sind sich ja in vielem einig. Ein Sieg für Scholz war das nicht, sondern vor allem der Amtsbonus von Weil haben der SPD den Sieg, wenn auch mit leichtem Verlust gebracht. Macht aber auch nichts, ging ja zu Gunsten der ideologisch befreundeten grünen Partei. Die werden sich das alles schon schön reden.

Gerhard Lenz | Mo., 10. Oktober 2022 - 09:23

hat die Wahl gewonnen. Ich erinnere mich mit einem breiten Schmunzeln an die Kommentare der Cicero-Foristen vor wenigen Tagen, in denen Weil im hier leider mittlerweile üblichen Ton "verrissen wurde". Was andererseits zeigt, wie irrelevant manche Meinungen doch sind.

Auch den großen Erfolg der AfD darf man ruhig relativieren. Dass die Rechtsextremisten auch bei entsprechender Stimmung im Westen Erfolg haben können, ist nicht neu: Zu Zeiten, in denen Migration von ihnen noch erfolgreich verteufelt wurde, erreichte man in BW schon mal 15%. Je größer die Unsicherheit in der Bevölkerung, desto größer die Schwarzmalerei der AfD - auch in diesem Forum wird seit Jahren täglich der demnächst stattfindende Untergang Deutschlands beschrieben. Jetzt, wo dank Putin Frieden und Wohlstand bedroht sind, punktet auch die AfD. Allerdings dürften die 10,9% weniger sein, als erhofft.

Andererseits: Ohne Putins Krieg bzw. dessen Folgen wären die Rechtsextremisten wohl aus dem Parlament geflogen.

Dr.Andreas Oltmann | Mo., 10. Oktober 2022 - 10:22

Lt. Wikipedia wird die Forschungsgruppe Wahlen vollständig vom ZDF finanziert. Somit von den regierenden Parteien.
Dies sollte jeder Kommentator bei der Interpretation beachten. Nicht die SPD ist gewählt worden, sondern Weil ( im Bundestrend liegt die SPD z.Z. Bei 19-20%).
Auch das Ergebnis der Grünen liest sich zwar gut i.V. zu 2017, aber kein Grund zu Überheblichkeit, wenn man auf die letzten Wahlen blickt.
Die AfD befindet sich im Aufwind, 11% sind jetzt keine himmelweite Differenz zu den Grünen.
Trotzdem spielen diese in der medialen Wahrnehmung und Darstellung die dominierende Rolle-zu Recht?

Walter Bühler | Mo., 10. Oktober 2022 - 10:53

Ich finde es gut, dass weder die CDU noch die Grünen noch die FDP in Niedersachsen die prognostizierten Werte erreicht haben.

Meine - die ältere - Generation hat lieber auf die vorsichtigere SPD als auf die infantilen und naiven Bellizisten bei den Grünen, bei der CDU und bei der FDP gesetzt.

Junge Leute, von Heldengetümmel der Computerspiele und TV-Serien geprägt, fallen halt leichter auf den Selinski-Helden-Kult herein, den die tapferen virtuellen Kavalleristen Hofreiter, Baerbock, Merz usw. samt ihren journalistischen Hilfstruppen inszenieren.

Wir Alten wissen eben noch, was Krieg bedeutet, und auch die Folgen einer Inflation sind bei uns noch präsent.

Und vielleicht sind wir Alten auch ein wenig besser gegen professionelle Werbung und Propaganda ausgebildet worden..